richtiges Üben | https://what-is-practice.de/tag/richtiges-ueben/ BLOG Wed, 28 Aug 2024 16:03:24 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png richtiges Üben | https://what-is-practice.de/tag/richtiges-ueben/ 32 32 Differenzielles Lernen in der Musik https://what-is-practice.de/differenzielles-lernen-in-der-musik/ https://what-is-practice.de/differenzielles-lernen-in-der-musik/#comments Sun, 25 Aug 2024 14:07:42 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6576 Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn ist Bewegungs- und Trainingswissenschaftler an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. Er gilt als Begründer des Differenziellen Lernens. Eine Methode, die auch inzwischen Einzug in die Musik gehalten hat. Was so abstrakt klingt ist in Wahrheit recht einleuchtend und simpel. Wir lernen aus Unterschieden.  Damit ist nicht gemeint, dass wir anfangen sollten,… Weiterlesen »Differenzielles Lernen in der Musik

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Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn ist Bewegungs- und Trainingswissenschaftler an der Johannes Gutenberg Universität in Mainz. Er gilt als Begründer des Differenziellen Lernens. Eine Methode, die auch inzwischen Einzug in die Musik gehalten hat. Was so abstrakt klingt ist in Wahrheit recht einleuchtend und simpel. Wir lernen aus Unterschieden. 

Damit ist nicht gemeint, dass wir anfangen sollten, ein zweites Instrument zu lernen. Differenzielles Lernen zielt eher auf die kleinen Unterschiede ab, die beim Ausführen einer Bewegung am Instrument entstehen. Sie beschränken sich jedoch nicht nur auf Bewegungen, sondern variiert werden kann jeder musikalische Parameter von Ausdruck bis Genre. Die Frage, die sich natürlich nun stellt: Wie können wir uns das in der Musik zu nutze machen. Darüber soll es in dieser Podcast Folge gehen. 

Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn in der Sporthalle der JGU Mainz
Wolfgang Schöllhorn nach dem Interview an der JGU Mainz

In der Folge habe ich mit Wolfgang Schöllhorn den Blick aber abseits von Sport und Musik gerichtet und mein Gast gibt Einblicke zu aktuellen Forschungsfragen rund um das optimale Lernen gibt. 

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Wolfgang Schöllhorn lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview

Inhalt

In Anlehnung an die Musikerinnen und Musikerinterviews, die ich immer führe, würde ich Ihnen gern zum Einstieg zwei Fragen stellen: Vervollständigen Sie folgenden Satz, trainieren heißt für Sie?

Meist eine veraltete Methode, die dringend einer Überarbeitung bedarf.

Das heißt Sie trainieren nicht?

Nein. Das Wort trainieren (train – to train) kommt ursprünglich aus dem französischen und bedeutete „das Pferd aus dem Stall ziehen“.

Und ich will niemanden hinter mir herziehen, sondern für mich ist es eigentlich eine Stimulation und eine Interaktion, wo mehr Kreativität von Seiten des Lernenden mit hineinkommen kann.

Das heißt Sie sagen nicht „ich trainiere“, sondern was ist Ihr Wort für das, was man so landläufig als trainieren bezeichnet?

Also wir sind auf der Suche nach einem adäquaten Wort, aber: ich bewege mich, ich lerne.

Das finde ich schön. Bewegung oder Lernen sollte ja nicht nur monotones Wiederholen sein, sondern im besten Fall abwechslungsreich und kreativ.

Was ist denn die neueste oder letzte Idee, die Sie selber in Ihrem eigenen Bewegen, Lernen ausprobiert haben beziehungsweise an Studierende weitergegeben haben?

Das Neueste, was ich jetzt an unsere Studierenden gegeben habe, ist das Resultat unserer neuen Forschung, dass auch Differenziales Lernen mit der Zeit abstumpft.

Und das war das, was ich eigentlich auch von Anfang an vor 20 Jahren schon gesagt hatte: es geht um Variation der Variation. Variation muss individuell und situativ angepasst werden.

Es gibt Leute, die werden bei zu viel Variation verrückt. Dann gibt es andere, die werden bei zu viel Wiederholung verrückt – und dann kann das aber auch von Zeit zu Zeit wechseln. Es hat schon eine starke psychologische Komponente, wann Wiederholung Vorteile bringt. Da können wir aber später nochmal drüber reden.

„Variation muss individuell und situativ angepasst werden“

Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn

Entweder-Oder-Fragen

Sehr gerne, dazu habe ich auf jeden Fall auch ein paar Fragen vorbereitet. Für alle Zuhörerinnen und Zuhörer, die sie vielleicht noch nicht so gut kennen, habe ich mir ein paar Entweder-Oder-Fragen überlegt, um Sie vorzustellen.

Handball, Leichtathletik, Turnen oder Bobfahren?

Das ist jetzt quasi mein Lebenslauf in der Praxis.

Für mich gibt es da kein Entweder-Oder, sondern es war einfach nur die Neugierde.

Der Wechsel von Handball auf Leichtathletik war mehr oder weniger aus Gesundheitsgründen, weil ich im Handball (damals war es üblich auf Betonboden mit Linoleum zu spielen) die Knie nach zehn Jahren kaputt hatte. Während der Regeneration hatte ich die Leichtathleten kennengelernt.

Und die haben mich dann gefragt, ob ich als Handballer nicht auch mal Speer werfen könne. Wenn du Speer wirfst, dann kannst du auch Diskus und Kugelstoßen und damit war der Zehenkampf schon fast komplett zusammen.

Ich habe das dann eine Weile lang gemacht und habe dort aus Neugierde jemanden kennengelernt, der Bobfahren konnte. Ich bin dann dort relativ schnell erfolgreich gewesen und habe aber ganz am Ende, als ich schon Athleten trainiert hatte nebenher, mit meiner neuen Theorie ein Selbstexperiment gewagt.

Ich hatte dann mit Freunden von mir, Georgios und seinem Bruder Eftimios Karamitsos, der ist Nationaltrainer im Karate, einen Deal gemacht: Ich habe gesagt, ich bringe dir Sprinten bei und du bringst mir Karate bei. Aber ich will dich nur einmal die Woche sehen, weil ich den Rest dann selber mache. Und das haben wir dann gemacht. In sehr kurzer Zeit hatte ich den braunen Gurt und ich wusste, das Differenzielle Lernen funktioniert und habe es dann erst bei meinen Athleten angewandt.

Also alles, worüber ich rede, das stammt aus praktischer Erfahrung. Nicht nur als Athlet, sondern weil ich mein Studium selbst finanzieren musste, auch als Trainer.

Haben Sie eine Lieblingssportart, obwohl Sie so breit aufgestellt sind?

Nein, also womit ich mich schon ein bisschen schwertue, ist Wasser. Ich schwimme auch ab und zu, aber dann möchte ich wirklich schnell wieder raus. Alles, was so in den Ausdauer Bereich geht, ist jetzt nicht so mein Favorit.

Man hört Sie sind Schwabe, also: Mainz oder Ulm?

Also zum Studieren und Arbeiten gerne hier in Mainz.

Ich bin gern in Ulm, aber für die damalige Zeit war es wichtig, davon wegzukommen, weil Ulm für die Zeit nach der Schule doch eher etwas konservativ war. Da war die Gegend hier im Rhein-Main Gebiet ideal.

Erklären oder vormachen?

Weder noch. Fragen stellen.

Heute oder morgen?

Jetzt.

Wir hatten es davon eben schon im Vorgespräch. Ich kam auf die Frage, als ich ein Video von Ihnen gesehen habe, in dem Sie vor den deutschen Fußballlehrern sprechen. Da zitierten Sie am Anfang ein chinesisches Sprichwort, was wohl besagt: „Wenn du unglücklich sein möchtest, dann vergleiche dich mit anderen.“

Das ist vollkommen richtig. Das „andere“ kann man sogar weglassen. Wenn du unglücklich sein willst, dann vergleiche. Das reicht schon.

Das ist für mich im Sport, aber auch in der Musik ganz wichtig: Wenn ich ein Musikstück höre und will es genauso reproduzieren, dann fange ich schon an zu vergleichen. Oder wenn mir mal ein Stück gut gelingt, dann fange ich an zu vergleichen. Und der Vergleich, das wissen wir inzwischen, aktiviert den Frontallappen und damit wird die meist die Leistung reduziert. Das hindert uns auch daran im Moment maximal Leistung zu bringen.

Waren Sie immer schon frei davon oder war es bei Ihnen auch ein Prozess?

Nein, das war klar ein Prozess. Ich bin die klassische Schule durchgegangen.

Ich habe auch für 10 Jahre Oboe gelernt. Bei den Wiederholungen der Tonleiter in der anfangs viertel Stunde wusste ich damals schon nicht wozu.

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Was ist Differenzielles Lernen?

Können Sie beschreiben, was das Differenzielle Lernen auszeichnet, beziehungsweise wie es sich vor allen Dingen vom klassischen Lernen unterscheidet?

Wie das Wort es eigentlich schon sagt, liegt darin die Erkenntnis, dass wir prinzipiell nur, aus Differenzen lernen können.

Die zugrundeliegende Definition von Lernen: Lernen ist eine zeitlich überdauernde Verhaltensänderung oder Wissensänderung. Das heißt also das, was im Abitur stattfindet, ist kein Lernen. Das ist Kurzzeit-Reproduktion. Lernen ist eigentlich das, was wir auch ein Jahr danach noch wissen.

Zeitlich überdauernde Verhaltensänderung geht nur über Differenzen. Das hat auch einen informationstheoretischen Hintergrund: Wenn wir zweimal die gleiche Information erhalten, was sollen wir daraus lernen? Unser Körper ist auch darauf abgestimmt. Unsere Neuronen können sich sehr schnell an Wiederholungen anpassen.

Das merken wir immer, wenn wir morgens die Kleidung anziehen. Das ist für die Haut noch neu, aber sobald sich der Reiz beim Tragen wiederholt, sind wir uns der Kleider nicht mehr bewusst. Wiederholung stumpft ab.

Das Wort „differenziell“ rührt auch noch aus meiner Physikausbildung her und leitet sich von der Differential- und Integralrechnung ab. Es deutet darauf hin, dass es im Ursprung des Differenziellen Lernen eigentlich um die kleinen Differenzen ging.

Das bedeutet, wenn ich schon in einer Bewegung bin (wir haben damals mit Kugelstoßen gearbeitet), dann geht es nicht darum, dass ein Kugelstoßer noch zusätzlich Rad fahren und schwimmen soll, sondern dass er innerhalb des Kugelstoßens noch sehr viele Variationen drin hat.

Also, dass er nach rechts oben oder nach links unten stoßen kann. Er kann es in den Vorwärtsbewegen machen, er kann es in den Rückwärtsbewegen machen, mit dem Kopf nach links, Kopf nach rechts, Ellenbogen unten, Ellenbogen oben, etc.

Das heißt, wir haben damals gesagt, dass keine zwei aufeinanderfolgenden Wiederholungs- oder Bewegungsausführungen identisch sein sollten. Wir erzeugen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Bewegungen Differenzen, wodurch unser System eine Chance hat, einen Vergleich anzustellen um zusätzliche Informationen zu erhalten.

Interessanterweise nutzt unser Gehirn genau diesen Mechanismus ständig: Nämlich beim Sehen. Wenn wir also unser linkes und rechtes Auge abwechselnd auf und zu machen und eine Linie angucken, dann sehen wir, dass die Linie hin und her springt. Das heißt, unser Gehirn nutzt die Differenz der beiden Abbilder, um die Entfernung zu bestimmen. Das Gleiche macht es auch beim Gehör. Wenn ein Schall zuerst auf das linke Ohr und dann aufs rechte Ohr kommt, gibt uns die zeitliche Differenz die Orientierung, woher der Schall kommt.

„Das bedeutet, wenn ich schon in einer Bewegung bin (wir haben damals mit Kugelstoßen gearbeitet), dann geht es nicht darum, dass ein Kugelstoßer noch zusätzlich Rad fahren und schwimmen soll, sondern dass er innerhalb des Kugelstoßens noch sehr viele Variationen drin hat.“

Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn

Landläufig gibt es diese Vorstellung, dass wenn man etwas lernt und wiederholt, dass sich Myelin um die Synapsen bildet und eine Art Datenautobahn entsteht. Ist dann diese Vorstellung falsch?

Jein.

Also ich glaube, da liegt ein großes Missverständnis vor. Dieses auch als Binding- Problem bekannte Phänomen hatte ich damals schon bei Prof. Wolf Singer in Frankfurt am Max-Planck-Institut für Gehirnforschung gesehen: Wenn im Gehirn von vorne links die Frequenz kommt und dann hinten rechts ist – dann, so die Theorie fängt es an sich zu verbinden. Das stimmt für kurze Entfernungen, nur interessanterweise war das aber auch das einzige Lern-Design, was sie untersuchen konnten. Man hat kein anderes Lernen untersucht. Man hat quasi das Experiment so gestaltet, dass das rauskommt, was eigentlich rauskommen muss.

Und jetzt gibt es ja verschiednste Formen des Lernens, auch das sog. AHA-Lernen was wir zum Beispiel Fahrradfahren erleben. Das können wir damit nicht erklären. Balancieren können Sie damit nicht erklären. Es ist nur eine, und zwar eine der wenigsten Formen des Lernens, die man untersucht hat.

Hinzukommt, dass wir wissen dass sich unser System von selbst ändert. Also schon wenn ich nachts schlafe, schon wenn ich irgendeinen Gedanken habe, habe ich im Gehirn schon nicht mehr die gleichen Synapsen. In der Pubertät kommt zusätzlich Wachstum und die Veränderung des Hormonhaushalts dazu. Das heißt eigentlich, dass ich niemals wieder dieselbe Situation habe. Wozu soll ich dann wiederholen? Also, wiederholen macht Sinn – allerdings aus anderen Gründen, die meist mit einem Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle in Verbindung stehen.

Was wir inzwischen leider wissen ist, wenn zu viele Wiederholungen stattfinden und das ist ganz bekannt in der Musik, besteht die Gefahr der Fokalen Dystonie. Diese Krankheit tritt häufig bei enormem Ehrgeiz gepaart mit vielen Wiederholungen auf. Wir sehen dies nie bei viel Variation. Im Sport ist es übrigens ähnlich, zum Beispiel beim Golf das Yips. Es ist immer die Paarung viel Ehrgeiz mit viel Wiederholung.

Das heißt nicht prinzipiell, dass man keine Wiederholung zu lange machen sollte. Es muss allerdings differenziert werden. Im absoluten Top-Bereich ist Wiederholung und Ehrgeiz zudem etwas ganz anderes als beim Anfänger. Wenn ein Anfänger wiederholt, dann habe ich da immer noch genügend Variation drin. Deswegen lernen sie auch noch bei Wiederholung.

Allerdings je länger sie in unserem klassischen Schulsystem, im Ausbildungssystem etc. drin sind, desto weniger Varianz sieht man bei den Wiederholungen. Dies ist unter anderem auch der Grund warum es älteren Menschen schwerer fällt, Neues zu lernen. Sie glauben immer noch, die gleichen Methoden wie in der Schule anwenden zu müssen, weil es dort ja auch funktioniert hat. Der Unterschied war nur, dass in dieser Zeit viel Variation im Leben war und stets Neues erfahren wurde. Im Alter sind die Bedingungen anders und deshalb funktionieren auch Methoden aus früheren Jahren nicht mehr. Es geht einfach darum, genügend Variation weiter im Gesamtsystem zu halten.

(Warum) ist Differenzielles Lernen universell übertragbar?

Wir haben vorhin schon in Ihrer Biografie die Sportarten aufgezählt, die Sie selbst aktiv gemacht haben, aber auch die Sportarten, die inzwischen differenzielles Lernen anwenden. Jetzt kann man ja weder von der Musik noch im Sport von dem Sport reden. Wieso lässt sich das differenzielle Lernen trotzdem auf so viele Disziplinen anwenden?

Wir haben 2014 mit Stefan Albrecht (Querflöte) eine Studie gemacht. Wir luden die besten Flötisten aus dem Rhein-Main-Gebiet hier ein und ließen sie im Labor Mozarts zweites Konzert für Querflöte spielen. Alle Finger- und Körperbewegungen wurden mit Kameras und einer Kraftmessplatte aufgenommen.

Und obwohl die alle genau das gleiche Stück spielten (sie mussten es fünfmal an einem Tag spielen und kamen an drei Tagen hintereinander) konnten wir anhand jeder Fingerbewegung erkennen wer spielt. Wir konnten anhand der Körperbewegung erkennen wer spielt und das, ohne dass wir irgendeinen Ton aufgenommen hätten. Ich hätte es auch vom Ton her sagen können wer spielt. Allerdings konnten wir nicht die Tage voneinander unterscheiden. Das heißt, da war dann eine Überlappung.

Inzwischen haben wir Verfahren über unsere Deep Learning Netzen, mit denen wir auch die Tage unterscheiden können. Das heißt, wir sehen eigentlich, dass unser System selbst sich ständig verändert. Und das ist genau das, warum Wiederholungen nur wenig bringen. Sie helfen uns allerdings in Bezug auf psychische Sicherheit. Sie geben mir das Gefühl von Kontrolle. Und deswegen gibt es Personen, die das brauchen. Und diese Phänomene treten nicht nur im Sport oder der Musik auf, sondern scheinen grundlegend.

