Schätze, was dir leichtfällt | what is practice
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Schätze, was dir leichtfällt

Fola Dada: Eine der vielseitigsten Stimmen der deutschen Jazz-Szene

Fola Dada gehört zu den faszinierendsten Persönlichkeiten im deutschen Jazz. Die gebürtige Stuttgarterin ist nicht nur eine herausragende Sängerin, sondern auch Professorin für Jazz-Gesang, engagierte Dozentin an mehreren Hochschulen und Leiterin ihrer eigenen Gesangsschule. Vielen ist Fola Dada zudem als Vocal Coach bei Europas erfolgreichster Casting-Show ein Begriff.

In dieser Podcast-Folge spreche ich mit Fola Dada über ihre persönliche Entwicklung als Sängerin: Wie sich ihr Üben über die Jahre verändert hat, warum sie heute viel mehr auf Resonanz und Stimmigkeit achtet als auf Perfektion – und wie sie mit Stresssituationen umgeht, wenn die Stimme einmal nicht so will. Besonders spannend: Unser Gespräch fand am Morgen nach einem Konzert statt, als Fola Dadas Stimme noch etwas angeschlagen war. Im Gespräch zeigt sie live, wie sie wieder in Verbindung mit ihrer Stimme kommt.

Was mich besonders beeindruckt hat: Mit welch bewundernswerter, fast stoischer Gelassenheit Fola Dada die Gegebenheiten ihrer Stimme und äußerer Umstände annimmt. Sie zeigt eindrucksvoll, wie wichtig es ist, die eigenen Stärken und Talente wertzuschätzen – und nicht gegen sich selbst zu kämpfen.

Fola Dada, eine lächelnde Jazzsängerin mit kurzem, lockigem Haar, sitzt entspannt auf einem hellgrünen Stuhl vor einem Vorhang aus weißen und schwarzen Streifen. Sie trägt ein dunkelblaues Hemd über einem rostroten Shirt und dunkle Hosen. Ihr freundlicher, offener Gesichtsausdruck vermittelt Wärme und Gelassenheit.
Fola Dada nach unserem Interview (Foto: Patrick Hinsberger)

Wie übt eigentlich Fola Dada? – Podcast-Folge anhören

Fola Dada berichtet aus ihrem Übe-Alltag

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?

Stress.

Nur das erstmal?

Ja, Stress, den man sich genauer anschauen darf, damit man einen Weg findet, mit dem Üben freundschaftlich umzugehen.

Das finde ich interessant, da können wir gleich mal noch ein bisschen näher eingehen. Gibt es aktuell eine Musik oder ein Künstler, Künstlerin, die bei dir in Dauerschleife läuft?

Das ist natürlich eine sehr gute Frage, weil ich so beschäftigt bin, Musik zu konsumieren, sage ich jetzt mal, oder andere Menschen zu konsumieren, weil ich mit ihnen arbeite, dass ich sehr, sehr häufig eigentlich gar keine Musik höre. Aber wenn man vielleicht Dauerschleife benutzt, dann lande ich auf jeden Fall immer bei einer Musik, die mich geprägt hat. Und das kann so querbeet sein, also manchmal ist es mir nach Shirley Horn, manchmal ist es mir nach der AC Jazz Band „Incognito“ und dann schalte ich eher so auf eine Musik, die mit mir eine emotionale Verbindung von früher irgendwann mal gelegt hat.

Und auf ein eigenes Spiel bezogen, gibt es da eine Künstler, Künstlerin, die dich musikalisch geprägt hat?

Auf jeden Fall, also die leider kürzlich in einem Unfall verstorbene Angie Stone zum Beispiel oder auch Jill Scott. Also das sind so diese Hybrid-Frauen, R’n’B, ein bisschen Jazz ist auch noch drin, wenn man will. Ja, das sind so schon Prägungen, würde ich sagen.

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Ich habe ein paar Entweder-oder-Fragen mitgebracht, um den Zuhörerinnen und Zuhörern dich ein bisschen näher vorzustellen, wenn sie dich nicht sowieso schon kennen. Du hast einen Joker, also bei einer Frage darfst du skippen, bei allen anderen Fragen bin ich sehr gespannt, was du antworten wirst.

Ich bin gespannt, was da jetzt kommt.

Wir fangen zart an. Neckar oder Rhein?

Neckar.

Selten und viel oder wenig und oft?

Darüber muss ich nachdenken. Einen Moment bitte. Selten und viel oder wenig und oft?

Beides.

Beides?

Ja.

Ist das schon ein Joker dann?

Das musst du entscheiden.

Wir gehen mal weiter, wir gucken mal. Absolutes oder relatives Gehör?

Oh, fast relatives Gehör.

Fred Astaire oder Ella Fitzgerald?

Fred Astaire.

Standard oder Eigenkomposition?

Boah, das ist auch wieder beides. Natürlich. Also wenn ich in der Fred Astaire-Linie bleibe, dann Standard.

Big Band oder Duo?

Duo.

Prokrastination oder die Dringlichkeit der anderen?

Fantastische Fragen. Das ist ein Joker tatsächlich, weil da müsste ich jetzt so viel erklären. Die beiden Begriffe sind in meinem System tatsächlich genauso schon so bearbeitet, dass es leider nicht mit entweder oder zu beantworten ist.

Ich habe den Begriff „die Dringlichkeit der anderen“ auch von dir geklaut. Das habe ich aus dem Interview immer mal aufgeschnappt. Das fand ich sehr schön. Ich habe später noch ein paar Fragen zu Zeitmanagement. Vielleicht kommen wir da über den um, wenn ich dann ein bisschen genauer drauf komme. Beruf oder Berufung?

Vermutlich Berufung.

Sofa oder Spaziergang?

Vernünftigerweise Spaziergang.

Hast du eine Art, wie du dich entspannst, beziehungsweise hast du eine bestimmte Routine, das ist vielleicht das falsche Wort, aber eine Art und Weise Me-Time, Abschaltezeit für dich aktiv zu gestalten?

Also wenn ich es aktiv gestalte, dann ist es meistens tatsächlich über einen Massagetermin. Da bin ich quasi gezwungen, in die Ruhe zu kommen. Und es funktioniert bei mir ganz gut. Also mein Nervensystem springt fantastisch um auf jetzt loslassen. Und diese Stunden, das klingt jetzt so, als würde ich mich fünf Stunden lang massieren lassen. Also sagen wir mal, die anderthalb Stunden, die man dann da liegt, sind für mich insofern wertvoll, weil ich da in andere Gedankenwelten gehe. Und deswegen aktiv Massage, ansonsten alleine sein.

„Also ich haue mir halt viele Aufträge rein, manche auch aus der Komfortzone draußen, sodass ich mich natürlich bewegen muss und somit übe.“

Fola Dada

„Ich übe nicht aus Lust, sondern aus Notwendigkeit“

Strategien für einen untypischen Übealltag

Jetzt sind wir schon so mitten in dem Themengebiet drin. Entspannung hat ja was damit zu tun, dass man sich vorher anspannen muss. Du hast vorher gesagt, Üben ist für die Stress. Kannst du uns mal mitnehmen in so einen typischen, das ist immer sehr schwierig, aber in so einen idealtypischen, beziehungsweise sehr prototypischen Übealltag von dir?

Also man kann es wahrscheinlich schon ahnen, das Üben steht bei mir jetzt nicht an erster Stelle. Und um das zu überwinden, weil man muss ja manchmal üben, habe ich für mich herausgefunden, es gibt quasi seltenst eine intrinsische Motivation, sich irgendetwas zu widmen. Also das heißt nicht, dass ich mich nicht damit auseinandersetze, aber mich jetzt so freudig nach dem Aufstehen in eine Übelsituation hinein zu begeben, das liegt mir eigentlich nicht so. Natürlich möchte man aber vorankommen und zwangsweise muss man ja auch irgendwelche Sachen vorbereiten und dieses Vorbereitungsding ist quasi meine Lösung. Also ich haue mir halt viele Aufträge rein, manche auch aus der Komfortzone draußen, sodass ich mich natürlich bewegen muss und somit übe.

Das heißt also der Übealltag ist bei mir so, dass ich mich befasse auf verschiedenen Ebenen. Also in der Zwischenzeit im höheren Alter habe ich quasi, da kommen wir zu der Prokrastinationsgeschichte, gelernt, dass es vernünftiger ist für mich, sich die Sache mal genauer anzuschauen, schon viel weiter im Vorfeld, damit ich systemisch kapiere. Weil dann weiß ich, okay so und so viel Zeit werde ich dafür brauchen, das ist die Idee dahinter, welche Haltung möchte ich dazu einnehmen und das kann Wochen vorher sein und das gedeiht dann so im Untergrund nebenher. Also das ist wie so, sagen wir mal eine Schwingung, die eingepflanzt ist im System und läuft dann halt neben all dem, was sonst so läuft, nebenher.

