Vincent Dubois ist Titularorganist in Notre Dame de Paris und Professor für Orgel in Saarbrücken. Er gehört damit zu nur drei Personen auf der Welt, die in dieser historischen Kirche die Orgel spielen dürfen. Übrigens wurde diese gerade am Sonntag nach 5 Jahren Restaurierung wieder feierlich eröffnet. Auch sonst gehört Vincent Dubois zu einem der bedeutendsten Organisten weltweit.
Lieber hören statt lesen
Das Interview
Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet, vervollständigen Sie folgenden Satz. Üben heißt für Sie?
Üben heißt für mich Sport zu machen. Wir sind sportlich, weil üben zur Hälfte körperlich, zur anderen Hälfte intellektuelle Anstrengung bedeutet.
Gibt es eine Musik, die bei Ihnen gerade in Dauerschleife läuft?
Ich habe diese Etikette, dass ich ein symphonischer, romantischer Literaturorganist bin. Aber ich spiele alles. Von 16. Jahrhundert bis heute. Ich bin nicht spezialisiert wie ein paar Kollegen im Barock oder in der alten Musik. Ich spiele alles. Mein DNA ist mehr in der Tradition der französischen Symphonie- und Romantikorgel und auch moderner Orgel.
Aber gibt es denn eine CD, einen Künstler oder Künstlerin, wo Sie sagen würden, der hat Sie auf Ihr Spiel sehr stark geprägt, so eine Art Vorbild?
Ja, ich würde sagen, es gibt zwei. Die erste war von Rachmaninov, das 2. Klavierkonzert. Als ich ein junges Baby war, so 5, 6, 7 Jahre alt, hat meine Mutter sehr viel diese Aufnahmen gehört. Das hat mich sehr geprägt.
Und auch eine zweite Aufnahme war von Pierre Cochereau, er war Organist in Notre-Dame in Paris bis 1984. Und er hat mich auch viel mit seinen Improvisationen geprägt. Er ist ein toller, begabter Improvisator und er hat viele Organisten in der Welt geprägt.
Entweder-Oder-Fragen
Um vielleicht allen Zuhörern und Zuhörern, die Sie noch nicht so gut kennen, ein bisschen vorzustellen, habe ich mir ein paar Entweder-Oder-Fragen überlegt. Sie haben einen Joker, das heißt, bei einer Frage dürfen Sie „weiter“ sagen, bei allen anderen bin ich sehr gespannt, was Sie antworten werden.
Deutschland oder Frankreich?
Die Beiden.
Ist das schon der Joker?
Ich wohne im Elsass. Elsass ist der absolute Kompromiss zwischen Deutschland und Frankreich. Und die Familie meiner Mutter ist aus Österreich.
Dann müssen Sie so antworten. Aufstehen oder snooze?
Ja, snooze.
Also Sie sind keine Person, die morgens übt?
Nein, normalerweise übe ich am Ende des Vormittags. Ich fange an, wenn ich in guter Form bin, zu üben.
Improvisation oder Komposition?
Improvisation.
Wenig und viel oder oft und kurz?
Das kommt darauf an. Ja, Joker.
Cavaillé-Coll oder Puget-Orgel?
Cavaillé.
Das ist eine witzige Anekdote: Ich komme aus Mainz. Und in dem Ort, wo ich wohne, Mainz-Bretztenheim, das kennen Sie wahrscheinlich, steht die einzige Cavaillé-Coll-Orgel in Deutschland.
Das ist eine Entdeckung.
Unterrichten oder selbst Konzerte spielen?
Beides. Das ist Leidenschaft.
Dritter Joker.
Also dritter Joker.
Große Kathedrale oder kleine Kirche?
Große Kathedrale.
Der Weg zum Organisten in Notre-Dame in Paris?
Sie sind ja seit 2016 einer von drei Titularorganisten in Notre-Dame-de-Paris. Wie wird man Organist in Notre-Dame?
Es gab ein riesiger Wettbewerb. Insgesamt vier Tage plus eine Wochenende Messen zu spielen. Das war die Finale-Runde. Die erste Runde war mit Improvisation, Literatur, Begleitung, Transponierung etc.
Jetzt wird am 8. Dezember die Kathedrale wieder eröffnet. Und ich habe gelesen, dass einen Tag vorher alle Organisten die Kirchenorgel wieder einweihen werden. Das heißt, freuen Sie sich schon wieder darauf, endlich spielen zu dürfen? Also sind Sie am 7. und 8.12. auch in Paris?
