Nik Bärtsch ist Jazz Pianist aus Zürich. Mit seiner Band Ronin spielt er seit 2001 zusammen und entwickelte die Ritual Groove Music. Seit 20 Jahren gibt er jeden Montag in seinem Musik Dojo einen offenen Workshop und mit spielt im Anschluss mit seiner Band im Exil. Den Lernspirit, den er dort beschrieben hat, hat mich sehr begeistert. Die Dojo Idee hat er aus der (gewaltlosen) Kampfkunst Aikido übernommen, die ebenso in sein Üben fließt wie Elemente aus der Bewegungslehre Feldenkrais.
Nik’s Üben lässt sich gut mit den Prinzipien: Zuhören, Reduktion und Bewegung zusammenfassen. Oder wie er selbst sagt: listen-breath-connect. Was das konkret in seinem Übe-Alltag heißt, hat er im Podcast verraten.
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Mehr über Nik & seine Musik
Listening
„Music – Movement – Mind ist ein konzeptionelles und praktisches Buch über die kreative Beziehung zwischen Geist und Körper im Kontext von Musik und Kampfkunst. Es beschreibt das Potenzial dieser Beziehung für unsere Kreativität und Inspiration. Der Musiker und Komponist Nik Bärtsch, Begründer der sogenannten Ritual Groove Music, hat in den vergangenen 20 Jahren Techniken entwickelt, die nicht nur Musikerinnen und Kampfsportlern nützliche und überraschende Werkzeuge bieten, sondern auch Lernprozesse in anderen Tätigkeitsfeldern und im täglichen Leben unterstützen, fokussieren und somit vereinfachen.“
Nik Bärtsch während unseres Interviews in Zürich (Fotos: Patrick Hinsberger)
Die heutige Folge wird präsentiert von Matchspace Music – Dein Partner für privaten Musikunterricht in der Schweiz.
Das Interview mit Nik Bärtsch
Inhalt
- Vorbilder und wichtige Einflüsse
- Entweder-Oder-Fragen
- Üben als Ritual
- Reduktion beim Üben: Angst etwas zu verpassen?
- Odd-Meter-Training mit dem Shaker
- Das Musik Dojo
- Outro
Vervollständige folgenden Satz: Üben, heißt für dich?
Meditieren, Präsenz trainieren, lernen.
Welche Musik, Album oder Künstler läuft denn bei dir in Dauerschleife?
Ich höre sehr viel verschiedene Sachen.
Mir ist es wichtig, immer auch die eigene Musik zu hören. Dabei lerne ich viele Dinge und höre plötzlich Neues. In der Rolle des Bandleaders ist es wichtig, der eigenen Musik „voraus“ zu sein. Die Musik ist ja immer mehr, als man selber ist. Darum ist es wichtig, sich die eigenen Interpretationen anzuhören, um mehr zu lernen und sich weiter zu entwickeln.
Ist das dann schon für dich Arbeit? Die Frage zielte eher darauf ab, welche Künstler:innen dir gerade gut gefallen.
Das mag irgendwie absurd klingen, aber ich mache meine eigene Musik auch, weil mir so eine Musik fehlt. Ich höre sie sehr oft, um selber zu arbeiten oder mich zu konzentrieren. Das bedeutet ja nicht, dass ich mich höre. Sondern es bedeutet, ich höre die Musik, die ich zusammen mit anderen mache und, die mir wichtig ist. Und das ist schon eine der Hauptmusiken, die mich selber inspirieren.
Nichtsdestotrotz gibt es ganz wichtige Einflüsse und andere Artists. Ich höre immer noch sehr viel Prince. Vor allem aber schaue ich oft die Shows, weil es um die Performance geht, um die Dramaturgie, um die Interpretation. Weniger um die Hits an sich.
Vorbilder und wichtige Einflüsse
Spannend, das habe ich auch noch nie so gehört. Wenn du jetzt ein bisschen in die Rückschau gehst, gibt es dann aber für dein eigenes Spiel einen Musiker, eine Musikerin, die dich sehr geprägt hat?
Es gibt eigentlich keine Vorbilder in dem Sinne, aber natürlich gibt es wichtige Einflüsse. In der Regel sind das sogar einzelne Stücke.
Zum Beispiel hat Lenny Tristano auf dem Klavier ein sehr wichtiges Stück geschrieben, was polymetrisch ist. Es heißt «Turkish Mambo» – 7 gegen 5 gegen 3 in Bezug auf eine 4er Subdivision. Das ist ein ganz wichtiges Stück. Ich mag ihn auch sonst als Innovator und interessante Jazzfigur. Aber dieses spezifische Stück, das höre ich mir auch heute noch an. Es ist auch das einzige Stück, das ich offiziell auf einer Platte interpretiert habe.
Eine weitere wichtige Figur ist Thelonius Monk – in der Art der kompositorischen Improvisation und der Komposition im sehr minimalistischen Sinne.
Und dann noch ein Komponist, dessen Musik mich sehr geprägt hat: Igor Stravinsky. In der ganzen Art, wie er Musik sieht, was Musik ist, von der Komposition über die Improvisation bis zur Interpretation – auch der Art, sie selber zu verkörpern, sowohl zu dirigieren wie zu spielen und zu komponieren.
