Ziele setzen – aber wie? Egal, ob Neujahrsvorsätze oder langfristige Lebensziele, viele Menschen starten voller Enthusiasmus, nur um nach wenigen Wochen die Motivation zu verlieren. Woran liegt das? Und wie können wir verhindern, in die klassischen Fallen von Selbstoptimierung und strenger Disziplin zu tappen?
In einem inspirierenden Gespräch teilt Psychologe und Musiker Tobias Dolle wertvolle Einsichten, die auf wissenschaftlichen Prinzipien und persönlicher Erfahrung beruhen. Mit Fokus auf intrinsische Motivation, bewusste Reflexion und die Bedeutung von Pausen zeigt er, wie jeder von uns Ziele setzen kann, die wirklich zu uns passen – und warum Rückschläge ein Teil des Erfolgs sind.
Lies weiter, um zu erfahren, warum „Idle Time“ (bewusste Ruhephasen) oft wichtiger ist als strikte Pläne, warum persönliche Ziele nicht die Ziele anderer sein müssen, und wie du dich Schritt für Schritt deinen Träumen näherst – ohne dich selbst zu verlieren.
Lieber hören, statt lesen
„Für mich ist ein gutes Ziel ein Ziel, das möglichst viel Wissen, das ich über mich selbst habe, integriert.“
Tobias Dolle
Ziele, die zu uns passen
Das Interview mit Tobias Dolle
- Was macht ein gutes Ziel aus?
- Scheitern als Teil des Erfolgs sehen
- Pausen & Erholung
- „Ungute Verhaltensweise“ ablegen
Wir wollen heute darüber sprechen, wie es uns gelingt, unsere Neujahrsvorsätze oder generell Ziele einzuhalten. Hast du dir irgendwas für 2025 vorgenommen?
Gute Frage. Ich habe das viel in den letzten Jahren gemacht. Allerdings dieses Jahr gar nicht so richtig.
Vielleicht erstmal, warum ich es nicht gemacht habe: Ich hatte das Gefühl, dass mein Jahr sowieso sehr vorstrukturiert ist, dadurch, dass viel zu tun sein wird und viel zu tun ist. Und ich habe mir stattdessen die Frage gestellt: Worauf habe ich denn sonst Lust – quasi zum Ausgleich. Und so habe ich das jetzt dieses Jahr quasi gehandhabt.
Okay, und die Frage hat dir dann die übrigen freien Zeit-Slots gefüllt in deinem Jahr?
Ja genau. Es war eher die Frage, was kann ich als Ausgleich machen zu dem, was sowieso schon vorstrukturiert ist. Ich bin aktuell in der Ausbildung zum Psychotherapeuten und das ist schon relativ durchgetaktet. Und weil da so viel Struktur ist, brauchte ich etwas, was nicht eine Struktur enthält.
Das ist anders als oftmals bei Musiker*innen. Da hat man oft einen weniger vorstrukturierten Alltag. Entsprechend würde ich das dort auch anders handhaben. Ich kam dann für mich darauf, dass ich ein bisschen mehr Rad fahren möchte. Das wäre gut, das macht mir Spaß.
Ich glaube, das ist wahrscheinlich schon ein wichtiger Punkt: Für sich herausfinden, was man eigentlich genau braucht. Im Gegensatz zu: ich übernehme einfach Sachen, weil man sie vielleicht immer schon so gemacht hat bzw. weil sie halt so in der Branche üblich sind.
Genau, das denke ich auch. Wir sind ja irgendwie auch ein bisschen im Thema Motivationspsychologie oder Motivationstraining. Ich finde, man hat von diesem ganzen Bereich einen eher „unseriöser Eindruck“, wenn ich so darüber nachdenke. Ich finde, es krankt ein bisschen daran, dass da einfach sehr viele pauschale Aussagen getroffen werden.
- „Du musst das machen.“
- „Du musst dir smarte Ziele setzen.“
- „Du musst musst um fünf Uhr morgens aufstehen.“
Aber das Problem darin ist, dass jeder natürlich ganz anders drauf ist und eine ganz andere Psychodynamik hat. Hinter der Oberfläche geht bei jedem halt was komplett anderes ab. Wir sind komplex und pauschale Aussagen sind schwierig.
Das allerbeste wäre natürlich, ich sage mal jetzt aus einer Perspektive von einem Trainer, Coach, Psychologin, wenn man sich individuell miteinander auseinandersetzt, damit man rauskriegen kann, was genau das Problem ist. Das wäre der maßgeschneiderte Approach und zwischen dem und diesem ganz pauschalen Aussagen, da ist ganz viel Raum noch.
