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Johanna Röhrig ist 28 Jahre alt und studierte während der letzten Jahre an der Royal Academy of Music in London. Inzwischen ist sie Teil der Solistenklasse der HfMT Hamburg und absolviert nun ihr Konzertexamen in der Klasse von Tanja Becker-Bender. Welche besondere Rolle ihre Dozentin für sie spielt, erfahrt ihr gegen Ende unseres Gesprächs.
Ähnlich wie bei Julia Hagen, bin ich über einen Podcast auf Johanna aufmerksam geworden. Neben ihrem großen musikalischen Können beeindruckt die junge Geigerin vor allem durch ihre hingebungsvolle Strukturiertheit.
Mehr Informationen zu Johanna Röhrig findet ihr unter: https://www.johannaroehrig.com/
Lieber hören statt lesen?
Die Folge mit Johanna Röhrig lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:
Das Interview
Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….
Zu mir selbst finden. Zeit am Instrument, mit mir alleine, verbringen. Die Sachen, die in mir sind, rausholen.
Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?
Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?
Es war bei mir nie so, dass mich irgendjemand besonders geprägt hat. Ich weiß noch ganz genau, als ich 18 Jahre alt war, da habe ich zum ersten Mal das Mendelssohn Violin-Konzert mit Orchester gespielt. Das war im Sommer. Alle Leute waren draußen. Die Nachbarskinder haben im Garten gespielt und ich saß in meinem Zimmer, hab geübt und fand das nur begrenzt gut.
Und dann, irgendwann, hat es einfach Klick gemacht und ich wusste, wie ich die Sachen haben wollte. Das hört sich total komisch an. Ich hab die Arbeit an dem Stück angefangen und habe mir immer Aufnahmen angehört – habe versucht Dinge zu kopieren, um da einen Ausdruck hineinzubekommen. Das ist aber eine sehr mühsame Arbeit, wenn man denkt „diese Note etwas länger, diese etwas kürzer, hier ein bisschen lauter“. Etwas zu kopieren ist sehr anstrengend und dann irgendwann hat es irgendwie Klick gemacht und ab da wusste ich einfach, wie ich es haben wollte. Das war schon ein sehr früher Punkt und seitdem ist es eigentlich auch so geblieben. Ich kann nicht sagen, dass mich irgendwas geprägt hat. Es war irgendwie immer da.
In Zeiten, in denen Du viele Konzerte spielst und daher viel unterwegs bist, klappt das Planen der eigenen Übezeit sicher nicht immer so wie gewünscht. Hast Du an solchen Tagen eine „Minimal-Routine“, auf die Du dann zurückgreifst ?
Ich hatte das früher, so circa vor 2-3 Jahren. Da habe ich selbst an Tagen, an denen ich richtig viel unterwegs war, abends im Hotel noch versucht eine Art Minimal Routine hineinzuquetschen. Aber ich bin hier wirklich wesentlich entspannter geworden. Ich weiß mittlerweile was ich kann und ich weiß inzwischen auch gut, wie Geige spielen funktioniert. Einfach weil ich selbst auch viel unterrichtet habe. Das hat mir dabei sehr geholfen.
Also natürlich, ich habe meine Routine. Die besteht aus Technik und anschließend wende ich mich den Stücken zu. Aber wenn ich das mal nicht schaffe, flippe ich mittlerweile auch nicht mehr aus.
Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?
Das passiert so oder so. Oft sind es die Tage nach Konzerten, an denen man dann mal ausschläft. Man hat vielleicht auch gemerkt, dass man sich auf ein Konzert vorbereitet hat und die Muskel melden sich entsprechend. Das ist wie im Hochleistungssport, wenn man sich auf einen Wettkampf vorbereitet. Man ist einfach sehr unter Spannung und beansprucht den eigenen Körper sehr stark. Und ich glaube dieser Wunsch nach einem oder zwei Tagen Entspannung und „weg vom Instrument“ passiert ganz natürlich.
Was hilft Dir, nach einem anstrengenden Tag, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen?
Das war lange Zeit für mich der Sport. Und wirklich dann auch mal nach einem Konzert-Abend ausschlafen, Kaffee und dann ins Fitness-Studio: Laufband, Sauna, Schwimmen, Strechen, Yoga, Krafttraining. Aber das fällt seit einem Jahr weg. Ich glaube, da spreche ich nicht nur für mich, wenn ich sagen, dass mir das sehr schwer fällt. Und draußen im Park eine Runde Laufen, oder zu Hause irgendwelche Work-Outs machen ist kein Ersatz dafür. Das Fintess-Studio war für mich lange Zeit dieser „Safe-Space“.
Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?