Entweder-Oder-Fragen
Also eine sehr große Bandbreite an verschiedenen Musikstilen. Um den Zuhörerinnen und Zuhörern, die dich persönlich noch nicht so gut kennen, dich ein näher zu bringen, habe ich mir ein paar Entweder-Oder-Fragen überlegt, mit den ich gerne starten würde. Du hast einen Joker. Das heißt, wenn du dich bei einer Frage nicht entscheiden kannst, nicht entscheiden möchtest, darfst du deinen Joker ziehen. Ansonsten musst du dich bekennen.
Album oder Playlist?
Album.
Tim und Struppi oder Donald Duck?
Tim und Struppi.
Ist es so, dass du aus anderen Kunstformen, wie zum Beispiel Comics, viel Inspiration für deine Stücke ziehen kannst?
Doch, sehr gut. Comics sind ein super Beispiel. Ich habe als Kind eigentlich mehr gezeichnet und Fußball gespielt als Musik gemacht. Meine Eltern kommen auch aus dem grafischen Bereich.
Mein Vater war Grafiker, meine Mutter kam aus der Mode, bevor sie dann in die Psychologie gewechselt ist. Und Comics waren für mich (in der Art auf den Punkt zu kommen/ am Strich zu arbeiten, also Reduktion) von Anfang an ein ganz wichtiger Einfluss.
Und gerade Tim und Struppi, oder Tintin, wie sie im Original heißen, waren ein ganz wichtiger Einfluss. Besonders in der Art der Dramaturgie, wie etwas erzählt wird.
Zum Beispiel gibt es immer das Design der zwei Seiten, die wir aufschlagen. Also es muss in der Farbe und der Erzählstruktur eine Kohärenz haben. Und das letzte Bild muss uns verleiten, die Seite umzublättern.
Und in dem Erzählstil von Hergé und der ganzen Tradition der Ligne Claire, hat es ganz viele wichtige Strategien und Prinzipien, die ich eigentlich eins zu eins auf unsere Musik übertragen habe. Wir haben eine Ligne Claire, die den Groove-Minimalismus kreiert.
Auf diese Ligne Claire würde ich gerne später eingehen. Das fand ich nämlich einen sehr spannenden Punkt in der Vorbereitung – vor allem wie sich das in deinem Üben widerspiegelt.
Beginner oder Beginners Mind?
Beginners Mind, das bleibt ewig. Das ist ein wichtiger Begleiter in der Selbstüberlistung.
Überlistung inwiefern?
Je weiter man kommt, je mehr wir lernen, auch sogar Lehrende werden, desto mehr ist die Gefahr, dass wir wissen, wie es geht.
Und der Beginners Mind jetzt in Reflexion oder im Vergleich mit der Kampfkunst ist ein entscheidender Faktor, um präsent zu bleiben und sich überraschen zu lassen – im positiven Sinne.
Ritual oder Abwechslung?
Ritual, ganz klar. Wichtige Struktur, ohne die geht es überhaupt nicht.
Ist Üben für dich ein Ritual?
Absolut. Wie ich beginne, was ich mache, wann ich übe, hat sehr viele rituelle Aspekte. Auch in dem Sinne, dass ich nicht überlegen muss, warum, wie, wo, was.
Gleichzeitig aber auch als Setting, innerhalb dessen große Freiheiten bestehen und ich ein intelligentes Lernen kreieren kann.
Üben als Ritual
Der Übe-Alltag
Wenn du sagst, das Üben ein Ritual ist: Wie sieht denn ein typischer Überalltag bei dir aus?
In der Regel beginne ich mit Bewegen. Erst lockern, alle Gelenke bewegen, schütteln und so weiter. Dann folgt Flow Training. Alles immer noch ohne Instrument auf dem Balkon, wir haben da zum Glück viel Platz. Manchmal auch mit dem Aikido Stick, oder mit dem Holzschwert kann. Mit beiden kann man sich sehr gut bewegen und große Kreisbewegungen initiieren, um den Körper aufzuwärmen.
Dann kommt leichtes Training, Muskeltraining, Bewegungskoordinations-Balancetraining, alles ohne Instrument, zu Boden gehen, aufstehen, sich bewegen und so weiter.
Dann gehe ich zum Klavier und spiele einfache Übungen mit einer Hand. In der anderen Hand drehe ich Kugeln zur besseren Koordination – so kann ich das Aufwärmen sehr Flow-artig kreieren. Dann kommen leichte Unabhängigkeitsübungen mit Fingerfesselungen, damit die Hand nicht nur muskulär trainiert wird, sondern auch das Loslassen der einzelnen Finger. Das ist ganz wichtig für den Kontakt der Nervensysteme mit den Muskeln.
Dann spiele ich in der Regel zweistimmige Inventionen, um Kontrapunkt zu trainieren, manchmal kombiniert mit Improvisationen. Dann gibt es in der Regel schon eine Pause. Anschließend übe ich spezifischere Sachen, z.B. Stücke, die anstehen oder Improvisations-Kompositions-Settings, um mich weiterzuentwickeln. Dann sind meist schon eineinhalb Stunden, zwei Stunden vorüber, was schon viel ist, wenn ich konzentriert übe. Meist kommt dann eine längere Pause und ich übe später am Tag nochmal verschiedene Aspekte.
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Bewegung und Reduktion
Wenn du das gerade so beschreibst, dann finde ich hört man da zwei sehr schöne rote Fäden heraus: nämlich Bewegung und Reduktion. Stellst du das auch so in deinem Üben fest?
Dahinter steckt eigentlich das Lernen aus der Kampfkunst Aikido. Das ist eine gewaltlose Kampfkunst, die darauf beruht, mit der Energie des Gegenübers und natürlich auch mit der eigenen zu arbeiten.