Was macht ein gutes Ziel aus?
Was macht denn für dich ein gutes Ziel aus?
Also für mich ist ein gutes Ziel ein Ziel, das möglichst viel Wissen, das ich über mich selbst habe, integriert.
Ich stelle mir einen 31. Dezember vor und ich nehme mir für das nächste Jahr vor dreimal in der Woche Sport zu machen. Hinter diesem Vorhaben kann ja ganz vieles Verschiedenes stecken. Wenn ich ein sportlicher Mensch bin und nehme mir vor, dreimal die Woche Sport zu machen, dann wird man das bestimmt relativ easy durchziehen können. Aber wenn ich jetzt jemand bin, der sich das gerade vornimmt, weil er genau das nicht hingekriegt hat bisher (was ja auch in Ordnung ist) – aber auf einmal nehme ich mir das so streng vor, dann ist da auf einmal so eine strenge innere Instanz aktiviert. Und dann wird es schwieriger es umzusetzen, weil niemand ist gern bevormundet.
Das heißt, wenn man etwas ganz Grundlegendes verändern möchte, wäre das erste meinen aktuellen Stand zu kennen und Zwischenziele, Baby Steps, zu definieren.
Ja, genau. Aber ich würde mich schon auch fragen, was dieses distale Ziel, also das Fernziel, das du hast, genau ist. Du hattest es eben auch schon mal gesagt: man orientiert sich manchmal auch an anderen. Und wenn das vielleicht ein Teil von dieser Motivation ist, da hinzukommen, dann ist das was anderes, als würdest du sagen: „ich möchte gern sportlicher sein, weil ich habe richtig Bock darauf, Tennis zu spielen.“ Weißt du, was ich meine?
Also diese innere Motivation, ist das so was Unkonkretes? Ich weiß gar nicht so richtig, wo mich das eigentlich hinzieht. Im Gegenteil – es drückt mich eher irgendwas hin (z.B. sozialer Vergleich). Aber wenn du was hast, wo du von dir selber weißt, da habe ich Lust drauf, das mache ich gerne und dann so „en passant“ wirst du dadurch auch sportlicher. Das wäre halt wahrscheinlicher leicht umzusetzen.


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Scheitern als Teil des Erfolgs sehen
Das ist das Typische, was man als intrinsische Motivation schon mal gehört hat. Das heißt, wenn ein Ziel erst mal von mir heraus kommt, kann man sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass man am 31. Januar da steht und sich ärgert, dass man das Ziel schon aus den Augen verloren hat, geringer ist?
Auf jeden Fall. Kann aber natürlich trotzdem sein, dass man es nicht schafft. Das zum einen, aber auch diese Dynamik, die dahinter steckt, die finde ich wichtig.
Wenn man jetzt einen Schritt zurück macht und sich anguckt, warum habe ich mir dieses Ziel denn überhaupt gesetzt? Und wie schlimm finde ich das denn, wenn ich diesen Vorsatz jetzt gar nicht einhalten kann? Das ist ja auch wichtig, sich anzugucken. Weil so viele nehmen sich etwas vor, zum Beispiel zum Jahreswechsel, und viele behalten es nicht bei. Und diese Konsequenz davon, etwas „nicht geschafft zu habe“, wie man das dann innerlich verarbeitet, ist ein großer Unterschied. Ich bin eigentlich der Meinung, dass es ist nicht so tragisch ist, wenn man einen Vorsatz nicht so genau umgesetzt bekommt, wie man es gerne hätte. Das hat ja auch eine Strenge.
Wenn ich mir vornehme dreimal die Woche Sport zu machen und schaffe es in der vorherigen Woche nur zweimal – bin ich dann schon gescheitert? Das ist was anderes als zu sagen, ja, ich habe mir zwar dreimal vorgenommen, aber ich habe es jetzt nur zweimal geschafft, aber naja, so ist es halt. Es geht alles in Wellen. Die Psyche funktioniert nicht straight ahead, linear, sondern geht in Wellen und man nähert sich dem Ziel mal an, man entfernt sich mal wieder.