Und wie das so ist, das ist dann das Resonanzprinzip, also habe ich da was angelegt und schnappe mir aus der Umwelt Impulse dazu, bis dann die Zeit natürlich doch irgendwann knapp wird und ich mich ganz konkret hinsetzen muss. Aber da habe ich dann schon Kontakt aufgenommen oder so eine Beziehung zum Material. Manchmal überschätze ich mich und dann denke ich, ja klar, habe ich verstanden. Stell dann fünf Tage vorher fest, ach du lieber Himmel, nee, das ist ja viel komplizierter, dann komme ich natürlich ins Schwitzen. Oft ist es so, dass es dann tatsächlich, wenn der konkrete Übeprozess beginnt und das ist dann natürlich schon, sich hinsetzen, am Klavier die Sachen durchgehen, wenn es irgendwelche Playalongs gibt, damit arbeiten. Wenn ich selber Klavier spiele, bin ich ein bisschen eingeschränkt. Wenn ich einen Playalong habe, kann ich schon ein bisschen tiefer ins Gestalten gehen, einfach weil mehr Kapazität übrig ist. Meistens trotzdem eng getaktet, weil ich halt viel zu tun habe. Das heißt, es wird sehr, sehr diszipliniert. Da hast du anderthalb Stunden Zeit, die musst du nutzen und wehe, es kommt irgendwas anderes rein. Ich stehe nicht so auf Nachtschichten, da wehrt sich alles gegen mich. Deswegen muss ich das so planen, dass ich es halt auch in meiner Leistungszeit machen kann.

Jetzt bist du ja selber ja auch Professorin und hast eine eigene Gesangsschule. Du hast es gerade so ein bisschen beschrieben, als würden wir dann üben, quasi die Gesangsschule. Hast du eine Warmer-Protein oder gibt es Bestandteile in deinem Üben, die du schon wiederholst, a) für technisch irgendwie flexibel zu bleiben, b) für die Musik, die du schon wiederholst, und c) für die Gesangsschule?

Also fangen wir mal mit dem Instrument selber an. Das ist so ähnlich wie das, was ich gerade beschrieben habe. Das ist ja was, was quasi immer nebenher schwingt. Das heißt, ich bin eigentlich die ganze Zeit mit meinem Instrument verbunden. Heute zum Beispiel ist es überhaupt nicht gut drauf. Die Stimme ist nicht gut drauf. Das ist so ein bisschen wie eine Schleppstelle, die ich immer wieder anbinde. Ich bin eigentlich die ganze Zeit mit meinem Instrument verbunden. Heute zum Beispiel ist es überhaupt nicht gut drauf. Die Stimme ist total im Keller. Die Schleimhäute sind nicht so, wie sie sein sollen. Das spüre ich jetzt schon. Das heißt, wenn ich dann nachher was übe, dann ist es tatsächlich darauf angepasst. Und dazu kommt dann natürlich noch die Beschaffenheit des eigenen Instruments. Meins will am liebsten eigentlich immer so eine Art Wohlfühlbehandlung haben. Das heißt, die Funktionen dürfen geölt sein oder ich darf so die Verbindung Stimme-Körper ins Visier nehmen. Und tatsächlich übe ich nicht so sehr, sagen wir mal, jetzt technisch herausfordernde Dinge. Vielleicht liegt es aber auch am Alter. Also ich habe mich natürlich beschäftigt mit bestimmten Gesangstechniken in meinem Leben und habe aber für mich herausgefunden, es geht mir am allermeisten um Kohärenz. Also das, was mein Instrument einfach in Mühelosigkeit gerne bereitstellt, das muss ich so als Grundlage legen und dann passieren daraus ganz tolle Dinge. Wenn ich das nicht beachte, dann sagt einfach meine Stimme, wir lassen das heute einfach. Und das kann ich mir natürlich nicht erlauben, weil ich muss ja relativ viel singen. Das heißt, es ist ganz oft in Verbindung treten, die Schwingung erzeugen, auch gucken, wie ist die Schwingung gerade, wie ist die Beschaffenheit des Materials. Wenn es dann eine schwierige Passage gibt, von der ich weiß, da kacke ich immer ab oder setze so ein bisschen auf Glück, dann gucke ich es mir natürlich hier und da mal an.

„Für mich ist es nicht schlimm, Fehler zu machen auf der Bühne. Ich glaube, weil es mir manchmal um andere Dinge einfach geht.“

Fola Dada

Fehler auf der Bühne? Kein Problem –

Über Mut zur Unvollkommenheit und künstlerische Haltung

Aber da kommt jetzt natürlich ein wichtiger Punkt dazu. Für mich ist es nicht schlimm, Fehler zu machen auf der Bühne. Also ich bin einfach nicht perfekt. Das heißt, meine, früher habe ich es immer Faulheit genannt, das nicht üben wollen und sowas. Also wenn ich jetzt diesen Begriff weiter verwende, ich kann mit meiner Faulheit und der daraus resultierenden Mängel ganz gut leben, sozusagen. Ich glaube, weil es mir manchmal um andere Dinge einfach geht. Also ganz platt im Gefühl zu sein und den Moment zu erfassen und zu erkennen, was die Musik jetzt braucht, ist mir wichtiger, als jetzt meine Stimme zu 120 Prozent in Szene zu setzen. Das interessiert mich nicht so sehr.

Und was das Improvisieren angeht, das ist für mich ein ganz rotes Tuch. Also ich habe natürlich Jazz studiert, aber das war immer eine Qual, weil ich nicht so, ich bin kein gutes Hörtalent. Also ich höre, wenn ich eine Harmonie höre, ist es für mich einfach, das ist wie so ein Klangphänomen. Also ich muss da wahnsinnig viel kognitiv irgendwie erstmal in Gang setzen, um zu sagen, okay, ich glaube, das ist jetzt Dur. So höre ich Musik nicht. Das heißt also, das, wie man Improvisieren lernt an den Hochschulen, ist für mich jetzt nicht ganz so geeignet, weil da falle ich immer runter. Ich bin da einfach viel zu langsam. Führt natürlich dazu, dass man es dann meidet. Irgendwann merkt man, ach, das ist aber auch blöd mit dem Meiden, weil das schränkt einen so ein und das schränkt einen auch ein, wenn man sagt, ich will ja eigentlich gar nicht improvisieren, ich will nur variieren. Und so musste ich mir natürlich Gedanken darüber machen, wie löse ich denn jetzt das Problem. Und hier ist auch wieder Üben in Schwingung setzen, also natürlich sich trainieren, anders zu hören. Aber man kennt es. Man stellt dann so fest, okay, bestimmte Wege, wenn ich die jetzt gehen würde, das würde mich unfassbar viel Energie kosten, die ich einfach nicht hab, weil andere Dinge so viel leichter laufen und so wichtig ist es mir nicht. Auch hier wieder das Eingeständnis von dann sing ich halt falsche Töne.

Aber die Fragestellung war, also ich suche immer nach der grundlegenden Fragestellung, warum improvisieren? Will ich das überhaupt? Ist das für mich ein Ausdrucksmittel?

Okay, ja, vielleicht ein bisschen. Niemals so sehr wie Wort zu singen, aber ein bisschen ist es ein Ausdrucksmittel. Und ich möchte darin beweglich sein oder handlungsfähig sein. Und dann ist Üben in diesem Kontext ein bewusstes Hinhören, wie andere improvisieren, weil ich eben nicht so sehr die Transkribiererin bin. Das tönt mich total ab. Ich finde es total wichtig, aber ich finde es nicht toll für mich. Das ist einfach nicht so cool. Also ich muss es über andere Wege machen.

Zum Beispiel?

Ich muss es halt hören. Ich muss es so viel hören, dass ich es quasi mitsingen kann. Und wenn es dann Stellen gibt, die ich einfach nicht übers Gehör erfasse, dann muss ich es irgendwie aufschreiben, wenn ich es unbedingt so singen möchte. Damit ich es visuell vor mir sehe und verstehe, was da gerade passiert. Und dann ist es diese Art der grundsätzlichen Verbindung mit Musik, auf was höre ich eigentlich? Worauf beziehe ich mich in meiner Aktion? Und da konnte ich natürlich ganz viel putzen, weil ich einfach falsche, also in Anführungsstrichen falsche Orientierungspunkte gesetzt hatte, die mich dann halt schnell ins Off bringen.

