Émilie Fend ist in Straßburg geboren und hat dort ihre ersten musikalischen Schritte gemacht, bevor sie nach Köln zum Studieren kam. Sie hat schon in den großen Konzertsälen gespielt, Preise abgeräumt und kürzlich sogar ihr zweites Album, mit eigens für ihr Duo komponierter Musik, veröffentlicht.
Was ich an Émilie besonders spannend finde, ist, dass sie einen sehr modernen Zugang zu ihrem Instrument hat. Wie ich gelernt habe, ist das bei Gitarristen vor allem eine Frage von Fingernägeln und Gitarrenbauart. Sie sagt, dass jeder Übetag für sie wie ein kleines kreatives Projekt ist. Es gibt also keine immergleiche Routine, sondern ein Abgleich mit dem, was sie aktuell am meisten braucht.
Wir sprechen darüber, wie man mentale Blockaden überwindet, wie Émilie ihren Übe-Alltag variiert und welche ihrer Methoden sie auch für ihre Schülerinnen und Schüler nutzt. Émilie ist unglaublich reflektiert, offen und hat dabei eine herrlich entspannte Art, über ihre Arbeit zu sprechen.
Lieber hören statt lesen?
Das Interview
- Entweder-Oder-Fragen
- Start in den Tag – Morgenroutine & Üben
- Deine Methoden im Unterricht
- Vorbereitung auf Konzerte
- Outro
Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?
Kreieren, schaffen, was erfinden.
Heißt das immer automatisch, dass es dann neu sein muss beim Üben?
Nein, aber jede Übe-Session muss man neu gestalten. Je nach Tag, je nach Laune, je nachdem, was man braucht.
Gibt es bei dir denn eine Musik, die gerade in Dauerschleife läuft?
Es ist ein schwer zu sagen. Ich habe Playlists, meistens Techno, aber sehr gemischt. Ich liebe Musik von Chopin, besonders die Aufnahmen von Claudio Arau. Oder Piazzolla Quintets – aber immer sehr eklektisch gemischt.
Gibt es eine CD oder vielleicht auch eine Künstler/Künstlerin, die dich auf deinem Spiel sehr geprägt hat, wie so eine Art Vorbild zum Beispiel?
Also vorbildmäßig von Musiker her, ich finde Inspiration von vielen verschiedenen Leuten, wenn ich irgendwas höre, was mich berührt. Also für mich ein Vorbild ist eher eine Person, wo man die Werte oder Verhalten als Vorbild nimmt. Aber so musikalisch jetzt ist schwer zu sagen.
Also keine konkrete Person, bei der zum Beispiel sagst, ich finde es super schön, wie der Klang ist und bei Person Z mag ich die Phrasierung.
Also als wirklich Klangideal unter den Gitarristen gibt es David Russell. Man sagt, er hat so den goldenen Klang. Also da könnte ich sagen, das wäre vielleicht mein Klangideal.
Entweder-Oder-Fragen
Um vielleicht all den Leuten, die dich noch nicht so gut kennen, ein bisschen näher zu bringen, habe ich mir ein paar Entweder-Oder-Fragen überlegt. Du hast einen Joker. Deutschland oder Frankreich?
Ok, also ich würde schon Deutschland sagen, weil hier kann ich von meinem Beruf leben und dafür muss man schon dankbar sein. Natürlich Frankreich ist meine Heimat, aber das ist auch dann quasi jetzt zu Familie verbunden und mittlerweile auch Urlaub. Also deswegen ist es schwer zu entscheiden, aber Deutschland inzwischen.
Stadt oder Land?
Land
Francisco Tarrega oder Bob Dylan?
Ja wahrscheinlich Tarrega. Für Bob Dylan habe ich ganz viel Respekt für die Texte und die Poesie dahinter, aber Tarrega hat meine jungen Gitarrenjahre mehr geprägt als Bob Dylan.