Du merkst, ich versuche immer wieder auf diesen inneren Kritiker zurückzukommen und mir anzugucken, wie stark ist der eigentlich. Weil in Neujahrsvorsätzen/ Selbstoptimierungen und Motivationscoachings, finde ich, ist viel Forderndes und Strenges – etwas Disziplinierendes – drin. Und oft sind das auch Leute, bei denen das auf eine Resonanz stößt innerlich.Die vielleicht innerlich auch so eine Art von Strenge haben oder eben genau mit dieser Strenge im Bewusstsein nicht umgehen wollen. Und wenn ich dann etwas nicht geschafft habe, dann mache ich mich wieder fertig und dann gucke ich mir das nächste Motivationscoaching an…
Während man aber auch sagen kann: ja gut, in den drei Wochen, in denen ich jetzt es dreimal zum Sport geschafft habe, jetzt einmal nur zweimal, da war ich auch sportlicher. In der Zeit habe ich mich in die richtige Richtung entwickelt. Und es ist jetzt auch nicht schlimmer, meinem Ideal nicht zu entsprechen.
Ich finde es wichtig, dass du das auch gerade so hervorhebst und vor allem am Anfang direkt so betonst. Weil ich glaube, das vergisst man sehr schnell in dieser Euphorie vom 31. Dezember, wenn man sich die Neujahrsvorsätze aufschreibt, dass man auch scheitern könnte theoretisch. Und, dass das nicht ein Scheitern als Mensch oder als Person insgesamt ist, sondern einfach, dass das zum Leben genauso dazu gehört. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, das hervorzuheben. Trotz allem würde ich gerne, das im Hinterkopf behaltend, das einmal positiv umdrehen wollen.
S.M.A.R.T. Ziele aufschreiben
Du hast vorher auch schon so schön gesagt, dass wir uns im besten Fall diesem Fernziel (wir bleiben jetzt der Einfachheit wegen bei dreimal Sport in der Woche und sind aktuell nicht so sportlich) in Baby-Steps annähern sollten – wenn wir das als ein intrinsisch motiviertes Ziel für uns herausgefunden haben. Würdest du sagen, dass es dann trotzdem Tipps, Hilfestellungen, vielleicht auch Strategien gibt, die uns beim Einhalten von diesen Zielen helfen könnten?
Ja, das gibt es auf jeden Fall. Aber da würde ich jetzt ungern in so eine Haltung verfallen, in der ich dann Pauschalaussagen mache, weil man da einfach schnell am Ziel vorbeischießt.
Also ein Klassiker wäre zum Beispiel S.M.A.R.T. Ziele aufzuschreiben. Also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminierbar. Das sind alles Sachen, die funktionieren super und werden auch in Verhaltenstherapien viel angewandt, gerade bei Depressionen, wo man ganz stark oft auch eine Motivationsproblematik hat. Aber es ist die Frage, ob das funktioniert oder nicht. Ich glaube es ist hilfreicher in der Gewissenhaftigkeit nachzudenken.
Würdest du sagen, wenn ich nicht so sehr gewissenhaft bin, dass dann das Ziel noch so intrinsisch motiviert sein kann, wie es möchte, dass mir die Umsetzung auf jeden Fall schwerfallen wird?
Ja, das ist so ein bisschen ein Zirkelschluss.
Wenn man ein Big-Five-Inventory macht, also ein Fragebogen, guckt man, in welcher Facette man jetzt eher eine Ausprägung hat. Das schließt man aus dem Verhalten zurück, das man von sich kennt. Also die Gewissenhaftigkeit, also das, was ich so phänomenologisch quasi zeige im Leben, dass da hinter der Kulisse quasi eine Psychodynamik passiert. Zum Beispiel, dass man dieses strenge Über-Ich, diesen strengen Richter, inneren Kritiker hat. Und das finde ich eher hilfreich mir anzugucken.
Am Ende ist es erstmal nicht schlimm, ein Ziel für sich zu formulieren und das einhalten zu wollen, wenn das quasi für einen persönlich ein gutes, valides Ziel ist?
Ja, auf jeden Fall. Also, dass man sich Ziele setzt, das halte ich auch für wichtig. Es ist nur die Frage, wie viele Ziele ich mir so ohnehin setze. Also wenn ich gar keine habe, dann ist es auf jeden Fall eine gute Idee, die auch ordentlich zu machen und realistisch und umsetzbar. Und wenn ich sowieso ganz viele habe, dann würde ich reflektieren, was dahintersteckt. Ist das vielleicht so etwas wie eine Angstabwehr? Vielleicht fühle ich mich irgendwie klein oder schlecht als Musiker*in. Das gibt’s ja.