Abgesehen davon, dass in dem Moment, in dem jemand Angst hat vor der Improvisation, das Nervensystem auf Vollalarm geht und das Gehör leider sich verabschiedet und den Langstreckenflug nach sonst wo hin nimmt. Das heißt also, das kommt tatsächlich dazu in den Übeprozess mit dem Nervensystem zu arbeiten. Also in Zugewandtheit und Gelassenheit zu bleiben, anstatt in Vollstress zu geraten und zu denken, jetzt ist mein Leben gerade bedroht, weil ich improvisieren muss.

„Ich musste lernen, tatsächlich einfach zu nehmen, was ist und so flexibel zu werden, dass ich damit umgehen kann.“

Fola Dada

Resonanz statt Routine – Wie tägliche Selbstwahrnehmung das Üben beeinflusst

Das passt ja eigentlich auch ganz schön, du hast vorher sehr oft gesagt, dass das Üben damit losgeht für dich in Resonanz zu treten mit dir selber.

Ja, richtig.

Kann man sich das bei dir dann so vorstellen, dass du eigentlich schon morgens nach dem Aufstehen schon einmal so in dich gehst und fühlst, okay, so und so ist das? Versus du fängst erst an in Resonanz mit dir und deiner Stimme zu treten, wenn du im Überraum bist.

Ne, das ist leider bei mir so, dass ich es immer spüre. Also ich spüre einfach meine Verfassung. Da stehe ich auf und dann fühlt es sich so an und eine halbe Stunde später fühlt es sich so an, also ich komme da gar nicht drum rum, sozusagen mit meinem Gesamtsystem immer verbunden zu sein. Das kann man als anstrengend empfinden. Ist es vielleicht auch. Ich meine, das war wahrscheinlich schon immer so in meinem Leben, deswegen habe ich mich inzwischen daran gewöhnt. Es ist einfach ein Dialog, ein permanenter. Und es ist ein sehr wohlwollender Dialog in der Zwischenzeit, ne, weil wenn man Ansprüche hat, dann redet man ja mit sich selbst oft nicht ganz so freundlich und bezeichnet sich als faul und sowieso als Loser und etc. etc. Und in der Zwischenzeit ist das überhaupt nicht mehr so, sondern ich nehme einfach an, was ist, versuche ein bisschen herauszufinden, woran liegt es. Kann ich irgendwas machen, was das positiv beeinflusst. Manchmal ist es halt auch einfach, ok, jetzt entspanne ich mal innerlich, stresse dich nicht. Du weißt, du musst heute singen, du spürst, die Stimme ist ganz weit im Keller, will sich überhaupt nicht bewegen. Könnte sein, dass das den ganzen Tag über so ist, aber es könnte auch sein, dass es in ein paar Stunden sich anders zeigt. Und dann weiß man ja natürlich, und wenn man dann auf der Bühne steht, gibt es nochmal so einen kleinen Push. Wobei es in meinem System einfach so ist, wenn ich in einer nicht so guten Verfassung bin, dann bin ich in einer nicht so guten Verfassung. Also da kann ich jetzt auch nicht groß, das kann ich nicht kompensieren. Also ich kann es mit Druck nachlassen, kompensieren und dann mit sehr feiner Technik natürlich. Aber jetzt da so durchpreschen und es wird schon gut werden, das funktioniert bei mir nicht so. Also ja, ich bin einfach dazu gezwungen, sehr individuelle Wege zu finden, um das machen zu können, was ich mache.

Warst du schon immer so gelassen dabei gewesen?

Auf keinen Fall. Natürlich nicht. Also ich glaube, ich bin nie so eine der Sänger*innen gewesen, die dann quasi so ein Mordsprogramm hat, damit auch alles klappt. Vielleicht mal zwischendurch, aber meine Erkenntnis ist einfach, es nützt nichts. Also mein System ist so empfindlich, ich kann mich super einsingen. Die Stimme ist so fantastisch. Ich denke, dieser Gig wird super. Wir gehen essen, im Essen ist irgendwas drin, was ich nicht vertrage und das war’s. Also das ist einfach, das ist hoffnungslos. Ich musste quasi lernen, tatsächlich einfach zu nehmen, was ist und so flexibel zu werden, dass ich damit umgehen kann. Und wenn dann halt beim Soundcheck noch 120% waren und beim Gig noch 70% übrig sind, ärgert mich das natürlich und ich könnte auch mir die Haare raufen. Aber ich kann es ja nicht ändern. Also muss ich mit den 70% halt irgendwie umgehen und das klappt auf jeden Fall jetzt besser als früher.

Was hat dir geholfen dabei? Ich fand auch die Gelassenheit, die du gerade schon genannt hast, also auch wieder dieses Akzeptieren von Unvollständigkeit oder Imperfektion.

Ich wäre gerne eine Maschine, was das angeht, aber ich bin es halt einfach nicht. Ich bin es überhaupt nicht. Ich bin einfach ein sehr sensibler Typus. Ein kleines bisschen vom Ton oder vom Lichtmenschen gesetztes Trockeneis und meine Stimme ist Reibeisen und ich kann nicht mehr singen. Es ist einfach so. Das heißt also, in einer gewissen Weise nehme ich es auch mit Humor und ich kann natürlich irgendwie sagen, es ist ja nur ein Gig von vielen. Also wenn ich jetzt 10 Konzerte im Jahr singen würde, dann wäre es sicherlich anders, weil dann ist jedes Konzert quasi wahnsinnig wichtig. Das heißt nicht, dass die 120 Konzerte, die ich im Jahr singe, nicht auch wichtig sind, aber es ist das zu dem Beruf Berufung Ding. Es ist nun mal halt auch mein Beruf. Also ich muss es halt machen und dann gehe ich da hin und ich mache es so gut, wie ich aus diesem Moment eben kann.

Das ist auf jeden Fall auch eine Sache, die man sich wahrscheinlich auch ein bisschen erarbeiten muss. Also ich glaube, wenn ich jetzt so an mich als jungen Student oder auch generell an jungen Musiker denke, da hat man ja das Gefühl, dass jeder Gig, ob es 10 oder 100 sind, der trotzdem einfach zählt, weil das ja irgendwas auch mit dem Standing macht, den man in der Community hat so ein bisschen und ob man auch mal angerufen wird, vielleicht auch nicht und gerade als Sängerin oder Sänger ist man ja oft die einzige Stimme in der Band. Das heißt, man ist entweder die Person, die angerufen wird oder eben auch nicht.

Das stimmt. Das ist auf jeden Fall so und wenn ich jetzt noch mal darüber nachdenke, ich muss ehrlicherweise sagen, die Gelassenheit kam eigentlich erst nach der Corona-Pandemie. Das ist interessant. Das fällt mir nämlich gerade auf, weil ich war natürlich eigentlich, also es zählt wirklich jeder Gig, aber die Anspannung dahinter, also genau das, wie gut wird es werden in beide Richtungen, also Richtung Band und Richtung Publikum, das hat mich schon immer, sagen wir mal, in einen latenten Stress versetzt und ich glaube nach der Pandemie hat sich irgendwas geändert. Ich kann es nicht so ganz in Worte fassen, aber ich glaube, ich habe irgendwie für mich erlebt, okay, du scheinst irgendwie gebraucht zu werden oder du darfst es wirklich machen oder deine Relevanz ist gesichert oder sonst irgendwie sowas. Das bedeutet nicht, dass da weniger Energie dahinter ist, eher im Gegenteil, weil Stress oder diese hohen Ansprüche, die wir da haben, die blockieren uns ja auch ganz oft. Nicht alle. Also es gibt Menschen, die brauchen genau das und wachsen dann damit über sich hinaus. Andere, zu denen gehöre ich glaube ich eher, die bleiben einfach ein bisschen unter ihrem Potenzial vor lauter Druck oder eben Angst, dass irgendwas daneben gehen könnte. Insofern ist also ein gelassener Umgang mit allem, was so passiert, ein totales Geschenk, weil ich einfach auf das zugreifen kann, was es gibt.

„Mühelosigkeit vor Perfektion“ – Mikroschritte, Muskelgedächtnis und kreative Lernstrategien

Und für die Studierenden ist es natürlich klar, also es ist halt, ich meine man hat sich entschieden, diesen Weg zu gehen. Das Studium ist ja so eine Art Schutzraum, so ein halber Schutzraum.