Warum das Differenzielle Lernen auf alle Bereiche zu übertragen ist, liegt wohl daran, dass hier physikalische Theorien gepaart  mit neurophysiologischen Grundlagen zugrunde liegen, und keine weitere Meisterlehre. Also sprich, jedes System, was noch am Leben ist, zeigt diese Phänomene, wie z.B. Schwankungen, Stabilitäten, Instabilitäten, Phasenübergänge etc. Und solange das System Schwankungen hat, am Leben ist, sind diese Theorien anwendbar.

Anwendungsbeispiele des Differenziellen Lernens in der Musik

Wenn ich jetzt ein Trompeter bin, dann weiß ich, dass die Finger niemals identisch auf die Ventile kommen. Die Lippenbewegung, Atmung, Stütze ist nicht immer gleich. Und vor allen Dingen sind sie in Kombination nicht immer identisch: Welchen Gedanken habe ich da gerade mit drin? Wie ist meine Stimmung? Wie ist mein Ernährungszustand?

Das heißt, die ständigen Variationen, die dort hinzukommen, die ignorieren wir bislang einfach. Wir denken, wir spielen Trompete, weil da vorne Noten sind. Nein, der Teufel steckt im Detail. Allerdings kann ich das im Prinzip nutzen, um die Variation aufrechtzuerhalten.

Das heißt, ich kann mal mit gebeugten Fingern, ich kann mit gestreckten Fingern spielen, ich kann mit hohem Ellbogen spielen, ich kann mit Ellbogen unter der Trompete spielen, ich kann mit Rücklage spielen, ich kann mit Vorlage spielen, ich kann das Spiel in Seitlage machen, ich kann den Nacken stärker beugen, ich kann in Überstreckung gehen Es gibt verdammt viele Möglichkeiten, wo man variieren kann.

Das heißt aber, Sie beschränken ganz bewusst die Differenzen, also die Variationen, auf dem Bewegungsapparat?

Nein, nicht nur auf die Bewegung. Das hat Professor Martin Widmaier mal wunderschön am Flügel des Peter-Cornelius-Konservatoriums in Mainz vorgeführt.

Er hatte zwei Flügel nebeneinander aufgestellt und Musikschulkinder Stücke im Vorbeigehen, nicht am Sitzen, spielen lassen. Die Spielaufforderungen variierten: Spiel doch mal wie Hagelkörner. Jetzt spiel doch mal wie Schneeflocken. Oder wie in einem Liebeslied. Und jetzt mal arrogant-aggressiv. Also Emotionen ausdrücken in der Musik ist ein ganz großer Bereich von Variation. Für die Bläser kommt noch hinzu, dass ich in kürzeren Rhythmen atmen kann, abwechselnd zwischen Bauch und Brustatmung, durch die Nase oder den Mund einatmen, und beliebige Kombinationen davon, oder ich könnte laut und langsam oder schnell und leise spielen, die hohen Töne leise, die tiefen Töne Laut und umgekehrt. Wenn man das noch mit den Bewegungen kombiniert, dann sieht man schnell die große Anzahl an Möglichkeiten. Wenn man dann noch an die Stücke rangeht und nur jeden zweiten Takt spielt, das Stück rückwärts spielt, in verschiedenen Rhythmen, dann öffnet sich noch ein ganz anderes Feld. Was häufig erst spät gemacht wird, könnte man schon am Anfang machen, die Stücke z.B. in verschiedenen Stilen spielen, Bach’s Tocatta im Blues-stil, oder Satchmo’s What a wonderful day klassisch interpretieren. Vieles davon wird vereinzelt schon angewandt, aber leider noch nicht systematisch und nicht bei allen in die Grundschule eingebaut. Herr Albrecht zum Beispiel lässt seine Flötenschüler von Beginn an auch Flageolett (Spielen mit Obertönen) mit Erfolg spielen, das klassisch erst spät wenn überhaupt eingeführt wird.

Ist ein variantenreiches Üben und Differenzielles Lernen im weitesten Sinne das Gleiche?

Ja. Wir hatten das Wort differenziell eigentlich nur aus dem Grund gewählt, weil es im Sport eine sogenannte Variability of Practice Theorie gab. Diese ging davon aus, dass wir sogenannte invariante Elemente haben. Die Invarianten, die kann man kombinieren mit variablen Parametern, damit die Invariante stabiler wird. Das wäre dann zum Beispiel Gehen mit langem Schritt, mit kurzem Schritt, schnell oder langsam – aber ich darf nicht meinen Stil verändern. Ich darf nicht federn oder schleichen gehen. Der Rhythmus muss jedoch drin bleiben. Wie sich mittlerweile allerdings rausstellte, ist die Theorie nur für kleinmotorische Bewegungen gedacht.

Und weil dort das Variable schon quasi benutzt war, haben wir nach einem Alternativbegriff geguckt. Und eigentlich ist es auch der Kern von allen anderen Lernansätzen: auch dort gilt: Wir lernen nur aus den Differenzen.

Umgangssprachlich würde ich variabel sagen. Allerdings nicht variabel im Sinne von „geblockt“ (10x Variante A, dann 10x Variante B) – sondern es geht auch darum, dass wir jede Bewegung oder jeden Ton anders machen. Ich kann dann im Übrigen auch, was viele Musikerinnen und Musiker machen, ein Musikstück erstmal nur mit punktierten Achtel durchspielen oder das Stück mal schnell, mal in Lento oder mal in Adagio.

Ich würde sagen, wenn am Anfang die Technik das Problem ist, dann fange ich an dort zu variieren. Wenn es dann um Ausdruck des Musikstücks geht, dann geht es mehr um Emotionen zu variieren.

„Wenn wir das Gehirn in diesen Alpha-Theta-Zustand kriegen, dann lernen wir optimal. Genau dafür ist Bewegung ideal und es muss nicht unbedingt Ausdauersport sein, sondern jede Form von Bewegung, allerdings Ganzkörperbewegungen. Fingerbewegungen alleine scheinen nicht zu genügen“

Prof. Dr. Wolgang Schöllhorn

Differenzielles Lernen im Vergleich zur O.P.T.I.M.A.L Theorie

Ich habe die ganze Zeit die Differenzielle Theorie oder das Differenzielle Lernen sogar ein bisschen weiter aufgefasst. Sie hatten es vorher schon angesprochen, dass Sie das Lernen ja auch in dieser zeitlichen Komponente sehen. Also nicht nur in der zeitlichen Komponente im Laufe des Lebens, sondern auch in der zeitlichen Komponente innerhalb des Tages (wir sind morgens anders aufnahmefähig als abends). Vielleicht kennen Sie aus der Musik Susan Williams?

Nein.

Susan Williams ist eine Barocktrompeterin, aus Holland, die in Bremen lehrt. Sie hat die O.P.T.I.M.A.L Theorie von Gabriele Wulf versucht auf die Musik zu adaptieren. Sie geht auch über das variantenreiche Üben hinaus und sagt, dass Lernen dann gut funktioniert, wenn man intrinsisch motiviert ist. Die beiden Theorien sind aber nicht so verknüpft, wie man auf den ersten Blick wahrscheinlich denken würde?

Wir sind gerade daran eine indirekte Verknüpfung herzustellen. Diese ist, dass man in beiden Fällen versucht, einen optimalen, jetzt ohne Akronym, einen optimalen Gehirnzustand zu erzeugen, der Lernen optimiert.

Ich bin allerdings ein bisschen skeptisch, weil gerade vor einem Jahr kam eine Meta-Analyse zum External Focus raus, die Bestandteil von der OPTIMAL-Theorie ist und die zeigt eigentlich, dass es keine systematischen Effekte gibt.

Und das ist auch das, was wir in Verbindung mit einem anderen System, Action-Type-System von Bertrand Theraulaz und Ralph Hipolite, feststellen.

Für manche Menschen, und deswegen bin ich immer mehr auf individuelle Geschichten aus, ist es förderlich, wenn sie extern fokussieren. Für andere ist es besser, wenn sie intern fokussieren.

Was heißt extern und intern in diesem Zusammenhang?

External Focus bedeutet sich auf einen Punkt, der außerhalb meines Körpers liegt, zu fokussieren. Intern entsprechend ein Punkt in meinem Körper. Da wird häufig, in meinen Augen, in der Wissenschaft viel kaputt gemacht, indem man Mittelwerte nimmt und dann ist es gerade Zufall, welche Art von Stichproben man hat.

Und was das O.P.T.I.M.A.L. Theorie betrifft, da sind noch zwei andere Sachen integriert worden, bei denen es um Motivation geht. Aber das sind sehr stark psychologische Elemente. Ich würde es gerne mal zusammen untersuchen.

Zum optimalen Lernen sehen wir, dass ein bestimmter Gehirnzustand notwendig ist. Und um diesen herstellen zu können, muss ich sehr individuell rangehen. Deswegen habe ich Schwierigkeiten mit an Mittelwerten orientierte Theorien generell (auch der O.P.T.I.M.A.L Theorie), die sagen, dass sie für alle gleich sind.

Für mich ist das ein ganz wichtiger Bestandteil der Differenziellen Theorie. Sie sagt nicht, dass das für alle gleich ist, sondern differenziell. Da ist noch ein ganz wichtiger Aspekt im differenziellen Lernen mit drin, nämlich die stochastische Resonanz. Wo ich die Differenzen anlege, muss ich meinem Lernenden gegenüber anpassen. Also wenn ich weiß, dass jemand abends müde ist, dann muss ich das anders machen, als wenn jemand gerade wach mit drei Tassen Kaffee ist.

Allerdings das ist ein großes Forschungsgebiet. Gemeinsam mit meinem Mitarbeiter Dr. Horst entwickeln wir daher gerade ein quantitatives Analyseverfahren zur Mustererkennung.

Mit Differenziellem Lernen setze ich die Grenzen weiter, damit ich eine höhere Chance habe zu interpolieren. Weil, wenn ich zu eng übe und dann kommt etwas außerhalb, dann muss ich extrapolieren und darin ist unser System nicht gut.

Jetzt könnte man ganz polemisch fragen, wenn das Differenzielle Lernen so überlegen ist, warum machen das nicht eigentlich alle so?

Die Frage höre ich öfters, vor allem am Anfang. Das ist immer so, wenn neue Sachen kommen. Zuerst wird es am Anfang bekämpft, dann wird es belächelt und am Schluss wussten es alle schon. Es ist und war schon immer schwierig, bestehende Lebensphilosophien und Überzeugungen zu ändern.

Und ja, unter dem Deckmantel des Lernens ist es leider so, dass in erster Linie Gehorsam beigebracht wurde.

Im Sport kommt hinzu, dass es schon viele anwenden, es aber aufgrund des Wettkampfcharakters und der Konkurrenzsituation nicht kundtun. Selbst ich erfahre es dann oft erst 10-15 Jahre danach, dass der Erfolg auf Differenzielles Lernen zurück ging.

An diesem Punkt waren wir schon ein paar Mal im Podcast: am Ende läuft es eigentlich immer darauf hinaus, dass man bestmöglich lernt oder weiterkommt, wenn man sich selbst sehr gut kennt und ein sehr genaues Bild von sich selber hat.

Allerdings wird wahrscheinlich gerade diese Fähigkeit zu wenig in Schul- und Musikausbildung kultiviert. Von daher wäre es ja eigentlich wünschenswert, wenn das eine Qualität wäre, die man den Leuten vermittelt oder?

Also jetzt wird es richtig philosophisch. Das ist eigentlich genau das, auch was schon über dem Orakel von Delphi stand und von vielen Philosophen wiederholt wurde: erkenne dich selbst.

Jetzt bin ich schon ein bisschen älter und ein bisschen mehr in der Welt rumgekommen, aber meine Beobachtung ist wirklich, alles, was wir machen, dient eigentlich nur dazu, uns selbst kennenzulernen und dann eventuell mal über den Sinn unseres Daseins nachzudenken.

Und jetzt komme ich ja von der Oboe und aus verschiedenen Sportarten mit Physik und Philosophiehintergrund und man wird eigentlich in allen Gebieten immer nur mit Problemen konfrontiert. Entweder stellt man sich ihnen und löst sie oder man läuft immer weiter in die kleinen Probleme rein und endet dann in Krankheiten. Das war auch einer meiner beeindruckendsten Sätze, die ich in einer Vorlesung in Physik von Carl Friedrich von Weizsäcker gehört hatte: „Warum muss der Mensch immer erst physisch erkranken, damit er psychisch gesunden kann.“

Ein anderer Spruch war für mich immer: das Schicksal hat so gewisse Winks und wenn man den Wink nicht versteht, dann kommt er das nächste Mal halt als Zaunpfahl daher. Ein anderer Spruch in eine ähnliche Richtung, der aus dem Indischen kommt: wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mache einen Plan.

Das haben wir in Indien in unserer Ausbildung ständig gehört. Und es ist inzwischen auch klar, dass Pläne im überwiegend Frontallappen produziert werden. Deswegen steht es auch schon in der Bibel drin, dass wir zu Kindern werden müssen, um in das Reich Gottes zu gelangen. Und damit ist nicht gemeint kindisch zu sein. Sondern es geht darum, nicht zu planen, im Moment zu sein und nicht zu urteilen. Aus diesem Grund lernen auch Kinder so schnell.

Kinder bis zum fünften Lebensjahr zeigen im Gehirn nur die niedrigen Frequenzen, die theta und alpha). Die hohen Frequenzen, Beta und gamma kennt das kindliche Gehirn nicht. Die niedrigen Frequenzen sind aber genau diejenigen, die wir brauchen, um zu lernen. Und dies versuchen wir seit längerem für andere Bereiche zu nutzen, indem wir die niedrigen Frequenzen provozieren: Erwachsene wieder in den Gehirnzustand zu bringen, damit optimales Lernen stattfindet. Wenn wir das Gehirn in diesen Alpha-Theta-Zustand kriegen, dann lernen wir optimal. Genau dafür ist Bewegung ideal und es muss nicht unbedingt Ausdauersport sein, sondern jede Form von Bewegung, allerdings Ganzkörperbewegungen. Fingerbewegungen alleine scheinen nicht zu genügen. .

„Das Ziel ist nur, die Hindernisse und die Blockaden, die euch antrainiert wurden wegzukriegen.“

Prof. Dr. Wolfgang Schöllhorn

Wie viel Variation ist zu viel?

Ich würde gerne zum Abschluss noch einmal rauszoomen, um den Leuten ein paar Handwerkszeuge mitgeben, wie sie beim Selbstbeobachten schauen können, in welche Richtung das Differenzielle Lernen bei Ihnen geht. Sie hatten das Wie in der Musik bereits etwas skizziert. Ich versuche mal zwei weitere Ebenen anzuschließen:

Die erste, die zeitliche, die hatten wir vorher schon ganz kurz umrissen. Ich habe hier nochmal einen anderen Blickwinkel drauf, den ich Ihnen gerne vorstellen würde, nämlich das Credo des „Viel hilft viel“.

Wahrscheinlich ist es nicht schlau, den ganzen Tag differenziell zu üben, denn so ein gewisses Maß an Wiederholung ist ja auch schon sinnvoll. Sie hatten das eben mit diesem psychologischen Aspekt umrissen. Ich weiß, Herr Widmaier hat das in so einem schönen Rechteck beschrieben, wo es um Konstanz und Varianz geht.

Können Sie beschreiben, inwiefern das differenzielle Lernen in so einem Alltag ausmachen kann, um nicht in einen Überforderungszustand zu geraten?

Das waren gleich mehrere Fragen. Der erste ist, Sie wollen jetzt, dass ich mich selbst ins Knie schieße. (lacht)

Hoffentlich nicht.

Das klingt so ein bisschen nach der Frage nach einem Rezept. Und das widerspricht ja eigentlich der Theorie des Differenziellen Lernens. Es war auch ein Ansatz gleich von Anfang an, dass ich gar nicht so viel publizieren wollte, weil ich erstmal die Leserschaft dazu anregen wollte, wieder mehr zu experimentieren. Und nicht nur irgendwas blind zu übernehmen, was in irgendwelchen Büchern steht.

Und da war auch ein schöner Spruch von mir, den ich übernommen habe von Schopenhauer: „Wer viel liest, lernt nur mit anderen Köpfen zu denken.“ Also denk bitte erst selbst nach, bevor du liest. Und nur, wenn es gar nicht mehr geht, dann schaue nach etwas anderem. Einige haben dies dann missbraucht und das Differenzielle Lernen irgendwie völlig schief interpretiert. Das war der Grund, warum wir dann anfingen, wieder etwas zu veröffentlichen.

Also prinzipiell: ich weiß es nicht, wie viel Variation notwendig ist. Allerdings besagt ein Teil der Theorie, dass man die beobachtenden Schwankungen langsam anfangen soll.