Ja genau, ich durfte schon in der Kathedrale spielen. Das war vor zwei Wochen. Es war eine wunderbare Überraschung. Am 7. Dezember machen wir dann die Einweihung der Orgel mit den Kollegen. Alle werden da sein. Ich freue mich sehr.
Die letzte Frage, Bach oder Ravel?
Ha, vierter Joker. Ich liebe die beiden, aber vielleicht ein bisschen mehr Ravel.
Übe-Alltag
Wenn Sie auf Ihren Übetag zurückschauen, Sie haben ja gesagt, Sie starten am späten Vormittag mit dem Üben. Womit startet Ihre Routine?
Es gibt keine Routine. Ich würde sagen, ich übe die Stücke, die ich in den nächsten Konzerten spielen muss. Eine Gewohnheit ist, dass ich in Priorität meine Probe mit den Stücken anfange, die ich weniger als die anderen kenne. Oder die ich nicht kenne. Zum Beispiel Blattlesen. Nächstes Jahr soll ich das Präludium von Buxtehude in Fis-Moll spielen. Aber ich habe das nicht gespielt. Jetzt, in meinen Üben, fange ich mit Buchst.de an. Am Anfang meiner Übenzeit bin ich am maximum konzentriert, wie alle anderen. Und dann profitiere ich von dieser Konzentration, um die neuen Stücke zu lernen.
Das heißt, Sie fangen wirklich direkt an? Es gibt kein Warm-up?
Ja, mit meinen Fingern. Ich mache Muskeln, die sich warmen, aber ohne Klavier. Und auch meine Füße. Ich mache Übungen, aber Physikübungen, um die Muskeln zu warmen und stark zu machen.
Ich weiß nicht, ob Sie Nik Bärtsch kennen, einen Pianisten aus der Schweiz, aus Zürich?
Nein.
Ich durfte ihn letztes Interviewen im Oktober bei ihm haben. Was ich da sehr faszinierend fand, ist, dass er sehr schön sein Üben in ein Reduzieren eingeteilt hat. Er hat quasi jede Aufgabe in verschiedene Unteraufgaben und Teilbereiche untergliedert. Also quasi wie ein schrittweises Sezieren dieser großen Aufgabe. Wenn ich Ihnen so zuhöre, habe ich den Eindruck, dass Sie wirklich das Stück auflegen, Buxtehude in dem Fall, und Sie fangen links oben an zu spielen und arbeiten sich dann taktweise vor, oder?
Nein, direkt.
Genau, das meine ich.
Ja, man muss die ganze Klangrede so früh und so schnell wie möglich in die Finger kriegen, weil es ist zuerst die Physik der Bewegungen und gleichzeitig der Gedanke, der funktioniert mit den Bewegungen. Aber man muss sofort die ganzen Bewegungen langsamer machen, aber alles zusammen. Das ist, denke ich, nicht nützlich. Es gibt nichts, rechts zu machen, dann links, dann Pedal. Dann verlieren wir nicht so viel Zeit, wenn man diesen Weg übt.
Sie hatten jetzt vorher gesagt, auf die erste Frage, dass Üben für Sie Sport ist. Und jetzt haben Sie ja ganz kurz beschrieben, dass Sie so ein paar kleine Aufwärmübungen mit den Händen machen. Also inwiefern ist dann so Fitness und Ausdauer für Sie beim Üben relevant?
Wenn ich sage Sport, das heißt, es gibt Passagen und Stellen in den Stücken, die sehr schwer sind. Man muss sich wirklich darüber konzentrieren und aufmerksam sein. Das heißt, die Platzierung der Bewegungen, man platziert die Beine, die Hände zusammen. Sport ist vielleicht ein bisschen zu stark, aber das sind physische Bewegungen auf jeden Fall.
Wie hat sich Ihr Üben verändert?
Würden Sie sagen, dass wenn Sie jetzt so zurückblicken auf Ihre musikalische Laufbahn, dass sich das Üben in dem Fall dann mal schon mal geändert hat? Also üben Sie immer schon genau auf diese Art und Weise?
Ich muss sagen, dass dieser Prozess eine gute Methoden zu finden, um effektiv in seiner Übezeit zu sein, braucht wirklich viel Zeit. Ich habe für mich diesen Weg erst vor circa 5-6 Jahren gefunden.Vorher spielte ich nicht so langsam, ich war nicht so konzentriert oder fokussiert beim Problem.
Sie kennen wahrscheinlich diesen Satz von Dawid Oistrach, der sagte, dass die Begabung wirklich in der Übe-Methode liegt. Das ist die Begabung, die wahre, die echte Begabung.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"