Üben ist nicht das, was zwischen „ich kann’s noch nicht“ und „klappt“ passiert. Bei Theo Plath, Solofagottist des hr-Sinfonieorchesters und Professor für Fagott, ist Üben eine tägliche Entdeckungsreise: Partituren lesen, hören, mental vorbereiten, langsam spielen — aber immer so, dass es sich von Beginn an nach Musik anfühlt. Das Wichtigste dabei: Immer wieder prüfen, ob die eigene Vorstellung wirklich im Klang ankommt.
Nicht Reproduzieren steht im Mittelpunkt, sondern die Suche nach Ausdruck und Klang. In diesem ausführlichen Gespräch spricht Theo Plath darüber, warum mentales Üben genauso wichtig ist wie das Spielen selbst, wie Langsamkeit Kontrolle schafft, warum fremdes Repertoire neue Klangräume öffnet – und was Musiker vom Schauspiel lernen können.
Das Beste: Theo bringt eine konkrete Übung für Bläser mit, die Kraft, Kontrolle und „Loslassen“ zusammendenkt – und die du sofort in deine Routine einbauen kannst (auch als Prinzip für andere Instrumente)

Über Theo Plath
Theo Plath zählt zu den herausragenden Fagottisten seiner Generation. 1994 in Koblenz geboren, fand er früh zum Fagott. Nach Studien an der Hochschule für Musik und Theater München bei Prof. Dag Jensen wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. beim ARD-Musikwettbewerb. Heute ist er Solo-Fagottist des hr-Sinfonieorchesters Frankfurt und unterrichtet seit 2024 als Professor für Fagott an der HfMDK Frankfurt. Als Solist und Kammermusiker konzertiert er international und ist Gründungsmitglied des renommierten Monet-Bläserquintetts.
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Üben heißt Alltag: Wie Theo Plath übt
Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?
Alltag. Weil es einfach zum Alltag dazugehört, zu üben. Das mache ich im Prinzip immer, fast jeden Tag. Das mache ich auch nicht nur, wenn ich Fagott spiele, sondern auch, wenn ich im Zug sitze und mental übe. Das begleitet mich eigentlich jeden Tag. Pausen gibt es wenig.
Inzwischen mache ich tatsächlich häufiger Pausen vom Instrument, manchmal gezwungenermaßen, weil ich einen Tag nicht dazu komme. Oder weil ich merke, dass es mir guttut, ein oder zwei Tage nicht zu spielen, um wieder ein Gefühl dafür zu entwickeln, was sich unbewusst eingeschlichen hat.
Gibt es aktuell eine Musik, einen Künstler oder eine Künstlerin, die bei dir in Dauerschleife läuft?
Ich höre gerade sehr viel Django Reinhardt. Das macht mir extrem viel Spaß.
Das ist witzig, das habe ich auch manchmal in meiner Playlist drin! Wenn du auf dein eigenes Spiel schaust: Gibt es ein Vorbild, das dich ganz konkret geprägt hat?
Mich auf ein einzelnes Vorbild festzulegen, wäre zu schwer. In fagottistischer Hinsicht habe ich mich stark an Dag Jensen orientiert, bei dem ich auch studiert habe. Sergio Azzolini war und ist bis heute eine große Inspiration. Aber auch andere Künstlerinnen und Künstler: Zum Beispiel Isabelle Faust, eine unglaubliche Geigerin, die so natürlich spielt. Das sind Künstler*innen, bei denen ich denke: Wenn mir das ansatzweise gelingt, so frei und natürlich Musik zu machen, bin ich sehr zufrieden.
Entweder-Oder-Fragen
Ich habe ein paar Entweder-oder-Fragen dabei. Du hast einen Joker. Ich bin gespannt, wie du antwortest, weil es zur Jahreszeit passt. Weihnachten oder Silvester?
Weihnachten.
„100 Days of a Reed“ oder „100 Days of a Sewing Fabric“? Für alle, die nicht Englisch sprechen: In der Fagott-Sprache, sagt man Mundstück oder Rohr?
Rohr.
Also: 100 Tage das gleiche Rohr oder 100 Tage den gleichen Nähstoff?
100 Tage das gleiche Rohr.
Wie läuft die Challenge aktuell?
Die läuft gut. Ich bin bei Tag 26. Ich habe vorher nie gezählt, wie viele Tage ein Rohr wirklich durchhält. Gerade ist es ziemlich konstant. Es könnte also klappen.
Wenn die Folge erscheint, dann sind wir noch nicht ganz bei der Hälfte. Es bleibt also weiter spannend. Orchester oder Kammermusik?