Das meinte ich am Anfang auch mit einem integrierten Ziel. Angenommen, ich bin jetzt eine Person, die macht sich ganz viele Ziele und kann nicht alle umsetzen. Dann könnte es ja sein, dass wenn ich darüber reflektiere, dass ich dann herausrausfinde, irgendwie fühle ich mich klein. Und mir so viele Ziele vorzunehmen und umzusetzen und so fleißig zu sein, das hilft mir das abzuwehren oder zu bewältigen. Das ist dann vielleicht so was, das ist jetzt freudianisch fast so ausgedrückt wie eine Teilgratifikation. Ich nehme mir ein Ziel vor, male mir das so aus, denke dann über S-M-A-R-T nach und in der Fantasie rufe ich das richtig wach. Dann ist es ja fast so, als wäre es schon erfüllt.
Natürlich kann ich trotzdem fleißig sein, aber dann versteht man vielleicht mehr, was will ich wirklich können – wofür habe so eine Liebe. Und so by the way, nähert man sich dann auch mehr noch einer eigenen künstlerischen Handschrift an. Das kommt aus einer Liebe heraus und irgendwie, so freudianisch ausgedrückt, ist es eine libidinöse Besetzung quasi. Da habe ich Bock drauf, da will ich hin.
Jetzt beschreibst du im Grunde den Idealzustand, wie nicht nur in der Musikhochschule das Instrumentalstudium vermittelt werden sollte, sondern auch als Hobbymusikerin, Hobbymusiker, es im Unterricht passieren sollte.
Jetzt wissen wir alle aus unserer eigenen Studienzeit und auch aus dem Unterrichten, dass genau dieser Prozess ja eigentlich der Schwerste von allen ist: für sich herauszufinden, was man eigentlich möchte. Wie würdest du denn jemandem dafür Tipps geben, wenn eine Person sich auf genau diese Reise aufmachen möchte?
Das ist die gute Frage und da gibt es keine konkrete Antwort drauf. Also da kann ich nicht mehr zu sagen als: das ist auch eine Reise und ein Prozess. Das ist ja im Prinzip die Frage nach menschlichem Wachstum und das passiert halt durchs Leben. Also so unkonkret, wie das auch klingt.
Da gibt es auch nie eine Antwort, die auf ewig beständig ist. Man muss die Kompetenz entwickeln, sich die Frage zu stellen. Und wenn ich dann eine ganz klare Antwort habe, dann ist die ja auch zeitbegrenzt und dann muss man sich die Frage wieder stellen irgendwann. Das ist ja im Prinzip eine Reflexionsfähigkeit, die man entwickeln muss. Darum geht es ja eigentlich.
Pausen & Erholung
Wie wichtig sind denn Pausen oder Erholung ganz grundsätzlich? Viele sprechen vom berühmten Cheat-Day, den es haben darf, wenn man sich etwas Neues angewöhnen möchte. Wie wichtig sind so Sachen in der verhaltenstherapeutischen Sicht?
Aus meiner Sicht, ich bin allerdings kein Verhaltenstherapeut, ist das glaube ich von den Sachen, die bisher genannt wurden, das Wichtigste. Diesem prototypischen, perfektionistische Musiker mit einem starken inneren Kritiker, dem fällt es wirklich mal nix zu machen.
Das klingt nach einer Einladung zur „Langeweile“. Ich meine, wir kennen das alle. Wir nehmen sofort beim Warten im Bus oder Zug das Handy in die Hand, weil diese Zeit mit sich selber, mehr und mehr verloren geht. Wahrscheinlich spielt das alles genau in dieses Modell rein.
Ja, also das finde ich auch etwas Schönes Konkretes, was du da ansprichst. Das Handy in irgendeiner Form kontrollieren ist, glaube ich, wirklich hilfreich, weil dadurch wirklich Raum und Zeit entsteht, in dem man sich kennenlernen kann. Und von den Studien, die es da so bisher gibt, ist das ist ziemlich eindeutig, dass eine Reduktion von Handyzeit und digitaler Zeit schon ausreicht, um sich wirklich nachweislich besser zu fühlen.
Unsere Willenskraft als Akku?
Wo wir gerade von Studien gesprochen haben, ich bin in der Vorbereitung auf das Ego-Depletion-Modell gestoßen. Das sagt, dass unsere Willenskraft ein bisschen wie ein Akku funktioniert.