Die Herausforderung des Notenlesens
Ich kam auf die Frage, weil ich habe in der Vorbereitung gelesen, dass du erst mit 16 Jahren zur klassischen Gitarre kamst und davor deine Mama zu dir gesagt, du solltest erstmal die normale Ausbildung und ganz viel Popgitarre lernen. Das heißt, was war der Auslöser mit 16 zu sagen, ich möchte die klassische Gitarre spielen?
Also das stimmt, meine Mama war nicht direkt dafür, dass ich ins Konservatorium gehe, weil sie hatte ein Trauma von der ganzen akademischen Ausbildung der Musik in Frankreich.
Ich kam dazu, weil ich immer eher nach Gehör oder Tabulaturen spielte und mir immer etwas am Instrument fehlte. Ich hatte das Gefühl, ich kann mehr aus diesem Instrument rausziehen, mehr Expressivität oder einfach mehr Noten, interessantere Sachen, Effekte. Und dann habe ich mit 16 angefangen, klassische Stücke zu lesen und zu entdecken. Da habe ich mich immer mehr verliebt.
Eine große Wand war Notenlesen, das war das größte Problem. Ich habe eine sehr lustige Geschichte: Damals habe ich angefangen, Unterricht bei Veronique von Dürling zu nehmen. Sie kam mit einer Sonatine von Mauro Giuliani, ein klassischer Komponist. Sie erklärt mir ein bisschen, wie ich es machen soll. Ich gehe nach Hause, ich habe keine Ahnung mehr, wie man das spielt, weil ich keine Noten lesen kann. Allerdings hatte ich ein Software, das heißt Guitar Pro. Und mit dieser Software kann man Noten eingeben und das wird alles in Tabulaturen transkribiert. Und dann habe ich das so gemacht für das ganze Stück und auswendig gelernt. Und zwei Wochen später komme ich zum Unterricht, ich spiele vor, die Lehrerin ist froh. Sie sagt mir, okay, gut, gut, lass uns jetzt arbeiten. Kannst du bitte von dieser Stelle anfangen? Natürlich kann ich es nicht von dieser Stelle anfangen, ich habe keine Ahnung, was da steht. Also ja, Notenlesen war am Anfang nur Schmerzen.
Das heißt, du hast in der ersten Lehrerin gar nicht gesagt, dass du gar keine Noten lesen kannst am Anfang?
Also das war nicht das Thema, weil ich habe immer nach Gehör gespielt und später Tabulaturen entdeckt. Sie hatte ein eigenes System für ihre Schüler, was sehr effizient war, um sehr schnell zum Spielen zu kommen. Man kann innerhalb von ein paar Tagen oder Wochen schon eine einfache Melodie spielen, was eigentlich schon schwer zu erreichen ist. Also ich unterrichte selbst und nach ein paar Wochen können meine Schüler manchmal nicht eine einfache Melodie spielen. Also der benutzt eine Nummer für jeden Ton. Do ist eins, Re ist zwei, Mi drei und so weiter.
Aufstehen oder Snooze?
Oh, Snooze.
Das heißt, dein Übetag geht nicht morgens los?
Doch, nach dem Snooze. Aber ich will es ändern.
Ja, okay. Es ist ja bald Neujahr und dann kannst du dir einen Neujahrsvorsatz fassen.
Ja, nein, das schafft nur Schuldgefühle (lacht).
Wenig und oft oder selten und viel?
Oft und viel. Nein, okay, wenn man will und muss, dann vielleicht bin ich schon oft.
Unterrichten oder Konzerte spielen?
Konzerte spielen.
Konzerte spielen oder produzieren?
Konzerte spielen.
Duo oder Solo?
Solo.
Krass. Das ist spannend. Jetzt im Dezember kommt bei dir ein neues Album raus, ein Duo-Album. Wenn du vielleicht ganz kurz in den Vergleich gehst zwischen deinem Solo-Album und dem Duo-Album mit Andreas Hermansky, also Klarinette und Gitarre, würdest du sagen, dass sich die Vorbereitung da sehr stark unterschieden hat?