Da nehme ich meinen Joker. Für mich ist das fast das Gleiche. Orchester ist große Kammermusik. Der Unterschied ist, dass es einen Dirigenten oder eine Dirigentin gibt, die eine Richtung vorgibt. Das eigentliche Spielen passiert kammermusikalisch, besonders im Holzbläsersatz, aber auch mit allen anderen.
Ist okay, ein Joker ist ja drin. Alt oder neu?
Alt.
Entdecken oder reproduzieren?
Entdecken.
„Ich versuche im Üben nie zu reproduzieren, sondern zu Suchen und meine Vorstellung zu entwickeln.“
Theo Plath
Üben als Entdeckungsreise
Auf deinem Album spielst du auch Stücke, die ursprünglich nicht für Fagott gedacht sind. Würdest du sagen, dass du in deinem Üben einen ähnlichen Entdeckergeist hast?
Das versuche ich. Ich versuche im Üben nie zu reproduzieren, sondern zu suchen und meine Vorstellung zu entwickeln. Nicht etwas oft wiederholen, bis es klappt, sondern hinterfragen: Ist das, was ich mir vorstelle, genau genug? Passt es zur Musik? Wie komme ich weiter? Üben ist für mich immer ein Entdecken und eine Suche.
Wie sieht dieses Hinterfragen aus, wenn du deine eigene Vorstellung überprüfst?
Es gibt unendlich viele Möglichkeiten zu interpretieren. Bei Standardrepertoire wie dem Mozart-Konzert hat man irgendwann seine Version. Dieses Werk ist kompositorisch unglaublich reichhaltig. Ich setze mich immer wieder mit der Partitur hin und frage mich, ob das, was ich heute lese, zu meiner Interpretation passt. Oft ist das anders als vor ein oder zwei Jahren.
Fremdrepertoire und neue Klangfarben
Wenn du Stücke interpretierst, die nicht für Fagott geschrieben sind, zum Beispiel Debussys Violinsonate: Was lernst du über dich und dein Instrument?
Man entfernt sich von instrumentenspezifischen Eigenheiten. Die Debussy-Sonate klingt auf der Violine ganz anders als auf dem Fagott und hat eine Stimmung, die nicht typisch mit dem Fagott verbunden wird. Ich frage mich: Welche Aspekte dieser Stimmung lassen sich auf dem Fagott umsetzen? Welche Farben brauche ich, die ich sonst nicht benötige? Das ist spannend, neue Seiten am Instrument zu entdecken.
Holst du dir dafür auch konkret Input von Instrumentalistinnen und Instrumentalisten und fragst nach Feedback?
Auf jeden Fall. Bei der Debussy-Sonate habe ich mit der Pianistin gesprochen, die das Werk schon oft mit Geige gespielt hat. Ich habe mich zunächst streng an den Notentext gehalten. Manche Tremolo-Stellen sind auf dem Fagott spielbar, klingen aber technisch statt atmosphärisch. Einmal kam meine Frau, die Geigerin ist, in mein Üben rein und sagte: „Theo, überleg dir, ob du hier Musik machen willst oder Fagott-Zirkus.“ Das lenkt einen zum Glück in die richtigen Bahnen. Es ist eine Mischung aus Selbstentdecken und Hilfe von anderen.
Wenig und oft oder selten und viel?
Wenig und oft. Ja, wenig und oft.
Rück- oder Ausblick?
Vorschau oder Rückschau?
Vorschau.
Was hast du dieses Jahr gelernt, musikalisch gesehen, was du gern mit ins neue Jahr nehmen würdest?
Kann ich das technisch-musikalisch verantworten? Tatsächlich noch mehr Leichtigkeit ins Spiel zu bringen. Das ist mir insgesamt sehr wichtig und hängt natürlich auch von den technischen Möglichkeiten ab. Beim Unterrichten, beim Erklären habe ich selbst etwas verstanden, was mit der Stütze zusammenhängt und wie ich mir vorstelle, wie sie aufgebaut wird. Das hat mir sehr geholfen, alles, was mit Unmittelbarkeit im Spiel zu tun hat, mit mehr Leichtigkeit umzusetzen.
Also hattest du einen Aha-Moment in einem Unterrichtskontext?
Genau, ja.
Musik oder Schauspiel?
Musik oder Schauspiel?
Für mich Musik.
Die Frage ist ja nicht ohne Grund. In den Vorabfragen, die ich dir geschickt habe, hast du gesagt, eine Frage, die du gern mal gestellt bekommen würdest, wäre: Was haben Musik und Schauspiel gemeinsam? Ich bin sehr neugierig auf deine Antwort.
