Marvin Frey ist Trompeter, Kaffee-Nerd und wohl einer der ausgeglichensten Musiker, die mir begegnet sind. Sein Übe-Tag startet morgens am liebsten mit – natürlich – einem frischen Kaffe aus der Aeropress und seinem Taschenspiegel. Mit ihm trainiert er unabhängig vom Instrument wesentliche Körperfunktionen – sein wichtigstes Ritual am Tag. Er spielt bei Moop Mama, tourt mit dem Glenn Miller Orchestra und ist ein viel gefragter Sideman, der sich scheinbar mühelos zwischen den unterschiedlichsten Musikstilen bewegt.
Wir sprechen darüber, wie man sich selbst beim Üben nicht im Weg steht, warum gute Routinen nicht starr sein dürfen und warum es so wichtig ist, sich am Ende eines Übe-Tages gut zu fühlen. Es geht um Flow, Motivation und warum man sich mit 25 noch nicht als fertiger Musiker fühlen muss.
Ein Gespräch über das Schöne am Dranbleiben, den Spaß am Fehler-Machen und die Magie von Musik.
Lieber hören statt lesen?
Das Interview
Inhalt
- Entweder-oder-Fragen
- Womit startet dein Üben?
- Fester Bestandteil der Routine
- Kreative Übe-Ideen
- Improvisation üben
- Schwere Stellen üben
- Flexibilität: Mental und auf dem Instrument
Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet, vervollständige folgenden Satz.Üben heißt für dich?
Zeit mit mir selbst verbringen und an mir arbeiten.
Welche Musik, Album oder Künstler läuft bei dir gerade in Dauerschleife?
Jetzt auf der Hinfahrt war es Wynton Marsalis, Hot House Flowers.
Ganz tolles Album. Und würdest du sagen, dass es einen Künstler gibt, der dich auf dein Spiel bezogen, sehr geprägt hat, wie so eine Art Vorbild?
Ja, doch. Einige tatsächlich. Wynton auf jeden Fall. Till Brönner, Gerard Prescencer, Freddy Hubbard und Brian Lynch auch noch. Ich glaube, das sind die Größten
Und dann wahrscheinlich spezielle Eigenschaften aus ihrem Spiel oder generell einfach die Typen als Jazz-Persönlichkeit, Jazz-Musiker?
Ja, immer so die Mischung aus beidem, würde ich sagen. Ich finde, der Mensch hinten dran ist auch total spannend und sorgt sehr dafür, wie man jemanden wahrnimmt. Wenn man weiß, okay, das ist eine tolle Persönlichkeit, dann ist man automatisch nochmal begeisterter von der Musik. So geht es mir zumindest.
Entweder-Oder-Fragen
Ich habe für alle, die dich noch nicht so gut kennen, ein paar Entweder-Oder-Fragen dabei, die ich dir gerne stellen würde. Du hast einen Joker. Karneval oder Oktoberfest?
Oktoberfest.
Buch oder Hörbuch?
Hörbuch.
Hörbuch oder Podcast?
Podcast.
Was hörst du gerade?
„Alles gesagt“ Podcast von der ZEIT.
Das ist der Podcast dieser Erde. Kaffee-Nerd oder Foto-Guru?
Auf jeden Fall Kaffee-Nerd.
Du hast aber auch so ein kleines Fotoexperiment am Laufen, oder?
Ja, ich habe das mal ausprobiert. Macht auch Spaß. Aber Kaffee, das ist schon eine lange, lange Liebe, kann man sagen. Kaffee macht mega Spaß – besonders Filter. Ich bin nicht so der Espresso-Trinker, sondern eher Filterkaffee und da alle möglichen Arten des Kaffeebrauens.
Was ist aktuell deine Lieblingszubereitungsart?
Die Aeropress , eine amerikanische Erfindung. Und damit kann man einfach konstant sehr guten Kaffee machen. Mit wenig Variablen. Finde ich sehr gut.