Das zweite ist Feldenkais. Das ist eine Bewegungsmethode: Bewusstheit durch Bewegen erlernen. Mein Feldenkrais-Lehrer Ueli Tank hat immer „nicht würgen“ gesagt.
Gleichzeitig habe ich das Gleiche glücklicherweise auch bei Erna Ronca (einer Lehrerin, die in Zürich unterrichtet und aus der Schule von Dino Lipatti, Hubert Harry in Luzern kommt) gelernt. Also aus dem Zentrum spielen, das Gewicht des Ellenbogens einzusetzen, flexibles Handgelenk im Sinne von „gummig“ (also federnd nicht einfach relaxed oder ganz locker oder fix). Das Klaviertraining ist also Akido, Feldenkrais ergänzt mit ein bisschen Gyrokinesis Training, Balance und Koordination. Das hilft mir sehr von Ambition, von Würgen, von Wollen wegzukommen und vielmehr in den Flow und in Geduld sich zu üben.
Würdest du dann auch so weit gehen, dass du sagst, dass dein Fokus beim Üben genau darauf liegt? Es gibt ja die Theorie von externem und internem Fokus aus der O.P.T.I.M.A.L Theorie von Gabriele Wulf. Sie davon spricht, dass wenn der Fokus extern ist, also nicht auf der Bewegung, sondern auf dem Ergebnis, dass das förderlicher ist.
(Anm.: Über genau diesen Teil der O.P.T.I.M.A.L. Theorie habe ich mit Prof. Wolfgang Schöllhorn gesprochen – er erzählte, dass in einer neuen Studie, diese Annahme inzwischen als widerlegt gilt).
Würdest du sagen, du bist eher darauf fokussiert beim Spielen und Üben?
Es ist wahrscheinlich eine Mischung. Es geht auch darum, ein Gefühl dafür zu kriegen, was in der Bewegung organisch ist.
In der Kampfkunst heißt das Silent Movement, also stilles Bewegen. Man sieht die Schnelligkeit, das Tempo gar nicht, weil es so organisch aussieht. Das hat damit zu tun, die drei Ebenen Gravitation, Organisation des eigenen Systems und Spin, also Bewegungsinput, gut aufeinander abzustimmen. Das kann man natürlich sehr gut von anderen Techniken aus dem Sport oder aus der Kampfkunst lernen.
Darum bin ich über die Jahre, nicht zuletzt auch durch körperliche Grenzen, dazu gekommen, dass immer mehr zu trainieren, anstatt sozusagen an der Fingerbewegung zu arbeiten.
Du hast auf die erste Frage geantwortet, dass Üben für dich vor allen Dingen Meditation ist. Jetzt haben wir gerade vom internen und externen Fokus gesprochen. Ist das dieser Geisteszustand, dieses Meditative, dieses in sich Ruhende, was du beim Üben auch versuchst bewusst zu erreichen?
Ich glaube, es macht einfach keinen Sinn zu üben, so wie ich Üben verstehe, wenn wir nicht voll bei der Sache sind. Ich kann nicht stundenlang voll bei der Sache sein. Mir geht es wirklich darum, die Zeit in einer guten Weise zu nutzen und zu genießen.
Darum ist der Anspruch schon hoch, das immer meditativ zu machen. Es führt letztlich zu mehr realistischem Einschätzen, was dann auch unter Druck überhaupt möglich ist. Es braucht sehr viel Geduld und auch Auseinandersetzung mit dem mentalen Prozess, der beim Spielen und Performen passiert. Darum würde ich sagen, macht es keinen Sinn, wenn ich mich ans Klavier sitze, um ein bisschen die Finger zu bewegen oder aufzuwärmen.
Üben als meditativer Zustand – Ligne Claire
Lass uns doch gerne mal ein bisschen tiefer reingehen in dieses meditative Üben. Wir hatten ja vorher schon die Linie Claire angesprochen. Ich fand diese Anekdote, die du in deinem Buch erzählst, als du deinem achten Geburtstag „Tim und Struppi – Der Schatz Rackham, des Roten“ gelesen hast und von dieser simplen Art und Weise, von dieser Linie Claire von Hergé so begeistert warst. Jetzt haben wir gerade schon ein bisschen gehört, wie du das in dein Üben einbaust. Hast du schon immer so geübt?
Nein, ich habe natürlich am Klavier nicht immer so gearbeitet. Ich hatte große Ambitionen. Also bis 14 habe ich einfach geschaut und ein bisschen gespiel. Ich habe nicht viel geübt.
Ich hatte schon diesen Beginner’s Mind beim Zeichnen und vor allem beim Fussballspielen – einfach bei der Sache sein, weil man Freude hat und so. Bei der Musik war das schon auch aber nur, wenn es schnell ging. Ich hatte so ein Talent, Dinge schnell zu hören, vor allem auch wenn ich zugeschaut habe in der Stunde oder so. Aber bewusstes Üben, das kam dann erst später.
Ich habe dann mit 15 Jahren klassischen Klavier Unterricht erhalten. Ich hatte die Chance, zu einem sehr guten Lehrer zu kommen. Und der hat mich dann quasi in vier Jahren auf Vordermann gebracht. Das war Boris Merson, ein sehr bekannter Komponist, Pädagoge, Pianist in der Schweiz. Dort habe ich dann plötzlich meine Ambitionen entdeckt und dann habe ich mit sehr viel Willen geübt.