„Im Prinzip machen wir etwas sehr Ähnliches: Wir haben einen vorgegebenen Text – egal ob Worttext oder Notentext – und müssen ihn im Moment des Vortrags so vermitteln, dass es wirkt, als entstünde er genau jetzt, aus unserem Inneren heraus. Das ist eine große Gemeinsamkeit.“
Theo Plath
Gemeinsamkeiten von Musik und Schauspiel
Das wollte ich tatsächlich immer schon mal gefragt werden, weil das ein Aspekt ist, der meiner Meinung nach viel zu wenig beleuchtet wird. Ich bin darauf gestoßen worden durch eine Freundin von mir, die Schauspielerin ist und auch klassischen Gesang studiert hat. Sie hat ihre Abschlussarbeit an der Schauspielschule über das Thema geschrieben, wie sich Schauspiel – in ihrem Fall eine spezielle Technik, das sogenannte gestische Sprechen – auf das Spielen eines Blasinstruments übertragen lässt. Das war für mich sehr augenöffnend, weil viele Dinge aus dieser speziellen Schauspieltheorie viel treffender beschrieben waren als das, was ich aus der Musikwelt kannte.
Im Prinzip machen wir etwas sehr Ähnliches: Wir haben einen vorgegebenen Text – egal ob Worttext oder Notentext – und müssen ihn im Moment des Vortrags so vermitteln, dass es wirkt, als entstünde er genau jetzt, aus unserem Inneren heraus. Das ist eine große Gemeinsamkeit. Daraus ergeben sich viele Fragen: Wie entsteht Ausdruck? Wie löse ich bei meinem Gegenüber eine Emotion aus, die ich nicht kontrollieren kann? Ich kann etwas präsentieren und mir viel dabei denken, aber ich habe keine Kontrolle darüber, was im Gegenüber passiert.
Ein Beispiel: Wenn ich musikalisch von Liebe oder großer Freude erzählen möchte und auf der Bühne angespannt bin oder mich nicht wirklich freudig fühle, ist das nicht entscheidend. Es reicht, wenn das Erklingende eine bestimmte Gestik, Form und Klangfarbe hat. Das kann mein Gegenüber mitreißen. Ich muss nicht selbst alles fühlen, was mein Publikum fühlen soll.
Mega spannend. Das ist ein Vergleich, den ich so noch nie gehört habe. Die Schnittmengen liegen eigentlich nahe, weil wir alle Bühnenkünstlerinnen und -künstler sind. Sehr spannend. Vielleicht sogar Stoff für eine eigene Folge – mit deiner Kollegin.
Ja, auf jeden Fall.
Entspannung, Alltag und Rhythmus
Sofa oder Spaziergang?
Spaziergang.
Ist das die Art, wie du dich am besten entspannen kannst?
Eigentlich schon. Ich brauche manchmal Überwindung, um rauszugehen, aber die Erfahrung zeigt, dass es mir guttut.
Das kenne ich. Und die letzte Frage: Frühaufsteher oder Nachteule?
Nachteule.
Der ideale Übetag: Wann fühlt er sich gelungen an?
Wenn wir in deinen Übealltag reinzoomen: Wie sollte der aussehen, damit du abends sagen kannst, das war ein gelungener Übetag?
Wenn ich das Gefühl habe, ich habe etwas verstanden und bin weitergekommen. Es muss keine bestimmte Dauer sein. Ich muss nicht drei, vier oder fünf Stunden geübt haben. Wenn ich bei mindestens einem Aspekt merke, dass es abends besser geht als morgens, dann bin ich zufrieden.
Das ist ein hoher Anspruch. Hast du das regelmäßig?
Eigentlich ja. Manchmal sind es größere Dinge, manchmal nur eine kleine Verbesserung an einer Stelle. Aber dass es etwas bringt, erlebe ich zum Glück meistens.
„Ich muss nicht drei, vier oder fünf Stunden geübt haben. Wenn ich bei mindestens einem Aspekt merke, dass es abends besser geht als morgens, dann bin ich zufrieden.“
Theo Plath
Aufbau und Struktur des Übens
Wenn du die Bestandteile deines Übens anschaust: Wie ist das aufgebaut? Was gehört immer dazu und was variierst du je nach Konzert- oder Repertoireanforderung?
Ich bin nicht übermäßig strukturiert. Ich habe eine grobe Vorstellung davon, was Üben beinhalten sollte, bin dabei aber nicht dogmatisch. Ich arbeite keine feste Routine ab. Ich versuche meist, eine Einspielübung zu machen, die Luft, Ansatz und den gesamten Spielapparat gut einstellt. Ehrlich gesagt mache ich das nicht immer. Manchmal spiele ich auch direkt los.
Das empfinde ich nicht nur als Nachteil, weil ich möchte, dass sich Fagott-Spielen möglichst nah am Alltag anfühlt. Wenn ich das Instrument in die Hand nehme, kurz das Rohr checke und direkt spielen kann, ist das etwas, das ich mir wünsche. Manchmal übe ich mir dieses Einspielen dadurch gleich mit an.
