Was ist retrosequenzielles Übung (RSÜ)?
Retrosequenzielles Übung (kurz: RSÜ) ist eine hochwirksame Übe-Methode, bei der du nicht vom Anfang, sondern vom Ende einer schwierigen Passage übst. Klingt ungewöhnlich? Ist es auch – und gerade deshalb so effektiv. RSÜ nutzt deine kognitiven Ressourcen da, wo sie am meisten gebraucht werden: bei der (letzten) heiklen Stelle, nicht beim x-ten Durchlauf vom Anfang.
Der Ansatz basiert auf neurophysiologischen, motivations- und lernpsychologischen Prinzipien – und ist besonders nützlich bei komplexen, technischen oder mental herausfordernden Übesequenzen.
Mehr über die wissenschaftlichen Hintergründe findest du auch im Beitrag „Fähig ist, wer viel dazulernt“.
Warum funktioniert RSÜ so gut?
1. Volle Konzentration für die schwierige Stelle
Gerade am Anfang des Übens ist dein Fokus maximal. Mit RSÜ platzierst du die schwierige Stelle genau in diesen Moment.
2. Motivation durch sofortiges Gelingen
Erfolge setzen Glückhormone frei. Wenn die letzte Stelle sitzt, hast du sofort ein Erfolgserlebnis – das motiviert!
3. Übe-Zeit wird effizienter genutzt
Statt zehnmal von vorn, gehst du direkt an die kritische Stelle. So sparst du Energie und Zeit.
4. Auftrittssicherheit durch Abschlusskompetenz
Du übst nicht nur den Anfang perfekt, sondern lernst, Stellen sicher zu beenden. Genau das brauchst du auf der Bühne.
Diese Vorteile ergänzen wunderbar die Prinzipien aus dem Artikel „Wie geht effektives Übung?“. Auch im „Wie übt eigentlich..?“ Podcast-Interview mit Schlagzeuger Benny Greb haben wir uns intensiv mit effektiven Übemethoden beschäftigt.


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Schritt-für-Schritt-Anleitung: So funktioniert RSÜ in der Praxis
1. Zielpassage markieren
Wähle 4–8 Takte, die dir Probleme bereiten – das kann auch mitten im Stück sein.
2. In sinnvolle Einheiten gliedern
Teile die Passage in Takte, Motive oder rhythmische Phrasen.
3. Mit dem letzten Abschnitt beginnen
Spiele diesen korrekt ein paar Mal hintereinander. Achte auf Klang, Artikulation und Dynamik.
4. Schrittweise erweitern
Hänge den Abschnitt direkt davor an und spiele erneut einige Wiederholungen. Dann den nächsten usw.
5. Ganze Passage zusammensetzen
Am Ende spielst du die Stelle flüssig – vom Anfang bis zum Ende.
💡 Wenn du hängst:
- Tempo reduzieren
- Passage verkleinern (aber Tempo halten)
Diese Methode harmoniert hervorragend mit den Forschungsergebnissen zum „Langsamen Üben“(Link zu Steady).
RSÜ: Theorie trifft Praxis
Die Methode ist nicht neu, aber wissenschaftlich fundiert und vielfach erprobt. Laut Dr. Frank Liebscher, der RSÜ auf dem VdM-Kongress 2011 präsentierte, basiert die Methode auf der rückwärtsgerichteten Erweiterung automatisierter Sequenzen. Das heißt: Du stabilisierst das Ende zuerst, und erweiterst dann schrittweise nach hinten.
Dieses Prinzip hilft, mentale Blockaden zu durchbrechen, Automatismen gezielt aufzubauen und mit Stress besser umzugehen – ein Aspekt, den ich auch im Gespräch mit Dr. Daniel Scholz in „Mentale Gesundheit in der Musik“ weitergeführt habe.
Wann und für wen ist RSÜ besonders sinnvoll?
- Wenn du immer an der gleichen Stelle scheiterst
- Bei hohem Zeitdruck (z. B. Vorbereitung für Wettbewerb, Studio-Session)
- Für fortgeschrittene Musiker*innen, die effizienter üben wollen
- Im Unterricht, um Schüler*innen zu motivieren oder ihnen neue Übe-Techniken zu zeigen
- In Ensembleproben, um komplexe Schlüsse zu festigen
Bonus-Tipps und verwandte Strategien
- In 4 Schritten zu mehr Übespaß mit dem Metronom
- Die Marsalis 12 Gebote
- Wie geht Üben im Flow?
- Der ultimative Guide für deinen Übungsplan
Wer schreibt hier eigentlich..?
Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"