Weniger ist mehr

Und eigentlich war schon ein Ansatz des differenziellen Lernens, dass man nicht die gleiche Menge variabel trainiert, sondern dass man den Umfang des Übens massiv reduzieren kann. Und das sehen wir inzwischen auch bei Studien im Sport: Probanden wurden über zwei Monaten zu zwei Stunden mehr Schlaf gezwungen. Die Vergleichsgruppe trainierte in diesen zwei Stunden. Sie können sich vorstellen, was rauskam? Diejenigen mit mehr Schlaf haben die Leistungsfortschritte gemacht und nicht die, die trainiert haben in der Zeit.

Und das wissen wir auch aus anderen Studien. Kinder, die in der Grundschule täglich eine Stunde Sport hatten, zulasten von Deutsch, Mathe etc., sind in Mathe und Deutsch besser geworden als die anderen, die keinen täglichen Sport hatten.

Jetzt kam ich halt auch aus dem Mehrkampf, wo es ganz wichtig war zu ökonomisieren. Ich kann nicht jeden Tag einen Zehnkampf machen. Wenn ich eine Variation zum richtigen Zeitpunkt bringe, dann muss ich gar nicht mehr so viel üben.

Und das ist genau, was kleine Kinder schon spüren. Wenn es zu viel wird, schlafen sie wieder. Deswegen schlafen Kinder so viel – bis zu 16 Stunden. Das ist die Basis des Lernens. Es ist nicht das Aktive. Nein, sehr häufig ist das blinder Aktionismus.

Auswirkung von Mittagsschlaf auf den Lerneffekt

Und das zeigen auch andere Studien. Mittagsschlaf, wenig populär in Deutschland, hat große, positive Auswirkungen für anschließende Dinge.

Und was man sogar inzwischen beobachtet hat: Wir untersuchen das gerade parallel in einer großen mediterranen Ernährungsstudie von meinem Kollegen Dr. Ammar. Eine der Ursprünge der mediterranen Ernährung kam aus Kreta. Viel Olivenöl etc. Jetzt hat man das Ganze wiederholt und hat aber drauf geachtet, wer denn einen Mittagsschlaf macht. Und wenn man den rausnimmt, dann gibt es keine Vorteile mehr. Das heißt, die ganzen Effekte gingen auf den Mittagsschlaf zurück.

Also, noch mal ganz zurück zum Differenziellen Lernen. Ich würde sagen, wer es ausprobiert, soll wirklich mal eine gewisse Zeit lang probieren, soll experimentieren. Mal gucken, wie der Körper darauf reagiert.

Es ist ein großes Problem, dass wir so lange Zeit eingetrichtert bekommen haben, dass man unter 10.000 Wiederholung nicht auf die Landesmeisterschaften kommt; unter 2 Millionen Wiederholungen nicht zu Olympia. Das kenne ich aus der Musik auch: du musst 10 Stunden üben am Tag. Ich bezweifle das. Also ich glaube, wenn man es entsprechend variabel gestaltet, dass mindestens kleine Effekte rauskommen.

Oder, was wir eingangs schon besprochen haben, einfach mal andere Möbel drumherum probieren oder nur auf unebenem Grund mal zu trainieren. Da sehen wir schon Rieseneffekte in Bezug auf unsere Konzentration. Also für mich gilt es eigentlich, die Kleinigkeiten zu finden, die dann Riesenauswirkungen haben.

Diese Schlafstudie gibt es auch in der Musik von Eckart Altenmüller, wenn mich nicht alles täuscht.

Ja, würde ich ihm zutrauen. Er war auch bei unserem ersten Treffen vor zirka 15 Jahren dem Differentiellen Lernen gegenüber sehr aufgeschlossen.

Die Rolle des Lehrers im Differenziellen Lernen

Wie verändert sich denn die Rolle des Lehrers im Differenziellen Lernen? Denn der Fehler im klassischen Sinn, die gibt es ja nicht mehr. Das sind alles Schwankungen, bzw. Sie sagen Rauschen dazu. Aber wie geht man damit um als Pädagoge?

Das ist schwer, wenn man aus der alten Schule kommt.

Als Trainer bin ich nicht nur für die Ausführung des Sports zuständig, sondern für die Persönlichkeitsentwicklung. Bei mir in der Gruppe mit 20 Athleten war immer auch Austausch darüber, wie es in der Schule und privat läuft. Und die Persönlichkeitsentwicklung schließt für mich ein, auch im Sport zu lernen Verantwortung zu übernehmen.

Am Anfang gab ich viele Instruktionen, um ihnen auch klarzumachen, dass etwas anderes möglich ist. Sie kamen ja alle aus der klassischen Schule. Ich habe ihnen dann oft eine Variante gezeigt und sie aufgefordert selbst drei weitere Varianten zu entwickeln. So wurde es interaktiv. Das ist ein bekannter Lehrstil in der Pädagogik.

Ich endete oft in meinen Vorträgen mit der Frage, was die Take-Home-Message sei. Die Antwort darauf: Nichts, weil ihr wusstet alles schon.

Das Ziel ist nur, die Hindernisse und die Blockaden, die euch antrainiert wurden wegzukriegen. Das Verhalten, was ihr zeigt, war gut gewesen um als Kinder zu „überleben“. Aber jetzt erkennt es und fangt an daran zu arbeiten, um davon wegzukommen.

Outro

Ich hätte, ähnlich wie am Anfang, zwei Fragen für den Abschluss: Was lernen oder üben Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können?

Ich bin am Lernen von Spanisch. Ich bin am überlegen, ob ich Kajakfahren noch lerne.

Ich probiere ständig neue Koordinationsübungen aus und bin jetzt aber gerade dran, den Einfluss von Erd-Magnetfeldern auf unser Gehirn mir anzugucken. Es zeigt sich, dass das einen wesentlich größeren Einfluss hat, als wir glauben, weil wir keine Sensoren dafür haben, die Efffekte sind aber vorhanden. Zudem stellt es unmittelbar die Verbindung zur Astrologie her. Da steckt verdammt viel Wissen drin, was einfach aus Ignoranz und Arroganz quasi unter den Tisch fällt. Also man kann da viel davon lernen.

Ja, das ist ein sehr spannender Punkt, den ich auch schon in der Vorbereitung gehört habe. Also wenn es da was Neues gibt, dann bin ich sehr neugierig.

Und wenn Sie jetzt in Ihre eigene Studierendenzeit zurückblicken, hätten Sie einen Tipp für jüngeres Ich aus heutiger Perspektive, um den Sie damals froh gewesen wären?

Nein, das ist vorbei. Es widerspricht auch dem „Im Moment sein“. Ich habe immer mein Bestes probiert, mehr ging nicht. Also was soll ich da ändern? Studien zeigen auch, dass man fast nur Dinge bereut, die man nicht gemacht hat. Ich habe viel ausprobiert.

Und dann jemandem Empfehlung zu geben? Nein, das mache ich nicht. Ich kann erzählen, was ich mache und gemacht habe, und dann kann jeder für sich entscheiden, ob er es nimmt oder nicht.

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Wie übt man effektiv, Benny Greb? https://what-is-practice.de/effektiv-ueben-benny-greb/ https://what-is-practice.de/effektiv-ueben-benny-greb/#respond Mon, 29 Apr 2024 07:37:58 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6504 Benny Greb gehört sicher zu den renommiertesten Drummern weltweit. Ob als Sideman - von zum Beispiel Mark Forster und Thomas D. Auch als Experte für Schlagzeug-Technik und Effektives Üben hat er sich inzwischen einen Namen gemacht. Genau darüber habe ich mit ihm gesprochen.

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Effektiv Üben – Tipps & Methoden

Benny Greb gehört sicher zu den renommiertesten Drummern weltweit. Ob als Sideman – von zum Beispiel Mark Forster und Thomas D. oder mit seinen eigenen Projekten ist er ein gern gesehener Gast auf Bühnen und Festivals rund um den Globus. Gerade bereitet er sich wieder auf Konzerte mit der Buddy Rich Bigband in London vor. 

Auch als Experte für Schlagzeug-Technik und Effektives Üben hat er sich inzwischen einen Namen gemacht. Genau darüber habe ich mit ihm gesprochen. Wir haben wichtige Voraussetzungen für gutes Üben diskutiert und Benny hat Tools und Methoden verraten, wie er an den Drums arbeitet. Die Inhalte sind aber natürlich auf allen Instrumenten anwendbar – also keine Angst, liebe Nicht-Schlagzeuger!

Mehr Infos über Benny Greb

Benny Greb (Foto © Gerhard Kühne)

Literatur Tipps

Effective Practicing for Musicians

Benny Buch gibt einen umfassenden Blick in das Thema „effektiv Üben“. Dabei lässt er so gut wie keine Frage unbeantwortet. Ob von der Gestaltung eurer Übe-Umgebung bis hin zur Erstellung eines 3-Monats Übe-Plan werdet ihr in diesem Buch viele spannende Aspekte entdecken. Sowohl als Profi als auch als Laie ein wichtiges Buch, um beim Üben wertvolle Zeit zu sparen und effektiv arbeiten zu können. Natürlich richtet sich das Buch an alle Instrumentalist:innen und nicht nur an Schlagzeuger:innen.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Benny Greb lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Benny Greb

Inhalt

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?

Üben heißt für mich, meinen Output anzugucken, zu bewerten und anschließend Veränderungen vorzunehmen. Hoffentlich basierend auf meiner Realisation, was da so passiert ist und dann diese Kurskorrektur hoffentlich in meinem Spiel und in zukünftigen Sessions zu manifestieren.

Es wird oft gesagt, dass Fortschritt von viel Erfahrung kommt. Das ist meiner Ansicht nach ein Irrglaube. Er kommt von vielen Realisationen und von vielen Kurskorrekturen.

Das waren jetzt sehr viele interessante Aspekte, die wir im Laufe des Gesprächs nochmal tiefer besprechen werden. Gibt es aktuell eine Musik, ein Album oder einen Künstler, der bei dir in Dauerschleife läuft?

Ich wurde wieder eingeladen mit der Buddy Rich Big Band in London zu spielen und deswegen höre ich mir gerade oft diese Songs an. Aber das ist eher Vorbereitung.

Gibt es auf deine musikalische Karriere bezogen ein Spieler oder auch eine Spielerin, die dich sehr geprägt hat?

Ja, da gibt es natürlich viele. Aber ich würde jetzt einfach mal Steve Gadd oder Dave Weckl erwähnen.

Entweder-Oder-Fragen

Zum Warmwerden habe ich mir ein paar Entweder-oder-Fragen überlegt, um dich den Zuhörerinnen und Zuhörern vorzustellen, die dich noch nicht so gut kennen: Ghostbusters, das Original, Ghostbusters Frozen Empire?

Natürlich das Original von 1984.

Bayern oder Hamburg?

Beides. In Bayern leben meine Eltern und es ist meine Heimat sozusagen. Hamburg, weil ich hier schon seit über 25 Jahren lebe und das mein Zuhause ist.

Ist das dein Joker bei den Entweder-oder-Fragen?

Ich bin immer völlig outlaw-mäßig bei diesen Fragen. Ich muss dich vorwarnen.

Wir lassen das mal so stehen. Spielen oder Üben im Sinne von „Playing“ oder „Practicing“, wie du es in deinem Buch beschrieben hast.

Beides. Hauptsache man trennt es und lässt es sich nicht gegenseitig kaputt machen.

Clinics halten oder selbst Konzerte spielen?

Ich bin kein guter Kandidat für diese Entweder-oder-Fragen. Ich liebe beides und könnte mich da nicht entscheiden. Ich habe immer wieder Zeiten, in denen ich das eine mehr mache als das andere. Es ist wie bei einem Pendel, das hin und her geht.

Es sind auch schwierige Fragen. Kommen wir zur Letzten: Struktur oder Chaos?

Auch beides. Das Chaos hat eine enorme schöpferische Qualität. Struktur ist wichtig, um das zu bündeln. Das wäre, wie wenn man sagen würde „Ein Wildbach oder Laserkater“. Es ist eben beides toll und es kommt darauf an, was man damit machen will.

Das Problem ist, wenn Leute eins dem anderen vorziehen wollen und sagen, sie müssten sich entscheiden und dann die Qualitäten von dem einen in dem anderen haben wollen. Das geht nicht. Das eine ist das eine, das andere ist das andere. Und beides ist wunderschön – wenn man es richtig einsetzt.

„Aber was gleich bleibt ist, dass ich mein Üben immer in Spielen und Üben aufteile.“

Benny Greb

Bennys Übe-Alltag

Wir wollen heute vor allen Dingen übers Üben sprechen und uns anschauen, wie sich deine Übe-Karriere über die Jahre entwickelt hat. Kannst du uns mal in einen typischen Übe-Alltag mitnehmen?

Die Zeiten, wie lang ich am Tag oder in der Woche übe, müssen leider variieren, je nachdem, was ich mache und je nachdem, was familiär los ist (oder ob ich auf Tour bin oder ob ich gerade ein Seminar halte). Aber was gleich bleibt ist, dass ich mein Üben immer in Spielen und Üben aufteile. Dass ich, wenn ich übe, immer ein paar Tools dabei habe, die mir ganz wichtig sind und, die mir helfen.

Was sind das für Tools?

Also zum Beispiel ein Timer oder mein Journal. Ich führe wirklich Buch. Das klingt unromantischer als es ist. Und ich brauche auf jeden Fall entweder mein Handy oder einen Zoom Recorder. Irgendwas, um ein Vorher-Nachher Recording aufzunehmen.

Daneben nutze ich auch ein paar interne Tools. Egal ob ich jetzt am Pad spiele oder mir im Bus etwas überlege, mental übe oder, ob ich wirklich an meinem Instrument bin. Das sind Mechanismen, die mir gut dienen. Insofern ist es gar nicht so wichtig, wie lange ich übe. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtiger ist, wie ich übe. Und das macht dann das Üben effektiv, egal wo und wie lange.

Du hast am Anfang, auf die erste Frage, schon viele von diesen Punkten angeschnitten. Ich habe das für mich unter „Reflexion“ und „Veränderung“ zusammengefasst. Ist das eine Art und Weise zu üben, die dir so einfach naheliegt und immer schon so war oder ist das etwas, was du dir über die Jahre hart erarbeiten musstest?

Nein, das war definitiv anders am Anfang. Ich habe als Autodidakt angefangen und es war sehr chaotisch. Ich musste eigentlich die Struktur später mit reinnehmen, weil ich gemerkt habe, dass mir sonst ein paar gute Sachen verloren gehen. Ich habe gemerkt, dass ich ganz oft etwas anderes geübt habe und dadurch diesen Aufbaueffekt nicht hatte. Ich hatte dadurch keinen Überblick.

Ich wollte dann zum Beispiel etwas ausprobieren und wusste gar nicht, ob es in meinem Repertoire überhaupt drin ist. Ich wusste zwar, es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber es hatte immer so ein „schauen wir mal“- Gefühl. Und das hat mich ganz schön frustriert, weil es zu etwas noch Schlimmerem führt: nämlich, dass man immer vorsichtiger wird und immer konservativer spielt.

Wenn man nicht aufpasst, kommt man dann nicht mehr raus. Und ich habe gemerkt, desto weniger Zeit ich zum Üben hatte, desto effizienter musste ich üben, wenn ich weiterkommen wollte. Man könnte auch sagen, dass vielleicht auch die Themen komplexer wurden. Aber ich glaube, das ist ein kleinerer Faktor.

Ich hätte mir früher niemals Sachen aufgeschrieben, mich gefilmt oder mich aufgenommen und dann angeguckt und danach kritisiert. Mir kam das zu spießig und zu unromantisch vor. Und ich habe gedacht, ich bin Künstler, ich brauche doch Chaos und den Zufall. Allerdings habe ich irgendwann gemerkt, dass wenn ich keine Struktur habe, ich nicht der Künstler werden kann, der ich gerne sein würde.

Später habe ich dann gemerkt, dass es mir eigentlich Druck nimmt und, dass es mir Überblick schenkt.

„Ich hätte mir früher niemals Sachen aufgeschrieben, mich gefilmt oder mich aufgenommen und dann angeguckt und danach kritisiert. Mir kam das zu spießig und zu unromantisch vor. Allerdings habe ich irgendwann gemerkt, dass wenn ich keine Struktur habe, ich nicht der Künstler werden kann, der ich gerne sein würde.“

Benny Greb

Tipps zum effektiven Üben

Bestandsaufnahme – sich selbst beim Üben aufnehmen

Du hast vor ein paar Jahren ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht: „Effective practicing for musicians“ – auch für alle Nicht-Schlagzeuger:innen sehr empfehlenswert. Ich habe mich in der Vorbereitung gefragt, was zuerst da war. Frustration, Methoden, das Journal? Hast du von außen Methoden an die Hand bekommen, die dir geholfen haben, das für dich so zu ordnen? Das Problem ist ja, dass wahrscheinlich viele insgeheim spüren, dass Fortschritt ausbleibt. Aber es ja eine Sache, dies unterbewusst zu merken oder durch Aufschreiben sich wirklich bewusst vor Augen zu führen und einzugestehen.