Ja, es gibt diese Probenfaktoren. Also man bereitet sich für die Probe vor. Musikalisch gibt es nicht nur diese ‚Ich drücke mich aus‘, sondern ‚Ich kommuniziere‘. Das ist auch noch eine andere Sache. Und es gab auch kein Repertoire für Gitarre und Klarinette. Das haben wir alles in Auftrag gegeben. Das war ein Riesenprojekt, die Gelder erst mal zu finden für die Kommission und dann für die Produktion, Label. Also ich bin sehr froh, dass es diese Stücke gibt. Ich bin ziemlich stolz auf dieses Projekt. Aber ich muss sagen, dass wenn ich Solo spiele, übernehme ich die ganze Verantwortung und das geht dann auch nur um mich. Und ja, okay, es kann ein bisschen Megalo klingen, aber ich muss sagen, dass ich dieses Gefühl sehr mag.
Routine oder Abwechslung?
Ja, ich habe einen Joker. Vielleicht nehme ich mal einen Joker für diesen.
Start in den Tag – Morgenroutine & Üben
Ja, das ist auch die letzte Frage, von daher hast du den gut gewählt auf jeden Fall. Jetzt sind wir ja schon mittendrin. Wenn du jetzt nach dem Snoozen die Gitarre dir greifst, was ist das Erste, was du dann spielst? Womit geht der Tag los?
Also da kommt es drauf an. Ich glaube nicht so viel an strenge Struktur, aber ein bisschen Muster brauche ich schon. Es gibt dann zwei Varianten. Entweder stecke ich in der Vorbereitung kurz vor einem Auftritt, so eine Woche davor oder am Tag des Auftritts. Oder der Auftritt ist erst in ein paar Wochen. Wenn ich kurz vor dem Auftritt bin mag ich ein bisschen Struktur und dann habe ich eine Warm-Up-Routine, was ich vom Gitarristen Lukasz Kuropaczewski gelernt habe. Es ist sehr basiert auf seiner Technik wieder zu kalibrieren, indem man nie einen Ton spielt mit der rechten Hand, ohne dass die linke Hand komplett vorbereitet und bereit ist. Das vermeidet dann, dass unsaubere Töne entstehen. Das ist dann alles mit Metronomen auf 60, ganz streng, eventuell 70, wenn man keine Zeit hat. Und es gibt eine Reihenfolge an Übungen mit Bindungen. Es ist seine Routine und für mich klappt das gut.
Wenn ich viel Zeit habe und ich stehe nicht kurz vor dem Auftritt, dann mag ich gerne ein bisschen kreativer umgehen und entweder mache ich ein bisschen Blattspiel, weil Notenlesen sehr lange nicht meine Stärke war. Dann nehme ich mir Zeit, um ein Programm zu lesen, was ich in sechs oder sieben Monaten erst spielen muss. Ich mache mir Ideen über die Interpretation, was ich da machen will, wie klingt diese Stimme in Kombination mit dieser Stimme. Ich exploriere ein bisschen das Stück, verschiedene Tempi und so weiter.
Dann hast du ja ganz grob so zwei Routinen nennen. Hast du in dieser festgelegten Warm-Up-Routine, die du vorher so ein bisschen beschrieben hast, Bausteine, die du manchmal auch dann trotzdem in diese „wenn es schnell gehen muss“ Routine einflickst? Also gibt es bestimmte Sachen, von denen du sagst, die mache ich auf jeden Fall immer?
Also diese Routine, die mache ich auf keinen Fall jeden Tag. Das habe ich eine Zeit lang gemacht. Das empfiehlt auch Lukas Koropatschewski. Aber ja, das ist eine sehr gute Routine, um seine Technik zu kalibrieren. Und deswegen an dem Tag, wo ich einen Auftritt habe, das mache ich auch ganz und respektiere jeden Aspekt. Aber diese Routine geht nicht um Variation. Es geht nicht um die Übungen, die man macht, sondern um wie man die macht. Und deswegen einfach so lassen, wie es ist und sich lieber ganz genau auf den feinen motorischen Aspekt zu konzentrieren, von wie ich es mache.
Das heißt wahrscheinlich, war deine Überroutine irgendwann auch mal anders gewesen? Wie hat sich das entwickelt im Laufe der Jahre?
