Mentales Üben nach Prof. Christian A. Pohl | what is practice
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Mentales Üben nach Prof. Christian A. Pohl

Wie du ohne Instrument besser wirst

Mentales Üben ist eines der mächtigsten Werkzeuge im musikalischen Übeprozess – und zugleich eines der am wenigsten greifbar erklärten. Im Sport bereits sehr weit verbreitet und vielfach erprobt, wächst ihr Einsatz zunehmend auch in der Musik. Eine Studie aus dem Jahr 2021 konnte zeigen, dass die Kombination aus physischen und mentalen Üben nachweislich die Spielqualität steigerte. Für „Wie übt eigentlich..?“ durfte ich den Leipziger Klavierprofessor Christian A. Pohl besuchen, der im Podcast erklärte, wie mentales Üben wirklich funktioniert – ganz praktisch und alltagsnah.

„Jegliche Form geistiger Beschäftigung mit Musik möchte ich unter dem Begriff des mentalen Übens zusammenfassen.“

Christian A. Pohl

Mentales Üben startet schon morgens unter der Dusche: Wenn dir eine Melodie durch den Kopf schwebt – oder wenn du gedanklich ein Stück durchgehst, das du gerade lernst. Es ist damit nicht eine Alternative zum Üben am Instrument, sondern eine weitere Form des Übens.

Die drei Schlüssel:

Konzentration, Imagination, Suggestion

Als Experte und Autor zahlreicher Fachartikel zum Thema mentales Üben nennt Christian A. Pohl drei Grundfähigkeiten, die für den Erfolg dieser besonderen Übeform entscheidend sind.

  1. Konzentration – geistige Fokussierung auf Klang und Bewegung
  2. Imagination – die innere Vorstellung von Musik, Struktur und Bewegung
  3. Suggestion – sich selbst beeinflussen, motivieren, bestärken

Diese Fähigkeiten sind wie das Fundament eines Hauses – ohne sie bleibt mentales Üben abstrakt. Im Zentrum steht die Imagination. Schauen wir uns sie daher etwas genauer an. Christian A. Pohl unterscheidet sie nochmals in drei Dimensionen.

  • Auditiv: inneres Hören von Melodien und Akkorden
  • Visuell: Vorstellung der Klaviatur oder Notenbilder
  • Kognitiv: Strukturales Denken, z. B. beim gedanklichen Transponieren

Ein konkretes Beispiel

Schau dir das Motiv unten in C-Dur an. Höre innerlich, wie es klingt, wie du es auf deinem Instrument spielen würdest und wie es auf dem Notenblatt aussieht. Nun transponiere es im Kopf nach E-Dur. Nutze dazu alle drei Dimensionen (auditiv, visuell und kognitiv). Gerade beim strukturellen Denken und Transponieren hilft es, die Grundidee des Motivs zu abstrahieren. In diesem Fall ist es eine einfach Umspielung eines Dur-Dreiklangs.

Gestaltungsschichten erkennen

Mentales Üben bedeutet für meinen Gast: Fragen stellen. Zum Beispiel:

  • Wie möchte dieser Ton in den nächsten übergehen?
  • Welche Spannung herrscht in dieser Passage – drängt die Musik oder hält sie inne?
  • Welche Artikulation passt zu dieser Phrase?

Diese Ebenen nennt Pohl Gestaltungsschichten. Besonders faszinierend: das Denken von Musik in Strebekräften (vorwärtsdrängend) und Bremskräften (zurückhaltend). Du kannst diese inneren Prozesse sogar visuell im Notentext markieren – z. B. durch Pfeile, Farben oder Symbole.

Mentales Üben aufschreiben – Gedanken sichtbar machen

„Mentales Üben bedeutet auch, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen.“

Christian A. Pohl

Ein einfaches, aber extrem wirksames Werkzeug: das Übetagebuch. Hier hältst du fest:

  • Was du mental geübt hast
  • Wie du es dir vorgestellt hast
  • Welche Gestaltungsideen du entwickelt hast

So machst du deine Lernprozesse nachvollziehbar – und kannst später gezielt darauf zurückgreifen.

Rastergrafik
Übeplan Vorlage what is practice

Erstelle deinen eigenen Übeplan

Die größte Herausforderung beim Üben ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Genau dabei hilft dir die what is practice Übeplan-Vorlage.

  • Definiere deine Ziele
  • Strukturiere dein tägliches Üben
  • Coaching-Tool zum Visualisieren deiner Stärken und Schwächen
  • Auswertungs-Vorlage, die dich beim Erreichen deiner Ziele unterstützt
  • Übe-Tipps

Mentales und physisches Üben – zwei Seiten einer Medaille

„Einatmen und Ausatmen. Das eine geht nicht ohne das andere.“

Für Pohl ist mentales Üben keine isolierte Methode, sondern ein essenzieller Bestandteil des gesamten Übeprozesses. Gerade bei fortgeschrittenem Niveau ist es oft sinnvoll, weniger zu spielen – und mehr zu denken. Auch die mentale Vorbereitung auf Auftritte gehört dazu:

  • Sich den Raum vorstellen
  • Sich in die Konzertsituation hineindenken
  • Die innere Haltung proben

Mentales Üben ist individuell – aber kein Zufall

„Je mehr ich über ein Werk nachdenke, desto mehr wird es meins.“

Pohl plädiert nicht für eine starre Reihenfolge von mentalen Schritten, sondern für ein bewusstes, vielseitiges Repertoire an Methoden, auf das du je nach Tagesform und Bedarf zugreifen kannst. Wenn du mehr über ähnliche Techniken erfahren möchtest, empfehle ich dir das Interview mit dem Sportwissenschaftler und Erfinder des Differenziellen Lernen Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn. Mentales Üben ist Intuition und System. Beides darf nebeneinander existieren.

Übe klug, nicht (nur) viel

Mentales Üben ist weit mehr als ein Ersatz, wenn das Instrument gerade nicht verfügbar ist. Es ist ein Schlüssel zu tieferem musikalischen Verständnis, zu innerer Souveränität – und letztlich zu mehr Ausdruck und Freiheit auf der Bühne.

Christian A. Pohl zeigt: Wer klug denkt, hört und sich vorstellt, wird nicht nur besser – sondern entdeckt sich selbst neu durch Musik.

Wer schreibt hier eigentlich..?

Patrick Hinsberger auf Treppe mit Trompete
Musiker | Podcast-Host | Blogger |  + posts

Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"

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