Aus schierer Frustration. Aus tiefer, pechschwarzer Frustration. Und ich kann das teilweise so witzig formulieren, aber es war wirklich ernst. Ich war wirklich richtig frustriert und habe mich auch gefragt, warum das denn so schwer ist. Oder warum es andere gibt, bei denen man den Eindruck hat, dass es ihnen total leicht von der Hand geht. Und wenn man diese Gefühle eine Zeit lang köcheln lässt, geht es meistens noch tiefer. Man stellt sich Fragen, ob man nicht talentiert genug ist oder man vielleicht hätte früher anfangen sollen.

Schon bevor ich studiert habe, bestand kein Mangel daran, neue Sachen zum Üben zu entdecken. Da hatte ich ganz viel Input. Bei der Frage wie ich üben soll, war teilweise wirklich Brachland. Es wurde erwartet, dass man das irgendwie umsetzt. Aber ehrlich gesagt, wie man das machen soll, im Detail, das hat mir wirklich gefehlt. Und das war einer der Gründe, weshalb ich selbst auf die Suche gegangen bin. Als ich damit angefangen habe, wurde das Thema immer so behandelt, als wäre das eine sehr individuelle Sache. Aber wie ich herausgefunden habe, ist das nicht unbedingt richtig. Es gibt ein paar Sachen, bei denen sind wir individuell. Manche Leute üben morgens besser, manche Leute üben abends besser usw. Aber wenn es dann wirklich mal ums Üben geht, dann gibt es ein paar Sachen, die immer funktionieren. Und es gibt auch ein paar Sachen, die definitiv nie funktionieren. Die wären natürlich cool zu wissen.

Ein Schlüsselmoment war, dass ich einmal aus Versehen eine komplette Session von mir aufgenommen habe und sie mir dann, nicht aus Versehen, angehört habe. Komplett. Das hatte ich vorher nie gemacht. Viele schaffen das fast gar nicht, weil da viel Scham und viel Selbstkritik dabei ist. Allerdings kann ich das nur empfehlen. Das ist für mich der Ground Zero, der Startpunkt für jeden, wenn man sich noch nie mit Übe-Technik beschäftigt hat. Während man sich das anschließend anhört, kann man sich einfach ein paar Notizen machen und sich fragen „Hey, was nervt mich da denn eigentlich?“. Der Witz ist, in dieser Beobachterrolle sind wir meist recht gut darin herauszufinden, was Quatsch ist und was vielleicht zielführend ist.

Die erste Sache, die mir auffiel, war, dass ich immer so ein Starten und Stoppen hatte. Ich nenne es „Starting Stopping Syndrome“. Also sich zu viel aufhalsen, es versuchen und dann bricht es zusammen und muss man wieder von vorne anfangen. Dabei kann man wahnsinnig viel Zeit und viel Kraft verschwenden. Aber es gab natürlich noch ein paar andere Sachen. Aber das umreißt es ein bisschen, was der der Ausgangspunkt war.

Rastergrafik
Übeplan-Vorlage für dein Instrument

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Die größte Herausforderung beim Üben ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Genau dabei hilft dir die what is practice Übeplan-Vorlage.

  • Definiere deine Ziele
  • Coaching-Tool zum Visualisieren deiner Stärken und Schwächen
  • Auswertungs-Vorlage, die dich beim Erreichen deiner Ziele unterstützt
  • Übe-Tipps

Effektive Übe-Methoden

Checklist-Cycle und Startzeit verkürzen

Wenn man diesen Gedanken ein bisschen weiter fortspinnen würde, dann hätten wir mit so einer Aufnahme unser Was gefunden. Wir wüssten, wenn wir uns selbst mal in einer Session aufnehmen, wo unsere Schwachpunkte sind. Du hast vorhin die Frage nach dem Wie bereits angedeutet. Was sind denn Methoden, die dir im Laufe der Zeit unter die Finger gekommen sind, die für dich den Zugang zum Üben verändert haben und damit auch den Fortschritt möglich gemacht haben?

Also ich würde natürlich mein Buch empfehlen, um alle Methoden mitzubekommen, aber eine, die ich rauspicken würde, wäre die Startzeit zu verkürzen. Wenn man vom letzten Üben den Ist-Stand dokumentiert hat und sich das am Anfang einer neuen Session anguckt und anschließend direkt dort loslegt, kann man wirklich schon mal 10-20 Minuten sparen. Am liebsten ist mir tatsächlich eine Aufnahme zu haben. Und wer zum Beispiel in den Proberaum fahren muss, und das immer verteufelt hat, ist dann wirklich im Vorteil, weil man auf dem Weg dorthin sich die Aufnahme nochmal anhören kann.

Eine andere Methode heißt der Checkliste Cycle. Das ist eine rein mentale Sache, wo man seine Aufmerksamkeit hinrichtet. Wenn ich zum Beispiel eine Übung habe, gehe ich in meinem Kopf die Checkliste durch. Ähnlich wie ein Bildhauer, der auch nicht eine Stelle zur Perfektion bohrt und dann zur nächsten geht und diese zur Perfektion bohrt, sondern ein kleines Stück hier wegnimmt, dann seine Position verändert, ein kleines Stück dort wegnimmt, sich das Gesamtbild anguckt und dann wieder ein bisschen was abschlägt. So kommt er seiner idealen Form immer ein Stück näher.

Die Checkliste startet zum Beispiel physisch: Kann ich noch aufrechter und entspannter sitzen? Kann ich meine Schultern entspannen? Atme ich noch regelmäßig? Wie würde es aussehen, wenn es einfach wäre? Das ist eine magische Frage, die echt bei vielen Leuten eine ergonomischere und natürlichere Technik in Erscheinung bringt, ohne dass man das man etwas bewusst korrigiert.

Und dann geht es weiter in Timing und Accuracy. Also wie ist die Subdivision? Wie ist der Puls? Kann ich mir den Puls dazu denken oder singen? Und der Witz ist: ich verbringe nicht ewig bei jedem Punkt, sondern nur kurz. Wenn die Liste dann am Ende ist, dann fange ich wieder von oben an und so geht das ständig weiter. So wird es immer ein bisschen besser. In kleinen Schritten eben. Und es beschäftigt auch den Kopf sowie das analytische Hören und Fühlen.

„Ähnlich wie ein Bildhauer, der auch nicht eine Stelle zur Perfektion bohrt und dann zur nächsten geht und diese zur Perfektion bohrt, sondern ein kleines Stück hier wegnimmt, dann seine Position verändert, ein kleines Stück dort wegnimmt, sich das Gesamtbild anguckt und dann wieder ein bisschen was abschlägt. So kommt er seiner idealen Form immer ein Stück näher.“

Benny Greb

Wann ist es gut?

Das erinnert ein bisschen an das „Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit“ von Gerhard Mantel, der das in einer ähnlichen Form aufgeschrieben hat. Der entscheidende Punkt bei dieser Übe-Technik ist dann, im richtigen Moment weiterzugehen. Also wann höre ich auf und wann weiß ich, wann ich zur nächsten Sache weiter gehe? Wie ist deine Herangehensweise?

Fürs Erste gibt es mehrere Möglichkeiten. Ganz wichtig: das „Gut“ muss natürlich vorher definiert sein. Man hat oft die Tendenz, währenddessen sein Ziel zu verschieben. Und das kann frustrierend sein, weil das ein sicherer Weg ist, nie anzukommen. Es gibt zunächst die zeitliche Begrenzung, ganz einfach. Also meistens übe ich einfach, bis der Timer klingelt und dann ist Schluss. Selbst wenn mir dann noch was einfällt. Das einfach eine Limitierung, die ich mittlerweile respektiere. Und das hat mir sehr viel gebracht. Früher ging es sonst immer in diese mega Sessions, in denen ich dann den ganzen Samstag von früh morgens bis spät nachts irgendwas gemacht habe.

Der andere Aspekt ist natürlich vorher zu definieren, was ist für heute das Ziel ist. Oder was für diese nächsten drei Monate das Ziel ist. Manche Sachen sind dabei leichter zu messen und zu erreichen als andere. Also zum Beispiel eine gewisse Entspannung oder eine gewisse Mastery von etwas, spürt man schon. Man kann das fast tagebuchmäßig festhalten.

Wenn ich das dann erreicht habe und damit entspannt bin, ist dieses eine Thema erst mal erreicht und dann kann ich mir auch auf die Schultern klopfen. Natürlich kann man dann den Sound noch verbessern etc. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, auch Zwischenstationen zu feiern. Weil die meisten Sachen, die wir an unserem Instrument oder an unseren Instrumenten machen, sind keine Sachen, die man innerhalb von zehn Minuten abhaken kann. Und wer dann frustriert davon ist, dass er noch nicht ganz fertig ist, der hat eine schwierige Zeit vor sich.

Ich empfehle gerne eine Vorher-Nachher Aufnahme. Es ist vielleicht noch nicht perfekt, es ist vielleicht noch nicht so, wie ich es haben möchte, aber ich habe eindeutig den Beweis, dass sich diese 20 Minuten oder diese zwei Stunden, was auch immer das sein mag, gelohnt haben. Und wenn ich dieses Gefühl behalte, behalte ich auch ein sehr positives Gefühl zum Üben eigentlich.

Ja, das finde ich auch selbst ein unglaublich mächtiges Tool. Einfach sich aufzuschreiben oder noch besser sogar aufzunehmen, um seinen Fortschritt für sich sichtbar zu machen.

Und wir sind eigentlich nicht gut darin, uns selbst zu bewerten, wenn man es nicht festhält. Man ist eigentlich härter zu sich selbst.

Manche Sachen sieht man aus einem anderen Blickwinkel besser, als aus dem Spieler Blickwinkel. Also bei Schlagzeugern ist es zum Beispiel ein Klassiker: Da spielt mir jemand etwas mit beiden Händen vor und fragt, warum das so ungleich klingt? Und es klingt gut, aber beide Hände sehen komplett anders aus. Beim Spielen sind wir oft so mit anderen Sachen beschäftigt, dass wir darauf weniger Acht geben können.

Vom Was und Warum?

Was und warum sollte ich üben?

Absolut. Ich finde auch, dass die Musik sich zum Glück dies vom Sport mehr und mehr abgeguckt und auch hier und da Methoden versucht zu adaptieren. Filmen ist ein gutes Beispiel.

Was ich an deinem Buch so unglaublich gut finde, ist, dass es geschafft hat, wirklich einen „Rundumschlag“ im besten Sinne des Wortes zu kreieren: von äußeren Umgebungen bis zu dem eben angesprochenen Dreimonatsplan. Im Großen und Ganzen geht es um den Prozess, aber auch um das Was und das Warum. Weißt du noch, was dein erstes, was und warum damals war, also als du dir die Fragen selbst gestellt hast?

Wenn man einen Gig spielt oder einen Auftritt hat, und es gibt eine Aufnahme: hört man sich die gerne an? Und wenn nein, gibt es da irgendeinen Punkt gibt, den man verbessern möchte. Das wäre doch der schon mal erste Grund. Jedes Mal, wenn ich eine Aufnahme von mir höre, habe ich irgendwas, von dem ich motiviert bin zu sagen „das könnte ich aber noch besser gestalten“.

Was man manchmal vergisst, ist, dass es nicht ein angsterfülltes Ding sein muss. Das machen viele Lehrer, glaube ich, falsch. „Du bekommst keine Jobs oder wirst nicht bei der Audition genommen“ – das mag für Professionelle alles zutreffen. Aber der wirklichste und der schönste Grund ist, wenn man etwas richtig auscheckt und wenn man gut das Instrument spielen kann. Das macht unglaublich Spaß. Also das ist einfach ein unglaubliches Gefühl, was ich so oft wie möglich haben möchte.

Absolut. Jetzt leben wir allerdings aber nicht alle in „lonely bubbles“, sondern sind soziale Wesen und interagieren ständig (auch durch Social Media) oder sind anderen Einflüssen ausgesetzt. Du beschreibst das in deinem Buch sehr schön, wie man zu den Sachen findet, die man selbst gerne machen möchte: Spieltechniken, Arten zu spielen, die man selbst gut findet.

Wie hast du es denn geschafft, dich selbst von diesen Einflüssen freizumachen? Weil theoretisch, wenn ich Instagram aufmache, und mir andere Musikerinnen und Musiker angucke, sehe ich ja jeden Tag sehr viele neue Sachen, die ich auch noch üben könnte. Also wie schaffst du es, deinen eigenen Zielen treu zu bleiben und dich nicht zu verunsichern zu lassen, dass der Weg, den man jetzt eingeschlagen hat, dann doch vielleicht nicht so der Richtige ist?

Eine schlechte Nachricht und eine gute. Die schlechte Nachricht ist, man kann nicht alles gleichzeitig machen und man kann nicht mal alles machen, selbst wenn man es eins nach dem anderen macht. Man wird nicht bei allem fertig, bis man stirbt.

Die gute Nachricht ist aber, dass wir das nicht (und das wurde sogar mittlerweile wissenschaftlich untersucht) brauchen, um glücklich zu sein. Man denkt immer, das, was jetzt auf mich einprasselt, das würde ich auch gerne habe. Es gibt nur so ein paar Dinge, die für einen wirklich sehr wichtig sind. Und wenn man an denen wirklich arbeitet und spürt, dass man da ein Fortschritt macht, ständig, dann ist das also üblicherweise mehr als genug.

Und der Grund ist eher, wenn wir unseren eigenen Scheiß schon nicht machen, ist es schwer zu ertragen, wenn von außen weiterer Input auf uns kommt. Und das macht natürlich Social Media schwieriger. Wenn man sich selbst schon ein bisschen faul fühlt und dann auch noch andere einem ins Gesicht reiben, was sie alles am Start haben. Das ist schwer auszuhalten.

Man braucht drei Punkte. Der eine Punkt ist ein Ziel. Der andere Punkt ist das Wie ist es denn jetzt gerade? Das ist etwas, dass sehr vielen fehlt. Sie wissen manchmal, wo sie hinwollen, aber wissen nicht, wo sie gerade wirklich stehen. Und der dritte Punkt ist: Was ist denn jetzt der nächste Schritt (die nächste Übung), den ich machen muss? Und wenn ich den nächsten Schritt nicht weiß, dann kann ich auch nicht loslegen. Dann bin ich auch nicht motiviert.

Wenn das wirklich alles in Place ist, dann kann man auch viel entspannter mit anderen feiern, dass sie etwas ausgecheckt haben. Es ist oft eher ein Neid-Ding. Also Entschuldigung, das ist jetzt ein bisschen tough love – aber so ist meine Erfahrung zumindest. Ich bin auch nicht frei davon. Es gab auch Phasen in meinem Leben, wo ich definitiv diese Gefühle hatte. Aber ich meine, die Kehrseite der Medaille ist, dass man sich überlegen muss, wie viel Input man überhaupt zulassen möchte und, ob man ständig neuen Input überhaupt braucht.

Ich glaube, es liegt auch ganz viel Tolles in unfinished business und in Büchern (oder Übungen), die man mal gemacht hat und dann brach hat liegen lassen. Wir verwechseln manchmal neu und besser. Manchmal ist auch „The old shit the best shit“.

„Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, auch Zwischenstationen zu feiern.“

Benny Greb

Aber ich finde, das schließt den Kreis irgendwie ganz schön zu dem, was du am Anfang gesagt hast. Wir sind zwar alle Künstler:innen und in Choas kann auch viel Kraft stecken, allerdings funktioniert es ganz ohne Struktur eben nicht. Eine philosophische Frage für das Ende: Wann bist du denn nach dem Üben zufrieden?

Es gibt mehrere Disziplinen diesbezüglich. Also zufrieden bin ich allein schon, wenn ich die Rahmenbedingungen gut gemacht habe. Also wenn ich wirklich allein geübt habe. Das ist schon ein Win für mich. Wenn ich überhaupt diesen in diesen Übe-Modus komme, ist das wie eine Meditation. Zudem hat es den schönen Nebeneffekt, dass ich mich auf ganz viele andere blöde Sachen nicht konzentrieren kann. Und das ist das macht mich enorm zufrieden.

Ich bin jetzt Mitte 40 und beschäftige mich seit 30 Jahren damit, auf einem Gummipfad die Schläge gleich laut zu spielen. Das ist eigentlich total abgefahren und abstrus. Aber in dieser Einfachheit liegt ein ganzes Universum.

Und langfristig gesehen bin ich zufrieden, wenn ich einfach über Monate hinweg eine Sache tief Brett gebohrt habe und ich echt meinen Fortschritt merke. Für mich ist es der beste Vergleich: Ich bin früher mit meinem Vater Bergwandern gegangen und dieses Gefühl, wenn man nach einiger Zeit wandern sich umdreht und die Hütte, von der wir aus gestartet sind, nur noch so groß wie ein Monopoly Haus in der Ferne ist. Das ist einfach ein abgefahrenes Gefühl.

Das ist auch was, dass man aufs Leben übertragen kann. Wir könnten, glaube ich, noch so viel uns über das Üben unterhalten. Es ist sehr spannend dir zuzuhören. An dieser Stelle aber, mit Blick auf die Uhr, kommen wir zu den letzten beiden Fragen: Was übst oder lernst du gerade, was du noch nicht so gut kannst?