Dieser Routine-Aspekt ist ziemlich neu. Das gibt es erst seitdem, dass ich professionell tätig bin. Vorher war ein bisschen mehr Freestyle und in meiner Routine gab es immer viel Durchspielen, einfach spielen, Musik machen. Und das war immer so vor dem Studium. Dann habe ich mit dem Studium angefangen und habe mich ein bisschen mehr mit Übemethoden beschäftigt: Cortot, punktierte Methoden, mentales Üben und so weiter. Ich mag auch dieses Performen üben, indem ich wirklich loslasse und spiele. Das finde ich, muss man auch üben.
Mentales Üben
Da kommen wir gleich nochmal drauf auf jeden Fall. Du hast gerade das mentale Üben angesprochen. Wie gehst du da vor?
Also wenn ich kurz vor dem Auftritt bin, ich möchte vor allem sicherstellen, dass ich beim Spielen nicht denken muss. Dann gehe ich das Stück mit den Noten in meinem Kopf durch, jede Geste, was ich mit beiden Händen mache und mit welcher Intensität und wie viel Kraft manchmal auch, wenn es technisch gefordert wird, welche Position habe ich mit meinem Ellenbogen, meinen Schultern eventuell, manchmal sogar mein linkes Bein, wenn ich einen anderen Winkel von der Gitarre habe, das denke ich alles mit. Und ja, ich solmisiere auch die Stücke, ganz viel vor allem für zeitgenössische Musik. Also ich habe aktuell ein Programm von Dorothee Takamitsu In the Woods, das gibt es ziemlich viele Feinheiten, sowohl rhythmisch als dynamisch und dann solmisiere ich das quasi in meinem Kopf.
Also du gehst die Melodie wirklich auch laut durch?
Also ich schlage den Takt und sage die Noten auf die Zählzeiten, wo sie hingehören. Entweder mache ich das mündlich oder das reicht mir, dass ich es im Kopf mache. Mündlich ist oft effizienter.
Und bei Akkorden, wie machst du es da?
Ich konzentriere mich entweder auf den Bass oder auf die obere Note, je nachdem. Aber Akkorde sind nicht nur Akkorde, sondern mehrere Stimmen übereinander. Dann mache ich auch, wenn es polyphonisches Stück ist, wie Barock oder vor allem Renaissance Musik, dann gehe ich auch anders damit um. Mentales Üben ist dann wirklich am Instrument, dass ich eine Stimme mit der linken Hand drücke, aber ich spiele mit der rechten nur eine Note innerhalb dieses Akkord. Oder ich spiele eine und singe die andere, je nachdem.
Jetzt fand ich es vorher spannend, du hast auf die Frage auch geantwortet, dass du nach dem Blattspieler vor allen Dingen ein bisschen explorativ dir anschaust und so und guckst, wie du an neue Programme herangehen kannst. Nutzt du dafür Tools? Also wie kann man sich das vorstellen, wenn du jetzt beispielsweise ein neues Stück erarbeitest dir, um quasi da eine persönliche Note reinzubringen?
Ich probiere nicht zu viele Gitarrenaufnahmen zu hören, aber man kennt sie natürlich. Also ich weiß, es gibt Standards und es gibt auch Aufnahmen oder Versionen von anderen Gitarristen, die besonders sind, in dem das ist eine starke Entscheidung auf dem interpretatorischen Aspekt.
Ich probiere die Stelle in einer bestimmten Art und Weise zu spielen – lass uns sagen, mit einfachen Worten fröhlich oder traurig. Natürlich ist es viel feiner als das, da mehr artikuliert oder lauter oder langsamer, schneller, da sind auch Sachen, die konkret, weil wenn man nur traurig oder fröhlich sagt, das sagt musikalisch eigentlich nicht viel, das ist alles Dynamik, Artikulation. Ja, also ich probiere verschiedene Varianten und ich gucke, was mir am besten passt.
Nimmst du dich dabei auch auf?