Im Idealfall mache ich ein oder zwei Übungen zur Grundeinstellung und übe dann das, was ansteht. Aus reiner Lust ein Stück zu üben, ist ein seltener Luxus. Meistens bereite ich konkrete Konzertprogramme vor.
Das Üben muss auch nicht immer am Instrument stattfinden. Ich arbeite viel mental. Bei neuen Orchesterprogrammen höre ich mir zuerst Aufnahmen an und schaue die Noten durch. Schwierige Stellen lese ich sehr genau, sodass ich jeden Ton kenne, bevor ich ihn spiele. Das mache ich auch bei neuen Solostücken. Da vergehen oft mehrere Stunden des reinen Anschauens, bevor ich den ersten Ton spiele.
Danach spiele ich viel. Ich trenne für mich nicht streng zwischen Üben und Spielen. Auch langsames Spielen mache ich mit Ausdruck und Phrasierung, nur in einem Tempo, das ich kontrollieren kann.
Werkzeuge zum Entdecken beim Üben
Du hast vorhin gesagt, dass dir Entdecken wichtiger ist als Reproduzieren. Welche Werkzeuge nutzt du konkret, um abends sagen zu können: Ich habe etwas verstanden und verbessert?
Bei technischen Stellen ist es immer eine Kombination aus mehreren Dingen. Wenn eine Tonfolge nicht eingängig ist, spiele ich sie sehr langsam, sodass sie sich wie eine Melodie anfühlt, die ich innerlich mitsinge – auch mal vorwärts und rückwärts. So kommen die Töne nicht nur in die Finger, sondern auch in die Luft.
„Ich vergleiche das gern mit Slotcar Racing auf einer Carrera-Bahn: Die erste Runde fährt man langsam. Wenn das Ziel ist, nicht rauszufliegen, kommt das Tempo von selbst.“
Theo Plath
Für mich ist es stark eine Tempofrage. Wenn ich das Tempo weit genug reduziere, kann ich alles fehlerfrei spielen. Ich vergleiche das gern mit Slotcar Racing auf einer Carrera-Bahn: Die erste Runde fährt man langsam. Wenn das Ziel ist, nicht rauszufliegen, kommt das Tempo von selbst.
Schönes Bild.
Wenn ich mir eine Stelle zehn oder fünfzehn Minuten so anschaue und den Fokus darauf lege, möglichst fehlerfrei zu spielen, wird sie automatisch schneller.
Ein weiteres wichtiges Werkzeug betrifft Blasinstrumente allgemein: Pro Ton sind oft viele Finger beteiligt, beim Fagott manchmal bis zu acht. Das läuft meist automatisch. Aber manchmal muss ich mein Unterbewusstsein daran erinnern, was jeder Finger eigentlich tut. Wenn eine Tonverbindung nicht sauber ist, nehme ich mir viel Zeit, greife den Ton, mit oder ohne zu spielen, und gehe jeden Finger bewusst durch. Wenn mich beim Wechsel ein Finger überrascht, wiederhole ich das.
Das kann für einzelne Tonverbindungen sehr lange dauern, aber ich habe das immer als extrem effektiv erlebt.
Mentales vs. physisches Üben
Reinzoomen & Verstehen
Mehr zum Mentalen Üben
Also auch da wieder eine Kombination aus mentalem und physischem Üben. Ich finde das ganz schön, du beschreibst das sehr als einen Superzoom, also wirklich so in die Stelle genau reinzoomen, herausfinden, wo eigentlich der Hase begraben liegt, wie man so schön sagt. Aber immer mit dieser Intention, von Anfang an Musik machen zu wollen, also diesen Ausdruck beizubehalten.
Du hast in einem Interview, was ich in der Vorbereitung gesehen habe von dir, gesagt, dass vor allem für diesen Entdeckergeist bzw. diese künstlerische Vision am Anfang vor allem der Professor sehr geholfen hat und dir quasi immer den nächsten Schritt gezeigt hat, wo es hingehen könnte. Den hast du inzwischen nicht mehr, das heißt die Aufgabe liegt bei dir.
Woher kommt typischerweise dann Inspiration für genau diese künstlerischen Visionen oder diesen Entdeckergeist, Ideen für Sachen, die man probieren kann?
Ich versuche das eigentlich immer in der Musik zu suchen. Also es gibt ja manche, ja ich sag mal musikalische Regeln. Also jetzt ganz profanes Beispiel, in einem Vierertakt ist halt die Eins am meisten betont, normalerweise, und die Drei auch. Allerdings ein bisschen weniger. Oder zum Beispiel in der Barockmusik: Töne nebeneinander eher lang, ab einer Terz kürzer, artikuliert auf die Dominante phrasieren und zur Tonika auflösen.
