Corinna Danzer ist Musikerin, Pädagogin und Musikvermittlerin, die gerade mit dem Hessischen Jazzpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Nachdem sie erst mit 21 Jahren zur Musik kam ging sie – wie sie selbst sagt – die Jazz-Geschichte einmal rückwärts durch. Während des Studiums hat sie dann natürlich versucht ihre geringe Spiel- und Übe-Praxis möglichst schnell aufzuholen und entwickelte dabei ein paar interessante Strategien.
Auch in ihrem Unterricht verfolgt sie eine sehr besondere Methode, angelehnt an die Music Learning Theory von Edwin Gordon. Dazu habe ich auf dem Blog bereits einen Artikel veröffentlicht. So lernen ihre Schülerinnen und Schüler ganz spielerisch Melodien nach Gehör und wagen bereits sehr früh erste Improvisationsversuche. Jazz-affines Unterrichten eben. Heute fällt ihr manchmal der Einstieg ins eigene Üben schwer – wer kennt es nicht. Aber auch hierfür hat sie ein paar gute Tipps parat, um sich selbst zu überlisten. Seid also gespannt.
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Webseite: www.corinnadanzer.de
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Das Interview mit Corinna Danzer
Inhalt
Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….
Das ist ein sehr komplexes Thema -aber vielleicht in drei Stichwörtern: meine Ruhe haben; Zeit haben; nur das Instrument und ich.
Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?
Nein, aktuell nicht. Das war früher eher so. Allerdings gibt es ein paar Musiker, auf die ich immer wieder zurückkomme: Wayne Shorter, Miles Davis. Vor allem Shorter – besonders die Platten aus den 1960er Jahren, gemeinsam mit Herbie Hancock und Tony Williams.
Im Moment höre ich gerade für ein Swing-Projekt ein Stück von einer Frau heraus: Irene Higginbotham „The Bottle is empty“. Inzwischen versuche ich bei meinen Projekten vermehrt darauf zu achten, auch die weiblichen Anteile in der Jazz-Geschichte sichtbar zu machen.
Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges, und auch populäres, Thema. Ich nenne hier immer gerne Melba Liston als Beispiel, die unter anderem viel für Count Basie geschrieben hat. Du hattest eben bereits Wayne Shorter angesprochen – würdest du sagen, dass er zu den Künstlern gehört, die dich auf dein Spiel bezogen am meisten geprägt haben?
Ich wünschte man würde diesen Einfluss noch mehr hören (lacht).
Gibt es möglicherweise einen anderen Hero, den du früher häufig transkribiert hast?
Transkribieren und Licks üben ist tatsächlich ein wunder Punkt bei mir. Ich habe damals in den 1980er mit 21 Jahren, also sehr spät, mit dem Saxofon spielen angefangen. Damals war in der Göttinger Szene, wo ich herkomme, die Ansicht sehr verbreitet gewesen, dass man niemals andere Musiker kopieren sollte. Diese Haltung hat sich bei mir sehr stark eingeprägt. Im Nachhinein bereue ich dies allerdings, da ich diese Zeit natürlich nicht wieder aufholen kann und daher viel zu wenig transkribiert und Licks geübt habe.
Ich habe in einem Interview mit dir gehört, dass dein erster Berührungspunkt mit dem Jazz ein Free Jazz Konzert war. Ist diese Einstellung auch dadurch geprägt gewesen?
Nein, tatsächlich nicht. Ich bin letztlich die Jazz-Geschichte rückwärts gegangen.
Du sprichst gerade das „Gunter Hampel“-Meeting in Göttingen an. Das war wirklich ein krasser Zufall. Er lief mir in der Fußgängerzone entgegen und ich fand ihn einfach schön. Ein langer, schlaksiger Mann mit grauen Locken. Als ich dann ein paar Meter weitergelaufen bin, sah ich ein Plakat von ihm, dass er dort wohl gerade angebracht hatte. Ich bin anschließend in den nächsten Plattenladen und hörte mir eine seiner Alben („Birth records“) an. Ich fand es allerdings schrecklich. Trotzdem bin ich auf sein Konzert gegangen und war geflashed von ihm und seiner Band. Mir war dann relativ schnell bewusst, dass die Musiker dort das Konzert komplett frei improvisierten. Daraufhin bin ich auf jedes Jazz Konzert in der Region.