Das check ich aus auf jeden Fall. Early Bird oder Nachtäule?
Early Bird.
Freddie Hubbard oder Clifford Brown?
Freddie Hubbard.
Vorsatz oder Vorwurf?
Vorsatz? Wobei ich mir gerade nicht sicher bin, ob ich so richtig die Frage verstehe. Vielleicht machen wir da mal weiter.
Ist das ein Joker?
Ne, ich weiß es nicht. Also ich nehme mir schon Dinge vor und versuche die dann auch zu machen.
Bist du so ein Neujahrsvorsätze-Typ dann?
Ich hab mich jetzt wieder dabei ertappt. Ich sag mir selbst immer, ach, ist doch eigentlich egal, wann man das macht. Man kann es ja jeden Tag machen. Aber irgendwie hat so ein Neujahrsvorsatz nochmal eine andere Gewichtung, merke ich. Man weiß, okay, das neue Jahr hat jetzt begonnen. Das macht es ein bisschen leichter, dran zu bleiben.
Was ist dein Vorsatz dann gewesen für 2025?
Auf jeden Fall wieder mehr Sport machen. Letztes Jahr war ich ganz gut unterwegs, aber am Ende des Jahres hat es dann ein bisschen nachgelassen und ich möchte einfach wieder kontinuierlich dranbleiben. Ich einfach merke, dass es mir dann viel besser geht. Und auch ein bisschen gesünder wieder ernähren. Das sind so zwei Vorsätze.
Routine oder Abwechslung?
Schon eher Routine.
Und was ist deine wichtigste Routine?
Meine Trompetenroutine. Also wir kommen wahrscheinlich später nochmal darauf zu sprechen, aber die Methode von Malte Burba hat mich sehr geprägt und die Routine, die gehört für mich dazu.
Womit startet dein Üben?
Dann sind wir schon mittendrin. Was ist denn das Allererste, was du am Instrument machst, wenn du es auspackst?
Mundstück spielen tatsächlich. Vor allem Glissandi – also ein paar Sirenen spielen, also hoch und runter. Ich habe vor kurzem auch dieses Hilfsmittel, den Berp, entdeckt und finde den super. Das ist super effektiv und für mich immer das erste am Instrument. Vorher passieren schon Dinge abseits des Instruments auf jeden Fall, aber am Instrument selbst ist es Mundstück spielen.
Ich weiß, es ist manchmal schwer, so einen ganz typischen Übe-Tag zu skizzieren, aber wenn du es so runterbrichst auf so einen idealtypischen Tag, wie würde er ausschauen?
Meistens fange ich recht früh morgens schon an, in dem ich mir einen guten Kaffee machen mit der Aeropress oder mit dem Filter mache. Und dann beginne ich schon mit meinen klinischen Übungen. Also Klinik heißt verschiedene Zungen-Mimik-Übungen, mit einem kleinen Taschenspiegel. Auch Krafttraining, Bodybuilding quasi für die Lippen gehört dazu. Das mache ich immer morgens direkt, dann ein bisschen Pause, meistens so ein bis zwei Stunden, in der ich dann etwas anderes machen kann, sei es jetzt am Rechner produktiv sein oder Zeitung lesen.
Dann würde ich mich zum Proberaum aufmachen und ans Instrument gehen. Nach dem ich das erste Check-up auf dem Instrument gemacht habe, gehe ich recht schnell an Musik. Ich bin der Meinung, dass man eigentlich sehr viele technische Übungen direkt anhand von Musik üben kann. Also in meinem Fall, ich bin jetzt eher im Jazz zu Hause, kannst du halt auch einen Jazz-Standard nehmen und spielst die Akkord-Arpeggios und lässt immer einen Akkordton aus und dann hast du eine Flexibility-Übung. Ich denke, dass die Flexibility-Übungen wie Colin etc. auf jeden Fall ihren Stellenwert haben und auch super sind, aber um recht schnell den Kopf einzuschalten und im musikalischen Kontext zu arbeiten, finde ich es immer super, kreativ sich anhand von Musik technische Aufgaben auszudenken. Diese Schatzsucher-Mentalität, weißt du, dass man immer am Forschen ist und immer guckt, wie kann ich mir selbst Sachen ausdenken und kreativ werden.