Wenn die da draußen rumgehangen sind am See oder so, bin ich nach Hause, um zu übe. Ich habe gedacht, ich mache etwas aus meinem Leben und die hängen da nur rum. Die ganze Ambition als Teenager, die ich da hatte, ging ins Üben. Und das hat sich natürlich auch im Körper bemerkbar gemacht. Ich habe dann irgendwann eine Sehnenscheidenentzündung bekommen. Und das war dann der Punkt mit so 18-19 Jahren, wo ich mir zu überlegen begann, wie man am besten übt und warum.
Ich hatte Angst, dass ich nicht mehr spielen kann. Und dann begann zuerst einmal eine Odyssee durch verschiedenste Techniken und auch bei verschiedenen Lehrern, bis ich dann dahin kam, die Dinge zu entdecken, die ich vorher erwähnt habe. Ein Schlüsselerlebnis war natürlich die Begegnung mit der Lehrerin Erna Ronka und dieser Tradition des Körperspiels. Aber die anderen Sachen habe ich selber entdeckt, eben über Aikido und Feldenkrais. Das war eigentlich das erste, was ich begonnen habe.
Jetzt gehst du ja noch einen Schritt weiter und brichst diese drei Prinzipien auf ganz viele Sachen herunter. Wir hatten es eben schon im Vorgespräch scherzhaft von den drei Prinzipien für eine gute Partnerschaft. In deinem Buch sprichst du von den drei Prinzipien für Musicianship, nämlich „Listen, only play the essentials and make the others sound good“. Das Ganze lässt sich ja noch nicht eins zu eins aufs Üben übertragen. Wenn du dir jetzt spontan drei Prinzipien überlegen müsstest, für dein Üben, was wäre das dann?
Etwas steht noch nicht im Buch. Seit der Veröffentlichung vor drei Jahren hat es sich schon weiterentwickelt. Die neuen drei Prinzipien kann man eigentlich auf alles übertragen, wenn es um Performen, Üben usw. geht. Das sind: „Listen, breathe, connect“.
Also höre zu, komm in den Zustand des Hörens. Im Buch ist das beschrieben in dem Artikel zur Kampfkunst, dass Hören eine Art von Aufmerksamkeit ist. Atmen, also bleib beim Atmen. Ein Prinzip, das Bewegung begleitet, initiiert und ermöglicht. Schließlich Connect – das heißt, geh immer wieder auf das, was ist. Beim Üben zum Beispiel den Kontakt mit dem Instrument, mit der eigenen Organisation des Gewichts usw. Also geh in Kontakt mit den relevanten Faktoren.
Beim Performen kann das vor allem heißen, den Kontakt mit den anderen Musikern und Musikerinnen auf der Bühne, mit dem Raum sowie dem Publikum zu suchen. Aber es ermöglicht sich immer wieder auf den Moment zu fokussieren, statt im Kopf nach Fehlern abzuschweifen oder die Angst im Nacken zu spüren. Das sind ganz wichtige Prinzipien, die ich auch beim Üben jetzt so einfach immer wieder anwenden kann.
Dass es nur drei sind und, dass sie so einfach sind, hilft weil wir ja am „Machen“ sind. Und wenn man am Machen ist, ist Denken in dem Sinne nicht angebracht. Das sehen wir in der Kampfkunst: man ist einfach zu langsam.
Das heisst natürlich nicht, dass Denken, Konzepte entwickeln an sich nicht angebracht sind. Aber das sollte man dann machen, wenn man sich eben darauf konzentriert.
Wo du gerade connect ansprichst. Hier gibt es ja auch zwei Seiten: Einmal, wie du es gerade beschreibst, die Verbindung mit dem Publikum und dem Raum. Aber dann auch die Verbindung zu sich selbst. Also: wo möchte ich hin? Was muss ich dafür tun?
Und was auch ganz wichtig ist, das habe ich auch von den Lehrenden gelernt, die mich unterrichtet haben: Das Gelernte anzuwenden bezogen auf meine spezifische Situation. Jeder Körper ist anders. Es ist gefährlich, einfach Dinge zu kopieren. Es ist wichtig, diese Übersetzung zu machen. Das ist gar nicht so einfach, wie es klingt, sondern dafür braucht es sehr viel Erfahrung. Es reicht nicht, das nur auf dem Instrument anzuwenden und zu versuchen, sondern es ist ganz wichtig, dass man seine Art des Bewegens, des Wahrnehmens, des Kreierens zu verstehen beginnt und immer daran feilt.
Es geht einerseits darum, die Wahrnehmung (Eigenwahrnehmung und die Außenwahrnehmung) zu schärfen, aber andererseits auch überhaupt zu verstehen, wie meine eigene Physiognomie funktioniert. Eines der größten Missverständnisse ist, dass man zu einem bekannten Lehrer oder einer bekannten Lehrerin möchte, wegen der Technik an sich. Aber das Entscheidende ist dann eigentlich, was hat das mit uns beiden zu tun und wie kann ich das adaptieren?
Gute Lehrende sind sich genau dieses Punkts bewusst und wissen, dass es nicht bei jedem gleich funktioniert.
Das setzt aber auch voraus, dass man als Schüler/Schülerin so offen ist und nicht, wie du es gerade beschrieben hast, mit diesem Mindset zum Lehrer geht, das adaptieren zu wollen.
Das war ganz interessant. Ich hatte sehr viele gute Lehrer und Lehrerinnen, aber es gab auch sehr viele Missverständnisse aber es kam auch sehr darauf an, in welcher Phase ich war. Zu Beginn, als ich ins Konservatorium Zürich kam, da war ich noch ein bisschen rebellischer. Ich kam eigentlich aus dieser Jazzwelt. Ich hatte einerseits den größten Respekt vor der klassischen Musik, aber andererseits kamen mir bestimmte Dinge auch ein bisschen kurios vor, weil ich so ein bisschen ein Outlaw war.
