Wie lässt sich ein kreatives Leben führen?
Bevor es soweit kommen konnte, dass Ihr nun schließlich diesen Text lesen könnt, starrte ich eine geschlagene halbe Stunde gefesselt auf einen blinkenden Curser auf einem weißen Word-Dokument. Es war 23h00 am Samstag Abend. Eine Gefühl von einsetzender Müdigkeit und meditativer Trance machte sich breit. Das Problem? Es gab keins. Ich hatte mir fest vorgenommen eine kreative Rezension über ein Buch über kreatives Leben zu schreiben. Ein charmanter Einstieg, vielleicht etwas über Achtsamkeit. Oder doch lieber etwas zur besonderen Lebenssituation von Kreativen erzählt? Jedenfalls sollten die ersten Zeilen meine absolute Bewunderung für dieses Buch direkt zum Ausdruck bringen. Falls Ihr es bis hierhin geschafft habt, scheint mein Anfang immerhin nicht allzu verstörend gewesen zu sein.
Die Kunst des richtigen Einstiegs
Noch ist allerdings noch nicht klar, wie meine Phobie vor blinkenden Cursern mit der Lebenswelt von uns Musiker*innen zusammenhängt. Geschweige denn, wie Frank Berzbachs Buch hier weiterhelfen könnte. Klar, das Musiker*innen Dasein zählt zu den kreativen Berufen. Wenn man in Gesprächsrunden erzählt, dass man ein Instrument studiert (hat), erntet man meist bewundernde Blicke und hört Sätze wie „Oh wie schön, du hast dein Hobby zum Beruf gemacht.“ Und ja, über dieses Privileg ist sich sicher jede/r Musiker*in im Klaren. Dass aus dieser Tatsache nicht zwangsläufig ein sorgenfreier Alltag folgt (die Corona-Pandemie und seine verheerenden finanziellen Folgen für die Kulturindustrie seinen an dieser Stelle mal ausgeblendet) kennt freilich ebenfalls jeder von uns. Darüber wird nur (noch) viel zu selten gesprochen.
„Gehirne von Kreativen haben eine erhöhte Anfälligkeit für Verzweiflung, da sie pausenlos Probleme höchster Komplexität lösen. Während die meisten Berufsgruppen damit beschäftigt sind, klar umrissene und vorgegebene Aufgaben zu lösen, stehen Kreative oft vor Herausforderungen, bei denen nicht einmal klar ist, wo genau das Problem liegt.“
Frank Berzbach, Die Kunst ein kreatives Leben zu führen (Seite 115)
Ein Buch als Einladung
Der größte Balanceakt als Musiker*in besteht darin eins mit seinem Instrument zu werden und es doch nicht immer zu sein. Frank Berzbach bringt dies treffend auf den Punkt und sagt, auch wenn man einer Berufung folgt, sollte man Distanz halten, zu dem was man gerade tut. In der Freiheit seiner Passion nachgehen zu dürfen, steckt gleichzeitig die Gefahr sie immer mit sich zu führen: Morgens, nach dem Aufstehen und abends kurz vor dem Schlafen. Das Buch Die Kunst ein kreatives Leben zu führen bietet auf knapp 200 kurzweiligen Seiten Anregungen zur Achtsamkeit. Frank Berzbach, promovierter Psychologe, bedient sich hierbei weltlicher (z.B. Roland Barthes Idiorrhythmie) sowie spiritueller (bspw. Zen-Buddhismus) Modelle, die einem sanft den Spiegel vorhalten. Jedoch niemals mit erhobenem Zeigefinger. Auf jede Problembeschreibung folgt ein konstruktiver Lösungsansatz. Sein Ziel: Den inneren Dialog mit uns selbst eingehen.
„Work-Life-Balance suggeriert, dass Arbeit und Leben zwei Waagschalen seien, die ausbalanciert werden müssten.“
Frank Berzbach, Die Kunst ein kreatives Leben zu führen (Seite 48)
Warum ich das Buch empfehle
Für mich persönlich war die größte Erkenntnis aus dem Buch die der Demut. Auf den „Lauf der Dinge“ im Großen haben wir weniger Einfluss, als wir glauben. „Diese Überschätzung der eigenen Einflussmöglichkeiten führt schnell in die Frustation und am Ende leiden wir an «erlernter Hilflosigkeit».“ (Seite 50) Jeder von uns ist verschieden und im Akzeptieren der eigenen Individualität, im Annehmen seiner ganz persönlichen Stärken und Schwächen besteht für mich der Ausgangspunkt eines zufriedenen, kreativen Lebens. Ähnlich wie ich schon in meinem Beitrag zur Motivation („Fähig ist, wer viel dazulernt“) festestellen durfte, können wir nicht jeden unserer Fehler für immer überwinden. Was wir jedoch können, ist uns im Umgang mit ihnen verbessern. Frank Berzbachs Buch war für mich unweigerlich der Start zu dieser Reise.
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Auf einen Blick
Sprache: Deutsch
Verlag: Hermann Schmidt
Umfang: 194 Seiten
Für wen: Alle kreativ-arbeitenden Menschen
Sonstiges: Gut zehn Seiten Literaturverzeichnis als Anhang, um noch weiter ins Thema einzusteigen. Sehr empfehlenswert !
„Es liegt nicht in den Tätigkeiten selbst begründet, ob sie uns glücklich oder unglücklich machen.“
Frank Berzbach, Die Kunst ein kreatives Leben zu führen (Seite 62)
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"