Dazu habe ich auf jeden Fall noch ein paar extra Fragen für später. Jetzt hast du gerade in einem Nebensatz gesagt, dass du so einen ersten Check-up machst. Was checkst du auf dem Instrument?
Also vor allem die Ansprache, ob die Luft gut fließt. Finger sind auch immer so eine Sache, da hilft auf jeden Fall Clark Second Study, auch in unterschiedlichen Kombinationen. Zum Beispiel: chromatisch ist eine Herausforderung für die Finger in manchen Tonarten. Anschließend spiele ich Tonleitern, um die Range einmal abgedeckt zu haben – und wenn man das Gefühl hat, ich funktioniere als Generator, dann weiß ich, okay, jetzt kann ich an Musik gehen.
Das heißt dann, dass wenn du so Checks machst und im Allgemeinen die Tonansprache ist nicht so, wie du dir das vorstellst, dann weißt du, dass das gleich auf jeden Fall ein Baustein in deiner musikalischen Arbeit sein wird? Wie eine kleine To-do-Liste, die du dir vorher selbst mental erstellst.
Genau, genau. Also es ist einfach zu schauen, wo stehe ich heute. Jeder Tag ist ja ein unterschiedlich und an manchen Tagen läuft es besser als an anderen Tagen und dann versuche ich da einen Fokus drauf zu legen oder so schnell wie möglich an meinen Werkzeugkoffer zu gehen, von dem ich weiß, da habe ich Übungen, die dafür helfen.
Fester Bestandteil der Routine
Die Klinik Übungen von Malte Burba
Jetzt ist ja jeder Tag idealtypisch, sondern der Alltag frisst viel Zeit bei uns allen. Wenn du deine Routine so runterbrichst und dir diese einzelnen Bausteine nimmst: welche sind auf jeden Fall immer dabei, auch an Tagen, wo die Übezeit ganz knapp bemessen ist und bei welchen würdest du sagen, dass du sie auch mal überspringst?
Diese Klinik am Morgen, diese Übungen mit dem Taschenspiegel, die sind jeden Tag da. Natürlich kommt dann das Argument, man mache sich davon abhängig. Aber auf der anderen Seite, wenn jemand sagt, er muss erst mal 20 Minuten Töne aushalten oder Binde-Übungen spielen, macht er auch von etwas abhängig. Dementsprechend, glaube ich, hat jeder so seine Routinen, von denen er sagt, die müssen einfach da sein für das Instrument. Für mich ist das diese Klinik am Morgen. Und was auch immer mit dabei sein muss, ist einfach das Spielen, also das Musikmachen. Ich habe mich selbst in der Vergangenheit häufiger mal ertappt, dass man das dann vernachlässigt, weil man denkt, man muss erst alle technischen Aspekte abdecken, aber im Endeffekt wollen wir ja Musik machen. Wir wollen gemeinsam spielen und Menschen begeistern, Emotionen wecken. Und deswegen versuche ich: Spielen muss immer irgendwie mit dabei sein am Tag.
Planung: Struktur im musikalischen Üben
Du beschreibst im Grunde zwei Teile deines Übe-Tags: einen Morgenteil mit der Klinik und dann gibt es zweiten Übeteil. Wie strukturierst du dir dann diesen zweiten, größeren musikalischen Block?