Ich habe mich für klassische Musik entschieden, um besser Klavierspielen zu lernen. Das gab dann einige Missverständnisse mit meinem ersten Lehrer und ich habe mir da auch ein bisschen die Hörner abgestoßen, bis ich dann gemerkt habe (bei Erna Ronca meiner wichtigsten Lehrerin) dass es wichtig ist, dass ich wie ein Schwamm funktioniere, wenn ich in die Stunde gehe. Also einfach offen, auch bis zum gewissen Grad fast unkritisch in die Stunde gehe, alles aufzusaugen, mir Notizen mache, das übe eine gewisse Zeit verdaue und auch eher Fragen stelle und der Lehrerin vertraue über mehrere Monate oder im besten Falle auch Jahre, dass wir das zusammen hinkriegen.
Listen – also Zuhören – ist nicht nur gerade in diesem beschriebenen Prinzip ganz wichtig, sondern Listen zieht sich ja eigentlich durch das ganze Buch. Du hast es sogar so benannt. Wie nutzt du dieses Prinzip beim Üben? Nimmst du dich auf beispielsweise, um das zu analysieren?
Es gibt da verschiedene Aspekte. Das eine ist natürlich das unmittelbare, also versuchen durch den Atem, durch den Fokus, durch die Art, wie ich bewege am Instrument wirklich Kapazität zum Zuhören zu haben. Das ist etwas, was man gemein unterschätzt.
Wir denken, wir setzen uns da ans Klavier in einer Situation, einer Stunde oder auch in einer Performance-Situation und logischerweise hören wir es, weil wir haben ja zwei Ohren. Das ist aber nur begrenzt richtig. Unsere Art, uns zu bewegen, unsere Körperchemie, unser Atem beeinflussen das Hören und unsere Kapazität und damit auch unseren mentalen Zustand.
Und da über verschiedene Techniken zu lernen, wie man im Jetzt ist, ich nenne das, wie wir vergrößern unser Jetzt, also expand your Now, so einen Jetzt-Ball zu kreieren in der Zeit, in dem man ist, das kommt nicht von selber. Bei mir ging das nicht. Es geht darum, Meditation und Kampfkunst zu trainieren. Und natürlich Übtechniken und die eigene Ambition, die eigenen Ängste, Wünsche in den Griff zu kriegen.
Also das ist die Fähigkeit, überhaupt zuzuhören. Hören ist ja das eine, aber zuhören und dann auch sich selber zuhören, wenn ich am Machen bin, das ist das andere, gar nicht so einfach.
Und das Zweite ist, dass wir das Hören generell kultivieren, also als Strategie, dass wir zum Beispiel sagen, wir haben nicht immer schon einen Kommentar oder reden oder denken schon, sondern wir hören im Sinne zu, dass wir versuchen, vertieft zuzuhören, was jemand sagt, was seine Bedeutung ist, was verschiedene Aspekte einer Sache sind. Das bedeutet für mich zum Beispiel auch Komponieren.
Wenn ich arbeite mit Motiven, bedeutet das, dass die Hände manchmal Dinge finden, die der Kopf nicht findet. Oder die Ohren finden Dinge. Aber dann kommt das Zuhören, das Materialstudieren in einem physischen Sinne, dem Material zuhören: was macht das Motiv, wie bewegt es sich und so weiter. Da geht es ganz viel um die Technik des Zuhörens im multisensuellen Sinne, so wie in dem Kampfkunstgedicht, das ich ein Teil daraus zitiert habe: I have no ears, the five senses are my ears. Ich habe keine Ohren, sondern die fünf Sinne sind meine Ohren.
Diese Hörhaltung finde ich sehr wertvoll, weil sie letztlich auch eine Respekthaltung ist, eine Zuneigungshaltung, dass wir nicht sofort das Gefühl haben, wir sind die Erfinder, wir haben das Ding entdeckt, wir wissen, wie es läuft, ich, der Komponist, sage dem Material, was es tun muss, sondern es ist eine Haltung der Bescheidenheit im guten Sinne, dass ich habe die Chance, diesem Ding zuzuhören und damit was zu machen.
Das heißt, du hast diesen Jetzt-Ball, wie du es gerade so schön genannt hast, den du versuchst zu kultivieren während des Übens – also das bewusste, wirklich aktive Zuhören. Aber dann gibt es auch die analytische Phase danach, also dass du sagst, okay „das ist noch nicht so ganz, wo ich es gerne hinhaben möchte, das und das möchte ich verbessern.“
Ja, absolut, das ist wichtig und nicht zu verwechseln. Ich bin nicht gegen Analyse. Das ist natürlich ein extrem wichtiger Punkt. Ich finde auch, analytisch denken zu lernen, zu schreiben zu lernen und so weiter, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich habe dann drei Jahre Philosophie studiert bis zur Zwischenprüfung, bis ich dann gemerkt habe, es wird zu viel mit allem.
Ich wollte mich dann doch auf die Musik konzentrieren, aber ich hatte eigentlich keine Lust aufzuhören, weil die Schärfung des Geistes im Sinne eines ehrlichen Analyseinstrument, sagen wir mal kreativ-ehrlichen Analyseinstrument, ist natürlich absolut essentiell.