Ich habe mein Studium ziemlich tough empfunden, weil ich eben so intuitives Wesen bin, gar nicht viel analytisch kapiert habe. Das war für mich ganz oft auch eine Qual, weil ich dann Sachen quasi benennen musste und so weiter. Das war zäh und das nagt natürlich am Selbstbewusstsein. Darf ich das denn dann überhaupt machen, wenn ich das doch gar nicht kann? Und hatte aber Gott sei Dank Glück, dass ich parallel dazu immer schon viel gespielt habe. Also ich quasi im echten Tun, in Anführungsstrichen, absolut empfangen wurde und auch gemerkt habe, natürlich darfst du das tun. Du darfst ja vor allem auch selber entscheiden, wo du deine Schwerpunkte hinsetzt. Das ist ja manchmal auch das, was die Studierenden ein bisschen nicht ganz so deutlich vor Augen haben, weil das Angebot ist so riesig. Das Gefühl von ich muss das alles können und dann bin ich quasi die perfekte Musikerin oder der perfekte Musiker. Und das sitzt so ein bisschen im Nacken und den Mut zu haben, okay ich sehe das Angebot und ich setze es jetzt mit mir in Relation und dann stelle ich fest, manches schwingt total hoch und ist super geil, ist womöglich auch noch der Impuls, den ich gerade gebraucht habe, um weiterzukommen. Anderes ist sehr zäh bis grauenhaft. Ich akzeptiere, dass es schon interessant sein könnte, vielleicht irgendwann später und deswegen kümmere ich mich halt so gut es eben geht darum, stelle es in mein Regal für die Zukunft. Aber darf mutig sagen, nee das ist jetzt für mich und meine künstlerische Tätigkeit, die ich jetzt im Moment gerade entdecke, nicht so von Relevanz. Das wünsche ich mir manchmal, dass sie so mutig sind. Gleichzeitig ist es natürlich auch okay so, man stellt sich hin, man trainiert Professionalität, man erkennt, dass man manchmal zu sehr großem Anteil fantastisch vorbereitet sein kann und die Nervosität einem aber trotzdem den Stecker zieht. Dass es eine Mini-Irritation geben kann, die einen alles vorbereitet, der vergessen lässt, das gehört halt dazu.

Ich bin noch vorhin hängen geblieben, du hast gesagt, wenn es so Passagen gibt, schwierige Stelle, die du dann wirklich genau anguckst und die du dann wirklich auch üben musst. Hast du da bestimmte Techniken, Herangehensweisen, die dir besonders gut helfen?

Also für mich war, ich habe das Kenny-Werner-Buch nie gelesen. Ich bin so jemand, der quasi…

Du meinst Effortless Mastery, oder?

Genau, genau. Ich habe mir die Schaubilder angeguckt, ich habe mich unterhalten und den Anfang gelesen und habe verstanden, was der Mensch möchte. Und das ist letztendlich das, was ich total abfeier. Also wenn es was Kompliziertes gibt, mache ich es so mühelos, wie es geht. Und genauso wie er, also nicht in einem anderen Tempo, kleinteilig.

Dann gibt es noch so natürlich das Wissen über das eigene System, Sänger arbeiten mit Muskelgedächtnis. Wenn ich also feststelle, oh man ey, ich will immer auf einen anderen Ton, dann ist es wahrscheinlich eine Kombination aus Muskelgedächtnis und Gehör. Das heißt, ich mache es winzig klein und versuche diesen neuralgischen Ton ins System so richtig rein zu programmieren. Schlaf am besten dann danach mal noch eine Nacht drüber und guck mir dann an, wie es am nächsten Tag verläuft. Also ich bin da dann schon entspannt und sage mir, deswegen ist es auch so sinnvoll, früh anzufangen für mich. Weil es eben manchmal braucht und wenn ich zwei Tage vorher irgendwas Kompliziertes checken würde, das würde mich… und ich kann nicht gut vom Blatt lesen.

Das heißt also, ich muss es in ein anderes System reinbringen. Das heißt, ich nehme es auseinander, ich versuche so ein bisschen mein Verständnis darauf anzuwenden. Da guckt ja jeder anders drauf. Die einen sagen dann, okay, das ist ja die und die Option und die klingt so und so und deswegen mache ich das so. Und für mich ist es aber vielleicht eher eine bestimmte Bewegung oder so was. Oder ein Gefühl im Körper. Und dementsprechend versuche ich es dann zu kombinieren. Und dann klappt es im besten Fall. Es wäre gut, wenn es dann oft gesungen wird. Also richtig gesungen wird. Weil wenn ich das nicht tun würde, dann rutsche ich unter Umständen wieder auf dieses ursprüngliche Fall, die falsche Idee sozusagen, die mir vielleicht näher legt oder die ich halt, ah ja, ja, hab ich schon verstanden und dann, oh, war ja doch ein bisschen anders. Das ist immer ganz fies.

Das heißt, wenn du so auch da wieder gelassen bist und sagen kannst, ich hab das irgendwie so kleinteilig gemacht, dass ich es hinbekommen hab, im besten Fall eine Nacht drüber geschlafen hab, ist dann so Überfrust, dass es an der Stelle zum zehnten Mal nicht geklappt hat bei dir? Also kennst du das dann überhaupt?

Natürlich. Also es ist wirklich frustrierend, weil man denkt halt, man das darf doch nicht wahr sein. Ey, was ist denn da oben los, dass man das nicht ablegen kann. Aber natürlich mit der Erfahrung denke ich dann so, jetzt hast du dich ein bisschen ausgekotzt. Das bringt ja besonders viel. Jetzt musst du es dir halt nochmal anders anschauen. Unter Umständen über Hilfsmittel. Also sagen wir, es ist eine Vokalise, es gibt keinen Text. Weil es eigentlich, ich weiß, was ich, eine instrumentale Struktur ist, vielleicht noch mit anderen Instrumenten zusammen. Ich weiß aber für mich, ich lerne Melodien sehr viel schneller, wenn Text drauf ist. Dann baue ich mir halt einfach einen Platzhalter Text. Im besten Fall mit den Vokalen, die vielleicht eh eingesetzt werden und dann kann das unter Umständen einfach schneller gehen. Woran liegt es? Es ist für mich eine, ich bin dann mit mehreren Sinnen irgendwie verbunden, weil für mich eben Wort sofort andere Assoziationen auslöst oder Emotionen auslöst. Kann ich dann, wenn ich mir jetzt da irgendeinen schönen Text drüber ausdenke, nochmal eine andere Sinneswahrnehmung aktivieren und damit einfach besser lernen.

Zeitmanagement im Musikeralltag –

To-Do-Listen, Pomodoro & Realismus in stressigen Wochen

Wenn wir jetzt da mal so ein bisschen rauszoomen und auf dieses schöne Wort Zeitmanagement gehen, du hast ja vorher gesagt, dass du schon im besten Fall sehr früh anfängst. Machst du dir noch wirklich so einen Plan, dass du dann so, weiß ich nicht, in fünf Wochen weißt du, du musst das Programm singen, dass du hinschreibst, ok in Woche eins muss ich das geschafft haben, Woche zwei das, Woche drei das und Woche vier kann ich am besten schon alles und muss nur noch wiederholen. Machst du das so?

So ungefähr schon, ja. Das liegt aber einfach daran, dass ich halt, weiß ich nicht, ich hab einfach nicht so viele freie Zeiten innerhalb einer Woche. Das heißt, wenn ich da nicht sehr wachsam bin, dann stelle ich einfach fest, jetzt habe ich lauter zehn Stundentage, da bin ich einfach platt. Mich jetzt nochmal zwei Stunden abends hinzusetzen oder morgens hinzusetzen, das ist immer ein bisschen anstrengend und geht schon, aber ist jetzt nicht optimal. Das heißt also, es ist für mich sinnvoll zu gucken, ok was steht da alles an, was dauert wie viel, wie lange, welche Vorarbeiten muss ich leisten, also brauche ich einen sehr klaren Kopf dafür oder kann ich einfach vorhandenes Material halt einfach, sagen wir mal, auswendig lernen, steht und fällt also schon mit dem, sagen wir mal, kreativen Zusatzoutput, der da notwendig ist und dann plane ich das quasi den Wochen angepasst. Und dann ist es tatsächlich so, also nicht, dass die Pläne immer aufgehen, ich glaube, das spielt einfach so ein bisschen eine Rolle, dass es überhaupt halt da steht und so in meinem Fokus ist, da musst du dich noch kümmern. Und dann kommt natürlich das Alltagsgeschäft dazu und dann muss man plötzlich ganz dringende E-Mails beantworten und die Zeit schrumpft und so, aber es ist einfach in der Priorität nach oben gerückt und dementsprechend baue ich mir dann schon also die Fenster ein und ich stehe auch total darauf, dass es kurze Fenster sind. Also wenn ich weiß, okay, da habe ich jetzt eine halbe Stunde, da gucke ich es mir an und dann habe ich später nochmal 20 Minuten, da gucke ich es mir nochmal an, das ist für mich auch okay, weil es eben darum geht in Berührung zu kommen. Und für manche Sachen, für komplexere Sachen, natürlich, da braucht es eine Vertiefung, weil vom Moment des Verstehens, was da steht, hin zum gestalterischen Umgang damit, ja manchmal eine ganz schöne Strecke dazwischen liegt.