Ich bin ein Freund davon mit Timer zu arbeiten. Also ich setze mir immer ein zeitliches Limit. Da experimentiere ich aber auch. Das ist auch immer phasenabhängig. Aktuell ist es so, dass 15-Minuten-Einheiten für mich gut funktionieren und dann mache ich 5 oder 10 Minuten Pause bevor es zum nächsten 15-Minuten-Block geht. Aber ich versuche da auch zu variieren. Wenn wir jetzt vom idealen Tag ausgehen, dann sind es eigentlich immer 15-Minuten-Einheiten und dann bewegt man sich mal irgendwie kurz, geht an die frische Luft und macht dann die nächste Einheit. Für den gesamten Tag gibt es auch kein wirkliches Limit in der Hinsicht, weil ich das Gefühl habe, dass man dann sehr effizient und sehr körperbewusst arbeiten kann. Sobald man merkt, jetzt tut jetzt es weh, sollte das jedoch auf jeden Fall der Moment sein, wo man das Instrument weglegt. Aber mit ordentlich Pausen hat man viele Möglichkeiten, das lange zu machen.
Wenn du es dir in diese 15-Minuten-Blöcke einteilst, bist du jemand, der sich am Abend vorher schon überlegt: Block 1 ist dieses Thema, Block 2 ist dieses Thema – weil du weißt, dass du auf bestimmte Sachen hinarbeiten musst?
Ich mache mir auf jeden Fall Gedanken drüber. Wobei auch da finde ich es wichtig, sich flexibel halten zu können. Wenn man auf einmal merkt, dass es keinen Sinn macht, dass ich jetzt Töne treiben übe, weil ich gerade nicht die Energie dafür habe, dann ist es vielleicht auch gut, erstmal diesen Block mit einem anderen auszutauschen.
Ich glaube, es ist sehr wichtig, diese Grundstruktur zu haben und innerhalb dieser Grundstruktur aber noch flexibel zu sein, um sich anzupassen. In meiner Vergangenheit habe ich dann häufig versucht, diesen Plan komplett so durchzuziehen. Eigentlich mit einem negativen Effekt – das Üben hat gar nicht mehr so viel Freude gemacht oder ich hatte gar nicht mehr das Gefühl hat, man darf jetzt mit sich selbst arbeiten, sondern man muss jetzt mit sich arbeiten und das sorgt, glaube ich, nicht für die angenehmste Übe-Atmosphäre. Deswegen: Innerhalb des Übens und des Plans, sich flexibil einzuteilen, ist sehr gut und wichtig.
Wie würdest du sagen, dass du dir das Üben beigebracht hast, wenn man das so sagen kann?
Ich glaube über Trial and Error. Also einfach ausprobieren und dann feststellen, was sich über einen längeren Zeitraum gut oder schlecht anfühlt. Es ist normal, dass man nicht immer mit einem Lachen aus dem Üben raus geht, aber wenn es über eine längere Zeit so ist, dann ist es vielleicht Zeit zu hinterfragen, warum macht es einem gerade nicht so viel Spaß. Und dann einfach zu merken, dass die Freude an erster Stelle stehen sollte.
Ist das der Punkt, wo du dann zu Malte bist, als du das gemerkt hast oder ist das unabhängig davon gewesen?
Das war unabhängig, aber auf jeden Fall hat mich Malte sehr geprägt in der Art, wie ich über das Üben denke und auch wie ich ans Üben rangehe, von der Struktur her. Es hat eine unfassbar große, wichtige Rolle für mich eingenommen bzw. nimmt es weiterhin.
Kreative Übe-Ideen
Du hast, finde ich, vorher schon einen schönen Tipp gegeben, wie man aus einer Kombination von zwei verschiedenen Sachen (Akkordverbindungen und eine Bindeübung) eine neue Übung kreieren kann. Wenn du jetzt die letzten paar Tage durchscannst, was war die neueste Idee gewesen, mit der du dein Üben ein bisschen kreativer gestaltet hast?