Und darum ist es eben wichtig, die Phasen einzuschalten, wo wir über die Bücher gehen, wo wir sagen, okay, das ist der Track, so haben wir ihn aufgenommen, jetzt höre ich mir den zehnmal an und frage mich „was passiert da genau?“.Ich möchte das Mikroskop sozusagen noch mehr schärfen, um im Mikrobereich noch mehr zu hören, noch mehr zu sehen. Darum ist Aufnehmen eine wichtige Taktik, sowohl filmisch, wie ich mich bewege, wie musikalisch natürlich.
Reduktion beim Üben: Angst etwas zu verpassen?
Jetzt heißt Reduktion immer auch Verzicht auf eine Art und Weise. Und ich finde, das ist bei dir eigentlich ein ganz schöner roter Faden, wie du es schaffst mit dieser analytischen Haltung, Sachen sehr stark zu reduzieren. Hast du bei diesen ganzen Reduktionen nicht manchmal auch Angst gehabt, da was zu verpassen?
Vielleicht nicht Angst, aber es gibt eine große Überforderung, weil natürlich ein kreativer Geist, wie ich jetzt die Chance habe, den irgendwie mitgekriegt zu haben, der ist sehr schnell fasziniert von den verschiedensten Dingen und kann auch ganz schnell abtauchen im Sinne von Ablenkung und das ist schon für mich ein Riesenthema.
Reduktion kommt nicht aus Widerwillen oder weil ich finde, es gibt nicht genug interessante Dinge, sondern mehr aus Überforderung. Und irgendwann habe ich gemerkt, ein paar Dinge richtig gut zu können oder zu entwickeln das ist nicht so einfach, da reicht schon ein Leben fast nicht für. Und das ist dann eine Frage der Entscheidung.
Das ist auch für mich keine Frage der Wahrheit oder was ist richtig oder falsch, sondern mehr, was gibt mir letztlich mehr Kontakt mit mir selber und der Welt. Und für mich war wichtig, dass Reduktion nicht Simplifizierung bedeutet. Es bedeutet die Entscheidung, sich auf ein paar wesentliche Dinge zu konzentrieren, um die wirklich zu erforschen. Also insofern gibt es das Problem immer noch. Ich habe immer noch sehr viele Interessen und es ist immer wieder wichtig zu sagen, es geht leider nicht alles. Da darf man sich auch nicht selber überschätzen.
Da passt das Zitat aus deinem Buch: „Evolution happens naturally“, also dieses Vertrauen darauf, dass wenn ich mich auf bestimmte Sachen konzentriere, dass es dann schon gut wird.
Ja, also meine Frau ist ja Biologin und insofern hat sie mir immer wieder erklärt, wie Evolution eigentlich funktioniert. Das ist ja gar nicht so einfach, was ist das überhaupt genau?
Einerseits kennen wir das eben aus der Biologie sozusagen und andererseits kennen wir es von dieser Idee, die vielleicht in der japanischen Kunst am stärksten ausgeprägt ist, einer Art spirituellen Hingabe an die Kunst, dass wir nicht versuchen, das Resultat zu erzwingen, sozusagen avantgardistisch zu erzwingen, brechen wir mit den Vorfahren oder verteufeln wir die Eltern, sondern, also Revolution in dem Sinne, sondern viel mehr Step-by-Step-Hingabe, Fokussierung, starke Energie darauf richten und dann passieren Dinge, die in der Natur der Sache liegen, in der Natur des Lernens, in der Natur, wie schnell das Lernen passiert.
Das ist eine Taktik, die mir auch hilft, dass ich nicht überfordert bin mit all den Dingen, die es zu regeln, zu organisieren, zu üben gibt.
Odd-Meter-Training mit dem Shaker
Zum Thema Odd-Meter fällt mir ein: du hast in deinem Buch auch so eine schöne Stelle, wo du Shaker-Übungen beschreibst. Machst du die auch hier in deinem eigenen Üben?
Genau, Shaker-Training ist sehr etwas Wichtiges, was auch zu meinem Aufwärmen gehört. Das hat verschiedene Aspekte, einerseits hört man bei diesem einfachen Instrument die Subdivision sehr klar, wie spüre ich die überhaupt, wie kann ich die passieren lassen, anstatt dass ich sie forciere oder führe, wie kann ich den Körper, die Subdivision, den Flow und das Time, wie wir sagen, oder in der Groove-Musik passieren lassen, dass das natürlich passiert.
Das sind ganz gute Übungen, ganz einfach mit einem Shaker oder dann eben in polymetrische Abläufe zu gehen, so zu sagen, dass die verschiedenen Rhythmen, die ich mache, singe, gehe mit den Füssen und so weiter, dass die integriert werden im Zentrum, dass die also nicht von der Peripherie aus, von der Hand, von den Füssen und so weiter, mich ablenken und ich durch Kraft die zusammenbringen muss, sondern dass ich sie durch Integration im Zentrum passieren lassen kann.
Das braucht viel Geduld, aber es ist eine wunderbare Übung und ich habe das jetzt schon in unseren Montagsworkshops seit 20 Jahren mit den diversesten Leuten, Profis, Amateure, Nichtmusikerinnen ausprobiert und ich kann wirklich sagen: es funktioniert. Das ist effizient, um ein Feedback zu kriegen, was macht mein Körper, wenn er in Flow kommt, wenn er Relationen zu Subdivision, zu Puls, zu komplexeren Rhythmen organisieren muss, zu Kontrapunkten und so, und zwar unabhängig vom Stil.