Gibt es bestimmte Tools, die du nutzt für diese Zeitblöcke, die einzurichten, beziehungsweise auch innerhalb der Zeitblöcke, die das so zu planen?

Ich habe natürlich alles ausprobiert, ist ja klar. Es gibt viele, also einmal habe ich, ich weiß gar nicht mehr, wie diese Methode heißt, also das ist die Methode, wo man von seiner To-Do-Liste, damit geht es eigentlich los, nur die sechs wichtigsten aussucht. Nach Priorität nach der anderen oder ein To-Do nach Priorität geordnet, nach dem anderen vollendet. Nichts parallel macht. Da geht es schon los, dass das gar nicht so einfach ist. Und ganz gelassen bleibt, wenn man von dieser sechs To-Do-Liste halt nur zwei geschafft hat. Am Abend guckt man sich dann wieder die komplexe Situation an und entscheidet sich neu für den nächsten Tag, welche sechs To-Do’s da stehen.

Das ist das eine, jetzt habe ich, ich bin ein großer Fan von der Ranghild Struss, das ist eine Hamburger Coachin, eigentlich eine Business Coach Frau, aber da habe ich mal einen Kurs gemacht und sie empfiehlt nur drei To-Do’s für den Tag anzulegen. Und um ehrlich zu sein, bin ich total bei ihr, weil unsere Welt ist so schnell und voll, dass mit diesem ganzen Kommunikationswall, der dann auch dazu kommt, einfach nochmal Zeit geblockt ist. Also drei To-Do’s am Tag und dann kommt es natürlich darauf an, was es für To-Do’s sind. Wie heißt die? Du weißt es bestimmt.

Pomodoro-Technik.

Genau. Das sind ja 25 Minuten und 5 Minuten Pause. 25 Minuten sind für mich zu lang. Also ich stehe eher tatsächlich auf 20 Minuten, ich mag das total. Und der Trick ist natürlich ganz simpel. Ich brauche die 5 Minuten Pausen nicht. Das heißt, bei mir geht es ganz oft darum, mir einen niederschwelligen Einstieg zu ermöglichen, überhaupt ins Tun zu kommen. Wenn ich dann im Tun bin, dann dauert es halt so lang, wie es dauert unter Umständen. Und das merke ich dann, wenn ich halt müde werde und so klar wird, jetzt ist der Kopf echt platt oder der Rücken tut weh, dann reicht es auch, wenn ich so viel Zeit überhaupt habe. Also ich bin eine Freundin von kleinen Einheiten, stetig mit höchster Aufmerksamkeit und diesem Platzieren im eigenen System von Schwingungen, die dazu führt, dass Wissen kommt. Ich weiß nicht, ob das so klar ist. Ich habe halt für mich herausgefunden, dass ich so lerne. Ich sammle auf irgendeine andere Art und Weise Informationen ein. Natürlich muss ich es auch dann in die Anwendung bringen, aber die Auseinandersetzung, die unterschwellige Auseinandersetzung spielt da einfach eine ganz große Rolle. Das ist dann einfach wie, wenn es so Puzzleteilchen halt sich automatisch finden. Wie wenn es dann plötzlich zu mir gehört und eben nicht mehr fremd ist.

Aber es sind drei To-Dos realistisch. Also du hast auch einen relativ vollen Plan. Ich habe dir deinen To-Plan eben noch mal schnell angeguckt. Es sind ja auch sehr viele Termine, auch mit verschiedenen Besetzungen, verschiedenen Programmen und sowas. Du bist Professor in einer Hochschule, du hast eine eigene Schule, also eine Gesangsschule. Da kommt ja auch relativ viel administratives Reisen dazu. Ich weiß nicht, wie deine To-Dos aussehen, wie umfangreich die formuliert sind, dass da irgendwie drei für den Tag reichen können. Aber das stelle ich mir sehr sportlich vor, oder?

Ja, das ist es auch. Ich habe gerade noch so einen To-Do-Zettel weggeschmissen, der mir heute so um sechs beim Aufwachen alles eingefallen ist. Das habe ich Gott sei Dank alles erledigt heute. Ich bin ganz stolz. Ja, wie ist es? Also kommen wir zu der Dringlichkeit der anderen.

Ich habe inzwischen verstanden, dass die Dringlichkeit der anderen ja erstmal die der anderen ist und dass die trotzdem auch Puffer hat. Das ist schon mal sehr hilfreich. Also diese Kategorisierung, dass ich nicht sofort in Panik verfalle, wenn jemand anders mir Druck macht, weil ihm irgendwas fehlt. Wenn ihm natürlich das schon seit drei Wochen fehlt, dann habe ich schon Druck, weil dann ist es klar, okay, das habe ich jetzt einfach vercheckt. Und das passiert auch. Dass ich Sachen einfach so im E-Mail-Postfachverlauf, die verschwinden irgendwie so nach unten und dann schwingt es noch so im Hinterkopf, ah da war irgendwas. Ah ja genau, da kommt aber was anderes, hab ich wieder vergessen, sind wieder drei Tage vorbei. Gott sei Dank sind die Menschen gnädig und Kommunikation mit mir dauert einfach manchmal ein bisschen. Ansonsten ist es schon so, natürlich immer prioritär. Wenn jetzt halt irgendwelche Deadlines sind, dann werde ich da wohl in meinem vollen Tag halt auch Zeit finden. Und auch ich gehöre leider zu denen, die Zeit verdatteln. Also ich habe diverse Tools auf meinem Smartphone, die mich davon abhalten in Scrollen zu kommen, weil ich einfach auch zu den Süchtigen gehöre. Mich aber sehr darüber ärger, weil ich natürlich wirklich keine Zeit habe und dafür eigentlich schon gleich gar nicht. Aber ich bin dabei, Gott sei Dank, wenn ich jetzt so meinen Insta-Account anschaue, ich bin halt so ein Gesundheitsmensch, also ich kriege unglaublich viel Gesundheitsakupressur und Nahrungsergänzungsmittel-Infos, die für mich total wertvoll sind, weil ich mich eh immer damit beschäftige. Oder heute Morgen habe ich eine tolle junge Sängerin irgendeinen Song singen gehört, das war so toll, dass ich dachte, ach wunderbar, Musik ist einfach herrlich. So was und dann reicht es auch.

„Ich habe inzwischen verstanden, dass die Dringlichkeit der anderen ja erstmal die der anderen ist und dass die trotzdem auch Puffer hat. Das ist schon mal sehr hilfreich.“

Fola Dada

Und ich bin leider auch so eine Serien-Junkie, das gehört aber für mich zum Abschalten. Nur vielleicht braucht man nicht unbedingt drei Stunden abschalten, über Serien gucken. Und wenn es also dann drauf ankommt, dann bin ich natürlich in der Lage, da Hand anzulegen. Trotzdem ist mein Tag natürlich lang, weil ich unterrichte oft den ganzen Tag. Und das heißt also, es ist immer so ein bisschen eine Verschiebung. Wenn sich aus Versehen freie Zeit ergibt, weil jemand absackt, nutze ich die dann halt, um Büroarbeit zu machen. Wenn ich weiß, es ist jetzt wirklich dringend, Antworten zu geben, weil Leute warten, bin ich in der Lage, mein Entspannungsprogramm über Zerstreuung auch noch ein bisschen raus zu zögern oder es zumindest zu kombinieren.

Aber im Grunde genommen natürlich hätte ich nichts dagegen, zwei freie Vormittage mal zu haben in der Woche, wo man sich ganz entspannt den ganzen Dingen in Ruhe widmen kann. So ist es immer. Ein ständiges Aktivsein, schauen, was muss ich erledigen, wem muss ich was mitteilen, wen muss ich fragen, damit ich dem anderen was mitteilen kann, was muss ich anhören. Das Gute an der aktuellen Zeit ist, dass die Programme, die ich spiele, alle sehr tief unter der Haut sind. Also das heißt, ich muss vielleicht manchmal ein bisschen was aktivieren, wenn es dann mal vier Wochen nicht mit dem Programm was zu spielen gegeben hat. Das ist hilfreich. Es gibt gerade nichts, was ich so ganz, ganz neu lernen muss. Das ist cool. Wenn es das gibt, dann habe ich richtig Stress.

„Mein Üben beginnt mit dem Atem“

Körperzentrierte Stimmarbeit – Fola’s Übung

Ich bin neugierig auf deine Übungen, die du mitgebracht hast.