Vom Ego-Depletion würde ich als Konstrukt Abstand nehmen tatsächlich. Das ist von Roy Baumeister und ein ganz klassisches Beispiel für Publication Bias geworden. Was in der Psychologie ein Problem darstellt, auch gegenüber der Glaubwürdigkeit vor allem von Sozialpsychologie (Baumeister ist Sozialpsychologe). Es wurden nur die Studien veröffentlicht, wo etwas rausgekommen ist und die, wo nichts rausgekommen ist, sind in der Schublade verschwunden. Und dann summieren sich die positiven Effekte quasi auf und es kommt ein richtig hoher Effekt raus, obwohl es ihn in der Wirklichkeit nicht gab.
Wenn wir jetzt aber dann nochmal auf die pragmatischen Ratschläge eingehen. Wir hatten Belohnungen, Pausen, die smartphonefreie Zeit. Hast du noch einen vierten Tipp?
Vielleicht erstmal noch so zu den drei Sachen, die du gerade aufgezählt hast. Für die Selbstoptimierer unter uns gibt es für das Nichtstun auch einen richtig schönen Selbstoptimiererbegriff. Und zwar „Idle Time“. Ich glaube Andrew Huberman in einem Gespräch mit Rick Rubin haben das bekannt gemacht. Und ich finde das eigentlich richtig witzig, weil was „Idle Time“ (dt.: Leerlauf) beschreibt ist einfach wirklich nichts machen. Und das kann man sich als Selbstoptimierer einfach perfekt vornehmen.
Ich mag die Pomodoro-Technik. Das ist ja der absolute Klassiker. Das passt auch gut zu den Smart-Zielen. Wenn ich etwas übe, auf das ich keinen Bock habe, ist es wunderbar, sich kleine machbare Zeiträume vorzunehmen.
Ich durfte im letzten Jahr François Bastion interviewen, der ist Hornist, bei den Münchnern Sinfonikern. Er hat was Witziges gesagt, das würde ich dich gerne fragen. Er hat sein Mundstück vom Horn neben der Zahnbürste stehen und morgens das erste was er nach dem Zähneputzen macht, ist Buzzing. Er hat sich also so einen kleinen Trigger gebastelt. Ist das so etwas, was hilft oder ist das eher nice to have, aber eigentlich nicht wirklich belastbar?
Das ist eine schöne Frage, die du stellst und die kann sich vielleicht jeder selbst beantworten.
„Ungute Verhaltensweise“ ablegen
Wenn wir die Fragen umdrehen würden und wollen ein Verhalten ablegen, würdest du sagen, dass die gleichen Sachen gelten, die wir gerade besprochen haben? Oder ist hier eine andere Art von Innenschau nötig?
Also ich glaube, Innenschau ist immer gut. Weil die Frage ist ja: was ist denn das, was man loswerden will? Also da bin ich jetzt auch wieder so im Konflikt, weil das ist sicherlich etwas, wo man eine individuelle Klärung dann braucht.
Ja, das ist eigentlich ein ganz schöner Bogen, der sich dann auch zum Anfang wieder spinnt. Das ist eigentlich das größte Take-away, um auch in dieser Optimierungssprache zu bleiben, wenn man da eins mitnehmen möchte, Idle Time, um im besten Fall einen stärkeren Zugang zu sich selber zu finden. Und das herauszufinden, was man eigentlich möchte, was man auch vielleicht nicht möchte, was man loswerden möchte, aber auf jeden Fall mehr Bezug zu sich selber zu schaffen.
Ja, genau. Das finde ich richtig schön zusammengefasst.
Ich hatte, ganz anderer Kontext, am Ende des letzten Jahres eine ganz schöne Erkenntnis für mich selber: nämlich dass meine Ziele nicht die Ziele von anderen Leuten sind. Und ich finde, das kann man wunderbar an der Stelle auch umdrehen. Die Ziele von anderen Leuten sind nicht automatisch meine Ziele. Und das fasst eigentlich, finde ich, unser ganzes Gespräch auf einen Satz ganz gut zusammen.
Ja, absolut. So, was will ich eigentlich?
Und dann klappt es im besten Fall irgendwie auch mit dem Einhalten von den Zielen.
Genau. So en passant. Und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm.
Wir haben viel Zeit und wir können uns einem Ziel annähern. Das ist ja so bei einem Ideal.
Und wenn wir uns Neujahrsvorsätze gemacht haben und sie fünf Wochen durchgezogen haben, dann ist das ein Erfolg. Dann haben wir fünf Wochen uns diesem Ideal angenähert. In der Zeit haben wir uns in irgendeiner Form entwickelt. Wir haben was gelernt. Und vielleicht ist in den fünf Wochen irgendwas anders geworden. Und wir haben jetzt vielleicht in diesem Moment eine andere Motivationsstruktur.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"