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Wie geht Üben mithilfe der Dispokinesis, Angelika Stockmann?

Angelika Stockmann studierte Cello an der Folkwang Hochschule in Essen. Seit über dreißig Jahren arbeitet sie zudem auch als Dispokinetikerin mit eigener Praxis und hilft Musikerinnen und Musikerin mit fokaler Dystonie, Ausdruckshemmungen oder anderen Formen von Überblestatungssyndromen. Im letzten Jahr hat sie ein wunderbares Buch veröffentlicht, in dem sie ihre Erfahrungen zum Thema Üben ausführlich zu Papier gebracht hat. Es trägt den passenden Titel: Üben hilft eben doch*. 

Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, wusste ich sofort, dass ich Angelika Stockmann gerne als Gästin im Podcast begrüße möchte und ich bin sehr froh darüber, dass sie meiner Einladung sofort gefolgt ist. Wir haben über das richtige und gute Üben gesprochen, darüber wie man es schafft loszulassen und nicht zu viel zu machen und natürlich wie die Dispokinesis hier helfen kann.

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Angelika Stockmann (Dispokinesis-Trainerin)
Angelika Stockmann (Foto: Katarzyna Salamon)
Üben hilft eben doch - Buch Angelika Stockmann
Üben hilft eben doch – Angelika Stockmann

Mehr Informationen zu Angelika Stockmann:

Webseite: http://www.dispokinesis-praxis.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Angelika Stockmann lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview

Übersicht

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Üben heißt für Sie….

Erstmal möchte ich vorausschicken, dass ich sehr gerne übe. Üben heißt für mich spüren, was gerade ist. Sowohl was mein Instrument als auch mein Körper betrifft, um es dann im zweiten Schritt beeinflussen zu können. Üben heißt also auch für mich zu gestalten, beeinflussen und möglicherweise sogar zu verändern. Daraus entsteht dann ein intensives Selbstgespräch, weshalb ich es liebe zu üben.

Am Ende steht dann eine Vorstellung, die mir hilft, am nächsten Tag nicht am gleichen Punkt erneut anzufangen. Es gibt also eine Erinnerung in mir, wenn ich mit diesem Spüren übe.

Das mit dem Selbstgespräch ist ein interessanter Aspekt, der auch im Buch oft vorkam. Darauf werden wir sicher im Verlauf nochmal zu sprechen kommen. Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei Ihnen gerade in Dauerschleife?

Aktuell gerade nichts. Aber es gab eine Zeit, in der ich viel die Händel Cembalo Suiten gehört habe. Besonders die in D-Moll hat es mir besonders angetan.

Welche CD hat Sie musikalisch (auf Ihr Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Nein, den gibt es nicht. Ich wusste ja, dass Sie mir diese Frage stellen werden (lacht) und bin dem deshalb etwas nach gegangen. Im Nachhinein würde ich sagen, dass mich mein erster Cello-Lehrer in der Art und Weise, wie er mit Musik umging, sehr geprägt hat.

Es gibt die schöne Episode, als er mir mal im Sommer sagte, dass üben wichtig und richtig sei, ich aber auch mal entspannen sollte. Mich unter einen Baum legen und ein Buch lesen solle. Daraufhin habe ich (damals gerade 14 Jahre alt) ihn gefragt, was ich denn lesen könne. Sie werden es nicht glauben: Er empfahl mir der Glöckner von Notre Dame. Ich hatte keine Vorstellung davon, was das ist. Erst viel später habe ich verstanden, was er damit erreichen wollte. 

„Üben heißt für mich spüren, was gerade ist. Sowohl was mein Instrument als auch mein Körper betrifft, um es dann im zweiten Schritt beeinflussen zu können. Üben heißt also auch für mich zu gestalten, beeinflussen und möglicherweise sogar zu verändern.“

(Angelika Stockmann)

Die Besonderheit der Dispokinesis – die Geschichte von Gerrit Onne van de Klashorst

Eine schöne Geschichte. Sie können glücklich sein, früh einen Lehrer gehabt zu haben, der Musik als etwas ganzheitliches begreift und nicht nur die technische Perfektion sieht. Nach Ihrem Cello-Studium haben Sie eine Ausbildung in Dispokinesis begonnen und arbeiten seit mehr als 30 Jahren in eigener Praxis als Dispokinetikerin. Über die Jahre haben Sie darüber hinaus auch einige Lehraufträge an deutschen Musikhochschulen wahrgenommen.