Nach drei Jahren wollte ich dann wissen, was in den Köpfen der Musiker vorgeht, während sie spielen. Das war der Grund, warum ich mit dem Saxofon spielen angefangen habe.
Erst durchs Selbstspielen habe ich dann später begriffen, dass es im Jazz eine Liedform gibt, die sich wiederholt. Und, dass die Melodie mit der Harmonie zusammenhängt. Erst dann konnte ich das auch hören.
Das möchte ich heute früher an meine Schülerinnen und Schüler vermitteln. Um ihnen diese Liedform (und das dazugehörige Akkordschema) verständlich zu machen, mache ich immer ein einfaches Experiment: Wir singen dazu „Alle meine Entchen“ und ich sage ihnen, dass sie automatisch Akkorde zur Melodie hören. Natürlich glauben sie mir das nicht. Wir singen daraufhin das Stück und ich begleite mit falschen Akkorden am Klavier die Melodie. Alle stellen natürlich sofort fest, dass das nicht passt. Wenn ich dann die „richtigen“ Akkorde spielen, merken sie, dass sie genau diese Harmonien im Ohr hatten.
Dein Übe-Alltag
Du bist Musikerin, Pädagogin, Musikvermittlerin – auf diesen Teil möchte ich gern später noch genauer eingehen. Kannst du uns zuerst mal mitnehmen in einen typischen Übe-Alltag von dir?
Ehrlich oder unehrlich? (lacht)
Gerne ehrlich.
Möglicherweise bin ich die Erste in deinem Podcast, die nicht mehr gut und strukturiert übt. Ein typischer Alltag ist, dass ich meist zu wenig übe und oft Schwierigkeiten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Allerdings gelingt es mir ihn zu besiegen, in dem ich mir selbst sage, dass ich nur mal eben spielen gehe. Meist lege ich mir dann ein Aebersold-Playalong auf und improvisiere dazu.
Nach ein paar Minuten merke ich dann, wo es klemmt und welche Dinge ich gern vertiefen möchte: z.B. Sound, Timing oder ein Pattern, dass ich mir gefallen hat und, das ich in andere Tonarten transponiere. Sehr schnell überlege ich dann, welche Gigs demnächst anstehen und ich versuche die Inhalte zu kombinieren. Dann bin ich im Üben angekommen. Also eine Mischung aus lustgeleitetem und planvollem Üben.
Früher hatte ich dagegen einen sehr strukturierten Übe-Plan.
Wie hat dieser Plan früher ausgesehen? Hast du zum Beispiel Übe-Tagebuch geschrieben?
Ja, ich habe Zettel geschrieben, sie dann allerdings meist wieder verworfen. Dennoch war es wichtig diese Zettel geschrieben zu haben.
Nachdem ich ein paar Jahre wenig effizient geübt habe, habe ich eine Mindmap erstellt, auf der ich aufgeschrieben habe, was alles zum guten Saxofon spielen dazugehört. Dort habe ich alles notiert, was mir eingefallen ist: Artikulation, Atmung, Zunge, Griffe, Stücke…
Ich habe diese Punkte in drei Felder gegliedert: eine mentale und eine motorische Seite.
Zur mentalen Seite gehören die Felder Gehörbildung, Harmonielehre, Rhythmik, etwas erfinden können.
Die motorische Seite bildet dann Geläufigkeit, Ideen umsetzen können, Atmung, Zunge etc.
Die dritte Säule war dann „the real stuff“ wie Repertoire, wie trete ich auf, wie baue ich ein Solo auf, wie baue ich ein Set auf.
Für alle diese Punkte habe ich mir anschließend überlegt, wo ich dort aktuell stehe und was ich machen muss. Daraus habe ich dann Übe-Pläne geschrieben, die natürlich viel zu lang waren. Dennoch war es extrem wichtig sie als Leitplanke im Kopf zu haben. Dadurch konnte ich effektiver üben.
Ich habe mir beim Üben ein zeitliches Limit vorgegeben, in denen ich bestimmte Dinge gemacht habe. Zum Beispiel 2 Minuten (ohne Ablenkung) Töne aushalten, oder 10 Minuten alle Major-Arpeggios. Anstatt zu sagen „ich übe jetzt mal Major-Akkorde“ hat mir diese Herangehensweise sehr geholfen.
