Üben ist nicht gleich Üben. Das wissen wir alle. Aber was genau zeichnet effektives Üben aus? Die Wissenschaftlerin Susan Hallam hat hierzu viel geforscht und eine Definition vorgelegt. In diesem Artikel stelle ich vier Tipps und Tricks vor, wie richtiges Üben gelingt.
Effektiv Üben heißt…
Susan Hallam definiert effektives Üben als das, was uns zum gewünschten „Endprodukt“ führt und zwar in so wenig Zeit wie möglich, ohne dabei negative Auswirkungen auf unsere langfristigen Ziele zu haben. Sehr frei übersetzt könnte man auch sagen: Effektives Üben ist eben das, was funktioniert, ohne uns dabei zu schaden (z.B. durch Antrainieren einer ungünstigen Haltung o.Ä.).
Diese Definition zeigt, wie stark effektives Üben von unseren persönlichen und individuellen Fähigkeiten abhängt. Eine Übe-Strategie, die für Person 1 funktioniert, bewährt sich noch lange nicht in gleichem Maße für Person 2. Zum anderen wird jedoch auch deutlich, wie stark der Erfolg beim Üben von der Beschäftigung mit uns selbst abhängt. Was ist damit gemeint?
Um überhaupt einordnen zu können, wie effektiv meine Übe-Einheit war, muss ich mir vor dem Instrumentalspiel Gedanken über das machen, was ich erreichen möchte. Soll ein bestimmtes Lied gelernt oder eine schwere Passage gemeistert werden? Möglicherweise möchte man in der Übe-Einheit auch nur einen Lick in verschiedenen Tonarten spielen können. Wichtig ist, sich darüber im Vorfeld Gedanken zu machen. Noch wichtiger ist es dann allerdings, nach dem Üben selbstkritisch zu schauen, inwiefern die zurückliegende Übe-Einheit auf dieses Ziel eingezahlt hat.
Üben geht nicht mit dem Auspacken des Instruments los
Tipp 1: Der Fahrplan
Studien zeigen, dass es sogar in Musikhochschulen nicht immer gelingt, Studierenden effektive Übe-Strategien an die Hand zu geben, mit denen eine Weiterentwicklung der eigenen musikalischen Fähigkeiten möglich ist . Das betrifft vor allem die Länge unser Übe-Einheiten. Denn, was oftmals unterschätzt wird, ist das ein zu viel üben nicht nur gesundheitliche Folge (z.B. Verletzungen) haben kann, sondern auch negative Auswirkungen auf das gelernte Material hat (siehe: Penelope-Effekt).
Wichtig ist daher auch die kognitive Beschäftigung mit dem Stück:
- Wo liegen schwierige Passagen, die mehr Aufmerksamkeit benötigen?
- Wie teile ich schwierige Stellen sinnvoll unterteilen?
- Wie kann ich eine schwere Stelle schneller spielen? (siehe: 2 zu 1 Technik)
- Welche Funktion hat meine Stimme?
Unser Üben sollte daher nicht erst mit dem Auspacken des Instruments starten. Die kognitive Beschäftigung mit dem Stück (harmonisch, satztechnisch, historisch etc.) stärkt unser Üben ungemein. Ganz nebenbei können sie auch dabei helfen dem Tausendfüßler-Effekt vorbeugen – dazu mehr in der Podcast-Folge mit Prof. Dr. Silke Kruse-Weber.
Möglicherweise hilft es sogar, sich eine Art „Fahrplan“ zu notieren. Welche Passagen benötigen mehr Aufmerksamkeit? Welche Techniken stehen mir zur Verfügung. Bis wann möchte ich das Stück können?
Üben in Chunks
Tipp 2: Schwierige Stellen sinnvoll aufteilen
Ist eine Passage in einem neuen Stück schwierig zu spielen, ist eine gängige Vorgehensweise wiederholen, wiederholen, wiederholen. Effektiv ist dies allerdings nur bedingt. Forschungen aus anderen Fachrichtungen haben gezeigt, dass unser Kurzzeitgedächtnis nur einen begrenzten Speicherplatz hat. Ungefähr sieben „Items“ können darin zeitgleich gespeichert werden.
Für unser musikalisches Üben bedeutet das, dass wir die Länge der zu übenden Stelle (auch Chunk genannt) sinnvoll auswählen sollten. Möglicherweise empfiehlt es sich, die Phrasenlänge anfangs etwas kürzer zu wählen, bevor man sie in größere Chunks überführt. So meistert man nach und nach die einzelnen Schwierigkeiten, ehe die ganze Passage fehlerfrei spielbar ist.
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Üben ohne Ablenkung
Tipp 3: Aus den Augen, aus dem Sinn
In einer Studie beobachteten Wissenschafler*innen 260 Studierende beim Lernen. Im Schnitt wurden sie alle 6 Minuten von ihrem Smartphone oder Laptop aus der Konzentration gerissen. Besonders Social Media Benachrichtigungen sorgten dabei für regelmäßige Ablenkung. Das Smartphone in den Flugmodus zu schalten, sobald man mit dem Üben starten möchte, ist also bereits ein guter Start. Ich arbeite zudem gerne mit der Pomodoro-Technik und verbanne in diesen 25-Minuten Übe-Einheiten mein Handy ganz aus meiner Nähe. Sonst werden die kleinen, fünf-minütigen Pausen doch meist ungewollt länger…
Mini-Pausen während des Übens
Tipp 4: Die richtige Erholung für unser Gehirn
Eine Studie aus dem Jahr 2021 konnte zeigen, dass kleine Pausen von 10-Sekunden einen immensen Einfluss auf den Speichervorgang in unserem Gehirn und somit auch auf unseren Lernerfolg haben.
Wie man in der Abbildung deutlich sehen kann, fand der Lernerfolg ausschließlich in den 10-Sekunden Pausen statt. Nicht jedoch während der 10-Sekunden Übezeit. Im Gegenteil: Mit nachlassender Konzentration sank die Fähigkeiten der Teilnehmer*innen die Aufgabe korrekt auszuführen. Um also effektiv zu üben, sind nicht nur die „großen“ Pausen wichtig. Zum richtigen Üben gehören auch kleine Mini-Pausen für unser Gehirn.
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Down the rabbit hole
Literatur
Hallam, Susan: What do we know about practising? Towards a model synthesising the research lit- erature, in: H. Jørgensen & A. Lehman (Hrsg.), Does practice make perfect? Current theory and research on instrumental music practice (pp. 179–231).
Susan Hallam,Tiija Rinta, Maria Varvarigou and Andrea Creech: The development of practising strategies in young people.
Hallam, Susan: What predicts level of expertise attained, quality of performance and future musical aspirations in young instrumental players? Psychology of Music.
Foto-Credit: Cristina Gottardi
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"