Können Sie in ein paar Sätzen erklären, was Dispokinesis ist und wie es Musiker*innen helfen kann?

Vielleicht ist es hierfür am besten, den Werdegang des Begründers der Dispokinesis, Gerrit Onne van de Klashorst, zu skizzieren. Van de Klashorst war Pianist und hat durch einen tragischen Unfall jung zwei Finger einer Hand verloren. Daraufhin begann er ein Studium der Physiotherapie. Wahrscheinlich auch motiviert durch seinen Vater, der Solo-Cellist am Concertgebouw Amsterdam war. Er interessierte sich stark dafür, was die Grundvoraussetzung dafür ist, dass man frei spielen kann. Gemeinsam mit einem befreundeten Neurologen, Carl Schröters, erdachten sie sich regelmäßig Übungen. 

Sie stellten dabei fest, was dem einen als sinnvoll erschien, auch den anderen jeweils weiterbrachte: Nämlich die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass ich mich ungehemmt ausdrücken kann. Da wir als Menschen der Schwerkraft unterliegen, bedeutet dies, dass wir eine Stabilität von unten brauchen. Bei vielen Musikern habe ich allerdings manchmal das Gefühl, dass sie nicht wissen, dass sie Füße haben. Sie nutzen diese Stabilität also gar nicht. Sie fangen dann meist an dies im Oberkörper zu kompensieren, was dazu führt, dass es sich nicht frei und leicht anfühlt. 

Das bedeutet, dass die Lösung oftmals nicht in den Details am Instrument zu finden ist, sondern in erster Linie in dem körperlichen Bereitstellen von Möglichkeiten. Erst dann lässt sich, in einem zweiten Schritt, der Oberkörper feinmotorisch bearbeiten. Dispokinesis bedeutet das Bereitstellen von Möglichkeiten. Sowohl für die Bühne, aber auch für mich als Künstler*in, sodass ich meinen persönlichen Weg finden kann. Dies unterscheidet die Dispokinesis auch am meisten von allen anderen Körperarbeitsangeboten. Sie bearbeitet die konkreten Fragen immer auch am Instrument. 

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Sie meinen im Gegensatz zu Feldenkrais und Alexander-Technik beispielsweise?

Genau. Auch in der Dispokinesis gibt es dieses Basis-Programm (die sog. Originals). Damit geht es immer los, um überhaupt die Voraussetzung dafür zu schaffen und die Sensomotorik zu schulen. Danach geht es dann in die Arbeit mit dem Instrument. 

Ich persönlich habe auch viel Erfahrung mit der Feldenkrais-Methode gesammelt, genauso wie der Begründer der Dispokinesis Gerrit Onne van de Klashorst – bevor er seine eigene Methode entwickelte.

Sie haben dann anschließend noch eine Ausbildung in Formativer Psychologie angeschlossen. Wie kam es zu diesem Schritt?

Ich habe eine Ausschreibung zu einem Seminar meiner beiden späteren Ausbilderinnen gelesen, das den Titel trug „Zwischen Panik und Depression“. Das fand ich sehr spannend, da ich in der Arbeit mit meinen Klient*innen täglich erlebt habe, dass sie sich in diesem Kontinuum bewegen. Nicht zuletzt die, mit Bühnenängsten. 

Ich habe festgestellt, dass der Ansatz mit der Pulsation des Organismus zu arbeiten, unglaublich hilfreich war. Die Depression ist die Rückseite der Panik. Das bedeutet, dort wo der Erregungspegel im Körper zu hoch wird, zieht das Nervensystem irgendwann den Stecker. 