Mich mit meinem Sohn nicht in ewig lange Gespräche verwickeln zu lassen, wenn er ins Bett gehen soll. Das versuche ich gerade zu lernen. Er ist da mittlerweile gut drin sich die spannenden Fragen, die vielleicht auch Papa ein bisschen interessieren, aufzuheben bis zur Schlafenszeit. Vielleicht muss ich da auch wieder einen Timer, wie beim Üben, nutzen.

Außerdem versuche gerade wieder mehr auf gesunde Ernährung und mehr Sport zu schauen. Ich habe das früher sehr vernachlässigt. Es gibt so vieles. Wieder öfter meditieren. Das sind oft Sachen, die ich nicht neu entdecke oder neu anfange, sondern an denen ich dranbleiben und wieder anknüpfen möchte.

Da wären wir wieder bei den Open Books, die du zwischendurch mal angesprochen hast. Wenn du jetzt auf deine eigene Studienzeit zurückblickst, gibt es einen Tipp, um den du damals froh gewesen wärst, hättest du ihn schon vorher gehabt?

Ja, eigentlich dieses „Effective Practice“ Buch. Jeden Tipp davon, zum Beispiel der Timer hätte mir viel gebracht. Oder auch der Checkliste Cycle hätte mir viel geholfen. Udo Dahmen, mein Lehrer, hatte eine ähnliche Übung mit mir mal gemacht und die hatte mir wahnsinnig viel gebracht.

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Übeplan für dein Instrument https://what-is-practice.de/uebeplan-fuer-dein-instrument/ https://what-is-practice.de/uebeplan-fuer-dein-instrument/#respond Tue, 23 Apr 2024 15:25:33 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6484 Die größte Herausforderung beim Üben auf dem Instrument ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Schließlich gibt es so viel zu üben. Ein Tool an der zu haben, dass dir beim Visualisieren deiner Stärken und Schwächen hilft und dich beim Erreichen deiner Ziele unterstützt, ist für jede… Weiterlesen »Übeplan für dein Instrument

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Die größte Herausforderung beim Üben auf dem Instrument ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Schließlich gibt es so viel zu üben. Ein Tool an der zu haben, dass dir beim Visualisieren deiner Stärken und Schwächen hilft und dich beim Erreichen deiner Ziele unterstützt, ist für jede Musikerin und für jeden Musiker Gold wert. Die „Wie übt eigentlich..?“ Übeplan-Vorlage soll dir genau dabei helfen.

Übeplan Vorlage what is practice
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Effektives Üben von Anfang an

Schon bevor du wirklich mit deinem Instrument loslegst, ist es wichtig sich darüber im Klaren zu sein, was genau in der folgenden Session geübt werden soll. Nimm dir eine bestimmte Sache vor, an der du konzentriert für eine bestimmte Zeit (S.M.A.R.T Ziel) üben möchtest. Im besten Fall verfolgst du natürlich ein langfristiges Ziel und deine nächste Übe-Session zahlt genau darauf ein.

Dein Ziel wählst du natürlich ganz individuell: sei es das anstehende Jahreskonzert, ein wichtiges Probespiel oder generell die Verbesserung deiner Leistung auf deinem Instrument. Mache dir vor dem Üben Gedanken, was du in der nächsten Zeit erreichen möchtest.

Die Übeplan-Vorlage unterstützt dich bei der Fokussierung auf deine Ziele. Coachingtools wie das Fokusrad verschaffen dir einen Überblick über deinen aktuellen Leistungsstand und machen Stärken und Schwächen sofort sichtbar.

Zeitmanagement für Musikerinnen und Musiker

Selbst als Profimusiker:in ist deine Übe-Zeit begrenzt. Du unterrichtest vielleicht noch oder bist durch Proben oder Orchesterdienste in deiner persönlichen Übe-Zeit eingeschränkt. Umso wichtiger ist es in deinen Übe-Sessions sofort zu wissen was zu tun ist und keine Zeit zu verlieren. Ein Journal kann dir dabei sehr helfen. Du kannst darin sowohl festhalten, was du alles getan hast (retrospektive) und aufschreiben, an welchen Details du in deiner nächsten Übe-Session arbeiten möchtest (prospektiv).

3 Tipps, wie du den Übeplan am besten nutzt

  1. Erstellen deine Übeplan-Vorlage nicht kurz bevor du in deine Übe-Session startest. Nimm dir bewusst Zeit dafür und mache dir Gedanken darüber, welche Ziele in nächster Zeit auf deinem Instrument für dich realistisch und wichtig sind. Als Musikerinnen und Musiker sind wir eher Marathon-Läufer und keine Sprinter – also lass den Input der Übeplan-Vorlage arbeiten in deinem Kopf.
  2. Halte deinen Fortschritt und deine (Zwischen-)Ziele fest – am besten sogar mit einer Tonaufnahme. Musik entsteht im Moment und ist ebenso schnell wieder verklungen, wie sie geschaffen worden. Es sei denn, du nimmst sie auf. Nutze dein Smartphone oder einen Zoom-Recorder, deinen Fortschritt und deine (Zwischen-)Ziele zu dokumentieren. Das wird dich langfristig weiter motivieren!
  3. Plane Pausen ein. Natürlich bist du gerade super motiviert – umso wichtiger ist es, dass du schon jetzt daran denkst genügend Pausen in deinen Plan zu integrieren. Schließlich entsteht Fortschritt und Weiterentwicklung genau dann. Unterscheide zwischen Mikro-(kleine Pausen innerhalb deine Übe-Session bzw. deines Übe-Tages) und Makro-Pausen (innerhalb deines 4-Wochen-Plans).

Los geht’s – Erstelle deinen Übeplan für dein Instrument

Also, worauf wartest du noch? Die Übeplan-Vorlage hilft garantiert auch dir deine Stärken und Schwächen zu visualisieren und deine Ziele zu erreichen. Wenn du noch unsicher sein solltest, lies dir zuerst noch die Bewertungen im Shop durch. Wenn du Fragen hast, freue ich mich natürlich auch über eine Email von dir.

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Wie geht mentales Üben, Christian A. Pohl? https://what-is-practice.de/mentales-uben-christian-pohl/ https://what-is-practice.de/mentales-uben-christian-pohl/#respond Sun, 24 Mar 2024 11:18:51 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6394 Christian Pohl ist Professor für Klavier und Klaviermethodik an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Dort habe ich ihn kürzlich auch besuchen dürfen, um mit ihm über ein weiteres seiner Forschungsfelder – das mentale Üben – zu sprechen. Gemeinsam haben wir versucht Licht in das Feld dieser Übe-Technik zu bringen, die zwar oft… Weiterlesen »Wie geht mentales Üben, Christian A. Pohl?

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Christian Pohl ist Professor für Klavier und Klaviermethodik an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Dort habe ich ihn kürzlich auch besuchen dürfen, um mit ihm über ein weiteres seiner Forschungsfelder – das mentale Üben – zu sprechen. Gemeinsam haben wir versucht Licht in das Feld dieser Übe-Technik zu bringen, die zwar oft genannt wird – deren konkrete Ausführung aber oftmals vage bleibt. 

Wir sind tief in das Thema eingestiegen und haben uns angeschaut, welche Möglichkeiten und konkreten Methoden es gibt, mentales Training  in unserem täglichen Üben einzusetzen. Christian Pohl hat sich dazu sogar während der Folge ans Klavier gesetzt. Natürlich haben wir das Thema versucht auch in den größeren Kontext des Übens ingesamt zu setzten und Christian Pohl hat immer wieder auch ganz konkrete Übe-Tipps gegeben. Übrigens, ein Blick in seine Klaviermethodik lohnt sich defintiv nicht nur für Pianistinnen und Pianisten.

Link zur digitalen Version der Klaviermethodik

Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl nach unserem Interview über das mentale Üben (© Foto: Patrick Hinsberger)
Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl am Klavier in der HMT Leipzig
(© Foto: Patrick Hinsberger)

Literatur-Tipps

Klaviermethodik Christian Pohl

Klaviermethodik

Christian Pohls eigene Klaviermethodik. Sie beinhaltet die Quintessenz aus seiner langen und intensiven Beschäftigung mit dem Thema Üben. Ein paar der Inhalte stellt Christian Pohl auch kurz im Podcast vor.

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Die Folge mit Christian Pohl lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview

Inhalt

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständigen Sie folgenden Satz. Üben heißt für Sie?

Sich selbst durch Musik zu entdecken.

Das heißt, es ist eine sehr mit sich selbst beschäftigende Art. Ein sich kennenlernen und in sich hineinhorchen. Also, etwas sehr selbstreferentielles?

Ja. Ich glaube, grundsätzlich können wir ja nicht wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht, wenn er Musik hört oder Musik macht. Wir können immer nur auf das eigene Erleben referenzieren und die Beschäftigung mit Musik, sei es am Klavier, sei es rein mental, sei es im pädagogischen Kontext, ist immer auch eine Beschäftigung mit sich selbst.

Denn was wir in der Musik erleben, ist etwas, das wir selbst in uns tragen und das durch Musik lebendig werden kann. Und deswegen ist die Beschäftigung mit Musik, ob Üben oder eben Unterrichten, immer auch eine Beschäftigung mit vielleicht teils verborgenen Seiten des Selbst.

Das finde ich einen spannenden Punkt. Darauf werden wir sicher im Anschluss ein bisschen genauer eingehen. Gibt es ein aktuell bei Ihnen einen Künstler, eine Künstlerin, den Sie in Dauerschleife hören.

Das Fauré Requiem in der Aufnahme mit Celibidache. Das höre ich in letzter Zeit sehr, sehr gerne und sehr oft. Es gibt einen Probenmitschnitt auf YouTube. Und wie erprobt und wie sich die Musik in der lebendigen Probe verändert, das beeindruckt mich so tief, dass das etwas ist, was eine ständige Faszination auf mich ausübt.

Spannend, Das kenne ich nicht. Das werde ich mir auf jeden Fall im Nachgang anschauen. Wenn Sie es auf Ihr eigenes Spiel zurückschauen. Gibt es da einen Künstler, eine Künstlerin, der Sie sehr stark geprägt hat?

Da gibt es zwei. In meiner Jugend war ich, wie so viele andere auch, fasziniert und geradezu hypnotisiert von Horowitz. Bis heute ist dieser Pianist ein Phänomen für mich, das ich kaum zu ergründen vermag. Es ist auf der einen Seite von einer solchen Natürlichkeit und Unmittelbarkeit geprägt und auf der anderen Seite aber so weit entfernt von allem Fassbaren, dass das eine stete Faszination auf mich ausübt. Und dann natürlich auch Emil Gilels, der Lehrer meines Lehrers, dessen Kunst für mich bis heute ebenfalls etwas ganz Unergründliches hat.

Entweder – Oder

Ich habe mir, bevor wir gleich wirklich in unser heutiges Thema, das mentale Üben, einsteigen etwas überlegt, um Sie ein wenig besser kennenzulernen. Ich habe mir ein paar Entweder-oder-Fragen überlegt. Sie haben einen Joker, da dürfen Sie sich der Antwort entziehen.

Wir haben gerade schon vorhin vor der Aufnahme darüber gesprochen. Ich glaube, jetzt kenne ich Ihre Antwort darauf: Leipzig oder Freiburg?

Leipzig.

Lernen oder Lehren?

Das sind für mich Synonyme.

Das ist schon der Joker?

Das war der Joker.

Dann bin ich gespannt, wie es weiter geht. Unterrichten oder Konzerte spielen?

Unterrichten.

Viele kleine Übe-Einheiten oder Üben am Stück.

Kleine Übe-Einheiten.

Morgens oder abends üben?

Morgens.

Sie sind seit 2009 Professor hier. Können Sie einen typischen Übe-Alltag nachzeichnen?

Also wenn Sie sehr stark in der Lehre verhaftet sind, dann ist das, was den Übe-Alltag angeht, schwierig. Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass ich abends nach dem Unterrichten einfach zu müde bin. Das heißt, wenn ich übe, dann vor dem Unterricht. Und wenn der Unterricht beispielsweise um elf beginnt, dann übe ich davor. Manchmal gehe ich dann um acht in die Hochschule. Wenn es Konzertverpflichtungen gibt, auch schon früher. Und dann versuche ich, das Pensum vor dem Unterrichten zu absolvieren.

Struktur oder Chaos?

Struktur.

„Wenn ich ein Übertagebuch führe, dann habe ich zumindest den schriftlichen Beweis, was ich getan habe.“

Christian Pohl

Das dachte ich mir auch schon. Sind Sie ein Typ, der Übertagebuch führt?

Jein. Ich habe keinen Joker mehr…

Das gehört nicht zu den Entweder-Oder-Fragen. Darauf dürfen Sie ein bisschen länger antworten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, je weniger Zeit zur Verfügung steht, desto besser ist das Üben. Zumindest bei mir. Also ganz freie Tage, die über zwölf Stunden hinweg eine Carte blanche bieten, sind jene Tage, die am gefährlichsten sind. Denn dann, denkt man immer, man hätte den ganzen Tag Zeit, etwas zu tun. Wenn allerdings nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung steht, 2, 3 oder 4 Stunden, dann möchten die besonders gut genutzt werden.

Ich habe für mich selbst die Erfahrung gemacht, dass ich mich sehr schwer damit tue, ins Blaue hinein zu üben. Das passt nicht zu mir. Deshalb mache ich, bevor ich zu Üben beginne, einen Plan. Ich nehme mir allerdings auch die Freiheit, von dem Plan abzuweichen. Was ich üben möchte. Wie ich das üben möchte. Schlicht und ergreifend auch, um nach dem Üben nachvollziehen zu können, was ich eigentlich gemacht habe.

Während meiner Studienzeit war es manchmal sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass man teilweise sehr hart (8-9 Stunden) arbeitet und sich dennoch abends zu Hause fragt, was man den ganzen Tag getan hat. Das war sehr frustrierend. Wenn ich ein Übertagebuch führe, dann habe ich zumindest den schriftlichen Beweis, was ich getan habe. Das ist ein positiver Aspekt.

Und der andere positive Aspekt, gerade in den ersten Jahren, als ich das Üben für mich entdeckte und auch die Klaviermethodik entwickelte ist, dass mir das Übertagebuch geholfen hat, besser verstehen zu können, welches Üben besonders gut funktioniert und welches nicht. Denn wenn Sie nach einigen Tagen an eine bestimmte Stelle zurückgehen und dann spüren, dass funktioniert oder eben nicht, dann ist es ohne Übertagebuch schwer im Rückblick zu sagen, wie ich das erarbeitet habe. Das hilft mir dann, das weitere Üben zu planen.

Das heißt, Ihr Tagebuch geht über den Schritt des „Was“ hinaus und beinhaltet immer auch die ganz konkrete Methode?

Genau. Also in der von mir entwickelten Klaviermethodik sind 27 verschiedene Methoden dargestellt. Die sind in vier Lerngebiete eingeteilt und decken somit einen großen Teil des Übens ab. Das Üben, das man methodisch gut fassen kann. Irgendwann, wenn man all die grundlegenden Aufgaben gelöst hat, wird es so speziell (wenn es um künstlerische Suche oder auch um ein Hineinleuchten in emotionale Prozesse geht), dass sich das mit solchen Standardmethoden nicht mehr lösen lässt. Aber bis dahin, um erst mal ein wirklich gutes Niveau zu erreichen, helfen diese Methoden sehr. Allerdings helfen sie nicht in isolierter Form, sondern sie möchten von Anforderungen zu Anforderungen in Kombinationen angewendet werden.

Kombination bedeutet, dass Sie beispielsweise zwei Methoden kombinieren: zum Beispiel ein Metronom Aufbau kombinieren Sie mit der Idee schwarz-weißen Übens. So eine Kombination von Konzepten und Methoden nennen wir in der Methodik ein Übe-Modell. Im Übertagebuch schreibe ich dann meistens in stenografischer Form eben diese Modelle auf.

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Jetzt haben Sie gerade schon Ihre Methode angesprochen: Gedrucktes Buch oder Online-Methode?

Ich möchte einen zweiten Joker kaufen (lacht).

Als ich das Buch schrieb, war mir von Beginn an klar, dass sich das geschriebene Wort nur sehr bedingt eignet, um über Musik etwas zum Ausdruck zu bringen. Das ist einfach ungeheuer schwer. Wenn es beispielsweise darum geht, zu verschriftlichen, was ein weicher Klang ist. Was ein geerdeter Anschlag ist. Deswegen war mir von Anfang an klar, dass es zu dem Buch auch ein digitales Produkt braucht. Während ich das Buch schrieb, skizzierte ich bereits gedanklich die digitale Klaviermethodik. Die Inhalte des Buches werden aufgegriffen und in vertiefter Form, mithilfe von Lehrvideos, im Internet zugänglich gemacht.

Nun hat das Buch Vorzüge, die ein digitales Projekt nicht hat. Das Buch nämlich ermöglicht Ihnen, die gesamte Klaviermethodik wortwörtlich in den Händen zu halten. Das heißt Aspekte wie einen Überblick zu gewinnen oder Referenzen zu suchen geht mit so einem Digitalprojekt nur schwer. Auch das Medium Video in der zeitlichen Bindung ermöglicht es Ihnen nur bedingt, mal schnell etwas nachzuschlagen. Insofern ist das aus meiner Sicht die perfekte Ergänzung.