Das ist eigentlich etwas, das ich schon ganz am Anfang meiner musikalischen Laufbahn gemacht habe und dann aber habe total schleifen lassen: einfach mit Aufnahmen mitspielen. Also einfach eine Aufnahme von einem Musiker, Musikerin laufen lassen und mitspielen. Und da quasi eine Transkription machen, während die Aufnahme läuft. Kleine Ideen übernehmen und sich einfach vorstellen, Teil dieser Band zu sein, die man gerade hört. Und das ist etwas, was ich jetzt die letzten Tage wieder mehr gemacht habe und, was mir irgendwie immer ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Es macht einfach Spaß, mit anderen mitzuspielen.
Also keine Eins-zu-eins-Transkription, sondern spielst quasi über den Tune drüber.
Genau. Wenn ich merke, dass ich eine Linie cool finde, dann spule ich natürlich nochmal kurz zurück. Es gibt ja heutzutage super tolle Programme, mit denen man Passagen auch loopen kann.
Improvisation üben
Wie gehst du in deiner Übe-Herangehensweise an Improvisationsthemen ran? Also wir stellen uns mal vor, du hast einen neuen Tune, den du für eine Band gerade vorbereitest. Wie erarbeitest du dir ein neues Stück, was Improvisationskonzepte für dich angeht?
Ich schaue, ob es schon irgendwo eine Aufnahme dazu gibt und versuche mich dann an dieser zu orientieren. Wie spielt die Band das, oder wie ist die Stimmung, der Vibe. Häufig ist es aber auch so, dass ich mich ans Klavier setze und einfach erstmal schaue, was sind das für Akkorde. Und dann versuche ich mich am Klavier ein bisschen an der Akkordfolge entlang zu hangeln. Aber auf jeden Fall erstmal einen Überblick verschaffen.
Und wenn ich das dann gemacht habe, und je nachdem wie komplex das Stück ist, loope ich gewisse Passagen (z.B. in iRealPro) oder mal nur einen Akkord und versuche über diesen Akkord herauszufinden, was passt: Was sind die charakteristischen Noten von diesem Akkord? Und wenn man das dann oft genug gemacht hat, dann kann man es eigentlich kaum erwarten, das mit der Band zu spielen
Ich habe immer das Gefühl, wenn man gut vorbereitet ist und sich mit der Materie schon beschäftigt hat, dann ist man beim Spielen automatisch viel entspannter. Das hat wiederum zur Folge, dass man besser zuhören kann. Wenn man besser zuhört, ist man besser mit den anderen integriert und dann entsteht dieses Kollektiv, dieses gemeinsame Musizieren.
Nimmst du dich selbst auf dafür, um dich ein bisschen objektiver beurteilen zu können?
Schon, also nicht immer so, aber in gewissen Situationen definitiv. Ich glaube sich Aufnehmen ist eine der produktivsten Arten beim Üben, die man für sich selbst machen kann, aber auch eine, die unfassbar wehtun kann. Das hat natürlich zur Folge, dass man sich jetzt vielleicht nicht immer „komplett zerstören“ möchte, also dass man demotiviert wird dadurch. Aber hin und wieder finde ich, ist das eine gute Selbstreflexion, einfach zu erkennen, hey klingt das wirklich so, wie mein inneres Ohr das gerade auch wahrnimmt.
Schwere Stellen üben
Hast du eine bestimmte Herangehensweise, wie du Passagen erarbeitest, die besonders herausfordernd sind?
Ja, eigentlich drei Worte: wenig, langsam, oft.
Also sich die Passagen raussuchen, aufteilen und wenn es sein muss sie nochmal unterteilen und dann versuchen sie sehr langsam, sehr bewusst zu spielen, häufig zu wiederholen und dann langsam das Tempo anziehen, bis man irgendwann am Originaltempo ist. Oder vielleicht sogar etwas darüber, dass falls es so kommen sollte, dass das Stück schneller angezählt wird, man nicht in Stress verfällt, sondern weiterhin sagt: hey, das habe ich schon mal gemacht, kriege ich hin. So gehe ich da ran.