Oftmals erleben Musiker*innen in ihrem Alltag das Hin-und-Herpendeln zwischen „alles ist zu viel“ und „ich rappele mich wieder auf“. Daher ist es wichtig, die frühen Anzeichen kennenzulernen und mich in meinem Alltag so zu managen, dass die Ausschläge, sowohl nach oben als auch nach unten, nicht zu stark sind. 

„Dispokinesis bedeutet das Bereitstellen von Möglichkeiten“

(Angelika Stockmann)

Kontakt zum Boden – Basisübungen (Originals)

Sie hatte es eben bereits kurz angesprochen, dass die Zentrierung in der Dispokinesis-Ausbildung sehr entscheidend ist. Auch in Ihrem Buch ist davon viel die Rede. Können Sie erklären, warum die Verbindung zum Boden so wichtig ist?

In dem Moment, in dem ein Kleinkind lernt, selbstständig auf den eigenen Beinen zu stehen, lernt es auch gestaltend auf sein Leben einzuwirken. Wir wissen, dass sich in dieser Zeit die Sprache beginnt zu entwickeln und auch das Gehirn macht nochmals einen großen Entwicklungssprung. Wenn man so möchte, ist dies die Geburtsstunde für das, was uns als Menschen auszeichnet. Im Laufe der Jahre büßen wir diese Spannkraft allerdings ein, da wir uns oftmals zu wenig bewegen. Mit dem Basisprogramm gelingt es der Dispokinesis wieder in diesen Zustand zurückzukommen. 

Können Sie uns eine Übung aus dem Dispokinesis Basisprogramm demonstrieren?

Wir beide sitzen auf unseren Stühlen vor dem Bildschirm. Wenn ich beginne mit den Fußsohlen die Schuhsohle (wenn ich Schuhe trage) anzufassen und besonders mit den Großzehenballen die Sohle nach unten zu modellieren, dann merke ich, dass eine kleine Streckreaktion durch meinen Körper fährt und sich mein Oberkörper öffnet. Gleichzeitig senken sich meine Schultern und vielleicht fällt Ihnen auch auf, dass meine Stimme tiefer wird und ich etwas langsamer spreche.

Durch diese Aufmerksamkeit, die Sie mir gerade entlockt haben, hat sich meine muskuläre Verfassung verändert. Zusätzlich bin ich in meiner Selbstwahrnehmung etwas verlangsamt. Ich nenne das gerne die Fühllupe

Wenn ich mich an Ihre erste Antwort erinnere, dass Üben für Sie wie ein Selbstgespräch ist, dann ermöglichen uns diese Übungen eine noch bessere Selbstwahrnehmung. Kann man sagen, dass die Dispokinesis lehrt sehr genau auf den eigenen Körper zu hören und zu ihm eine Verbindung herzustellen. Kann man das so sagen?

Ja, das stimmt. Denn nur wenn ich spüre, was ich tue, kann ich es beeinflussen. 

Ich möchte allerdings nochmal auf das sehr genau eingehen. Schließlich kann das auch manchmal zum Fallstrick werden. Viele Musiker*innen würden über sich sagen, dass sie sehr genau darauf achten, was sie tun. Und die Musiker*innen, die mit fokaler Dystonie in meine Praxis kommen, würden sogar sagen, dass sie in ihrer Karriere immer versucht haben an alles zu denken. Wir merken hier bereits, dass einmal von Spüren und einmal von Denken die Rede ist. Vielleicht meinen wir jedoch, wenn wir denken sagen eher kontrollieren

Kontrollieren bedeutet sehr genau spüren. Und, wenn Sie jetzt, auf dem Stuhl sitzend, sehr genau spüren, was sie da gerade tun und wie Sie sitzen, dann werden Sie feststellen, dass Sie einfrieren und versteifen. Gerade deshalb ist es so wichtig zu unterschieden: Spüren (und bewusst werden) heißt nicht alles zu kontrollieren. Sondern es kann für Musiker*innen auch heißen, sich weniger zu konzentrieren. Schließlich können wir uns sowieso nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren. Der Rest wird dann sympathisierend mitlaufen.