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Jazz-affines Unterrichten
Das kommt dir sicher ja heute bei deinem eigenen Unterrichten sehr gute, weil du weißt, wie kleinteilig du mit Schüler*innen werden musst. Du hast in dem oben bereits angesprochenen Interview beim HR zum „Welt-Jazz-Tag“ deinen pädagogischen Stil als „jazzafines Unterrichten“ bezeichnet hast? Wie kann man sich das vorstellen?
Oftmals ist das Ziel von „klassischem“ Musikunterricht einen „reproduzierenden Musiker“ auszubilden. Das bedeutet, dass man gleichzeitig zum Instrument auch die Notation lernt. Natürlich ist das nur wenig Jazz förderlich.
Das führt uns zu Edwin Gordon und Music Learning Theory (MLT) und Audiation. Also die Leitplanke, dass Musiklernen wie das Lernen unserer Muttersprache erfolgen kann. Hier gibt es sehr viele Parallelen. Gerade für den Jazz ist es sehr viel naheliegender und förderlicher auf diese Art und Weise die Musik zu lernen: Hören, experimentieren und imitieren.
Was ebenfalls dazugehört ist, von Anfang an zu improvisieren (mithilfe von kleinen Pattern-Stücken) und Synkopen zu spielen. Im klassischen Unterricht werden besonders Synkopen erst spät eingeführt, da sie schwer zu lesen sind. Daraus folgt, dass man lange Zeit Melodie spielt, die wenig animierend für die Schüler*innen sind und auch weit weg von ihren Hörgewohnheiten. Alle Kinder hören Synkopen. Dadurch, dass ich ohne Noten am Anfang arbeite, kann ich gleich von Beginn an Synkopen in meinen Unterricht integrieren.
Also was macht Jazz förderlichen Unterricht aus? Keine Noten im ersten Jahr (natürlich gibt es auch Ausnahmen), swingig, Synkopen und improvisieren. Und ganz wichtig: singen first – und zwar alles. Auch Akkorde.
Jetzt sind wir ja mittendrin in der Music Learning Theory von Gordon. Das heißt du verfolgst dieses Konzept „sound before sign“ sehr stringent und gibst deinen Schüler*innen im gesamten ersten Jahr keine Noten?
Ähm, ja. (lacht)
Ich setze die Lehre nicht so streng um, wie sie damals von Gordon erdacht wurde. Bei mir läuft vieles parallel. Das bedeutet, dass die Kinder bereits Stücke lernen, die sie noch nicht audiieren können. Dennoch zieht sich der rote Faden von Gordon durch meinen gesamten Unterricht. Besonders durch die Pattern-Arbeit, sowohl tonal als auch rhythmisch.
Was die Arbeit mit Noten angeht, nutze ich oftmals Gedächtnisstützen und notiere meinen Schüler*innen die Tonnamen. Bei älteren Schüler*innen kann man alternativ auch sehr gut mit Playalongs arbeiten.
Nutz du Audiation auch selbst für dein eigenes Üben? Du hast am Anfang ja erwähnt, dass dein Üben oft mit Improvisation beginnt und du dann Pattern, die dir gefallen in andere Tonarten überträgst. Audiierst du diese dann jeweils?
Vielleicht sollten wir zunächst mal klären, was audiieren genau meint. Audiieren ist ja mehr als nur Voraushören, sondern schließt gleichzeitig auch das Verstehen mit ein. Was die MLT damit meint, ist den Kontext der Musik zu begreifen.
Ein Beispiel: Du erkennst (hörend) und kannst benennen in welcher Tonalität wir uns befinden (Dur oder Moll oder phrygisch, lokrisch etc.) und du erkennst, auf welcher Stufe die Melodie anfängt, z.B. auf der 5. Stufe (so) der Tonleiter. Rhythmisches verstehen meint dann, dass man immer weiß, wo die 1 ist und in welcher Taktart wir uns befinden.
Ein guter Test hierzu ist, „Happy Birthday to you“ in Moll zu singen. Kann man das, ist das Musik-Verstehen nach Gordon.
Nutzt du diese Techniken dann für dein eigenes Üben?
Ja, natürlich.
Du singst dir dann alles vor?