Also meine beste Übezeit ist immer morgens – so ab 9 / 10 Uhr und dann für drei bis vier Stunden. Da sind natürlich auch Pausen dabei. Ich würde schätzen, dass ich immer so 40 bis 50 Minuten übe und dann eine Pause einlege. Ich gucke dabei allerdings nicht mehr auf die Uhr.
Früher jedoch schon. Da habe ich immer 50 Minuten geübt und dann 10 Minuten Pause gemacht. Aber wie schon gesagt, irgendwann kommt das Leben und möchte, dass man sich um es kümmert. Ich versuche auch sehr viele Alltagssachen in mein Übealltag einzubauen (z.B. Wäsche waschen, Telefonate an Leute, die nur vormittags erreichbar sind etc.). Dass ich dann nachmittags nochmal übe, passiert eigentlich nur, wenn ich mich wirklich auf Konzerte vorbereite und noch mehr Zeit brauche.
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Also in aller Regel ist morgens deine Übezeit und der Rest des Tages ist frei für andere Dinge, wie Büro-Angelegenheiten oder ähnliches?
Ja, genau. Oder auch Proben, Unterrichten, Kurse an der Universität. Gehe raus oder treffe mich mit Freunden.
Wie gehst du mit Fehlern um?
Üben an sich ist ja die Wiederholung von fehlerfreien Durchläufen. Wenn man übt und man hat einen Fehler „drin“, dann geht diese eine Wiederholung der Passage in das „negative Lager“. Das ist nicht das, was man möchte. Man möchte ja die Sachen fehlerfrei wiederholen, um sowohl das Gehirn an den richtigen Bewegungsablauf, als auch sich selbst daran zu gewöhnen.
Das heißt Fehler sind etwas, was man versucht per se nicht vorkommen zu lassen. Wenn dann doch einer da ist, versuche ich herauszufinden warum er entstanden ist. Ich versuche die Passage nicht einfach blind so oft zu wiederholen, bis der Fehler weg ist. Am Ende bin ich dabei so verkrampft, dass mir am nächsten Tag die Sehnen wehtuen. Ich versuche eher analytisch heranzugehen.
Egal wo ich wohne habe ich immer mein festes Übe-Setup aus Spiegel, Notenständer und etwas zum Ablegen. Generell arbeite ich viel mit dem Spiegel und versuche die Checkpunkte meines Konzept’s des Geige-Spielens durchzugehen. Sprich: Ist mein Arm in der richtigen Position? Wie sieht es mit meinem Handgelenk aus? Wie steht es um die Balance innerhalb der Hand? Wo treffen meine Finger auf die Saite? Was ist mit meinen Schultern? Ich versuche diese Punkte durchzugehen und meistens findet sich dort schon der Fehler.
1) Mein Notenständer mit iPad und Metronom. Ich übe gerne ohne Handy, daher ganz old school. 😉
2) Mein Geigenkasten liegt direkt neben meinem Notenständer und hat einen festen Platz, so habe ich immer einen Ort, wo ich meine Geige schnell in Sicherheit bringen kann, das beugt Unfällen vor.
3) Im Spiegel kann ich während des Übens meine Haltung beobachten und ggf. korrigieren.
4) Auf einzelnen A4 Seiten halte ich alle meine einzelnen Projekte fest (von denen manche noch top secret sind 😉 ). So habe ich alle Vorgänge immer im Blick und vergesse die Sachen nicht so schnell.
5) In der Kommode lagern alle Sachen rund um Musik; Noten, Geigenzubehör, Saiten, und all die Produkte, die mit meinen Instagram Kooperationen verbunden sind.
Dann schreibe ich mir die Sachen in meine Noten auf. Meistens in rot – damit der Fehler in dieser Passage nicht noch einmal passiert. Oftmals passieren Fehler auch, weil unser Gehirn etwas in den Noten etwas sieht, was nicht klar genug aufgezeichnet wurde.
Wenn man dich so in den Sozialen Netzwerken verfolgt, hat man den Eindruck, dass Du sehr akribisch arbeitest. Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren? Führst du beispielsweise ein Übetagebuch?
Nein, sowas habe ich tatsächlich nicht. Wahrscheinlich würde es mir allerdings nicht schaden. Ich habe gerade gestern erst auf einem Blatt das ganze Repertoire aufgeschrieben, welches ich jetzt so für die nächsten Monate benötige.
Das Problem ist allerdings gerade die Corona-Krise. Ich hatte so einen ähnlichen Plan bereits vor zwei Monaten gemacht und da sah er noch ganz anders aus. Mittlerweile wurden einfach wieder so viele Auftritte gestrichen.
