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Wie nutze ich Musik-Apps zum Üben & Unterrichten, Max Gaertner?

Mein heutiger Gast ist der Percussionist und Autor Dr. Max Gaertner.

Ich hab Max, wie er selbst sagt, gerade mitten in einer kreativen Umbruchphase gesprochen. Als studierter Orchestermusiker sucht er künstlerisch gerade nach seiner ganz persönlichen Stimme. Dabei experimentiert er viel mit besonderen Mikrofontechniken, Effektgeräten und Musik-Apps. Wer davon einen Eindruck bekommen möchte, sollte seinem Instagram Account folgen. 

In unserem Gespräch ging es aber vor allem darum, wie sich Musik-Apps fürs Smartphone und Tablet am besten fürs eigene Üben  – aber auch für den Instrumentalunterricht nutzen lassen. Dabei sind wir beide richtig ins Schwärmen über die Möglichkeiten, die daraus entstehen, gekommen. 

Natürlich hatte Max aber auch ein paar handfeste Tipps und Übungen dabei, die man direkt zu Hause umsetzen kann. 

Max Gaertner vor Wand
Max Gaertner (©)

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Max Gaertner lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

Das Interview

Übersicht

Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?

Das ist gar nicht mal so einfach, ne? So ein wichtiger Satz. Üben heißt für mich, Quality Time mit mir selbst und meinen vielen Instrumenten zu verbringen. Ich brauche fürs Üben sehr viel Ruhe. Und, um gut zu üben muss ich wirklich runterkommen. Deswegen ist es tatsächlich auch im Umkehrschluss immer eine wirklich coole Zeit für mich. Üben bedeutet ist dann wie ein kleiner Safe Space für mich quasi, wo ich mich mal einkapsele und dann wirklich ganz ruhig mich mit den Instrumenten beschäftigen kann.

Das finde ich spannend. Da können wir auf jeden Fall gleich noch mal ein bisschen genauer darauf eingehen, wie du es dann auch schaffst, diesen Safe Space im Alltag dir einzurichten. Welche Musik, Album oder Künstler läuft denn bei dir gerade in Dauerschleife?

Das ist ganz schön schwer. Aber es gibt einen Schlagzeuger aus den USA, Mark Guiliana, der eine Serie von Stücken rausgebracht hat, die „Music for Doing“ heißt. Die läuft im Grunde eigentlich dauernd. Ich mag sehr, was er macht. Mark Guiliana spielt sehr frei improvisierten Jazz und ich mag seine Herangehensweise und seinen Sound.

Würdest du auch sagen, dass du einen speziellen Künstler hast, der dich auf dein persönliches Spiel sehr geprägt hat?

Auf jeden Fall ist es Billy Martin. Er ist auch Schlagzeuger und hat eine wahnsinnig interessante Herangehensweise an freies Spielen, Klangsuche und Klangforschung. Er hat mich deswegen besonders inspiriert, weil ich gerade in einer Phase bin, wo ich mich aus diesem strengen klassischen Kontext, aus dem man ja als Orchestermusiker kommt, befreien zu versuche.

Den Zuhörer*innen, die dich bisher noch nicht kannten, kann ich auf jeden Fall deinen Instagram Kanal empfehlen. Der ist sehr spannend. Du hast eine sehr eigene Art mit dem Mikrofon umzugehen. Das habe ich so noch nie gesehen. Du nutzt es, im Prinzip, wie ein Instrument. Ist das eine Inspiration von Billy Martin oder ist das etwas, was in diesem Prozess von „Deine eigene Stimme finden“ selbst bei dir entstanden ist?

Ja, das ist tatsächlich einfach im Experiment bei mir im Proberaum entstanden. Der Hintergrund ist, dass ich mich in den Jahren, in denen ich eigentlich rein klassisch unterwegs war, nicht so angekommen gefühlt habe. Das kennen andere vielleicht auch in anderen Zusammenhängen oder so. Man merkt, dass es noch weitergehen muss. So war es bei mir.

Ich habe deswegen, und auch vielleicht, weil ich in der Jugend wahnsinnig viel Jazz am Vibraphon gemacht habe, das Bedürfnis gehabt, das Instrumentarium und alles, was es an Vielfalt mit sich bringt, in einen neuen Kontext zu führen, um auch andere Perspektiven für zukünftige Schlagzeuger oder Percussionisten zu eröffnen.