Das ist eine meiner liebsten Übungen. Und auch nicht nur Melodien, sondern auch Akkorde. Das ist auch etwas, das ich bereits vor meinem Studium verstanden habe.
Während meines Schulmusik-Studiums in Oldenburg hatte ich einen langen Weg zur Hochschule. In dieser halben Stude Fußweg habe ich geübt, Walking-Bass-mäßig, Stücke auswendig zu lernen durch singen. Wenn ich mir dann an einer Stelle unsicher war, habe ich mich an der Hochschule dann direkt ans Klavier gesetzt und diese Stelle geübt.
Ich kam hierauf, als ich feststellte, dass besonders die Rhythmusgruppen-Kollegen viel seltener aus der Form geflogen sind, als wir Bläser. Das ist natürlich logisch, wenn man sich überlegt, dass sie die Form nicht nur 2–3-mal spielen sondern 20-mal. Also wusste ich, dass ich auch 20-mal die Form durchgehen musste. Am Saxofon später dann auch.
In meinem Unterricht mache ich das meinen Schüler*innen bereits sehr früh klar.
Hessischer Jazz Preis & Musikvermittlung
Du hast im März diesen Jahres den Hessischen Jazz Preis erhalten – dazu nochmal ganz herzlichen Glückwunsch. Und du hast diesen Preis nicht nur als Instrumentalistin erhalten, sondern auch für deine Rolle als Musik- und natürlich besonders als Jazz-Musikvermittlerin – in dem du dich bereits seit mehr als 20 Jahren engagierst. Woher kommt die Leidenschaft dich gerade hier so einzubringen? Die Musikvermittlung – gerade im Jazz – ist noch ein sehr wenig bekanntes Feld und eher junges Feld oder?
Ich glaube, du täuschst dich. Es gibt schon seit einger Zeit, auch im Jazz, Musikvermittlungsprojekte. Allerdings nur sehr wenige. Ich war auf sehr vielen dieser Kinderkonzerte – und auch in der Klassik sind sie immer nach dem gleichen Muster aufgebaut. Damit war ich nie ganz zufrieden.
Oft funktionieren sie so, dass eine Geschichte erzählt wird, die als roter Faden durch das Konzert führt. Danach richten sich die ausgewählten Stücke. Im Wechsel hören die Kinder dann die Geschichte mit der Musik. Gerade bei den Kinder-Jazzkonzerten fand ich oft die Geschichte sehr ablenkend. Ich als Kind hätte viel lieber gewusst, wie die Geschichte nun weiter geht, als der Musik zu lauschen. Dazu kommt, dass die Musik die dort gespielt wurde, meist kein Jazz war (Sting, Stevie Wonder). Das hat mir nicht gereicht.
Daraufhin habe ich mit einer Freundin und Kollegin, Ulrike Schwarz, gemeinsam überlegt, was wir gern anders machen würden und folgende vier Punkte festgelegt: „echte“ Jazz-Stücke; keine ablenkende Kinder-Geschichte, sondern wenn eine Geschichte erzählt wird, dann sollte sie um die Musik sich drehen; Bildungsauftrag. Und der vierte Punkt war, dass die Kinder Teil des Konzerts sein sollten. Das war besonders Ulrike Schwarz wichtig. So kam es zu unserem Projekt „Jump into Jazz“.
Das zweite Vermittlungsprojekt heißt „Harlem am Main“. Dort geht es um die Swing Jugend in Frankfurt während der Nazi-Zeit.
Dazu gibt es auf deiner Homepage auch ein spannendes Video, in dem ein paar Ausschnitte daraus gezeigt werden. Lass uns zu den letzten beiden Fragen kommen: Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst?
Im Moment lerne ich gerade freies spielen. Meine neue Einspielübung ist „einfach reinblasen und schauen, was kommt“. Auch mit Klappengeräuschen etc. und damit versuchen einen Spannungsbogen von 2-3 Minuten zu erzeugen.
Das andere sind Odd-Meter und Polyrhythmen. Besonders 7er oder 11er Rhythmen mit ihren ungewöhnlichen Aufteilungen. Davor habe ich mich lange Zeit gedrückt.
Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?
Transkribieren und Licks üben. Keine Angst davor haben, dass wir alle gleich klingen. Darauf kam ich viel zu spät. Es ist völlig in Ordnung zu kopieren und zu imitieren.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"
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