Das Buch kam vor ziemlich genau drei Jahren raus. Wie kam es zur Idee? Hatten Sie vorrangig an Ihre Studierenden gedacht, die so eine Komplettübersicht in den Händen halten sollten?

Die Grundidee entstand noch während meiner Studienzeit. Mich beschäftigte von Beginn an immer die Frage, wie denn eigentlich das musikalische Lernen, das instrumentale Lernen genau funktioniert. Wie arbeitet das Gehirn? Wie sind diese Prozesse zu beschreiben, die am Ende im Konzert zu diesem unglaublichen Zustand des selbstvergessenen Aufgehens in der Musik führen? Wie funktioniert das? Ich habe dann alles gelesen, was ich finden konnte, und habe festgestellt, dass der Anfängerbereich sehr, sehr gut elaboriert ist. Es gibt Hunderte von Klavierschulen, die Anleitung geben, wie man so in den Anfängen sich dem Klavierspiel widmen kann. Und dann gibt es faszinierende Bücher auf der anderen Seite – teils von Profis, in denen es eher um Musik allgemein geht und mir keine Antworten zur konkreten Erarbeitung eines neuen Stücks gegeben werden konnten.

Ich sprach daraufhin mit unzähligen Pianisten, die weit besser spielten als ich. Ich sprach mit unzähligen Professoren und ich las alles, was ich in die Hände bekommen konnte. Und daraus hat sich dann ein Kanon von Methoden geformt. Ich habe das dann angefangen auszuprobieren, auch an den eigenen Studierenden. Und so hat sich im Laufe von 25 Jahren dann ein einmaliges Portfolio an Methoden geformt.

Jetzt sind wir auch schon mitten im Thema drin. Ich habe noch eine abschließende Entweder-oder-Frage: Mental oder physisch üben?

Das sind gute Fragen, die Sie stellen. Ich muss den dritten Joker reklamieren. (lacht)

Glenn Gould sagte in seinem berühmten Zitat: „Man spielt mit dem Kopf Klavier, nicht mit den Händen.“

Was wir am Klavier üben, kann man in zwei Ausprägungen erfahren: Entweder es ist eine Art intuitive Suche, bei der wir uns durch den lebendigen Kontakt mit dem Instrument inspirieren lassen. Das heißt, das, was unsere Hände manchmal ungeplant tun, befruchtet unsere Intuition. Wir entdecken plötzlich am Instrument Dinge, die uns sonst verborgen geblieben wären.

Das andere Üben am Instrument aber folgt der Realisierung einer hochpräzisen Vorstellung, einer Imagination. Etwas, was wir innerlich an Musik repräsentiert vorfinden. Sozusagen das geistige Bild der Musik. Und das Üben ist dann die Klangwerdung dieses geistigen Bildes. Und für mich ist dieser zweite Aspekt der, der vielleicht 95 % der Arbeit darstellt, weil ich glaube, dass das Nachdenken über Musik den Hauptteil der Beschäftigung mit Musik ausmacht.

„Mentales Üben bedeutet auch, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen.“

Christian Pohl

Was ist mentales Üben?

Das ist spannend, dass Sie das doch so stark zu einer Seite gewichten. Um an dieser Stelle einzuzäunen, worüber wir ganz konkret sprechen, wenn wir das mentale Üben oder das mentale Training hier erwähnen. Wo geht für Sie mentales Üben los? Sie haben gerade das Nachdenken über Musik angesprochen – ist das schon eine Form des mentalen Übens für Sie?

Ich glaube, wenn Sie morgens unter der Dusche stehen und eine Melodie singen oder pfeifen oder in Ihrem Kopf hören, dann ist das bereits mentales Üben. Es ist vielleicht nicht bewusst gesteuert, aber Sie arbeiten in diesem Moment schon an der Musik. Wenn Sie sich dann vornehmen, dies oder jenes gedanklich zu durchgehen, dann trifft das, was wir mit mentalem Üben meinen. Aber jegliche Form geistiger Beschäftigung mit Musik möchte ich unter dem Begriff des mentales zusammenfassen.

Würden Sie sagen, dass es eine Voraussetzung für das mentale Üben gibt?

Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, ab welchem Alter die rein geistige Beschäftigung mit Musik in einem professionellen Kontext beginnen kann.

Sie haben in Ihrem Aufsatz in „Handbuch Üben“ von Ulrich Mahlers drei Säulen beschrieben: Konzentration, Imagination und Suggestion. Ich habe diese als eine Art Grundfähigkeiten verstanden, damit das mentale Üben möglichst erfolgreich ist. Könnte man diese als Schlüsselqualifikationen nehmen, damit mentales Üben gelingt?

Also ich glaube die Konzentration, dass man sich, in einen Zustand versetzt, in dem man etwas, das man zuvor am Instrument erlebt hat, gedanklich reproduzieren kann, ist die erste Voraussetzung in frühen Stadien.

Im zweiten Stadium kann man auch das, was man noch nicht am Instrument getan hat, gedanklich – über eine Fokussierung der Gedanken – vorbereiten. Dass Sie beispielsweise, wenn Sie ein Stück erarbeiten, eine Technik des mentalen Übens verwenden, die anspruchsvoll ist, die aber meiner Erfahrung nach wirklich tolle Wirkung zeigt: Wenn Sie beispielsweise zwei Takte eines Stückes memoriert haben, Sie sie dann einmal gedanklich transponieren. Das ist zumindest für mich sehr anspruchsvoll. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, wenn mir das gelingt, dann erscheint mir der Notentext in einer Transparenz, die für mich einfach überwältigend ist.

Wie kann ich denn zwei Takte gedanklich so transponieren? Wie geht das eigentlich? Und ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass mithilfe einer strukturellen Reduktion nach Schenker dies gut funktioniert. Das heißt, dass man zuerst die Struktur transponiert und später die Prolongation gedanklich nachvollzieht. Also ganz einfach gesagt:

Notenbeispiel aus Podcast - Struktur und Prolongation
Transposition nach E-Dur mithilfe einer strukturellen Reduktion

Wir haben diese Akkordbrechung. Jeder einzelne Ton ist mit dieser chromatischen Nebennote ornamentiert. Die gedankliche Transposition würde jetzt folgendes machen: Wir vergegenwärtigen uns zunächst die Struktur – also den Dur-Akkord. Zunächst transponieren wir anschließend gedanklich diesen Dreiklang, beispielsweise nach E-Dur. Wenn mir das gelingt, dann kann ich im nächsten Schritt die Prolongation, also die Ornamentation der einzelnen Akkordtöne, gedanklich vollziehen.

Das ist sehr spannend, dass Sie das an dieser Stelle schon ansprechen. Diese Frage habe ich mir in der Vorbereitung sehr intensiv gestellt. Das setzt bei allen Studierenden oder bei allen Menschen, die diese Technik anwenden voraus, dass sie ein sehr starkes inneres Gehör haben. Für jemand, der vielleicht hier Schwierigkeiten hat, bzw. sich damit noch ein bisschen schwer tut; der würde dann immer an dieser Stelle Schwierigkeiten bekommen. Und das Tückische dabei ist, dass er den Fehler wahrscheinlich gar nicht selbst merkt. Wissen Sie, was ich meine?

Ich glaube, man muss hier unterscheiden. Wenn wir von innerem Hören oder wenn wir von Denken sprechen. Das innere Hören bewegt sich in einer anderen Dimension als das, was ich gerade versucht habe zu demonstrieren. Ich glaube, hier geht es vielmehr um Denken. Das heißt, wie genau sieht die Imagination aus? Sie können verschiedene Imaginationstechniken verwenden, zum Beispiel:

Was heißt es, sich einen Dreiklang vorzustellen? Sie sagten: Ich kann ihn mir über das innere Gehör vorstellen. Ich kann mir die Intervalle vorstellen. Ja, das ist eine Art und dann haben Sie vollkommen recht, wenn ich das dann transponieren muss und eben innerlich nicht so gut hören ist das schwierig. Aber Sie können im Hinblick auf die Imagination sich auch der visuellen Imagination bedienen. Das heißt, Sie stellen sich innerlich die Klaviatur vor und sehen die entsprechenden Tasten aufleuchten. Transposition bedeutet dann, dass Sie sich die entsprechenden Tasten des E-Dur Akkords vorstellen. Das heißt, das ist eine Visualisierungstechnik.

Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl am Klavier (© Foto: Patrick Hinsberger)

Eine andere Visualisierungstechnik bezieht sich auf das Notenbild. Das heißt, Sie stellen sich den C-Dur Dreiklang auf den Notenlinien vor. Um sich dann später den E-Dur Dreiklang auch auf den Notenlinien vorzustellen. Und dadurch, dass wir von Kindesbeinen an am Klavier saßen und auch Noten gelesen haben, sind das Dinge, für die man wenig Vorbildung braucht.

Kurz dazwischengefragt: Würden Sie eine Art Gewichtung vornehmen, also, dass die eine Methode mehr oder weniger erfolgsversprechender ist als eine andere?

Wenn wir von innerem Hören sprechen, dann habe ich den Eindruck, dass das sehr stark den Bereich des intuitiven Musizierens berührt. Sie können die gleiche Person bitten, den Dreiklang nicht innerlich zu hören, sondern einfach zu singen – in C-Dur und dann in E-Dur. Ich glaube, das hätte einen ähnlichen Effekt. Für das strukturelle Verständnis von Musik, für das Verständnis der Komposition an sich ist, glaube ich, die Vorstellung auf der Klaviatur oder in den Noten (die kognitive Beschreibung) vielleicht sogar noch wichtiger als die Referenz an die Intuition und Musikalität. Beides ist unerlässlich.

Wahrscheinlich unterscheiden sich die Herangehensweisen auch stark zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen. Ich als Bläser bin wahrscheinlich stärker auf eine auditive Vorstellung angewiesen als ein Klavierspieler.

Genau. Ich glaube, da unterscheiden sich die Herangehensweisen im Hinblick auf die unterschiedlichen Instrumentengruppen ganz wesentlich.

Beispiel: Chopins Nocturne in C#-Moll (opus post.)

Strukturen erfassen und Gestaltungsschichten

Nocturne - Chopin Notentext

Um es für die Zuhörer:innen etwas anschaulicher zu machen, lassen Sie uns das Beispiel aus Ihrem Artikel nehmen: Chopins Nocturne in C#-Moll. Wir haben das „Strukturen erfassen“ (Decodieren) bereits angesprochen. Wäre das ein erster Schritt, um sich ein Stück mental zugänglich zu machen?

Sie haben die Möglichkeit die unterschiedlichsten Schichten eines Werkes mental zu durchdringen. Und die Schicht, auf die wir jetzt gerade zu sprechen kamen, ist eben diese strukturelle Schicht. Und meiner Erfahrung nach ist es empfehlenswert, dass man versteht, womit man sich beschäftigt (in kompositorischer Hinsicht) und dann weiter geht. Manche machen es auch umgekehrt. Wir treffen dann, wenn wir das Stück strukturell in uns aufgenommen haben, natürlich auch auf andere Gestaltungsschichten. Beispielsweise ist eine Gestaltungsschicht die Artikulation. Dass wir gedanklich reflektieren, wie denn eigentlich der eine in den anderen Ton übergehen möchte. Und mentales Üben, was diese Gestaltungsschicht angeht, bedeutet, sich einfach nur Fragen zu stellen, das heißt den entsprechenden Teil innerlich zu spielen.

Eine andere Gestaltungsschicht, die es zu hinterfragen gilt, ist eine meiner Liebsten. Das Thema Brems- und Strebekräfte. Das heißt, Musik im zeitlichen Kontinuum kann ganz unterschiedliche Kräfte freisetzen. Strebende Kräfte, das heißt, die Musik fließt voran. Sie ist wie ein leichter Gebirgsbach, der sich seinen Weg sucht, sozusagen vorantreibend.

Musik kann widerständig sein, als ob sie im tiefsten Winter durch hohen Schnee laufen würde. Das ist wahnsinnig mühevoll. In den Kunstwerken treffen wir auf unterschiedlichste Ausprägungen dieser sogenannten Brems- und Strebekräfte. Und mentales Üben bedeutet, was diese Gestaltungsschicht angeht, sich zu fragen, wie entfaltet sich denn die Musik in dieser und jener Episode? Mentales Üben bedeutet auch, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen. Das hilft mir oft sehr. Ich habe im Buch verschiedene Visualisierungstechniken beschrieben. Beispielsweise, wenn die Musik sehr stark im Vorwärtsdrang begriffen ist, dass Sie einen Pfeil, der sich ein bisschen nach rechts neigt, über die Musik zeichnen.

Um es ein wenig einzuordnen und zu strukturieren: Wir haben jetzt Techniken kennengelernt, wie wir uns das Werk einteilen können. Im Buch beschreiben Sie anschließend Techniken des „Sprechens und Verbalisierens“. Nach dem Einteilen in logische Lernabschnitte und Übe-Abschnitte kommen wir jetzt an dem Punkt, wo wir mitsprechen und verbalisieren (Aufschreiben von diesen Informationen). Verstehe ich das richtig?

Ja, ich glaube, dieser ganze Prozess, über den wir im Moment sprechen, ist ein sehr individueller und sehr fluide. Obwohl ich mich als sehr systematischen Menschen sehe ist es für mich wichtig, eine Vielzahl an Angeboten zu kennen und dann eben jeden Tag sehr intuitiv das eine oder das andere beleuchten zu können. Zum Beispiel weiß ich nicht, ob ich so systematisch im Hinblick auf das mentale Üben vorgehen würde. Ich glaube, diese verschiedenen Schichten wird man im Laufe der Werkerarbeitung je nach Lust und Laune beleuchten. Ich würde das jetzt nicht so systematisch aufbauen: Erst mache ich das, dann mache ich das…

Ich glaube, wichtig ist, dass man es kennt, um dann, wenn man Freude dran hat, drauf zugreifen zu können. Und ich würde gerne noch etwas zum Analytischen sagen: Ich glaube, je mehr wir denken, desto weniger müssen wir denken. Ich erlebe dann Unsicherheiten (ein Gefühl des unbefriedigt seins auf der Bühne), wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin. Wenn ich noch nicht alle Fragen für mich wirklich geklärt habe. Das heißt, je mehr ich im Vorfeld darüber nachdenke ,desto weniger muss ich später denken.

Ist es nicht eigentlich genau umgekehrt? Umso mehr man sich mit etwas beschäftigt, umso mehr Fragen entstehen, umso unsicherer wird man irgendwann? Das kennt man auch aus ganz vielen verschiedenen anderen Bereichen im Leben,

Ich kann immer nur, wie wir alle, aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus berichten. Ich glaube, dass die Zahl der Fragen im Hinblick auf die Komposition begrenzt sind. Die hat man irgendwann absorbiert und dann gibt es keine Fragen mehr.

Sie haben vollkommen recht, dass bspw. die Bedeutungsebene, wahrscheinlich nie zu einem Abschluss kommt. Es ist so wie eine Pyramide. Es wird immer feiner und feiner und es zeigt sich mehr und mehr durch viele kleine Aspekte.

So zeigt sich das, was der Adorno als das Auratische bezeichnete, nämlich der dahinter liegende Geist und den entdeckt man in der Beschäftigung mit all diesen Fragen. Je klarer sich dann dieser Geist zeigt, desto flexibler ist man auch wieder in der Formung dieses oder jenes Details. Das heißt, um auf Ihre Frage zu antworten ich erlebe es genau umgekehrt.

Je mehr ich mir die Fragen stelle und je mehr ich mich mit einem Werk beschäftige, desto mehr wird das Werk meins und desto mehr wird es zum auch Ausdruck meiner musikalischen Intuition. Eine letzte Bemerkung. Was bedeutet denn Nachdenken? Was bedeutet denn Analyse? Es bedeutet nichts anderes als Bewusstmachung von Intuition. Das heißt, wenn ich über etwas nachdenke, leuchte ich ins Dunkel des Unbewussten hinein. Mache es greifbar und lasse es zurück ins Unbewusste sinken. Aber dadurch habe ich es sozusagen destilliert. Und dann, wenn ich einmal entdeckt habe, dass das ein bspw. Dreiklang ist, dann stellt sich die Frage nicht mehr. Wenn ich einmal entdeckt habe, wie das gebaut ist, stellt sich die Frage nicht mehr. Sehen Sie, und deswegen möchte ich doch nach wie vor ein Plädoyer für das Nachdenken proklamieren. Ich glaube nicht, dass man zu viel nachdenken kann. Ich glaube aber, dass man, wenn man falsch rangeht, man in eine Art von Verstopfung hineinkommen kann.

Aufgabenorientiertes Üben

Sie haben in Ihrem Aufsatz von zwei Schritten gesprochen – und das fand ich zumindest im Geschriebenen sehr gut gegliedert (auch, wenn ich verstehe, dass sich diese Trennung nicht so scharf im eigentlichen Üben vollziehen lässt). Den Decodier-Schritt haben wir bereits hinreichend besprochen.