Diese Mikrofonsache, die du ansprichst, die kommt daher, dass wenn man jetzt in andere Instrumentalbereiche reingeht – also beispielsweise denke ich an Miles Davis, Trompete, Cool Jazz. Hier schätze ich die Möglichkeit, dass sie den Ton, nach dem er angespielt wurde, noch weiter formen. Und speziell Miles Davis. Ich sitze dann da und höre seine Platten abends und manchmal hört man erst mal nur seine Luft durchs Instrument kommen, bevor so der erste Ton kommt. Und das hat so was wahnsinnig Intimes, weil es so persönlich ist.

Es ist nicht wie jetzt bei uns, man schlägt so auf die Pauke drauf. Natürlich ist die Frage, wie schlägt man drauf und so. Aber da könnte man jetzt auch wieder stundenlang reden. Danach verklingt der Ton bei uns am Schlagzeug. Wenn ich mit dem Mikrofon über die Instrumente hin und zurück gehe, habe ich die Möglichkeit, so ein bisschen diesen Ton noch zu formen, nachdem ich ihn angeschlagen habe. Und das ist die Idee dahinter.

Dein Übe-Alltag

Um den Bogen vielleicht zu schlagen, du bist ja nicht nur Musiker selbst, sondern auch Autor. Wir haben gerade vorhin schon im Vorgespräch ganz kurz dein „Was geht App?“ Buch beim Schott Verlag angesprochen. Du hast vor zwei Jahren deine Doktorarbeit über elektroakustische Komposition geschrieben. Kannst du uns mal mitnehmen in deinen typischen Übe-Alltag?

Mein Übe-Alltag sieht natürlich jeden Tag ein bisschen unterschiedlich aus. Nachdem alle organisatorischen Dinge am Tag erledigt sind, gehe ich runter ins Studio. Das ist im selben Haus. Dort habe ich mehrere Stationen aufgebaut: verschiedene Instrumente, Vibraphon, Marimba, Trommeln.

Wenn du mich jetzt vor einem Jahr gefragt hättest, hätte da auf jeden Pult ein Stück gelegen, was ich gerade übe. Weil es stehen natürlich Konzerte an und man muss sich vorbereiten. Und jetzt ist es so, dass ich quasi Stationen aufgebaut habe im Studio. Da ist eine mit dem, das sieht man auch auf Instagram oft, das Vibraphon mit so einem elektronischen, kleinen Mallet-Instrument dabei und einem modularen Synthesizer System und sehr viel Elektronik. Und das ist meist die erste Station, wo ich hingehe. Dort erforsche ich diese Mikrofon-Technik und da probiere ich aus, zur Musik zu spielen und solche Dinge, wie man beispielsweise den Vibraphonklang verfremden kann, wenn man ihn durch verschiedene Effektgeräte oder mit Musik Apps bearbeitet. Da verbringe ich eigentlich die meiste Zeit damit, relativ frei zu spielen und zu forschen.

Und das geht im Grunde so weiter, je nachdem, wie viel Zeit ich am Tag zum Üben habe.

Also dein Üben startet eigentlich immer mit so einem sehr freien spielerischen Teil, um so ein bisschen in diese Kreativität auch reinzukommen?

Ja, genau. Also das ist ganz anders, als es wie gesagt vor einiger Zeit war.

Ich habe wirklich wahnsinnig viel während des Studiums geübt und auch danach noch sehr. Man startet zunächst erstmal mit ein paar Tonleitern, wie das im Grunde ja alle machen – weil es alle machen.

Und es ist tatsächlich momentan quasi eine ganz extreme Umbruchssituation, in der ich versuche das ganz anders zu machen und wirklich frei spielen. Und wirklich einfach mal auszuprobieren, was passiert. Das habe ich vorher ganz selten bis nie gemacht, weil immer viele Stücke auf dem Programm standen, die ich schnell lernen musste.

„Ich übe jeden Tag. Auch am Wochenende – quasi ohne Ausnahme. Einfach, weil die Zeit pro Session weniger wird. Ich kann jetzt seltener, so wie früher im Studium, meine 8 bis 9 Stunden am Tag üben. Das ist wirklich die absolute Ausnahme. Und deswegen gibt es noch eine größere Regelmäßigkeit. „

(Max Gaertner)

Du hast in der allerersten Antwort jetzt schon was sehr Interessantes gesagt, wie ich finde. Du hast das Üben so als Art Safe Space bezeichnet. Das finde ich insofern interessant, weil natürlich die Frage ist, wie schafft man sich den so typischerweise im Alltag?