Also wie ich ja schon angekündigt habe, meine Stimme ist heute überhaupt nicht fit. Ich habe gestern gesungen und schon gemerkt, oh da ist schon irgendwas los. Kann alles mögliche sein, ist auch nicht so wichtig. Das heißt tatsächlich, ich spüre, dass mein Zwerchfell sich gerade nicht entspannt, meine Atmung relativ kurz ist und hoch. Eigentlich müsste ich eine Körperübung machen, die mich dazu ein bisschen bringt, mein Nervensystem zu entspannen und meine Bauchatmung zu aktivieren. Und das mache ich mit so einer Mini-Übung eigentlich, die ich von meiner hochgeschätzten Freundin und Stimmbildnerin noch aus Studienzeiten gelernt habe. Die ich deswegen mag, weil sie so niederschwellig klein ist, dass quasi dieser ganze Apparat jetzt singen. Wir haben ja da so eine Art Schrank, wo dann draufsteht singen und dann sind da alle Techniken drin und wenn wir also ins Singen gehen, dann springt der Schrank auf und alles will auf einmal gemacht werden und das hat damit gar nichts zu tun. Das heißt, ich sitze sehr sehr locker und ich sitze vor allem auch mit gebeugten Schultern. Also ich lasse quasi meinem Körper die Erlaubnis, die Körperhaltung einzunehmen, die er jetzt gerade für angenehm empfindet und ich tue nichts anderes als, im besten Fall, das mache ich aber jetzt nicht, mit einem Kissen auf den Bauch, damit so die Bauchbewegung etwas vergrößert wird. Atme durch die Nase ein und lasse meinen Bauch raus und dann passiert eigentlich nichts anderes als ein Ausatmen über „Mh“. Es ist nur so ein Seufzer. Ich will damit diese niederschwellige Verbindung klären, einatme, macht weiter, ausatme, sorg dafür, dass dein ganzer Apparat quasi einfach reagiert. Du musst dafür nichts tun. Also das ist diese ganz reflektorische Grundidee von da ist schon dein erster Ton. Der ist noch nichts wert, wenn man das jetzt auf den sängerischen Höchstleistungskontext bezieht, aber er ist für mich so ein Verbindungselement und das mache ich jetzt einfach ein bisschen und dann geht’s gleich weiter.

Ich höre dann auch am „Mh“ wie gut ich ausatme und mein Ausatmen, der zerfasert so. Das heißt die Verbindung ist einfach noch nicht da. Ich mache es nochmal. Bisschen komisch jetzt so mit Publikum und Mikrofon vor dem Mund. Jetzt habe ich zum Beispiel, der erste war gut, der zweite war gemacht. Dann arbeite ich dann einfach. Beim ersten habe ich gedacht, ah super, ich spüre meinen Beckenboden. Beim zweiten habe ich gedacht, ich werde jetzt bestimmt gleich nochmal meinen Beckenboden spüren und dann bin ich schon in die Falle gedappt. Und somit komme ich so langsam und das hört man auch an meiner Sprechstimme in so einem etwas runderen Sound. Jetzt ist es natürlich, also damit kann man sich einige Zeit auseinandersetzen. Sehr häufig ist diese winzige Übung für mich noch so die letzte Übung, die ich mache, bevor ich auf die Bühne gehe, weil da natürlich so der Sympathikus anspringt und man ja den Adrenalinstoß bekommt, das muss ich gleich liefern und dann neige ich dazu, alles so nach oben zu führen. Also eigentlich wäre es gut, wenn das Zwerchfell eben seinen Weg nach unten findet. Und jetzt verlängere ich das ein kleines bisschen. Das sind schon eher so, das sind wirklich rudimentäre Übungen, aber für mich sind die Gold wert. Weil alles andere passiert ja meistens dann eh und das kommt eher zu kurz.

Ich mache eigentlich das gleiche. Ich starte auch in so einem Wohlfühlbereich auf der stimmlichen Ebene und schaue einfach, ob ich wie so ein klingendes W einfach tut. Halbgeschlossener Vokaltrakt, unglaublich entspannend für den Apparat. Ich kann diese Wege, die dieses „M“ gemacht hat nachvollziehen, aber ich steuere es schon ein kleines bisschen. Wenn ich dann weitergehe, mache ich aufsteigende Übungen. Ich achte jetzt darauf, wie reagiert meine Schleimhaut. Ich merke, es rattert ein bisschen, was mich nicht überrascht. Das ist also ein höchst individuelles Üben, weil ich eigentlich die ganze Zeit scanne, wie reagieren die Elemente meines Instruments.

Und wenn ich weitergehe, merke ich, ich habe eine Schwierigkeit, den höchsten Ton zu kriegen, weil ich so müde bin. Ich müsste mich jetzt verschlanken, mich noch mal ein kleines bisschen ausrichten, darf aber nicht in eine zu große Spannung hineingehen, weil das Instrument das gerade nicht kann. Also ich muss ein bisschen suchen. Wenn ich es mit Elan mache, merke ich, ich bin immer noch zu tief. Jetzt wird es ein bisschen besser, weil ich total loslasse. Früher hätte ich einfach immer weiter zugepackt und versucht, das Instrument dazu zu zwingen, jetzt es endlich gescheit zu machen. Mein Instrument sagt dann aber „Nö, das geht nicht“. Das heißt, ich muss dann quasi finden, wo kann ich das Instrument abholen, dass es sich beweglich zeigt oder dass es in die Gänge kommt. Das ist also ein sehr freundlicher Umgang. Tatsächlich aber merke ich schon, sie ist gar nicht so, also sie wird kommen im Laufe des Tages. Und so gestaltet sich das dann.

Also dann singe ich vielleicht irgendwelche Fantasiemelodien. Auch auf „Wu“. Ich starte mit immer dem gleichen. Erstmal „Wu“. Merke dann, wenn ich höher gehe, ist alles noch zu. „Wu“. Dann habe ich noch Verbindung zu meinem restlichen Körper. Könnte es vielleicht auch daran liegen, dass da einfach alles so zusammenfällt. Also gucke ich ein bisschen, was macht mein Zwerchfell, was macht mein Beckenboden. Das kann man alles jetzt so hier gar nicht groß darstellen. Ich kann es nur erzählen, welche Arbeit ich da tue. „Wu“. Und Binder, das kommt so ein bisschen aus der Yoga-Routine. Vor allem wenn man so harter Yoga, Yin-Yoga macht, dann darf man oft in den Positionen länger verweilen. Und oft ist es, das ist ein bisschen eine ungewohnte Position vielleicht und der Körper reagiert erstmal mit so einer Spannung oder auch mit einem Dehnungsschmerz. Und wenn man dann länger drinnen bleibt, dann zeigt sich ganz oft, wenn der Körper verstanden hat, hier herrscht keine Gefahr, dann wird alles so ein bisschen weicher und man kommt weiter in die Position hinein. Und das war für mich ein ganz großes Schlüsselelement für das Singen, weil ich dann mir klar gemacht habe, es geht gar nicht darum, quasi immer reinzupreschen und dann halt zu gucken, Hauptsache irgendwie durch und Hauptsache laut. Sondern du kannst mit so einem behutsamen Ansatz den Körper also, sagen wir mal, konfrontieren und ihm dann Zeit geben, darauf reagieren zu können, eigentlich viel besser arbeiten. Auch im sängerischen Tun.

Und eben, ich komme vom Tanzen ursprünglich, das ist quasi ganz ähnlich wie bei allen, die exzessiv Sport machen. Wir lernen halt, Muskelanspannung hilft. Aber beim Singen ist es immer ein bisschen gefährlich, weil das dann oft dazu führt, dass wir die Fuß irgendwas anspannen und dann geht die Kehle zu oder so. Das heißt also, diese wirklich unvollkommenen Töne, die das Instrument mir da zeigt, die sind für mich, also ich könnte mich aufregen, hätte ich früher gemacht. Jetzt höre ich einfach und verstehe so ein bisschen, was los ist. Und wenn ich jetzt singt, dann merke ich schon, ah ja, jetzt kommt sie so langsam in so eine Schwingung rein. Wahrscheinlich würde sie jetzt nicht gut finden, meine Stimme, wenn ich gleich laut singen würde. Die Grundidee dessen, was ich suche, dass sie leicht in Schwingung kommt und beweglich ist, ist nahe. Solches Tun. Das ist also oft stimmbildnerisches Üben, was ich da mache. Ich merke auch, jetzt löst sich so der Belag und das sind genau die Sachen, die ich jetzt, also um diese Uhrzeit brauche.

Hätte ich jetzt irgendein Stück, das ich mir durch den Kopf gehen lassen müsste, würde ich tatsächlich ein bisschen warten. Weil ich dann gerne kombiniere, dass ich es auch in den Ausdruck bringen kann, dafür brauche ich aber ein bisschen funktionstüchtigeres Instrument. Weil sonst singe ich jetzt irgendwas, dann geht’s hoch, dann drücke ich da rum, dann ist die Stimme müde, beleidigt und ich habe das Muskelgedächtnis kurz irritiert, weil ich Stress, also muskulären Stress in Verbindung mit dem Stück gebracht habe. Das ich eigentlich nicht gerne habe, weil wenn sich die Muskulatur das merkt, dann habe ich nachher Probleme. Das ist ja Quark. Also ich hätte es lieber, dass die Mühelosigkeit immer vorne dran steht und damit fahre ich ganz gut.