Ja, ich nehme mich auf. Nicht so oft, wie ich sollte. Ich weiß das es immer sehr, sehr nützlich ist. Das ist wirklich ein Spiegel des Klangs und dann hat man direkt ein Feedback von sich selbst.
Und du hast vorher schon Cortot angesprochen. Wir hatten es schon ein paar Mal im Podcast, dass wir ein variantenreiches Üben angesprochen haben und z.B. Stücke in anderen Stilrichtungen und Genres spielt. Ist das eine Art und Weise, wie du dir schwere Stellen erarbeitest?
Ja, genau, ganz genau. Also ich überlege nicht alles punktiert oder alles Cortot oder alles mental, sondern über die Jahre habe ich so eine Toolbox an Methoden gesammelt und die benutze ich, je nachdem, was ich brauche.
Deine Methoden im Unterricht
Jetzt hast du vorher auch gesagt, dass du selbst unterrichtest. Wendest du die gleichen Prinzipien an wie bei dir bzw. wie brichst du sie mehr runter (z.B. das Aufnehmen)?
Also ich sage schon zu meinen Schülern, dass sie sich aufnehmen sollen, aber vor allem, wenn sie ein Stück fertig geübt haben. Um es abzuschließen, mache ich im Unterricht eine Videoaufnahme von ihnen und verschicke es, damit sie in ein paar Monaten einen Fortschritt messen können. Das ist sehr schwer in der Musik.
Was den Unterricht angeht habe ich nie das Gefühl, dass ich unterrichte, sondern, dass ich das Üben beibringe bzw. dass ich den Schülern beibringe, wie sie sich selbst unterrichten, sozusagen. Im Unterricht sind es natürlich einfachere Methoden, also je nach Niveau des Schülers. Manchmal kann das allerdings schon ziemlich weit gehen.
Für jüngere Schüler benutze ich eine sehr einfache drei Schritte Methode: erstmal die Töne lesen, dann den Fingersatz von der linken Hand anstatt Ton zu sagen (leere Seite ist 0, zweite Bude ist 2) und dann auch die rechte Hand, erstmal mit Namen von den Fingern (also P, I, M, A) und dann auch mit Namen von der Seite, wo der Ton gespielt wird und dann erst dürfen sie das Stück spielen. Das ist quasi eine Einführung ins mentale Üben für Sechsjährige.
Wir haben vorher schon von deinem Klangideal gesprochen und ich muss ganz ehrlich gestehen, ich bin in der Welt der klassischen Gitarristen relativ neu. In der Vorbereitung habe ich mir von ein paar Stücken von deinem letzten Soloalbum auch andere Versionen angehört und fand es sehr interessant zu sehen, wie verschieden die Interpretationen sind. Vor allem der Klang. Und mir ist aufgefallen, zumindest in meiner Wahrnehmung, dass dein Klang schon sehr eigen ist, also man erkennt ihn auf jeden Fall sofort. Für mich klingt er sehr modern. Wie kann man sich das vorstellen, wie hast du es geschafft, da dein eigenes Klangideal auf der Gitarre zu etablieren?
Generell mit Gitarre spielen oder in der Gitarrenwelt, kann man nicht über Klang reden, ohne über Nägel zu reden. Und ich habe gleichzeitig das Glück und Unglück, dass ich sehr, sehr schlechte, natürliche Nägel habe. Also ohne Kunstnägel könnte ich keine Gitarre spielen. Dann musste ich von sehr früh an mit Gel-Nägel beschäftigen. Und dann hat man wirklich die Möglichkeit, das unendlich neu zu machen, ohne zu warten, dass es wieder wächst. Das bedeutet, man kann wirklich ein Profil von Nageln. Also diese Suchen, das hat mir wirklich sehr, sehr, sehr viel Zeit gekostet am Anfang. Und ich widme ihm immer noch vielleicht ein, zwei Stunden in der Woche dafür.