Nicht jeder Tag hat den selben Ablauf. Ich bin Dozent, habe Lehraufträge, ich bin auch immer mal wieder auf Tour und habe natürlich auch Familie. Das alles muss man alles unter einen Hut kriegen.

Deswegen ist es nicht jeden Morgen von 10 bis 1 oder so. Aber man kann sagen: ich übe jeden Tag, auch am Wochenende, Samstag und Sonntag, quasi ohne Ausnahme. Einfach, weil die Zeit pro Session weniger wird. Ich kann jetzt seltener, so wie früher im Studium, meine 8 bis 9 Stunden am Tag üben. Das ist wirklich die absolute Ausnahme. Und deswegen gibt es noch eine größere Regelmäßigkeit und auch keine solchen „Oh, jetzt aber Sonntag, die ganze Woche hat man so viel gemacht, da muss man jetzt frei machen… Das gibt es einfach nicht, sondern ich mache das durch sieben Tage in der Woche. Ich habe auch keine Ferien in dem Sinne, weil es einfach wichtig für mich ist, um diesen Fluss zu haben.

Und was diesen Safe Space angeht: das ist tatsächlich so, dass ich dann ins Studio rein komme und mir zugestehe, ein paar Minuten zu schauen, wo es hingeht.

Also ich fange einfach an zu spielen, ohne groß nachzudenken. Mache vielleicht eine Musik an, die ich noch im Ohr habe – oder, die ich gestern Abend vielleicht entdeckt habe. Und dann spiele ich dazu. So tauche ich quasi immer tiefer in die Musik ein. Stufe für Stufe für Stufe in diesen Safe Space, wo ich dann für eine ganz lange Zeit, ein paar Stunden meditieren.

Das klingt so esoterisch, aber es ist tatsächlich wie in einem Flow. Und das habe ich tatsächlich erst jetzt in den letzten ein, zwei Jahren so intensiv entdeckt. Vorher war das Üben sehr viel handwerklicher geprägt, weil man sagt: so jetzt schnell die Einspielübungen und dann zack Stück eins, Stück zwei, Stück drei, weil man so viel Konkretes zu tun hat. Und jetzt muss man ganz anders rangehen. Das lasse ich auch in meine Unterrichte einfließen. Das bringt auch tatsächlich den Schülern und Studenten ziemlich viel, so was auszuprobieren.

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Üben & Unterrichten mit Musik-Apps

Wenn man so will bist du Experte, wenn es um Üben mit Musik-Apps geht. Du hast vorher schon ganz kurz angesprochen, dass du bei deinem Experimentieren auch Apps nutzt, um den Klang zu verfremden. Kannst du es mal runterbrechen, inwiefern diese Apps in deinem Übe-Alltag eine Rolle spielen?

Musik-Apps spielen in meinem Alltag eine große Rolle. Vor allem künstlerisch nutze ich sie wie ein weiteres Instrument. Also das heißt, sie sind Teil dieser Stationen, von denen ich gesprochen habe.

Ich habe einen Controller im Studio, der sieht aus wie ein Xylophon, aber der besteht quasi aus Pads, die ein elektronisches Signal an den Computer senden, um dann Klang zu erzeugen. Damit steuere ich Musik-Apps, sodass ich über meine Sticks Sounds aus einer Synthesizer App (viele werden vielleicht bspw. Garageband kennen) erzeugen kann.

Und inwiefern überschneiden Sie dann die Apps, die du selbst nutzt im Vergleich zu den Apps, die du deinen Schülern und Schülerinnen anbietest zum Üben? Also wahrscheinlich gibst du nicht alle diesen dieses große Portfolio mit, oder?

Also tatsächlich ist es so, dass es nur ganz selten dazu kommt, dass Apps, die ich privat zum künstlerischen Schaffen nutze, ich die jetzt auch so eins zu eins im Unterricht einsetze, weil einfach das sind dann Apps, wo es eher um Klang, Synthese geht und solche Dinge und das ist eigentlich für so einen klassischen Schlagzeugschüler erst mal weniger interessant und da besetze ich tatsächlich ganz andere Apps ein. Also wenn ich jetzt im Unterricht sitze, habe ich jetzt auch, du hast das „Was geht ab“-Buch erwähnt, nachdem habe ich eine wahnsinnig große Resonanz bekommen von den Lesern und Leserinnen, dass das toll ist, dass man so einen Einblick bekommt, aber wie es auch so ist, und das verstehe ich auch absolut, erstens mal für viele ist es ein neues Thema. Außerdem gehört dazu, wenn man jetzt als Lehrer sehr viele Musikschüler hat und versucht sozusagen mit denen was umzusetzen, vielen fehlt die Zeit, sich so intensiv wie ich das vielleicht getan habe mit dieser Materie zu beschäftigen, zumindest am Anfang, um da so einzusteigen und sich Sachen für den eigenen Unterricht zu überlegen. Und da haben viele gesagt, ja, wie könnte man das denn machen? Ihnen fehlt irgendwie das Konkrete.