Um diese Art der Selbstwahrnehmung zu schulen, hat der Gründer der Dispokinesis ein pädagogisches Besteck entwickelt, dass sich Entlocken nennt. Das bedeutet, dass ich z.B. eine Geschichte erzähle, ein Bild gebrauche, damit unwillkürlich eine bestimme Reaktion entsteht. Anstelle, dass ich konkrete Arbeitsanweisungen à la „tu dies“ gebe. Wenn ich in der Vorbereitung auf ein Konzert immer nur versuche alles zu kontrollieren, wird die Musik auf der Bühne nicht ins Fließen kommen. 

Sind diese Bild universell oder für jede*n Musiker*in unterschiedlich?

Diese Bilder sind für jede*n Musiker*in verschieden. Wobei ich natürlich oftmals, in meiner Arbeit, die gleichen Bilder mehrmals verwende. Am besten ist es jedoch, wenn ein*e Klient*in einen eigenen Bezug zum Bild herstellen kann („Das ist ja wie…“). Dann wird das Bild am stimmigsten im eigenen Körper resonieren.

„Übe in der Sonatenhauptsatzform „ABA“.“

(Angelika Stockmann)

Üben in der Sonatenhauptsatzform

Ich hänge noch an Ihrem Satz, dass es auch ein zu viel an Aufmerksamkeit geben kann und, dass es wichtig ist, auch das Loslassen zu trainieren. Dabei kam mir das Zitat aus Ihrem Buch in den Sinn: „Ziel des Üben ist Vergessen.“ Wie schaffe ich es denn ganz konkret dieses Loslassen im Übezimmer zu trainieren?

Im Buch schreibe ich an einer Stelle, dass das gute Üben der Sonantenhauptsatzform gleicht: A B A

A: Ich liebe das Stück / Ich lasse mich lieben vom Stück. Damit meine ich, sich von der Musik begeistern zu lassen.

B: Ich organisiere das Stück. Das ist natürlich mit A verbunden, da ich bereits eine Vorstellung des Stücks habe. In dieser Phase bin ich sehr aufmerksam und picke mir konkrete Stellen heraus, mit denen ich etwas tun möchte. 

A: Ich liebe das Stück. Das bedeutet, dass ich meine Aufmerksamkeit wieder etwas herunterschrauben kann. Wenn ich das tue, werde ich feststellen, dass ich in meinem Blick sofort defokussiere (mein Blick ist nicht mehr so scharf gestellt). Ich beginne dann anders zu denken: ich fühle beispielsweise eher wie ich spreche/singe/spiele. Allerdings kontrolliere ich mich dabei nicht, sondern spüre/ beobachte es lediglich.

Sollte man, damit der Prozess der Automatisierung auch einsetzen, diese drei Schritte jeweils Schritte in eine Übe-Session einplanen oder über einen längeren Zeitraum verteilen?

Sowohl als auch. Natürlich wird es in der Vorbereitung auf ein neues Programm gefühlt mehr mit B beschäftige. Ich werde täglich versuchen die Stellen, die ich noch nicht gut kann, zu verbessern. Jedoch, umso näher das Konzert rückt, ist es gut mich wieder mehr mit A zu beschäftigen. Ich sage sogar, dass Musiker*innen A üben sollen, da wir dies tatsächlich verlernen. Das kann natürlich bedeuten, dass ich jeden Tag versuche mit A zu enden. 

Mein erster Cello-Lehrer, von dem ich eben bereits erzählte, pflegte jede Übe-Session beispielsweise mit einer Bach Suite zu beenden. Seine Frau sagte darüber so schön, das sei sein „Abendgebet“.

„Im Übrigen sollten wir spätestens nach 25 Minuten sowieso eine Pause machen.“

(Angelika Stockmann)

Das Üben einteilen

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass man mit dem Üben dann aufhören sollte, wenn es sprichwörtlich am schönsten ist. Wieso ist das so?