Ich muss sie alle zwei Wochen neu machen, wenn ich intensiv spiele. Dafür habe ich wirklich Kontrolle darüber, wie ich es klingt. Und dann spiele ich eine Gitarre mit Doppeldecke. Das sind modernere Instrumente, die haben eine große Projektion. Ich finde, dass die sehr oft sehr warm klingen können. Also meine auf jeden Fall. Und benutze Carbon-Seiten der Marke Savarez. Für Gitarristen, das klingt alles sehr Klischeemäßig, für dich vielleicht nicht, aber so Gel-Nägel, Doppeldecke-Gitarre aus Cedar mit Carbon-Seiten…
Es gibt zwei Richtungen: Die andere Richtung ist traditionell – Gitarre aus Fichte mit Nylon-Seiten und Naturnägel. Und ich bin eher in der anderen Richtung. Gefällt mir persönlich besser.
Du hast es vorher schon gesagt, ich könnte mir fast schon vorstellen, dass ich die Antwort jetzt auf die Frage kenne. Ich stelle dir sie trotzdem. Mir ist aufgefallen, in all deinen Videos, dass du immer auswendig spielst. Ich kann mir fast vorstellen, dass es wahrscheinlich auch daher kommt, dass du mit dem Notenlesen auch so spät angefangen hast. Ist das so?
Nein, das hat eigentlich nicht so viel damit zu tun, sondern eher, dass ich meistens Solo spiele. Das heißt, ich muss nicht auf eine zweite Stimme aufpassen, die mich begleitet. Und es fühlt sich auch viel freier an. Und auch ein sehr, sehr pragmatischer Aspekt ist, dass ich keine Hände zu blättern habe.
Logisch, ja. Wie gehst du vor, wenn du auswendig lernst?
Also es gibt verschiedene Methoden. Ich bin nicht Spezialistin von diesen Begriffen, aber ich würde das motorisch nennen. Das ist, wenn ich einen Bewegungsablauf in meiner linken Hand gespeichert habe. Meistens muss ich mir die rechte Hand weniger merken. Bei mir ist es oft die linke Hand, die alles speichert. Und je nachdem, wie meine linke Hand aussieht, weiß ich auch ungefähr, in welcher Harmonie ich bin, welche Tonart und welche Stufe von dieser Tonart. Und dann kenne ich noch die entsprechenden Töne. Und dazu weiß ich, wie es klingen soll und wie es im nächsten Takt klingen soll und wohin es geht. Und seitdem ich das alles für mich klar im Kopf habe, passieren mir viel weniger Blackouts. Aber die können immer passieren. Das ist auch das, was es aufregend macht.
Der Adrenalinkrieg, von dem du vorher meintest.
Ja, genau.
Vorbereitung auf Konzerte
Du hast vorher gesagt, dass ein Teil von deinem täglichen Üben auch das Konzerte-Üben ist. Das heißt, da spielst du wahrscheinlich auch die Stücke schon zu Hause auswendig, oder?
Oh ja, auf jeden Fall. Ich probiere immer wieder, zu den Noten zurückzukommen, aber die meiste Zeit übe ich ohne Noten. Die Noten lerne ich einmal richtig in den ersten Wochen des Lernprozess eines Stückes. Aber ziemlich schnell lasse ich die auf der Seite. Aber ja, wenn ich einen Unterricht habe, kontrolliere ich, dass ich immer noch die richtigen Sachen mache, vor allem rhythmisch und dynamisch und so weiter. Dann hole ich sie wieder raus.
Wenn ich jetzt an die allererste Stunde von dir denke, die du vorhin beschrieben hast, wo du mit Guitar Pro die Noten in Tabulatur umgewandelt hast, kannst du inzwischen dann auch ein Stück an jedem beliebigen Punkt anfangen?
Ja, mittlerweile schon.
Logischerweise fängst du nicht jedes Stück immer von links an, sondern wahrscheinlich wirst du auf jeden Fall auch ganz bewusst inzwischen, in Takt 19 anfangen, wenn das Sinn macht, und dann von da aus üben. Du spielst wahrscheinlich nicht jedes Mal, wenn du Konzerte übst, dann das ganze Stück durch, oder?