Nutzt du Variationsformen (wie z.B. andere Rhythmen), um dir schwere Passagen zu erarbeiten?
Ich würde sagen, dass das nicht täglich bei mir vorkommt. Dafür reicht manchmal einfach nicht die Zeit, sondern da möchte ich es einfach so hinkriegen, wie es da steht. Aber das sind natürlich alles Hilfsmittel, die sich gut eignen.
Wenn wir bei der Artikulation sind und ich merke, dass ich heute auch noch an meinem Anstoß arbeiten möchte, dann macht es auf jeden Fall Sinn, zum Beispiel, wie du gerade eben gesagt hast, die Passage zu punktieren (im anderen Rhythmus spielen), um da auch wieder Variabilität reinzubringen und kreativ sein.
Das heißt, es gibt in deinem ganzen idealtypischen Übe-Alltag immer eine Rückkopplung zu diesem ersten Checkup?
Genau. Aber immer in diesem musikalischen Kontext, also an dem Arbeiten von Musik.
Dann gibt es am Schluss nochmal so eine Übereinheit quasi, wo es wirklich nur um Funktionsübungen geht. Also in der es einfach um das Trompetespielen an sich geht. Da übe ich Zirkular-Atmung, Töne treiben, Notebendings oder Mundhöhlen-Töne und Breath Attacks. Das geht jetzt vielleicht ein bisschen zu sehr ins Detail, aber einfach nochmal einen Überblock zu machen, der abseits von Musik ist und, der einfach nur Körperfunktionen trainiert. Aber die mache ich immer zum Schluss, weil wenn man da platt ist, das ist nicht ganz so schlimm. Aber wenn man musikalisch Dinge übt und man merkt, man ist platt, dann sorgt das für Frust. Ich habe für mich festgestellt, wenn ich mit Frust das Instrument abends weglege, dann ist der nächste Tag immer blöd. Deswegen versuche ich eigentlich immer mit einem positiven Gefühl das Instrument wegzulegen.
Flexibilität – mental und auf dem Instrument
Vorbereitung für Moop Mama & Glenn Miller Orchestra
Jetzt hast du ja Musik schon angesprochen: Das finde ich bei dir sehr beeindruckend. Du bist sehr breit aufgestellt- du spielst bei Moop Mama, du spielst aber genauso beim Glenn Miller Orchestra, du hast deine eigenen Projekte und du bist super oft Sideman in Big Bands und in anderen Projekten. Für diese unterschiedlichen Stile ist immer auch eine andere Spielweise notwendig. Das heißt, die Frage, die ich mir ein in der Vorbereitung gestellt habe, ist, wie bleibt man da sowohl im Kopf als auch im Instrument flexibel?
Das ist eine gute Frage, die ich mir auch immer wieder stelle und dabei merke: es kommt durchs Machen. Also einfach gar nicht so viel darüber nachdenken, sondern einfach schauen, okay ich bin jetzt in der Situation, wie kriege ich das jetzt hin? Und man ist ja zum Glück nie alleine auf der Bühne, sondern es hat man auch immer tolle Mitmusiker*innen, die einen inspirieren in ihrer Art, wie sie spielen. Und dann ist das häufig so ein Selbstläufer irgendwie.
Was halt bei mir auch immer gut funktioniert, ist einfach sich vorher die Musik anzuhören, die man spielt. Jetzt nicht unbedingt von der Band selbst, in der man spielt, aber in dem Stil. Zum Beispiel jetzt im Sommer war es auch häufig so, dass wir mit Moop Mama eine Show gespielt haben und am Tag später war Glenn Miller Orchester oder andersrum. Da ist mir aufgefallen, dass wenn ich einfach während der Zugfahrt die Musik höre, die als nächstes ansteht, dann komme ich sofort wieder in so einen anderen Modus und in ein anderes Mindset/Klangideal. Bei Glenn Miller klinge ich anders als bei Moop Mama. Auch Equipment mäßig natürlich.