Artikulation hat natürlich auch einen großen Einfluss: Wo schreibt der Komponist jetzt ein Legato, wo fängt das an, auf welchem Ton, was macht das mit der Musik? Und ich versuche im Prinzip Musik wirklich zu lesen und zu verstehen: Was soll mir das jetzt sagen? Und ich probiere da tatsächlich auch einfach viel aus, also gerade bei Artikulation: Wie hätte er oder sie das jetzt eigentlich noch schreiben können und was macht das mit dem Charakter? Und das macht mir auch wirklich viel Spaß, damit kann ich sehr viel Zeit verbringen, einfach rum zu probieren und zu versuchen, immer näher an das zu kommen, was ich gerade als Kern betrachte. Also würde ich auch sagen: Bei fast jeder Aufnahme, die ich gemacht habe, ein halbes Jahr später dachte ich: Ach komm, ich hätte es doch anders machen können. Das ist immer ein Prozess.
Und tatsächlich ansonsten auch viel aus der Kunst generell: Malerei lässt mich gerne inspirieren. Oder auch – klingt vielleicht ein bisschen blöd – einfach auch Orte, an denen Komponisten gewirkt haben. Also ich war vor zwei Jahren mal in Thüringen in Arnstadt, da wo Bach in seiner Jugend als Organist gewirkt hat, und auch in seiner Traukirche, wo er geheiratet hat. Und das hat eigentlich mein Bild von seiner Musik verändert, weil für mich war Bach, also sowieso natürlich das Genie non plus ultra, aber das war immer dunkel und tief in meiner Vorstellung. Ich habe immer gedacht: Ja, Kirchen, okay – Kathedralen hatte ich da im Kopf. Naja, und dann komme ich in die Kirchen, wo er tatsächlich gespielt hat, und die waren alle total hell und eher hölzerne Kirchen: total hell, total leicht, total verspielt. Und irgendwie vor dem Hintergrund – wenn ich jetzt davon ausgehe, dass auch er sich von der Umwelt beeinflussen lassen hat und natürlich von der Zeit, in der er gelebt hat – dachte ich: Okay, vielleicht ist das alles doch auch verspielter und leichter, als ich das mir vorher vorgestellt habe.
Oder zum Beispiel in Venedig, in der Kirche, wo Vivaldi gespielt hat. Wenn man dann rauskommt und direkt auf den Canal Grande sieht und denkt: Okay, also das hat er alles so gesehen. Und gerade in Venedig hat sich wenig getan seitdem. Das ist wahrscheinlich alles irgendwie mit da eingeflossen. Und da kommen die Bilder schon von selbst, würde ich sagen.
Das finde ich eine schöne Herangehensweise, zu gucken, was der Komponist damit wirklich gemeint haben könnte. Tabea Zimmermann hat mal so schön im Podcast gesagt, dass sie sich oft bei Komponisten, von denen sie weiß, die Stücke sind am Klavier entstanden, ans Klavier setzt und versucht nachzuvollziehen, wie das auf dem Klavier gemeint sein könnte. Um auch da dem Komponisten so nahe wie es geht zu kommen. Das ist eine ähnliche Herangehensweise, wie bei dir auch.
„Und ich erwische mich doch immer wieder dabei, dass ich übend spiele und dann klappt das irgendwie wunderbar – und dann drücke ich auf Aufnehmen und dann fühlt sich das auf einmal anders an.“
Theo Plath
Aufnehmen im Übe-Prozess
Nutzt du denn auch Aufnahmetools auf dem Handy zum Beispiel, um dann auch abzugleichen, ob deine Vorstellung mit dem, was dann entstanden ist, an Material auch stimmt oder machst du das ohne Aufnahmen und so Sachen?
Beides. Also ich habe tatsächlich jetzt mit Aufnehmen nicht mehr so eine Routine, dass ich immer übe und dann aufnehme und checke. Das habe ich im Studium tatsächlich mehr gemacht, mich aufzunehmen. Inzwischen kommen die Aufnahmen mit dem laufenden Prozess. Also ich bin ja hier in Frankfurt beim HR-Sinfonie-Orchester und da werden wir sowieso dauernd aufgenommen. Und gerade wenn wir zum Beispiel ein Konzert haben mit Livestream und morgens dann die Generalprobe mitgeschnitten wird, dann lasse ich mir tatsächlich immer wieder auch die Aufnahmen dann von den Tonmeistern schicken und gucke halt, ob das so passt. Und ab und zu nehme ich mich auch auf.