Das heißt, wenn wir diese Stellen alle so für uns herausgefiltert haben und wollen aus dem Spielmodus wieder in einen Arbeitsmodus kommen, wie findet dieser Übergang statt? Also wie gehen wir handwerklich im nächsten Schritt vor?

Das ist eine wunderbare Frage. Wir nehmen mal an, wir haben jetzt eine Nocturne von Chopin und wir haben all diese grundlegenden Aufgaben erledigt. Also wir kennen das Stück. Wir haben auch schon eine ungefähre Vorstellung entwickelt. Wir wissen, wie wir mit den Brems- und Strebekräfte arbeiten, wie wir artikulieren usw. Jetzt treten wir in ein neues Stadium des Übens ein, wo wir mit solchen Standard-Patterns nicht mehr weiterkommen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn wir in diesem Stadium arbeiten, wir den Spielmodus brauchen.

Ich beginne meinen Übetag, indem ich mich uneingespielt ans Klavier setze, das Aufnahmegerät anschalte und den Satz oder das Werk spiele. Egal was passiert. Egal wie gut oder schlecht ich mich fühle. Ich spiele, als ob Publikum vor mir sitzt. Das gibt mir dann am Morgen sozusagen den „Worst Case“. Anschließend nehme ich die Aufnahme und setze mich in den Sessel und höre mir die gesamte Aufnahme an. Takt für Takt.

Ich höre, was ich spiele. Und dann vollzieht sich, wenn ich dann beispielsweise nach wenigen Sekunden stoppe, eine Synchronisation. Ich versuche zu synchronisieren, was ich mit meiner Vorstellung höre und gespielt habe. Und ich frage mich, wo sind die beiden Bilder inkongruent? Wo klingt es nicht so, wie ich will? Das schreibe ich mir auf. So erstelle ich mir eine Arbeitsliste, die kann manchmal circa 30 bis 40 Punkte umfassen kann.

Im zweiten Schritt stelle ich mir dann die Frage, wie erarbeite ich mir nun die einzelnen Punkte? Üben bedeutet wiederholen. Was Wiederholungen angeht gibt es zwei strategische Ausrichtungen: Entweder ich arbeite mit Wiederholungsbegrenzung (z.B. 20 Mal spielen) oder ich arbeite mit zeitlicher Begrenzung (z.B. drei Minuten spielen). Und so arbeite ich mich durch die ganze Arbeitsliste durch, lasse die Aufnahme nebenher laufen und höre dann immer ganz kurz die letzten Sekunden ab.

Vom Was zum Wie

Ich hatte die die Gelegenheit gehabt, ihre digitale Klaviermethodik ein wenig vorab zu testen. Vielen Dank noch mal an der Stelle. Und weil ich kein Pianist bin, haben mich natürlich besonders die Übe-Konzepte interessiert. Weil wir es gerade von Wiederholungsbegrenzungen hatte: Wann ist der entscheidende Zeitpunkt weiterzugehen? Also wann ist die Gefahr der Monotonie zu groß? Denn es gibt ja auch den von Prof. Eckart Altenmüller beschriebenen Penelope Effekt, dass man auch zu viel üben kann und sich dann schlechte Bewegungsmuster einprägen.

Das ist ein wichtiger Punkt, der den großen Bereich metakognitive Lernstrategie betrifft. Das heißt: wie ich einzelne Tools, einzelne Werkzeuge benutze, ist das eine – sie aber dann innerhalb des Tages zur richtigen Zeit, in der richtigen Intensität, anzuwenden, ist das andere.

Als sehr wirkungsvoll hat sich herausgestellt, dass Sie eine Aufmerksamkeitsspanne von 25 bis 30 Minuten in Ihr Üben einbeziehen sollten. Das heißt: Teilen Sie Ihren Übe-Tag ein in sogenannte Slots von 25 bis 30 Minuten ein. Wenn Sie fünf Stunden Zeit haben, haben Sie zehn Slots. Natürlich nicht alle hintereinander, sondern mit kleinen Pausen.

Wie fülle ich einen Übe-Slot? Sie haben gefragt, ob es Richtwerte im Hinblick auf die Wiederholungszahl gibt. Wenn Sie bezugnehmend auf das Thema Übe-Tagebuch am Anfang unseres Gespräches Buch führen, wie viel Wiederholungen Sie bei einem Punkt gemacht haben (z.B. im Rahmen des aufgabenorientierten Übens) dann wissen Sie, diese Wiederholungszahl war gut. Wenn Sie merken, der gleiche Fehler passiert wieder, dann wissen sie, da muss ich mit höherer Intensität oder mit mehr Variabilität ran.

Ich erinnere mich noch gut an meinen Pädagogikprofessor Professor Dr. Anselm Ernst „Lehren und Lernen“.

Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht

Anselm Ernst

Das Handbuch begründet erstmalig eine allgemeine Didaktik des Instrumentalunterrichts. Es beschreibt fächerübergreifend Ziele, Lerninhalte und Lehrmethoden und bietet eine Fülle von detaillierten Vorschlägen für die Praxis. Der Leser erfährt Wesentliches über die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung, das körpersprachliche Verhalten im Unterricht und die Förderung von Lernprozessen. Der instrumentale Gruppenunterricht wird in einem ausführlichen Kapitel behandelt. Das Buch stellt somit umfassend die zentralen Aspekte pädagogischer Professionalität dar.

Er hat ja doch schon etwas Legendenhaftes mittlerweile. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie wir einmal über das Thema Over Learning sprachen. Das heißt weiter zu üben, obwohl Sie etwas schon können. In meiner Klaviermethodik findet sich dieser Punkt am ehesten in der sogenannten Stabilisierungsmethode.

Die Methode arbeitet mit Wiederholung (begrenztem Üben). Das heißt, Sie arbeiten makroskopisch. Sie nehmen, wenn Sie etwas schon ziemlich gut können, zum Beispiel eine 3/4 Seite. Die Aufgabe besteht darin, keinen Parameter, der gedankliche Frische bringen könnte, zu verändern. Sie versuchen sich zehn Mal in die Empfindung dieser Episode hineinzuversetzen. Da habe ich unglaubliche Erfahrungen gemacht. Was passiert? Sie fangen an und die erste Wiederholung klappt super. Sie arbeiten auch in einem bequemen Tempo. Auch die zweite Wiederholung klappt super. Die dritte Wiederholung: Jetzt beginnt es Ihnen schon langweilig zu werden. Aber es klappt aber immer noch. Vierte Wiederholung: Nun passieren die ersten Fehler, weil sie nicht mehr aufmerksam sind.

Sie brauchen allerdings zehn fehlerfrei Wiederholungen. Klingt auf den ersten Blick stupid – ich weiß. Warten Sie. Jetzt kommen Sie in eine Situation, die emotional der Konzertsituation entspricht. Sie können im Konzert nämlich auch nicht beliebig oft wiederholen. Die einzige Möglichkeit, damit Sie bis zur zehnten Wiederholung kommen, besteht darin, dass Sie sich wieder und wieder in diese Episode verlieben. Das heißt, Sie beginnen dann wieder zu spielen und sie richten die Aufmerksamkeit plötzlich auf eine Zwischenstimme. Das machen sie ganz intuitiv. Allein das Durchführen dieser zehn fehlerfreien Wiederholungen führt dazu, dass Sie in die Lage versetzt werden, Musik tiefer zu entdecken.

Wissen Sie, wenn Sie mit einem mit einem Ihnen nahestehenden Menschen zu tun haben, verbringen Sie ja auch Zeit mit ihm, obwohl Sie ihn schon gut kennen. Sie entdecken plötzlich Dinge an diesem Menschen, die Sie nur dann entdecken können, wenn sie weiter mit ihm Zeit verbringen. So ist es auch mit der Musik.

Wenn man es auf den Menschen überträgt, wird das Bild recht stimmig. Es braucht eine Offenheit gegenüber dem Werk, um es wieder auf die Musik zu übertragen. Dass man nicht mit der Haltung an das Werk geht „Ich kann es schon, da gibt es nichts mehr zu entdecken für mich.“. Sondern, dass man sich jedes Mal neu inspirieren, berauschen und emotionalisieren lässt. Das finde ich ganz schön. Es ist faszinierend Ihnen dabei zuzusehen, wie Sie darüber sprechen.

Und genauso wichtig wie diese Beschäftigung, dieses sich immer wieder Einlassen auf eine Episode oder ein Werk ist, ist das Weglegen und das Vergessen. Wir wissen aus den Briefen von Brahms, dass er Kompositionen monatelang ruhen ließ, bevor er wieder zurückkehrte. Ich glaube, dass das eine sehr gute Art ist zu arbeiten ist. Wenn es die Lebensumstände zulassen.

Wir reden ja gerade davon, das Werk wirklich durchzuspielen. Also wir reden von physischem Üben. Beim mentalen Üben geht es ja – wenn wir an den Auftritt, das Probespiel oder den Wettbewerb denken – immer auch darum, dass wir in die Lage versetzt werden sicherer aufzutreten und mit einer größeren Souveränität vorzuspielen. Gibt es nach diesen physischen Übe-Methoden bei Ihnen auch nochmal den Punkt zurück zum mentalen Üben? Also, dass Sie sich vorstellen, wie sich die ganz konkrete Situation vor Publikum, vor der Jury anfühlen wird?

Ich glaube, wenn wir von mentalem Üben und mentaler Vorbereitung einer Konzertsituation sprechen, dann müssen wir unterscheiden: Bereiten wir innerlich das konkrete Konzertereignis vor, in dem wir beispielsweise uns den Konzertraum vorstellen, in dem wir antizipieren, wie wir uns fühlen usw.

Auf der anderen Seite steht die mentale Arbeit am Werk selbst. Und was die konkrete mentale Arbeit angeht, so ist diese gar nicht zu trennen vom Üben am Instrument. Das heißt, das geschieht mit ebensolcher Regelmäßigkeit wie auch das Üben am Instrument. Das mentale Üben und das instrumentale Üben sind wie Einatmen und Ausatmen. Das eine geht nicht ohne das andere. Insofern ist das nicht etwas, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt im Arbeitsprozess tut. Sondern es durchzieht den gesamten Arbeitsprozess. Es ist sogar eher so, dass wenn Sie etwas schon sehr gut auch manuell beherrschen, das dann vielleicht sogar weniger Zeit am Instrument und mehr Zeit rein mental mit dem Werk verbracht wird. Das ist eine sehr individuelle Sache.

Andere Methoden

Ich würde gern abschließend den Blick weiten und auf andere Methoden schauen. Ich habe zum Beispiel die Methode von Tanja Orloff Tschekorsky in der Vorbereitung gefunden. Ich weiß nicht, ob sie Ihnen vertraut ist. Gibt es Besonderheiten an Ihrer Methode, die Sie von anderen unterscheidet, oder würden Sie sagen, das ist im Üben so individuell, dass es sich das gar nicht abgrenzen lässt?

Mir persönlich ist es wichtig, dass man als Musiker vieles kennt. Ich glaube, nur wenn man vieles kennt, kann man entscheiden, was man selbst braucht. Oder zu brauchen glaubt. Im Hinblick auf die Klaviermethodik, auf die 27 Methoden, 13 Konzepte und auf die Formulierung von über 50 Lernzielen, die ich entwickelt habe, ist es wichtig (und neu), dass ich versucht habe, es jeweils auf den kleinsten denkbaren Bausteinen herunterzubrechen. Denn das ermöglicht es den Übenden und den Lehrenden diese verschiedenen Vorgehensweisen wirklich unmittelbar nutzen zu können und direkt auszuprobieren.

Sie haben bestimmt gesehen, dass die ganze Klaviermethodik an sogenannten kleinen Lernkarten festgemacht ist. Und auf diesen Lernkarten steht in teilweise ikonographisch aufgehübschter Form der, für den jeweiligen Punkt wichtigen, Aspekt. So kann man sich sehr einfach durch die Vorgehensweisen hindurcharbeiten und entdeckt dann was für einen selbst funktioniert.

Ja, absolut. Das fand ich auch in Ihrer Online-Methode sehr gut. Alle Lektionen weisen unten auf das jeweilige Lernziel hin, auf welches sie einzahlen. Das ist eine Sache, die sich die Musik noch mehr vom Sport abschauen könnte – man denke nur an die Abbildungen an den Geräten im Fitnessstudio, die genau zeigen, welche Muskelgruppen gerade trainiert werden. Am Ende ist das ein sehr hilfreiches Wissen für jeden Musiker, aber auch für jede Person, die unterrichtet.

Also besser könnte ich es nicht zum Ausdruck bringen.

Wir könnten sicher noch weitere Stunden über das Thema sprechen. Das macht sehr großen Spaß Ihnen zuzuhören und die Leidenschaft zu sehen, mit der Sie über das Thema sprechen. Ich würde noch zwei Fragen zum zum Abschluss stellen. Was üben oder lernen Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können?

Also im Musikalischen beschäftige ich mich gerade mit der sechsten Partita von Bach. Das lerne ich gerade und das fällt mir schwer, weil es so wenig Zeit außerhalb der Aktivitäten gibt, sich damit zu beschäftigen.

Und wenn Sie jetzt auf Ihre eigene Musikstudierenden-Zeit zurückschauen und sich aus heutiger Sicht einen Tipp mitgeben würden, um welchen Tipp Sie früher als Erstsemester froh gewesen wären. Was wäre das?

Ich würde vielleicht meinem jungen Ich mit auf dem Weg geben wollen, dass für die Raupe die Zerstörung des Kokons eine Zerstörung der umliegenden Welt bedeutet. Und erst später versteht sie, dass sie zu dem wunderbaren Schmetterling werden musste – werden konnte – nur indem der Kokon gerissen ist und zerstört wurde.

Künstlerische Entwicklungsprozesse sind schmerzhaft. Wenn man über sich hinauswächst, gibt es Wachstumsschmerzen. Und deshalb ist es so wichtig, dass man als Lehrer ganz behutsam begleitet, auch psychologisch einen angstfreien Raum schafft, in dem diese Prozesse stattfinden können. Dass man als Lernender versteht, dass ein Scheitern immer eine Chance ist, etwas zu lernen. Wenn ich nur Erfolg habe, wie kann ich da etwas lernen? Durch das Scheitern lerne ich und kann wachsen.

Der Ursprung der gesamten Klaviermethodik ist an ein solch schmerzliches Erlebnis gebunden. Ich hatte einen internationalen Wettbewerb zu spielen. Mein Lehrer schickte mich während meines Grundstudiums dorthin. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie bin ich ins Finale gekommen und war krank vor Nervosität. Nicht nur im übertragenen Sinn. Ich weiß, ich war der Situation überhaupt nicht gewachsen und bin mit wehenden Fahnen untergegangen. Ich spielte die zweite Sonate von Rachmaninow. Das ist ein irrwitzig schwieriges Stück und ich weiß nicht mehr, wie ich da das Ende erreichte. Das war der Beginn der Klaviermethodik.

Nachdem ich mich da von diesem Schock erholt hatte, stellte ich mir die Frage, wieso ich im Finale nicht auf mein gesamtes Leistungspotential zugreifen konnte. Ich hatte nicht weniger geübt als die anderen.

Dann habe ich angefangen, die Klaviermethodik zu entwickeln. Und wegen der Klaviermethodik konnte ich Professor werden. Wegen dieser Klaviermethodik konnte ich seit 2009 unzählige Seminare geben. Und auch wegen dieser Klaviermethodik haben jetzt meine Studenten die Möglichkeit, ihr Talent noch besser zu entfalten. Das heißt, der Ursprung war in etwas Negativem, aber die Frucht ist ganz positiv.

Das heißt, wenn wir beim Bild bleiben wollen, ist aus der Raupe inzwischen der Schmetterling entwachsen und fliegt seit mehreren Jahren und Jahrzehnten.

Ja und mal schauen, wie sich dieser Schmetterling dann zu etwas anderem wieder transformiert. Es geht ja immer weiter. Man hört nie auf zu lernen. Das ist das Schöne in unserem Beruf. Und dann gibt es natürlich auch außerhalb des Musischen unendlich viel, was es neu zu entdecken, neu zu lernen gibt.

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Was lernen wir aus unseren Fehlern, Silke Kruse-Weber? https://what-is-practice.de/fehlermanagement-aus-fehlern-lernen-silke-kruse-weber/ https://what-is-practice.de/fehlermanagement-aus-fehlern-lernen-silke-kruse-weber/#respond Mon, 20 Nov 2023 11:04:38 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6200 Fehlermanagement in der Musik Wir alle machen Fehler. Doch was verraten sie uns über unser Üben und wie können wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen? Ihr merkt schon: In der heutigen Folge dreht sich alles um das „aus Fehlern lernen“ – oder anders formuliert: Das Fehlermanagement in der Musik. Mit Prof. Silke Kruse-Weber habe ich… Weiterlesen »Was lernen wir aus unseren Fehlern, Silke Kruse-Weber?

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Fehlermanagement in der Musik

Wir alle machen Fehler. Doch was verraten sie uns über unser Üben und wie können wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen? Ihr merkt schon: In der heutigen Folge dreht sich alles um das „aus Fehlern lernen“ – oder anders formuliert: Das Fehlermanagement in der Musik.