Also die Mühelosigkeit ist für mich oft viel wichtiger als die Perfektion. Und es interessiert mich schon, was oben so geht, weil ich gestern gemerkt habe beim Singen, beim Konzert, dass ich ein bisschen arbeiten muss, damit es kommt. Und das würde ich aber auch ganz leise tun und würde einfach… Ganz Bilderbuchübungen, nichts Spannendes. Auch deswegen, weil es mir um die Stimme geht und nicht ums Gehör. Da merke ich mein Gaumensegel-Islam. Aber im Grunde genommen erkenne ich, der Stimmbandschluss ist da, es ist Belag drauf. Ich habe vermutet, dass mein Stoffwechsel gerade heute nicht so stimmt. Einfach so ein bisschen, kennt man ja manchmal, dass man das Gefühl hat, irgendwie ist alles so ein bisschen fest oder es ist ein Stau im System drin. Und das zeigt sich da, aber ich merke auch, dass es kommen wird. Es ist jetzt nicht viel.

Ist es trotzdem okay, Patrick?

Ich bin begeistert. Ich habe so ein bisschen, ich habe gerade eben darüber nachgedacht, das ist ja so, eigentlich, wenn ich mir das so vorstellen will, wie so im Podcast sagen super viele Gäste am Anfang, dass sie so einen kleinen Check-in mit sich selber führen. Und dann ist es bei dir, glaube ich, so, dass du wie so Schubladen hast, die du aufziehen kannst und du weißt nach deinem Mini-Check-in mit deinem Körper, okay, heute ist da so ein bisschen Belag drauf und das fühlt sich nicht so ganz frisch an nach gestern Abend. Okay, ich mache mal die Schublade auf, weil ich weiß jetzt, das könnte mir helfen. Und weiß ich nicht, nachher, heute Abend, du schaffst nochmal ein Konzert, dann wirst du wahrscheinlich kurz vorher nochmal eine andere Schublade aufziehen, weil du weißt, okay, jetzt bräuchte ich nochmal so ein paar, eigentlich eher musikalischere Aktivierungen und nicht nur stimmbildnerische Aktivierungen. Ist das so, wie man sich das ungefähr in deinem Kopf vorstellen könnte?

Ich glaube, dass ich das weniger als Schubladen selber wahrnehme, sondern das ist eher alles auf einem Tablett. Also theoretisch steht immer alles zur Verfügung. Aber aus dem Aspekt der Mühelosigkeit heraus entscheide ich mich dann, glaube ich, einfach gezielter. Also ich würde jetzt eben nicht, jetzt um diese Uhrzeit, die Übelsequenzen für laute Höhe wählen, weil ich einfach wüsste, das würde mir überhaupt, also es würde nichts bringen, es würde vielleicht sogar doof werden, weil ich nicht das Gefühl habe, dass das Instrument auf 100% ist, das wird es auch wahrscheinlich nicht heute Abend sein. Das heißt, es ist ein bisschen heikel, wenn ich das jetzt überanstrenge, dann bin ich wahrscheinlich noch weiter unten von meiner Leistungsfähigkeit und sowas ist dann halt einfach doof. Das liegt aber eben daran, ich muss ja, also die größte Herausforderung in meinem Leben ist eigentlich die ganze Zeit zu sprechen, etwas zu singen, etwas mit anderen Instrumenten zu arbeiten. Andere Instrumente spiegeln sich immer auf mein Instrument zurück. Das heißt also, wenn ich irgendjemanden habe, der ein bestimmtes Problem hat, dann reagiert mein Instrument darauf auch. Und dann kommen die Konzerte dazu, wo ich natürlich immer Fola bin, aber andere Sachen bediene und das alles unter einen Hut zu bringen, also dann tatsächlich, wenn es um mich geht, sozusagen auf der Bühne das auch da zu haben, das war immer, ist immer die größte Herausforderung. Ich müsste, es gibt schlechtere und bessere Phasen, manchmal aber wäre es wirklich notwendig, nach so einem langen Unterrichtstag sich nochmal Zeit zu nehmen und zu sagen, so und jetzt versuche ich nochmal mein Instrument kurz zu spüren. Und das passiert und deswegen kennt man natürlich das eigene Instrument sehr gut. Ich beneide aber trotzdem alle Kolleginnen, ich nenne die immer, die haben so Soldateninstrumente, die können einfach, egal zu welcher Zeit, abliefern und müssen sich überhaupt keine Gedanken machen. Die gibt es natürlich auch. Also ich habe jetzt schon eher so ein ganz sensibles Instrument. Ich bin sehr dankbar für meine Stimme, aber manchmal wünschte ich mir schon, sie würde einfach etwas robuster sein.

Aber da kann ich als Blechbläser auch nur wiedergeben, das Gefühl kenne ich. Also da bewundere ich auch jeden Gitarristen und Pianisten, aber wahrscheinlich würden die jetzt, wenn die hier sitzen, genau das gleiche sagen und sagen, ah nehmen die unsere Finger unter.

Bestimmt würden sie sagen, aber es ist glaube ich schon, ich meine, ich bin natürlich eine Verfechterin von „Singen ist das schwerste Instrument“, findet es aber auch tatsächlich schon so, weil wir ja immer auch das Instrument herstellen müssen. Und einfach, also wenn ich als Frau sowieso noch, wir sind so zyklusabhängig, was innerhalb von unserem Zyklus mit dem Instrument passiert, ist einfach fies. Unter Umständen kann man halt in ein paar Tagen einfach nicht so richtig drauf zugreifen. Das Klavier, die Gitarre, auch sonst alle anderen Instrumente haben eine gewisse Stabilität oder einen Grundstatus quo, der sie befähigt erstmal einfach klingen zu können. Natürlich steht und fällt es dann mit denjenigen, der es bedient und auch diejenigen haben natürlich gute und schlechte Tage oder der Ansatz ist müde etc. etc. ist mir ganz klar. Aber dieses auch noch Instrument werden müssen, bevor man es dann selber bedient, das ist schon nicht ohne, finde ich.

„Schätze, was dir leichtfällt“

Ein Appell an junge Musiker*innen, ihren eigenen Weg zu würdigen

Ja, sehr spannend. Ich hätte noch vielleicht, um diesen Übe-Komplex einmal abzuschließen, noch eine Frage dazu, bevor wir dann langsam mit Blick auf die Uhr ein bisschen schon gegen Ende kommen. Aber es ist sehr spannend, dir zuzuhören. Also ich habe noch ein paar Fragen auf dem Zettel, die wir vielleicht mal irgendwann bei anderen Gelegenheiten vertiefen können, aber es ist auf jeden Fall sehr, sehr interessant, dir zuzuhören da.

Du hast es ja gerade vorher schon angesprochen, heute Abend hast du nochmal ein Konzert. Du hast ja vorher schon gesagt, dass diese Übung mit diesem Zwerchfell aktivieren und ausatmen, aussingen auf Säufzen, genau. So ein bisschen auch eine typische Übung ist, die du vor einem Auftritt machst, um so ein bisschen da in so eine Gelassenheit reinzukommen. Hast du so Rituale oder bestimmte Sachen, die du machst direkt vor einem Gig oder im Tagesverlauf vor so einem Konzert?

Also es gibt schon eher direkt, glaube ich, vor dem Gig, das sind tatsächlich meistens so Nervensystem-Geschichten, also das sind Übungen aus der Polyvagal-Theorie.

Kannst du ganz kurz erklären, was das ist?

Genau, ich nehme mal einen kurzen Abriss. Also den meisten wird der Vagusnerv bekannt sein und Stephen Porges ist ein, was ist der denn eigentlich? Egal.

Der hat herausgefunden, ja klar Vagusnerv spitzenmäßig, der hat allerdings zwei Äste. Und die haben unterschiedliche Funktionen innerhalb unseres Körpers. Und es gibt eine Kombination aus dem vorderen Vagusnervast und vier weiteren Gehirnnerven, die uns als Menschen ausmachen.

Der Zustand, den wir haben, wenn diese fünf Nerven zusammenarbeiten, ist Zugewandtheit, gemeinsam essen, gemeinsam spielen, gemeinsam tanzen, gemeinsam musizieren etc. Also das alles, was das Gute am Menschen sozusagen ist. Und dann gibt es die bekannten Fight or Flight Reaktionen. Das ist das, was uns Säugetiere alle quasi vereint. Und den Freeze Modus. Er hat dann auch noch zwei andere Modi entdeckt.