Jetzt zum Beispiel gerade mit dieser 100 Days of a Reed-Challenge, die ich mache, da nehme ich mich wesentlich öfter auf als sonst. Was ich zum einen für die Spiegelung der Aufnahme interessant finde, um zu hören: Wie klingt das eigentlich, was ich mache? Aber auch, um mich selbst im Aufnahmeprozess zu beobachten. Und ich erwische mich doch immer wieder dabei, dass ich übend spiele und dann klappt das irgendwie wunderbar – und dann drücke ich auf Aufnehmen und dann fühlt sich das auf einmal anders an. Und eigentlich benutze ich inzwischen Aufnahmen vor allem dazu, um das zu simulieren und zu schauen: Okay, was ändere ich jetzt vom übenden Spielen zur Aufnahme, was aber nicht hilfreich ist.
Das stimmt, das ist ganz interessant, sich da zu beobachten, wie man – obwohl man in seinem gewohnten Setting ist – also zu Hause sich aufnimmt, trotzdem so eine Nervosität, ähnlich wie bei einem Konzert, entwickelt.
Genau, ja. Und tatsächlich, vielleicht kann ich das noch erzählen: Als ich hier angefangen habe im Orchester und auf einmal die Möglichkeit hatte, mich einfach ganz regelmäßig höchst professionell aufgenommen zu hören – wo man auch wirklich weiß, okay, das spiegelt jetzt wirklich das wider, was ich gemacht habe – war ich tatsächlich auch oft überrascht. Also weil du ja auch gefragt hattest: Nimmst du das als Kontrolle? Und da hatte ich das tatsächlich immer mal wieder, dass ich in einem Konzert mir dann, wer weiß, was vorgestellt habe: Und jetzt bringe ich noch die Farbe da rein. Und dann höre ich mir die Aufnahme an und denke: Das hört man ja alles überhaupt nicht. Also manchmal auch desillusionierend, aber auf jeden Fall interessant, was denn den Weg ins Ohr findet und was auch nicht.
Ja, das stimmt, ja. Ja klar, man ist halt auch beim HR Teil von einem ganz großen Klangkörper auch, ne. Das ist ja nicht, je nachdem, wie groß ihr euch da aufstellt, einer von vielen auch dann?
Das auch. Und es gibt natürlich immer mal wieder schöne Fagott-Soli, die man dann spielen darf und sich dann auch etwas isolierter hört.
Vom Üben zum Unterrichten: Aha-Momente und Lernen von Studierenden
Ich würde gerne noch einen Schwenk machen, bevor wir zu deiner Übung kommen, zum Unterrichten. Du hast vorher so schön gesagt, dass dein Aha-Moment in diesem Jahr vor allem im Unterrichten stattgefunden hat, dass du was über die Stütze gelernt hast, was dir vorher noch nicht so klar war.
Was würdest du sagen, was du am meisten von deinen Studierenden lernst?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass die Arbeit mit den Studierenden vor allem mir Anlass gibt, mir einfach ganz genau zu überlegen, was ich eigentlich mache oder was auch die eigentlich machen sollten. Ich versuche zu vermeiden, zu allgemein zu sein und zu sagen: Ja mach mal da ein bisschen mehr Linie oder so. Sondern ich versuche dann wirklich zu überlegen: Okay, wie genau machen wir das jetzt?
Und zum Beispiel das mit der Stütze, das war auch eine Sache. Also ich hatte so eine ungefähre Idee davon, wie soll sich jetzt Stütze anfühlen. Aber wenn ich dann ganz ehrlich war: Ganz genau, okay, was mache ich denn da genau? Wusste ich dann eigentlich auch nicht. Und dann ist es in dem Moment einfach eine Gelegenheit für mich, genau zu überlegen, was mache ich da. Und natürlich auch: Meine Studierenden, die haben ja jetzt nicht nur Einflüsse von mir, sondern auch von anderen. Und da kommen auch immer wieder dann Sachen hoch, wo ich mir denke: Ja stimmt, das ist total richtig. Also auch technische Sachen, die die dann bei anderen Lehrern oder Lehrerinnen mitgenommen haben. Auch einfach Ideen, die die haben natürlich. Und da kann ich eigentlich aus jedem Unterrichtstag für mich was mitnehmen.
Ich habe eine Frage von einem letzten Gast mitgebracht, die nämlich genau in diese Richtung auch geht. Und zwar wollte Ulrich Menke wissen, wie wir Schülerinnen oder Studierenden das Gefühl von Autonomie vermitteln können.