Klar, nein. Ich kann nicht sagen, was in Takt 19 oder so ist. Aber ich kann sagen, zweite Hälfte von B, Thema der Exposition, der Sonate oder so was. Dann gehe ich direkt zu den Stellen. Das sind alle sehr generelle Begriffe, aber wenn man es übt, dann bekommt man auch das tatsächliche Gefühl dafür.
Ich habe mich in der Vorbereitung noch gefragt, jetzt bist du ja schon relativ lang als Solo-Künstlerin unterwegs und hast ganz viele Preise gewonnen. Gibt es dann Sachen, von denen du heute sagst, die sind mir früher leichter gefallen, einfach weil jetzt die Fallhöhe ein bisschen größer geworden ist?
Also ich würde sagen, nein. Seitdem ich angefangen habe, ich hatte immer ein bisschen diesen Traum oder Ziel, professionell zu werden. Und deswegen habe ich immer probiert, was ich besser machen kann: sei es in meiner Präsentation oder Moderation, im Spielen natürlich, aber auch die ganzen Extra-Musikalischen Sachen. Ich hatte vor ein paar Jahren riesige Bühnenangst, vor allem vor Corona.
Man hat vielleicht das Gefühl, dass das Publikum mehr erwartet und das macht einen gewissen Druck. Aber das ist auch ein positiver Druck, weil dann übe ich vielleicht ein bisschen mehr gezielt.
Und wenn du sagst, du hast vorher Lampenfieber gehabt, du sagst sogar, hast du daraus jetzt ein bestimmtes Ritual entwickelt, was du immer vor Auftritten machst, das dir hilft?
Es ist schwer zu sagen, also ich habe viele Wettbewerbe gemacht und da ist der Druck noch ein bisschen mehr als bei Konzerten. Und ja, bei Wettbewerben muss man sich schon in einen, also muss man nicht, aber was mir hilft ist, ich will sowas nicht sagen, aber ein bisschen in einen Kampfmodus gehen.
Also Ritual, ich probiere das nicht wirklich Ritual zu nennen, sonst würde es mir tatsächlich Lampenfieber schaffen. Aber dieses Vorbereiten, am Tag davor die Kleidung herauszulegen, zu bügeln und dann am Tag meine Haare zu föhnen, schminken und dann, wenn ich auf der Bühne gehe, dann bereite ich meine Anti-Rutsch-Tücher etc vor.
Ich gucke, wie viele Treppen es gibt, damit ich nicht außer Atem auf der Bühne ankomme. Es ist immer auch gut zu wissen, was für einen Stuhl mich auf der Bühne erwartet. Deswegen habe ich auch oft einen Klapphocker im Kofferraum vom Auto, wo ich weiß, das er mir passt. Aber dann, wenn ich auf der Bühne bin, dann habe ich ein Ritual, dass ich einmal schnell und tief einatme und ganz langsam ausatme und dann habe ich ein sehr gutes Gespür für meinen eigenen Herzschlag. Wenn ich dann merke, dass es langsamer wird, fange ich an. Das mache ich erst, wenn ich schon begrüßt habe, gestimmt, wo ich wirklich bereit zu spielen bin, den ersten Akkord zu greifen.
Outro
Zum Abschluss habe ich mir noch zwei Fragen, die ich all meinen Gästen gerne stelle, die ich auch dir gerne stellen würde. Was lernst oder übst du gerade, was du noch nicht so gut kannst? Das darf auch gerne nicht musikalisch sein.
Also, organisatorisch mit der Planung dranbleiben und einen ein bisschen besseren Überblick zu haben, über das, was kommt. Sei es administrativ oder generell mit der Arbeit. Und Geduld haben für Sachen zu haben, die noch nicht laufen beim Üben.
Und wenn du an deine eigene Studienzeit zurückdenkst, hättest du aus deiner heutigen Sicht einen Tipp, um den du damals froh gewesen wärst?
Also ich wäre damals nicht froh gewesen, das zu hören, aber das ist das Einzige, was ich mir ausdenken kann, was hilfreich wäre: Es wird alles okay. Weiter dranbleiben!
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"