Üben hat mit Wiederholungen zu tun. Wir wissen, dass unser Gehirn eine gewisse Anzahl an Wiederholungen benötigt, um zu merken, dass es sich um eine wichtige Information handelt. Wenn wir also etwas Neues lernen, bilden sich zunächst vorübergehende Synapse-Verbindungen, die sich auch wieder lösen können – sofern wir nicht dranbleiben.

Gleichzeitig hat die Wissenschaft festgestellt, dass sich unser Gehirn schnell beginnt zu langweilen. Bereits nach wenigen Wiederholungen verliert es „das Interesse“. Das bedeutet, dass ich den „Geschmack“ der Tätigkeit von Mal zu Mal weniger intensiv wahrnehme. Meine Ausführung wird mechanischer und der Fühl-Input, den ich eigentlich brauche, wird weniger deutlich. Das ist der Grund, warum wir nicht zu lange an etwas bleiben sollen. Im Übrigen sollten wir spätestens nach 25 Minuten sowieso eine Pause machen. Das lernt heutzutage jeder Studierende in der Embodiement-Vorlesung.

Wenn ich viel zu arbeiten habe, ist es gut oft zu wechseln. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass unser Gehirn weiter mit unseren Erfahrungen arbeitet, auch wenn wir die Tätigkeit nicht mehr ausüben und uns beispielsweise mit Freunden treffen. Wenn es dann zu wenig Pausen gibt, verpassen wir die Chance dieses „Einspeicher-Vorgangs“.

Demnach wäre sinnvoll weiterhin die Dinge zu wiederholen, die ich bereits kann. Somit könnte unser Gehirn kontinuierlich die Synapsen-Verbindungen stärken. Lässt sich das so sagen?

Genau. Das ist zum Beispiel auch genau das, was Kinder im Anfänger-Unterricht oft tun. Besonders, wenn sie sehr jung sind. Sie kommen dann nach einer Woche wieder in den Unterricht und haben alles gespielt, was sie bereits können – nur das, was noch nicht gut lief, wurde ausgelassen. Allerdings tut das Kind intuitiv genau das richtige. Nämlich die Grundlagen seines Spiels – das was leicht ist und Freude macht – weiter verfestigen. 

In Ihrem Buch stellen Sie am Anfang Ihren Leser*innen die Fragen, wann sie bereit zum Üben sind. Also welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit gutes Üben möglich ist. Welche Antwort haben Sie für sich hier gefunden?

Sicherlich Ruhe und ein guter Aufmerksamkeitsmodus. In Erschöpfung und Müdigkeit können wir nicht gut üben. Im gegenteiligen Fall, wenn wir übererregt sind, allerdings auch nicht. Es gibt zudem das Phänomen von Morgen- und Abendmenschen. Darauf sollten wir, sofern es uns möglich ist, Rücksicht nehmen. 

Ich kann mir jedoch vorstellen, dass der Permanentanspruch von Musiker*innen ständig üben zu müssen, dazu führt, dass sie glauben „viel helfe viel“. Das führt dazu, dass sie Zeit in der Übekabine vergeuden, weil sie sich nicht bewusst machen, ob sie bereit zum Üben sind. Wahrscheinlich würde es sogar reichen, von einem zwei Stunden Zeitfenster, was ihnen bspw. zur Verfügung steht, die ersten 5-10 Minuten mit einer Körperübung zu verbringen und lediglich die übrige Zeit zum Üben zu nutzen. Das kann einerseits bedeuten, dass ich mich sammle und etwas wacher werde oder meine Erregung herunter regle, sodass die verbleibende Zeit wirklich zur Verfügung steht. 

Das betrifft natürlich auch die Dauer des Übens. Es gibt Musiker*innen, die sagen, wenn ich nur 20 Minuten zur Verfügung habe, fange ich gar nicht erst an. Jedoch können 20 Minuten ein wunderbares Zeitfenster sein, um etwas („Slow-Food mäßig“) durchzufühlen. Wir alle kennen das sicher auch, dass wir nach einer solchen Sequenz hoch zufrieden sein können. 