Ich würde sagen, wenn wir ihnen die Werkzeuge geben, ihre musikalische Vorstellung umzusetzen. Also wenn wir nicht vorgeben: Du musst das da lang und kurz machen zum Beispiel und guck mal wie du es machst, sondern eher: So kannst du hin phrasieren, wo du willst. Und vielleicht schlage ich dir jetzt vor, da hin zu phrasieren, aber vor allem die instrumentalen Möglichkeiten an die Hand geben, dass sie die musikalische Gestaltung dann umsetzen können, die sie wollen.
Vielleicht auch noch Vorschläge machen – ich habe ja früher schon mal von den Regeln gesprochen – und gucken: Wie kann man die Regeln auf dieses Stück anwenden? Und eher den Prozess einer Interpretation versuchen gemeinsam zu erarbeiten, als jetzt nur die Interpretation an sich.
Das finde ich schön. Ich würde gerne zur Musik machen kommen, ich bin sehr gespannt auf deine Übung, die du mitgebracht hast.
Die Übung von Theo Plath
Eine Übung für Kraft, Kontrolle und Loslassen
Also es ist eine Übung, die wahrscheinlich vor allem für Blasinstrumente interessant ist. Ich fange auf dem tiefsten Ton des Fagotts an und gehe dann chromatisch in immer höher. Und zwar ist es dazu da: Für die höheren Töne brauchen wir mehr Kraft, damit sie auch kraftvoll herauskommen. Und dann ist die Frage, wie setze ich diese Kraft ein. Die soll so gelöst und so zielgeführt sein, dass sie sich nicht in Festigkeit manifestiert, sondern dass ich sie jederzeit wieder reduzieren kann.
Und dazu nehme ich die Legati als Anlass. Wenn nämlich das Legato nach unten nicht funktioniert, heißt das, dass ich auf dem Weg nach oben etwas verkrampft habe, was ich jetzt nicht mehr loslassen kann. Damit ich dafür ein Gespür bekomme, fange ich unten an mit ganz kleinen Tonschritten, und das wird dann immer weiter.
Gast:
Musik
Es funktioniert für mich tatsächlich nur, wenn ich merke, ich bin mit Stütze, Luftführung, Fingern und der ganzen Einstellung vom Mundraum her so eingestellt, dass alles maximal fließt und nichts blockiert. Dann funktioniert das. Sonst wird es schwierig.
Variieren im Entdecker-Modus: Spannung erkennen und lösen
Wenn du jetzt da in so einen Entdecker-Modus reingehen würdest: Wie würdest du das variieren, wenn du merkst, okay, nach unten habe ich wahrscheinlich etwas angespannt, was zu viel ist, um das zu lösen?
Dann würde ich erst mal in mich hineinhorchen, was ich eigentlich mache. Ich habe eine grundsätzliche Vorstellung davon, wie sich das Spielen anfühlen soll, nämlich möglichst natürlich.
Wenn ich zum Beispiel anfange zu spielen und unwillkürlich den Kopf nach vorne strecke, bringt das Spannung rein, das hilft nicht. Dann spiele ich nochmal und lenke meinen Fokus darauf, dass ich den Kopf freilasse und nicht nach vorne strecke. Dann fühlt sich das wahrscheinlich schon besser an.
Wenn es dann klappt, gehe ich weiter nach oben. Wenn es immer noch nicht funktioniert, suche ich weiter. Dann schaue ich: Bin ich mit der Stütze da, wo ich sein möchte? Ist meine Vorstellung davon, wie Stütze sein muss, richtig? Oder ist da vielleicht doch eine Festigkeit drin, die ich vermeiden kann? Also tatsächlich viel ausprobieren. Das hängt bei mir zusammen.
Vielen Dank, das war eine schöne Übung. Ich finde es interessant, dass Übungen oft viel mit Realitätsabgleich zu tun haben. Man hat eine Idealvorstellung und gleicht sie mit der Tagesform ab und versucht, das im Üben anzugleichen.
Das ist ja quasi so: Ich war letztes Wochenende auf einem Vortrag von Eckart Altenmüller, der das mit einer schönen Asymptote verglichen hat, die immer über uns liegt und unser Können immer knapp darunter, und die Linien sich eigentlich nie treffen. Im besten Fall motiviert uns das jeden Tag, dranzubleiben. Und es geht immer darum zu schauen, wo es hingehen kann und was man dafür tun muss. Wie du gerade so schön sagst: in sich hineinhorchen, fühlen und spüren, was man loslassen und verändern kann, um dem Ziel im Kopf möglichst nahe zu kommen. Das finde ich sehr schön. Vielen Dank nochmal, dass wir das machen konnten.
Lampenfieber bei Probespielen und Wettbewerben
Ich habe, bevor wir langsam zum Ende kommen, noch eine Frage, die sich bei einem Blick auf deine Biografie fast aufdrängt. Du hast früher viele Probespiele und Wettbewerbe gemacht und unter anderem den dritten Platz beim ARD-Wettbewerb gemacht. Wahrscheinlich der renommierteste Preis in der Klassik-Welt überhaupt.