Also sagen wir mal ein Etüdenheft, wie man das von der Schlacht Werkzeugschule oder so kennt, die man dann erstmal durcharbeiten kann mit dem Schüler. Und währenddessen sagt man, okay, jetzt nehmen wir die Übung dreimal nicht, da habe ich was anderes und so. Da lässt man eigene Sachen einfließen, aber da hat man einen roten Faden. Da gibt es erstmal eine gewisse Sicherheit. Und das hat dazu geführt, dass ich dieses Ich habe ein weiteres Buch geschrieben, das heißt „Appetit“ quasi, also „Appetüden“. Und da habe ich tatsächlich ganz konkrete Übungen entwickelt, die man so im Musikunterricht, im Instrumentalunterricht eben mit den Schülern eins zu eins aller Instrumente, also ich habe es freigehalten sozusagen, mit welchem Instrument man das macht, einsetzen kann. Und da gibt es verschiedenste Dinge, die eben mit Musikapps wahnsinnig gut gehen. Beispielsweise was alle umtreibt, ist sowas wie rhythmische Präzision und Timing. Das klingt erstmal so ein bisschen lahm, weil es immer so alte Layern sind, aber es ist tatsächlich ja für alle so wichtig. Da habe ich dann Spiele entwickelt, wie man mit einem ganz normalen Metronom oder mit speziellen anderen Apps eben solche Verschiebungen, Verschiebungsspiele machen kann, um quasi da sicherer und stabiler zu werden.

Und da sind die Ergebnisse wirklich krass. Plötzlich machen solche scheinbar trockenen Übungen wie Timingübungen oder sowas richtig Spaß, weil es so eine Art Challenge ist, Charakter hat. Man spielt quasi wirklich. Und ja, das sind sozusagen eher Dinge, die ich im Unterricht selbst nutze, beispielsweise auch, wobei das ist wieder eine App, vielleicht könnte man an der Schnittmenge sehen zwischen meiner künstlerischen und der pädagogischen Arbeit. Es gibt so Looper Apps, also wo man quasi einzelne Schnipsel, die man einspielt, immer, du kennst das ja wahrscheinlich, immer wieder, wiederholen kann. Und das nutze ich künstlerisch oft, weil das ist toll. Ich kann lange Klänge vielleicht die ich erzeuge, mit anderen kombinieren und so Klangflächen erzeugen. Und im Instrumentalunterricht kann ich mit solchen Looper Apps, habe ich ja auch in diesem Aptitude Heft zwei, drei Übungen zugemacht, verschiedene rhythmische Takte, die ich vielleicht nacheinander irgendwo aufgeschrieben habe, übereinander legen und so trainieren, zu einem bestehenden Rhythmus möglichst exakt einen nächsten dazu zu spielen und quasi so eine Art Trockenübung fürs perfekte Ensemble Spiel sowas zu haben, um noch mehr, also man hat nicht das Gefühl, man spielt nur mit sich selbst allein, sondern es ergibt sich so eine große Klangfarbe, was irgendwie cool ist.

Und es ist auch super spielerisch, weil es halt nicht so dieses sehr trockene, ich mache diese Übung 1 und dann kommt die Übung 2.

Ja, auch für zu Hause. Die Schüler haben Spaß auch daran, das dann zu Hause mal zu machen. Die meisten Apps sind ja kostenfrei oder super günstig auch. Da spielen die dann rum und plötzlich schreiben die Songs oder also die werden plötzlich richtig kreativ, ist echt cool. Ja, mega.

Kannst du ein Beispiel geben, was man jetzt gut so einfach verbal erklären kann für so eine Rhythmikübung, also wie du Timing Training mit einer App zum Beispiel machst?

Wer schreibt hier eigentlich..?

Musiker | Podcast-Host | Blogger | + posts

Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"

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