Also es kommt nicht darauf an, ob ich die rhythmische Organisation eines Mozart Streichquartetts anschaue oder einen Groove von James Brown. Es geht immer um die Integration von Tempo, Time und Timing.
Das ist auch so eine Reduktion im Buch. Tempo, wir nennen das die kalte Wahrheit, also ein effektives Tempo, was wir messen können mit dem Metronom. Viele Stücke haben ein Tempo, was Sinn macht, vom Komponisten aus oder von der Band aus gesehen, aber dann ist die Frage nach dem Time, was machen wir innerhalb dieses Tempos, wie geben wir Zeit, wie holen wir Zeit auf, wie bewegen wir uns im Tempo und das Timing bedeutet, wann kommt etwas in dieser Bewegung, in dieser Richtung.
Und mit Shaker Training und den verschiedenen Advanced Levels, was wir damit machen können, ist das eine ungeheuer inspirierende und auch sehr ehrliche Art von Training und Feedback zu bekommen, wie ich mich selber darin verhalte, sozusagen im multidimensionalen Time-Raum.
Also mit Advanced meinst du ja, dass man dazu spricht, klatsch mit den Füßen stampft…
Genau, wir reden gerne von Unabhängigkeit. Ich habe jetzt, sag mal was Einfaches, du hast vier in den Füssen, der Shaker spielt die Subdivision, die eine Hand macht drei und du singst sieben oder so. Das bedeutet, ich kann das alles unabhängig machen, einerseits einzeln, aber auch zusammengesetzt. Wir möchten aber eigentlich einen Schritt weitergeben. Wir möchten, dass das ein Resulting Pattern gibt, dass alles zusammen integriert, die gleiche Feinheit, die gleiche Verfeinerung hat, wie wenn ich etwas alleine mache oder zusammensetze.
Am Schluss ist das sozusagen ein Ganzes, obwohl es drei, vier, fünf, sechs, sieben verschiedene Teile sind und dieses Training ist wirklich neurologisch, nerventechnisch, muskeltechnisch. Vom Space, den wir kriegen, wie wir uns in Musik bewegen, in der Zeit, im Rhythmus, ist absolut zuverlässig, dass wir uns da verbessern, die Wahrnehmung schärfen und uns weiterentwickeln können, unabhängig vom Instrument, das wir spielen.
Ich finde den Aspekt des Feedbacks auch super, weil du sofort Rückmeldung bekommst. Man spürt es, man sieht es und man fühlt es. Und was auch da wieder schön durchkommt, um auf den Bogen zum Anfang zu schlagen, diese beiden Prinzipien Bewegung, Körper und Reduktion, die schlagen in dieser Shaker-Übung voll durch. Es ist quasi eine wirklich eine sehr einfache Möglichkeit, genau diese beiden Prinzipien in eine musikalische Übung zu gießen am Ende.
Absolut, und ich meine, bei vielen Stücken sind die Elemente nicht kompliziert, erst so die Zusammensetzung ist kompliziert. Also wenn wir so ein Alberti-Bass nehmen in einem Mozart-Stück oder so, das scheint jedem ein einfaches Teil zu sein, aber dort hört man zum Beispiel, wie kann ich Rubato in Subdivision integrieren. Es gibt ganz viele solche Mini-Elemente, die in allen Musikstilen auftreten, wo du ganz genau hörst, was für ein Feel, für ein Bewusstsein, für das Feel hat der Mensch und wie kann er das in die Bewegung übersetzen.
Und darum ist der Shaker sozusagen die einfachste Variante, das alles sichtbar, hörbar und spürbar zu machen. Und letztlich findest du das auf jedem Instrument in der Bewegung in verschiedensten Bereichen, verschiedensten Stilen wieder.
Das Musik Dojo
Mit dem Blick auf die Uhr würde ich gerne, würde ich gerne zum Abschluss noch das Thema Musik und Kampfkunst ansprechen. Du sprichst in deinem Buch ganz oft von diesem Musik Dojo. Was kann man sich darunter vorstellen?
Die Idee kam natürlich wegen dem Kampfkunst-Dojo. Seit ungefähr 25 Jahren gehe ich ins Aikido und gehe regelmäßig ins Dojo, was eigentlich der Übplatz heißt. Mir ist einfach mit der Zeit in meinen Montags-Workshops aufgefallen, die ja offen sind für jeden Menschen, dass dort etwas anderes passiert als zum Beispiel an Akademien, wo vor allem Leute zusammenarbeiten, die auf dem gleichen Level sind, die am gleichen Stil interessiert sind und so weiter. Was auch absolut wichtig ist. Ich war ja selber an so einer Schule. Aber beim Dojo ist die Idee ein bisschen eine andere. Da geht es darum, dass alle miteinander trainieren.
Mein Job ist es im Dojo, ein Setting zu schaffen, wo alle voneinander lernen können. Natürlich geht es um ein paar Grundprinzipien, die ich dann auch vorlebe und unterrichten kann. Aber gleichzeitig geht es auch um die Haltung der Leute, die ins Dojo kommen. Du gehst dahin, damit alle trainieren können. Anders als wir das sonst oft haben. Es folgt weniger einem Optimierungsgedanken: Ich gehe nur ins Tennis, wenn sich mein Tennis verbessert oder wenn ich Spaß habe. Um das geht es im Dojo nicht.
Man geht ins Dojo, damit man zusammen lernen kann. Wenn du nicht kommst und Alexandra nicht kommt, dann bin ich alleine. Es braucht alle, damit wir im Dojo zusammen arbeiten können. Du musst das Bewusstsein haben, wenn du dabei bist, ist der andere wegen dir da und umgekehrt. So können wir lernen.