Ich mache mir schon Pläne, um den Überblick zu behalten was wann fertig sein muss, oder welche Ziele meine Professorin Tanja Becker-Bender mit mir verfolgt. Allerdings habe ich keinen speziellen Plan nur für’s Üben. Ich habe eine ganz klare, technische Struktur, die ich immer durchlaufe. Mal etwas länger, mal etwas kürzer – je nach Länge meiner Übezeit. Wenn ich weiß, ich habe nur zwei Stunden Zeit, dann komprimiere ich die Dinge dementsprechend.
Gerne würde ich in Zukunft diese technische Struktur in einem Online-Kurs umsetzen. Dieses System, welches ich über die Jahre entwickelt habe, besteht aus zehn Blöcken, die alle aufeinander aufbauen. Jeder einzelne Block beschäftigt sich mit allen Aspekten des Geige-Spielens – von Armen, Händen bis Fingern. Dennoch sind sie variabel, abhängig davon wie fortgeschritten der/die Schüler*in ist.
Ich selbst passe diese Blöcke auch gerne an das Repertoire an, welches ich gerade vorbereite. Beispielsweise ist einer der Punkte im Kurs Terzen. Hier kann es dann sein, dass ich lediglich schaue, wie die Terzen in der Hand liegen, oder eine Tonleiter in Terzen über alle Saiten spiele – oder auch nur über eine Saite. Es kann sein, dass ich eine Passage aus einem Stück, welches ich gerade übe, spiele, in dem Terzen vorkommen. Einerseits ist also die Struktur festgesetzt durch die Baukästen, anderseits aber auch komplett variabel in den Inhalten.
Hast Du eine bestimmte Routine, mit der Du an ein neues Stück herangehst?
Ich übe Stücke gerne vom Ende her. Einfach weil man ja sonst die Angewohnheit hat immer nur in den ersten Seiten „rumzuhängen“. Ich übe auch gerne Sonaten mal von hinten durch – sogar in Proben.
Würdest Du sagen, dass sich Dein Üben verändert hat, seitdem Du unterrichtest?
Mein Üben gar nicht unbedingt, allerdings mein Verständnis was das Geige-Spielen anbelangt in jedem Fall. Ich weiß noch ganz genau, ich habe in London angefangen selbst zu unterrichten. Online als auch offline – im echten Leben.
Einer meiner Schüler (erwachsener Amateur) aus Brasilien war gerade beruflich in London. Wir haben dann ganz intensiv, jeden Tag während einer Woche, miteinander gearbeitet. Ich habe in der Woche selbst gar nicht viel anderes gemacht. Eigentlich nur mit ihm gearbeitet – wahrscheinlich hatte ich keinen Übestress. Wir haben gemeinsam dieses gesamte Programm (Anm. d. Red.: Sie meint die Bausteine ihres eigenen Kurs-Systems.) durchgearbeitet. Ich habe es ihm erklärt, aufgeschrieben, gezeigt und bei ihm verbessert. Im Präsenz-Unterricht lassen sich Fehler so leicht verbessern, weil man die Schüler*innen anfassen kann und sie so korrigieren kann. Nach dieser Woche hatte ich dann selbst Unterricht und mein Lehrer fragte mich, ob ich die ganze Woche nichts anderes gemacht hätte außer Üben. Ich daraufhin „Nein, ich hab eigentlich gar nicht geübt.“ (Sie muss lachen, als sie das erzählt.).
Aber das ist genau der Punkt. Dadurch, dass ich mit meinem Schüler diese ganzen technischen Sachen gemacht habe, hat sich mein ganzes Verständnis verändert. Das ist jetzt zwei oder drei Jahre her und seitdem hat sich das natürlich auch nochmal verändert und verbessert.
Dieser technische Teil morgens ist wirklich nur dafür da, meine innere Vorstellung mit der Realität abzugleichen. Zu schauen, wo denke ich, dass mein Arm sein sollte und wo er heute wirklich ist. Und dann gleiche ich das an und gehe weiter zum Handgelenk, zur Balance in meinen Händen und so weiter.
Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (auch gerne nicht-musikalisch)
Ich versuche gerade die Balance zu finden zwischen Disziplin und freier Zeit.
Wie klappt das so?
Mhh, Lernkurve: durchwachsen (Sie lacht herzlich.)
Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?
Immer versuchen beim Spielen, den Weg mit dem geringstmöglichen Widerstand zu gehen. Ich habe mich echt in Verletzungen hineingeübt und war dann auch mal ein halbes Jahr lang komplett „außer Kraft“ gesetzt, weil ich versucht habe die Qualität des Übens mit der Quantität zu ersetzten. Das fliegt einem früher oder später um die Ohren. Wenn man nicht mit dem Kopf an das Üben herangeht, geht das zu Lasten des eigenen Körpers.
Also nicht gegen den eigenen Körper arbeiten – das wäre dein Tipp?
So viel Anstrengung wie nötig, so wenig Anstrengung wie möglich.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"