Du bist seit sechs Jahren beim HR angestellt, auch da gab es Probespiele. Und wir hatten es vorher schon bei deiner Challenge: dieser rote Knopf beim Aufnehmen. Wie gehst du mit Lampenfieber um?
Ich versuche, mich an die Situationen zu gewöhnen, Körperbewusstsein zu entwickeln und das auch schon beim Üben einfließen zu lassen. Ich versuche Bewegungsmuster zu vermeiden, die sich in einer Auftrittssituation verstärken und in Anspannung führen. Und ich reflektiere darüber, wovor ich eigentlich aufgeregt bin, ob das gerechtfertigt ist und ob das Sinn macht. Und manchmal hilft es auch zu denken: Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Die Gedanken sind oft schlimmer als die Realität.
Ist das etwas, was du mit Kolleginnen und Kollegen besprichst oder eher mit dir selbst ausmachst?
Das mache ich eher mit mir selbst aus.
Wie bereiten sich Profi-Musiker auf das Probespiel vor?
In diesem Beitrag findest du die wichtigsten Tipps zur Vorbereitung auf dein nächstes Probespiel. Im Interview verrät Annemarie Gäbler, wie ihr Probespiel beim MDR Sinfonieorchester erfolgreich verlaufen ist!
Ich habe gestern ein Video auf Instagram gesehen, das passt hier ganz gut. Es ging um einen Piloten: Ein Gewitter zog auf, und der eine sagte, wir fliegen da jetzt rein. Der andere sagte, nein, das ist ein Gewitter, wir müssen umdrehen. Und die Quintessenz war: Man kann eigentlich erst entscheiden, wie man reagiert, wenn man da ist. Man kann sich vorher ausmalen, wie schlimm alles wird, wie bei einem Konzert. Diese Gedanken sind meist viel schlimmer als das, was in der Realität eintritt. Und man kann beeinflussen, wie man reagiert, indem man bestimmte Dinge tut.
Ja, das auf jeden Fall. Wie ich mich dann fühle, weiß ich wirklich erst in dem Moment. Aber es gibt Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, ich kann einwirken. Zum Beispiel: Was ist eigentlich mein Ziel? Muss ich mich im Konzert total toll fühlen, um ausdrucksvoll spielen zu können? Oder reicht es, wenn ich weiß, wie ich eine Phrase gestalten möchte, wo ich hin phrasieren will, wie ich das Vibrato einsetze, wie ich einen Ton hervorhebe? Je genauer meine Vorstellung ist, desto machbarer kommt mir das vor. Und desto weniger bin ich abhängig davon, dass alles perfekt passen muss. Klar, im Flow zu sein ist die schönste Variante. Aber ich möchte vor dem Fall, dass das nicht eintritt, keine Angst haben.
Was lernst oder übst du gerade, was du noch nicht so gut kannst? Das darf auch nicht musikalisch sein.
Konzentrieren. Ich bin darin nicht sehr gut, ganz ehrlich. Und ich würde sagen, die meisten Fehler im Konzert passieren mir, weil ich für einen kurzen Moment abschweife und dann nicht konzentriert bin. Das versuche ich gerade zu lernen.
Hast du Tipps für uns, wie du das angehst?
Mich oft daran erinnern, dass ich das möchte. Und auch beim Üben: Wenn mir etwas in den Kopf kommt und es wirklich dringend ist, schreibe ich es mir kurz auf. Ansonsten versuche ich, den Gedanken weiterziehen zu lassen und ihm nicht nachzugehen. So übe ich das.
Also typische Achtsamkeits- oder Meditationsbilder, wie Autos, die vorbeiziehen können.
Ja, genau, in die Richtung.
Ja, das ist ein typischer Neujahrsvorsatz: sich besser zu konzentrieren. Finde ich gut, das würde ich bei mir auch sagen.
Und jetzt nochmal ein Rückblick auf deine eigene Studierendenzeit: Um welchen Tipp wärst du damals froh gewesen, ihn schon gehabt zu haben, aus heutiger Sicht?
Tatsächlich diese ganze Sache mit dem Schauspiel. Bei allem, was ich vorher schon mitnehmen durfte, war das für mich eine ganz neue Dimension von Freiheit im Spielen und von Möglichkeiten, über die ich mir vorher nicht im Klaren war und in denen ich das Gefühl habe, mich sehr verwirklichen zu können.
Das ist spannend. Das finde ich einen sehr schönen Schlussgedanken. Ganz herzlichen Dank, Theo, es hat großen Spaß gemacht.
Mir auch, vielen Dank.
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"