Hast du das Gefühl, dass du dann jeden Tag in deinem musikalischen Üben diese ganzen Stilrichtungen abdecken musst?
Also ich mache es mich nicht so, dass ich nur noch im Stile von Glenn Miller üben würde, wenn ich wüsste, dass nächste Woche Konzerte anstehen. Ich denke, das eine bedingt auch immer das andere. Selbst wenn ich jetzt zum Beispiel nur Bobby Hackett transkribieren würde oder Louis Armstrong, würde sich ja auch mein komplettes Trompetespielen verbessern, was das moderne Spielen angeht. Das ist ja das Schöne: alles hängt mit allem zusammen – und das sind die Wurzeln.
Aber ich versuche da schon immer auch meinen eigenen Interessen nachzugehen, so was mich gerade selbst musikalisch interessiert. Und dann muss man natürlich auch einfach sich selbst vertrauen und sagen. Für mich hilft es immer total gut, vorbereitet zu sein. Einfach zu wissen, dass ich das Programm geübt habe und ich mich auf mich selbst verlassen kann. Aber ich muss mir selbst nicht vorwerfen: „Ach, hätte ich doch mehr gemacht.“
Also ist am Ende eine mentale Frage, könnte man ja sagen, oder?
Total. Ich glaube das Bild, was man von sich selbst hat, ist da auf jeden Fall sehr entscheidend.
Ich finde, das ist eigentlich ein ganz schöner Anschluss auch zur nächsten Frage. Ich finde, wir hatten ja schon ein paar Mal das Vergnügen gehabt, zusammen zu spielen. Und ich finde, dass das Krasse bei dir ist (und das sage ich nicht nur, weil wir einen Podcast zusammen aufzeichnen), dass man das wirklich bei dir sieht, wie stark du dir selbst beim Spielen vertraust. Du kannst dich absolut auf dich und deine Technik und dein Horn verlassen. Und das finde ich sehr beeindruckend, weil das ist ein langer Prozess, den man so geht. Und das ist vielleicht auch eine ganz schöne Anschlussfrage: Wie schaffst du es da, in dir Vertrauen aufzubauen?
Das ist eine gute Frage. Also auch da, glaube ich, muss ich schon auch wieder Malte danken, Malte Burber, der einfach genau diesen Aspekt, diesen mentalen Aspekt, dass man vielleicht in sich selbst so ein bisschen ruhend ist, sehr geprägt hat. Und aber auch in meinem Studium, was ich in Maastricht bei Rob Bräunen gemacht habe, die waren, Rob ist zum Beispiel auch dadurch, dass er in der WDR Big Band tätig ist, natürlich auch jeden Tag quasi dieser Drucksituation ausgesetzt, dass er weiß, jetzt leuchtet das Aufnahmelämpchen und jetzt muss ich spielen irgendwie und das hat er in seinem Studium auch immer gut vermittelt, dass das mit dazu gehört. Man wusste schon, solche Situationen kommen irgendwann und man lernt jetzt quasi damit umzugehen. Ja, mir hilft es einfach total da bei mir, was wir anfangs auch schon gesagt hatten, Routinen zu haben. Einfach zu wissen, okay, das und das ermöglicht mir dann, das und das zu machen und dann kann ich irgendwie darauf vertrauen. Das ist eine schwierige Frage, die ich jetzt so, mir fallen jetzt gerade tausend Sachen ein, die man irgendwie dazu sagen könnte, das rauszupicken, wo man sagt, das ist jetzt schwierig. Aber ja, ich glaube, ein gutes pädagogisches Konzept zu haben und einfach gute Mentor*innen zu haben, sorgt dafür, dass man irgendwie auch entspannter wird. Beantwortet das so die Frage?
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"