Der ist nicht uninteressant, weil wir auf der Bühne, also es geht uns gut, wir sind gecheckt mit dem, was wir jetzt gleich zeigen werden. Wir fühlen uns einfach total wohl. Dann ist der sympathische Grenzstrang und der vordere Vagusnerv aktiv. Also wir sind in einer entspannten Spannung und bereit sozusagen die Welt zu erobern. Oder der andere ist hinterer Vagusnervast aktiv. Und auch, glaube ich, der sympathische Grenzstrang. Das ist dann so Spieleabend. Man ist mit Freunden zusammen, man ist in absoluter Sicherheit, aber man ist trotzdem so ein bisschen, naja, halt gemütlich neugierig.

Und das bedeutet für mich, mit diesem Wissen geht einher, dass es Übungen gibt, mit denen man das Nervensystem gezielt beeinflussen kann. Also ich merke, mein sympathischer Grenzstrang, das ist der Erregungszustand, logischerweise geht an, weil ich muss jetzt auf die Bühne. Das ist ja auch gut so. Aber ich merke auch gleichzeitig, meine Atmung wird irgendwie so ein bisschen kurz. Das kann ich jetzt nicht so gebrauchen. Und dann mache ich Übungen aus diesem, es gibt immer mehr Übungen, weil das immer ein größeres Thema wird, aus diesen Polyvagal-Reihen.

Eine mag ich gerne, die nennt sich Grundübung. Da hält man den Kopf ganz starr, also man bewegt ihn nicht und bewegt nur die Augen. Guckt nach rechts mit beiden Augen, so lange, bis der Körper eine Reaktion gibt. Das kann ganz unterschiedlich sein, gähnen, schlucken, seufzen, weinen. Wenn dann die Reaktion kommt, löst man auf, guckt nach links. Und das kann man ein paar Mal wiederholen. Und für mich ist das super, weil mein Körper das natürlich schon kennt. Ich muss dann immer gähnen und ein bisschen heulen und so. Aber ich merke dann, wie sich so diese Überspannung einfach löst. Oder davon Abwandlungen, wenn ich merke, dass meine Bauchatmung nicht tut. Das ist einfach bei mir ein anfälliges Feld. Das ist eine Abwandlung, dann legt man den Kopf zur Seite und guckt auch wieder nach rechts und nach links. Und auf der anderen Seite auch.

Es sind solche Sachen. Oder ich hüpfe einfach ein bisschen. Ich versuche, den Körper einfach in eine höhere, gerade wenn ich müde bin, in den Erregungszustand zu bringen oder in den Leistungszustand zu bringen. Wahrscheinlich macht das jeder so, wie er seinen Körper kennt und weiß, da und da und da und da habe ich meine Verspannungen. Und dementsprechend gucke ich jetzt mal, dass ich dann noch ein bisschen Entspannung herhole. Und es gibt ein wunderbares Mudra, das ich auch sehr schätze. Man legt die Finger so auf eine bestimmte Art und Weise zusammen und das reguliert auch das Nervensystem. Ich bin halt einfach, das wird glaube ich klar, jemand, der ein sehr empfindliches Nervensystem hat. Das heißt, da ist ganz oft mein Ansatz. Und dann zoome ich nebenher oder mache irgendwelche Glissandi. Denn auch das Singen ist natürlich für das Nervensystem fantastisch. Und das war’s dann. Und ich glaube, es ist ganz klar, ich hoffe oder sorge dafür, dass ich meistens mit Menschen zusammen Musik machen kann, mit denen ich sehr, sehr gerne zusammen bin. Weil es dann einfach, dann ist es alles cool. Man ist unter Freunden und man ist sich nah, man muss nicht, man kann über alles reden. Und wenn es einem gerade scheiße geht, kann man das auch noch besprechen und die sind einfach da.

„Der Tipp ist, unbedingt das eigene Kompetenzzentrum, also das Feld, in dem man sich wohlfühlt, in dem die Dinge einem leicht zufallen, hochschätzen. Weil daraus erwächst alles andere.“

Fola Dada

Das stimmt, das ist absoluter Luxus. Das fand ich sehr spannend gerade. Das werde ich ausprobieren auf jeden Fall. Ich zeige dir nachher noch das Mudra genauer.

Mudra heißt das?

Mudra, genau. Das sind so Handhaltungen, die halt total Einfluss haben auf unseren Körper. Da bin ich neugierig gleich.

Zum Abschluss habe ich an all meine Gäste immer zwei Fragen, die ich jedem Gast gerne stelle. Was lernst du oder übst du gerade, was du noch nicht so gut kannst? Du darfst auch gerne nicht musikalisch sein.

Tatsächlich bilde ich mich eigentlich die ganze Zeit fort zum Thema Gesundheit, Nahrungsergänzungsmittel. Und parallel, also weil da gibt es wahnsinnig viel Information. Vieles weiß ich schon, aber nicht so ganz genau. Und ich würde es aber gerne wissen, einfach für mich, aber auch weil ich es cool finde, darüber Bescheid zu wissen. Und ich auch erkannt habe, dass es häufig, wenn Menschen über depressive Stimmungen oder Verstimmungen sprechen, oft der Körper ist, der eigentlich das Problem hat. Also es ist nicht die Psyche, sondern es fehlt was auf der Versorgungsebene. Das finde ich wahnsinnig interessant und glaube, dass man da dahinter her sein darf. Und ich versuche mich in Finanzdingen zu bilden.

Spannende Zeiten dafür.

Absolut, weil wir ja gelernt haben, dass es unglaublich kompliziert ist und das können nur Experten machen. Aber erstens weiß ich, dass es nicht stimmt. Also man kann sich einfach informieren. Und zweitens, die spannenden Zeiten zwingen einen dazu, mündig zu werden.

Absolut, das ist richtig. Ich finde auch gerade, dass es ein Thema, was man auf jeden Fall auch so in diesem Musikkosmos, da wird glaube ich nicht so viel über Finanzen gesprochen und das ist eigentlich ganz geil, wenn das dahin geht, dass man das etabliert auf jeden Fall.

Und zum Abschluss die Frage, hast du einen Tipp aus der heutigen Perspektive, um den du damals als junge Erstsemester Studierende froh gewesen wärst?

Ich habe den schon in unserem Gespräch verpackt. Der Tipp ist, unbedingt das eigene Kompetenzzentrum, also das Feld, in dem man sich wohlfühlt, in dem die Dinge einem leicht zufallen, hochschätzen. Weil daraus erwächst alles andere. Oft neigen wir ja dazu, das was wir können, als „das kann ich halt, das ist nichts wert“ zu betiteln und das ist überhaupt nicht richtig. Da könnte der Schatz drin liegen, aus dem das ganz eigene entsteht. Und ich glaube, dass wir in eine Zeit gehen oder auch schon sind, wo es natürlich fantastisch ist, wenn man viel kann, aber es ist noch viel fantastischer, wenn man als Persönlichkeit eine Haltung vertritt. Und dazu gehört unter Umständen auch, hey, ich finde es total interessant, aber andere können das viel besser. Und wenn ich das mache, dann ist für mich der Flow garantiert, ich kann mit dem Universum große Worte, mit dem Universum spielen, ich berühre mich selber und ich berühre andere. Deswegen muss ich aus dieser Quelle schöpfen. Ich will natürlich wachsen, das heißt, ich grabe immer tiefer und tiefer und unter Umständen komme ich über unterirdische Gänge dann sehr wohl auch zu den ganzen anderen Sachen, die auf dem Tablett liegen und die wir ja alle können müssten. Aber dann ist es intrinsisch motiviert, es hat seine Zeit gehabt, es ist ganz klar, warum ich es machen möchte, warum ich es auch brauche. Das ist immer besonders gut, wenn ich merke, ich muss es jetzt lernen, weil sonst komme ich nicht weiter in dem, was ich so liebe. Beste Kombination, weil dann wird alles einfacher. Und ja, mehr an sich glauben und trotzdem die Alten schätzen.

Das finde ich ein sehr schöner Schlusswort, gerade auch mit Blick, dass wir beim Üben super oft auf unsere Schwächen schauen und weniger auf die Stärken. Nenne ich das gerne ein Schlusswort. Vielen Dank, Fola, es hat sehr großen Spaß gemacht.

Ja, danke Patrick, mir auch.

Wer schreibt hier eigentlich..?

Patrick Hinsberger auf Treppe mit Trompete
Musiker | Podcast-Host | Blogger |  + posts

Patrick Hinsberger studierte Jazz Trompete bei Matthieu Michel und Bert Joris und schloss sein Studium im Sommer 2020 an der Hochschule der Künste in Bern (Schweiz) ab.
Seit seiner Bachelor-Arbeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema musikalisches Üben und hostet seit 2021 den Interview-Podcast "Wie übt eigentlich..?"

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