„Dazu ist es wichtig zu wissen, dass unser Gehirn weiter mit unseren Erfahrungen arbeitet, auch wenn wir die Tätigkeit nicht mehr ausüben.“

(Angelika Stockmann)

Die Grenzen der Dispokinesis

Wir haben jetzt sehr viel gehört über die Möglichkeiten der Dispokinesis. Hat die Dispokinesis Grenzen? Oder anders gefragt: Wenn Forschung sehr viel über das Üben zusammengetragen hat und die Dispokinesis das Üben weiter verbessern kann, dann sollte der erfolgreichen Musiker*innen-Karriere nichts mehr im Wege stehen, oder?

Die Entwicklung in der Musikwelt zeigt uns, dass immer bessere Unterrichtsmethoden und Techniken dazu führen, dass Musiker*innen sich schneller weiterentwickeln können. Und das ist schön. Gleichzeitig müssen wir sagen, dass Musik ein menschliches Ausdrucksmittel ist – damit zitiere ich Heinrich Jacoby. Er meinte damit, dass Musik in diesem Sinne erst einmal keine Kunst und keine Profession ist.

Natürlich spielt auch Begabung eine Rolle. Das habe ich im Studium ebenfalls erlebt. Es gab Kommiliton*innen, die mit einer großen Leichtigkeit und wenig Aufwand ihre Ziele erreicht haben. Ob ich das nun Begabung nenne, oder die Summe meiner Möglichkeiten ist dabei zweitrangig.

Die Frage, die Sie mir hier nun zum Schluss stellen ist symptomatisch und sie berührt mich. Sie berührt mich in dem Sinne, weil ich hier oft Musiker*innen sitzen habe, die mit einer Vorstellung von dem, was sie erreichen wollen, unterwegs sind, die sie jeden Tag deprimiert. Mit der Vorstellung in eine Ausbildung zu gehen (oder gar in ein Leben), es sei alles erreichbar, wenn ich mich nur genug anstrenge und optimiere, ist etwas ganz Schwieriges. Das Einzige, was hilft ist zu schauen, was aktuell gerade ansteht. Es kann ungeheuer lähmend sein, sich jeden Abend an dieser Messlatte zu messen. 

Meine Erfahrung mit Musiker*innen ist die, dass es hilft herauszufinden, welcher Typ man eigentlich ist und wohin es mit einem geht. Dort, wo ich mit Freude übe und spiele, werde ich mich schnell entwickeln. Mit Sicherheit! Aber das ist etwas anderes als zu sagen, es gibt optimale Bedingungen und es muss dann das optimale Ergebnis dabei herauskommen.

„Meine Erfahrung mit Musiker*innen ist die, dass es hilft herauszufinden, welcher Typ man eigentlich ist und wohin es mit einem geht. Dort, wo ich mit Freude übe und spiele, werde ich mich schnell entwickeln. Mit Sicherheit! Aber das ist etwas anderes als zu sagen, es gibt optimale Bedingungen und es muss dann das optimale Ergebnis dabei herauskommen.“

(Angelika Stockmann)

Was lernen (üben) Sie gerade, was Sie noch nicht können?

Ich muss gestehen, dass ich aktuell mehr das Singen, als das Cello spielen übe. Das mache ich noch nicht so lange. Dort stelle ich fest, dass das, was ich in meiner Praxis meinen Klient*innen vermitteln möchte, für mich selbst immer wieder eine Herausforderung ist. Ich kenne kein Instrument, bei dem es so wichtig ist, seine Möglichkeiten unmittelbar zur Verfügung zu stellen, wie beim Singen. Und immer wieder diese gute Präsenz zu finden, ist auch für mich wie eine Lebensübung habe ich das Gefühl. 

Welchen Tipp würdest Sie Ihrem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Nimm deine Zeit. Vergleiche dich nicht mit andern und gehe deinen Weg. Und bringe dich aktiv in den Unterrichtsprozess ein.

Wer schreibt hier eigentlich..?

Patrick Hinsberger auf Treppe mit Trompete
Musiker | Podcast-Host | Blogger | + posts

Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"

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