Das hat eigentlich den Vorteil, dass es offen ist für alle, die ein Lernspirit haben. Andererseits lernen wir auch Dinge von Anfängerinnen. Das ist etwas ganz Wichtiges. Das kenne ich auch sehr gut aus der Kampfkunst. Dass du immer mit dem Beginners-Mind reingehen kannst.
Ich habe diese Erfahrung auch im Studio gemacht. Eine der wichtigsten war mit Manfred Eicher, dem Produzent von ECM. Der immer wieder den Beginners-Mind an den Tag legt, obwohl er so viel Erfahrung und Erfolg hat. Er hat mit so vielen berühmten Leuten gearbeitet. Ich habe ihn nie erlebt, dass er wusste, wie das jetzt geht.Jede Produktion ist etwas Neues. Das hat mich sehr beeindruckt. Das ist auch dieser Dojo-Spirit für mich.
Man kann auch sagen, das ist der Dschungel, die freie Wildbahn. Musik kannst du nicht an der Akademie lernen. Am Schluss geht es um die Performance, um den Kontakt, um die Kommunikation. Es geht auch darum, dass das eigene Ich gar nicht so wichtig ist. Im Dojo zählt die Gruppe, das Erlebnis der Beginners-Mind, viel stärker als das, was ich mit rausnehme. Das ist dann meins, das kann ich hinterher machen.
Im Dojo geht es um die Gruppe im besten Sinne. Die Idee ist, dass das Lernsetting passiert, weil wir zusammen lernen. Das hat mir immer gefallen. Das ist ein Kontrapunkt zu den Entwicklungen, die wir bei der Akademisierung hatten. Mit dem möchte ich nicht sagen, dass das schlecht ist. Das hat andere Vorteile. Aber das Dojo gefällt mir als ein Ort des Lernens, des bedingungslosen Lernens. Im Sinne von, ich gehe mit Hingabe dahin, damit alle lernen können. Denn: Wenn sonst niemand kommt, bin ich alleine.
Das finde ich ein sehr einladendes Bild zum Abschluss. Das macht Lust, mit diesem Spirit in die nächste eigene Übungssession zu gehen. Selbst wenn es nur allein ist.
Ich glaube auch, du bist nie alleine. Auch wenn du für dich übst und manchmal auch die Schönheit dieses einsamen Übens genießt, hat er auch etwas Wunderbares dazwischen, mit der Musik so einfach zu sein. Oder mit dem Instrument. Trotzdem bist du nicht alleine, weil Musik ist die Form des Dazwischen, des Kommunizierens. Du bist in einer Community, in der das einen Effekt und einen Impact hat. Darum finde ich es ganz wichtig, dass dieser Meditationsspirit oder diese spirituelle Community-Haltung nicht verschwindet, wenn du zum Beispiel auf die Bühne gehst. Oder dass du die nur anwendest, wenn du alleine bist. Es geht darum, dass man versteht, wir sind Teil einer Gemeinschaft. Und vor allem sind wir, ich sage es mal ein bisschen pathetisch, Bürger und Bürgerinnen auf dem Planeten Musik. Und wie wir uns dort verhalten, ist ganz zentral für den Rest des realen Planeten.
Outro
Ich habe zum Abschluss immer noch zwei Fragen, die ich all meinen Gästen stelle, die ich auch noch dir gerne stellen würde. Das ist eigentlich eine schöne Klammer zum Anfang, zum Beginner oder Beginners Mind. Was lernst oder übst du gerade, was du noch nicht so gut kannst?
Ich habe jetzt ein Chopin Nocturne in H-Dur wieder aus dem Schrank gezogen. Das hatte ich vor ganz langer Zeit gespielt. Chopin ist für mich ein Komponist, der auch sehr guter Improvisator war. Wir hören immer wieder in seinen Stücken, dass diese Kunst des Improvisieren in Kompositionen destilliert ist .
Darum übe ich das Stück nicht nur, weil mir die Musik gefällt, oder um am Klavier auch andere Formen von Satztechnik zu studieren, sondern auch formal musikalisch wieder zu verstehen, was da passiert ist und wie ein Musiker genährt ist aus der gleichen Quelle, aus der dann Improvisation, Komposition und Interpretation herauskommt.
Das Stück ist für mich aber doch ein Challenge, obwohl es technisch nicht so krass schwierig ist, weil es wieder eine ganz andere Form von Bewegung braucht, von Art zu spielen. Ich habe es 20 Jahre nicht mehr gespielt. Es ist auch interessant zu sehen, was geblieben ist und wo sich meine Technik verändert hat. Für Flow-Spiel ist diese Musik natürlich ideal.
Welchen Tipp würdest du deinem jüngeren Erstsemester Musik-Ich aus heutiger Sicht mitgeben?
Geduld ist das Wichtigste. Ich habe ja ein bisschen darüber geredet, dass ich da zum Teil auch überambitioniert war. Ambition ist schon wichtig. Lernen wollen, Lust haben, Musik teilen wollen. Es ist nur noch wichtiger, Geduld zu haben.
Geduld ist das Wichtigste, um Vertiefung und Verfeinerung auf dem Instrument zu erreichen und für das Teilen der Musik auf eine ganz natürliche Art und Weise. Dass man sozusagen ein Medium fürs Spielen wird, statt die eigenen Ambitionen in den Vordergrund zu rücken.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"