Mit Prof. Silke Kruse-Weber habe ich mir ich das Thema von drei Seiten angeschaut: Zu Hause beim Üben, bei Konzerten auf der Bühne und natürlich aus der Sicht einer Lehrperson. Welche Tipps Prof. Silke Kruse-Weber aus ihrer langjährigen Forschung zum Umgang mit Fehler hatte, erfahrt ihr in dieser Folge.

Silke Kruse-Weber war bis Ende September 2022 Professorin für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Kunstuniversität Graz. Seit Oktober 2023 ist sie Vertretungsprofessorin für Musikpädagogik/Instrumental- und Gesangspädagogik am Leopold Mozart College für Musik der Universität Augsburg. Vor ihrer akademischen Laufbahn studierte sie Klavier und Evangelische Kirchenmusik und arbeitete als Pianistin sowie Instrumentallehrerin für Klavier. Im Podcast erzählt sie von ihrem persönlichen Weg in die Wissenschaft.

Silke Kruse-Weber (Foto: Aleksey Vylegzhanin)

Literaturempfehlungen

Reflect! Buchcover

Reflect!

Ein Beobachtungs- und Reflexionstool für Instrumental- und Gesangsunterricht

Mithilfe eines Kartensets entwickelte Silke Kruse-Weber ein Beobachtungs- und Reflexionstool für den Musikunterricht. Erschienen in den Grazer Schriften zur Instrumental- und Gesangspädagogik (Waxmann Verlag).

Das Buch erschien im Juli 2023.


Exzellenz durch differenzierten Umgang mit Fehlern

Kreative Potenziale beim Musizieren und Unterrichten

In diesem Sammelband finden sich verschiedene Aufsätze, rund um den Umgang mit Fehlern. Es entstand im Rahmen des Symposiums „Exzellenz durch Umgang mit Fehlern“.

Der Sammelband erschien im Jahr 2012.


Die Kunst der Lehre - Waloschek, Gruhle

Die Kunst der Lehre

Ein Praxishandbuch für Lehrende an Musikhochschulen

In diesem Sammelband von Maria Anna Waloschek und Constanze Gruhle findet sich ein Aufsatze von Prof. Dr. Silke Kruse-Weber und Victoria Vorraber . Thema: Umgang mit Fehlern im Spannungsfeld zwischen Fehlerfreundlichkeit und Perfektionsstreben

Die Kunst der Lehre erschien 2022 und fasst damit einen sehr aktuellen Stand der Forschung zusammen.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Prof. Silke Kruse-Weber lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Silke Kruse-Weber

INHALT

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Sie….

Die Musik und mich umfassend erforschen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei Ihnen gerade in Dauerschleife?

In Dauerschleife gibt es aktuell keine Musik. Aber Martha Argerich mit den Bach Sonaten für Violoncello und Klavier, bzw. im Original für Gambe, höre ich sehr sehr oft. Sie begleiten mich seit Jahrzehnten durch mein Leben.

Welche CD / Welcher Künstler*in hat Sie musikalisch (auf Ihr Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Um ehrlich zu sein gibt es hier eine Schallplatte, die ich als Konfirmandin geschenkt bekommen habe: Die Balladen von Frédéric Chopin mit Artur Rubinstein. Die g-Moll Ballade hatte es mir damals so angetan, dass ich Klavier studieren wollte.

Von der Musikerin zur Musikpädagogin

Sie haben zunächst Evangelische Kirchenmusik und später Klavier studiert. Und haben dann– wenn man so möchte – Ihre akademische Laufbahn mit einem Musikwissenschaftsstudium und einer Promotion in Musikpädagogik fortgesetzt. Daneben waren Sie lange Zeit auch weiter künstlerisch aktiv. Beides ist sehr zeitintensiv. Wie sah Ihr persönliches Üben über diese Zeit aus?

Als ich bereits mehrere Jobs innehatte, fand mein Üben zumeist in Blöcken statt. Für bestimmte Konzerte habe ich mich in den Monaten zuvor gezielt und intensiv vorbereitet. Aber es war nicht mehr das tägliche Üben direkt nach dem Aufstehen am Morgen, so wie es zuvor war. Das konnte es nicht mehr sein, da meine Zeit auch mit anderen Dingen ausgefüllt war.

Wie hat Ihr Üben von Ihrer Forschung profitiert?

Meine Forschungstätigkeiten sind erst seit ca 2000 im Rahmen meiner Dissertation dazugekommen. Allerdings, wenn ich jetzt erneut mit dem Musizieren anfangen sollte, dann würde dies ganz sicher Auswirkungen auf mein Üben haben.

Wie anders würden Sie heute üben?

Ich würde bewusster, noch spielerischer und weniger eng fokussierend auf nur ein bestimmtes Ziel üben. Viel mehr erforschen, was alles möglich ist. Kurz um: umfassender üben.

Wie haben Sie sich entschieden, die aktive musikalische Karriere für die wissenschaftliche einzutauschen? Gab es hierfür einen speziellen Anlass?

Das war in der Tat ein langer Prozess. Als ich damals noch Pianistin und Klavierlehrerin war, erhielt ich ein Stipendium für eine Promotion. Zunächst war dies ein externaler Grund diese sehr reizvolle Arbeit aufzunehmen. Gleichzeitig war ich zu dieser Zeit auch bereits Mutter und suchte nach Wegen, mein Leben weniger stressig zu gestalten. Ich hatte Probleme mit Aufführungsangst und wollte dies nicht so stark auf die Familie projizieren. Also suchte ich nach neuen Perspektiven.

Im Laufe der Zeit fand ich ein Dissertationsthema: es waren Schriften über das Lernen und Lehren im Klavierunterricht im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Zunächst verstand ich diese kaum, da ich nicht wusste auf was es zu achten galt. Wer ist wer? Was ist überhaupt wichtig? Mit der Zeit fand ich dann aber einen Zugang.

Gleichzeitig unterrichtete ich bereits und stellte fest, dass mir das Unterrichten (und auch das eigene Üben) viel mehr Spaß bereiten. Ich hatte zunehmend mehr „theoretische Brillen“, mit denen ich das Unterrichten begründen und beobachten konnte. Das hat mir nicht nur sehr viel Freude gegeben, sondern wirkte sich auch positiv auf die Schülerinnen und Schüler aus. Weiter und weiter habe ich mich dann zu einer Musikpädagogin transformiert und dies dann schließlich auch bis in die wissenschaftliche Arbeit ausgedehnt.

„Ich hatte zunehmend mehr „theoretische Brillen“, mit denen ich das Unterrichten begründen und beobachten konnte. Das hat mir nicht nur sehr viel Freude gegeben, sondern wirkte sich auch positiv auf die Schülerinnen und Schüler aus.“

Silke Kruse-Weber

Fehler im eigenen Üben (zu Hause)

Von Fehlerfreundlichkeit und Risikomanagement

Also man kann sagen, ein sehr persönlicher Beweggrund letztlich. Irgendwann hat sich Ihr Forschungsschwerpunkt auf das Themengebiet „Fehler“ ausgeweitet. Die naheliegendste Frage ist da natürlich: Was war Ihr letzter Fehler und wie sind Sie damit umgegangen?

Ich habe gerade vor fünf Minuten einen Fehler entdeckt (lacht).

Anlässlich dieses Podcasts habe ich in einem meiner Artikel geschaut und gesehen, dass dort ein Wort nicht stimmt. Nun gut, ich kann darüber inzwischen schmunzeln. Es regt mich nicht besonders auf, aber ich habe es festgestellt. Es lässt sich jetzt nicht mehr korrigieren. Ich denke aber, man versteht die Message dennoch.

Man könnte sagen, dass Sie also eine gute Gelassenheit mit der Zeit entwickelt haben. Wenn wir die Frage nun auf die Musik übertragen, stellen wir fest, dass an Hochschulen und im Musikunterricht oftmals das Prinzip „Fehlervermeidung“ praktiziert wird. Das überträgt sich dann logischerweise auf das eigene Üben zu Hause. Warum ist dieses Prinzip nicht förderlich?

Vor allem für das eigene Musizieren nicht förderlich. Es ist ein erster Schritt hin zur Entwicklung einer möglichen Auftrittsangst.

Wenn ich, wie ich es eingangs bereits geschildert habe, daraufhin übe keine Fehler mehr zu machen, wird der Spielraum, in dem ich musizieren kann, immer enger. Das löst Angst aus. Andererseits möchte man natürlich ein großartiges Ergebnis abliefern und freut sich, über ein gelungenes Konzert. Allerdings sind die Wege dorthin nicht linear.

Was sind Ihrer Meinung nach bessere Strategien, um im eigenen Üben mit Fehlern umzugehen?

Da gibt es viele Ansätze. Bekannt ist die sogenannte Fehlerfreundlichkeit bei der man sich mit Fehlern auseinandersetzt und Gelegenheiten bietet, sie zu verbessern.

Zur Vorbereitung einer Aufführung ist das sogenannte Risikomanagement wichtig. Das heißt, dass ich eine Aufführung nicht so plane, als dass sie ideal verläuft und ich mich nicht darauf vorbereite, welche Störfaktoren eintreffen könnten. Sondern im Gegenteil: Je mehr mögliche Störfaktoren ich mir kreativ im Vorfeld überlege und den Umgang mit ihnen beim Üben trainiere, desto emotional entspannter meine Haltung während der Aufführung.

Meine Klavierschüler*innen haben diese Art des Risikomanagement im Unterricht besonders geliebt. Eine kleine Anekdote dazu: Kurz vor einer Aufführung haben wir im Unterricht eine Aufführungssituation simuliert, bei der ich mit Papier geraschelt oder als Höhepunkt vom Klavier-Hocker gefallen bin. Die Schüler*innen sollten möglichst weiterspielen und sich nicht ablenken lassen.

Lassen Sie uns gerne hier einmal einsteigen. Den Effekt, auf den Sie hier gerade anspielen ist der sogenannte „Rumpelstilzchen-Effekt. In Ihren Büchern geben Sie noch weitere Störbeispiele, wie z.B. direkt nach dem Sport spielen (mit hohem Puls) oder mit verschiedenen Raumtemperaturen experimentieren.

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Fehlermanagement

Nicht den Fehler vermeiden, sondern die daraus resultierenden negativen Konsequenzen

Fehler sollten einfach, schnell und ohne Stress behoben werden. Nehmen wir das Beispiel einer Etüde, die wir gerade neu lernen. Im Erarbeitungsprozess verspielen wir uns in Takt 17. Wie würden wir nun im besten Fall vorgehen?

Fehlermanagement brauche ich dann, wenn ich mich auf der Bühne verspiele. Das bedeutet keine Grimassen machen, nicht aufhören, sondern einfach weiterspielen. Ein gutes Vorbild hierzu sind Expert*innen, die ebenfalls Fehler machen. Allerdings hört man sie nicht mehr so stark.

Im Erarbeitungsprozess eines neuen Stücks verhält es sich anders. Es gibt das deliberate practice. Darin teilt man das Stück in verschiedene Bereiche auf und schaut, welche Schwierigkeiten wo liegen.

Zum einen kann man sich harmonisch und satztechnisch mit der Fehlerstelle beschäftigen. Man kann sie in verschiedenen Varianten spielen. Man kann versuchen zu erforschen, wie man die Stelle bewegungstechnisch anders / besser musizieren kann. Auch die Frage, welche Aussage mit dieser Stelle getroffen werden soll, ist ein wichtiger Punkt. Also den Fokus auch auf die musikalische Intention legen und nicht nur auf die Bewegung.

Ich finde, man kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig dieses variantenreiche Üben ist. Können Sie erklären, warum dies so erfolgsversprechend ist?

Es gibt nicht nur ein Ziel, sondern es kommt darauf an, verschiedenes, also auch verschiedene Ziele und Foki zu explorieren. Es geht darum, weniger bewertend zu sein und nicht mehr EIN Richtig oder Falsch aufkommen zu lassen. Stattdessen werden die Spielräume geöffnet und im Hinblick auf eine Erweiterung exploriert. Wie könnte ich es spielen? Was will ich sagen? Wie könnte ich es anders spielen? was könnte ich noch ausprobieren? Das heisst es, umfassend zu üben und zu forschen. Die Folge ist, dass wir im Musizieren dann flexibler und emotional entspannter gegenüber sogenannten „Fehlern“ sind und kreativer mit Ihnen umgehen können, weil wir uns freier fühlen.

An dieser Stelle vielleicht kurz der Verweis auf das Interview mit Susan Williams, die in ihrem Buch „Optimal Üben“ mit den Spielkarten eine ähnliche Übe-Strategie vorschlägt. Ein typisches Gegenargument, dass sofort kommen könnte wäre, dass sobald man einmal einen Fehler eingeübt hat, es umso länger braucht, bis man ihn wieder überschrieben hat. Würde das nicht für eine sofortige Korrektur sprechen?

Man muss unterscheiden: wir sprechen nicht von einer gewissen Nachlässigkeit. Es gibt von Gerhard Mantel den schönen Ausdruck „Das Prinzip Hoffnung“ – also nur zu hoffen, dass es besser wird, muss unterschieden werden von einem bewussten und umfassenden Üben. Bei einem nachlässigen Üben können sich in der Tat Fehler einschleichen.

Fehler als Lehrkraft – Wie ermögliche ich Erfolg bei meinen Schüler*innen?

Wir haben den Fall ein Schüler, eine Schülerin oder im Hochschulkontext ein Student oder eine Studentin verspielt sich. Was wäre die beste Art zu reagieren als Lehrkraft? Sofort korrigieren, ignorieren und darauf setzen, dass der Schüler den Fehler sowieso selbst bemerkt hat?

Wenn Lernende aus Fehlern lernen sollen, dann müssen wir sie dazu aktivieren, selbst über ihre Fehler nachzudenken. Bei falschen Tönen habe ich meinen Klavierschülern mit dem sogenannten C-Turm eine gewisse Hilfestellung aufgebaut. Durch Fragen habe ich dann, vor allem die Anfänger-Kinder, hingeleitet, wie sie die richtige Tonhöhe finden können. Es ist wichtig, nicht sofort das Ergebnis zu verraten. Sonst ist ein Lernen aus Fehlern nicht möglich. Leider passiert dies immer noch viel zu häufig – besonders aus Zeitersparnisgründen.

Setzt das jeweils voraus, dass sich die Schüler*innen über ihren Fehler bewusst sein müssen?

Die Nachfragen funktionieren auch dann, wenn die Schüler*innen ihren Fehler vielleicht gar nicht selbst bemerkt haben. Natürlich: Je neuer man in einer Sache ist, desto weniger weiß man möglicherweise, welche Fehler man macht. Selbstverständlich muss ich ihnen dabei Orientierungshilfen an die Hand geben. Einen Weg zum Ziel, den sie spüren und nachvollziehen können.

Im Vorgespräch hatten wir kurz über die Podcast-Folge mit Prof. Eckart Altenmüller gesprochen. Auch bei ihm ist „spüren“ ein sehr wichtiger Punkt. Die Aufgabe von uns Musikpädagogen ist es daher, dieses „spüren“ bei unseren Schüler*innen im Unterricht erlebbar zu machen.

Zum Abschluss dieses Themenkomplexes hätte ich noch eine Nachfrage zum Bereich „Angst“. In ihrem Buch „Exzellenz durch differenzierten Umgang mit Fehlern“ beschreiben, Sie dass das richtige Maß an Angst auch durchaus etwas positives sein kann. Wie ist das gemeint?

Man sagt, dass ein mittleres Maß an Angst das Ideal ist. Bei einem zu geringen Grad an Anspannung ist man gelangweilt (zu wenig Erregung) und bei einem zu viel an Anspannung tritt Überforderung ein, die bis zur Aufführungsangst gehen kann.. .  

Grafik zu Yerkes Dodson Gesetz

Mehr Informationen dazu:

Robert M. Yerkes and John D. Dodson (1908): the relation of strength of stimulus to rapidity of habitformation. Journal of Comparative Neurology and Psychology, 18, 459-482.

Unterschiedliche Rollen der Lehrkraft

In Ihrer Literatur beschreiben Sie sehr ansprechend die verschiedenen Rollen einer Lehrkraft. Besonders gut hat mir der Vergleich Meister und Gärtner gefallen: Also der Lehrer wie ein Gärtner, der Rahmenbedingungen für seiner Schüler*innen schafft versus der Lehrer als Meister. Was steckt hinter diesen beiden Vergleichen?

Das sind zwei Rollen, die man als Lehrperson einnehmen kann. Und beide haben ihre Berechtigung. Es wird häufig polarisiert und gesagt, dass die Meister-Schüler-Lehrer vorbei sei und es nur noch die Ermöglichungsdidaktik geben sollte. Allerdings sind es bestimmte Momente, Stadien und Situationen, und vor allem die Bedürfnisse der Lernenden, die darüber entscheiden, welche Rolle ich einnehme.

Ich denke, dass wir schon weiterhin die Meisterin oder der Meister in unserer jeweiligen Domäne bleiben müssen. Zum Problem wird es, wenn man einseitig unterrichtet und nicht in der Lage ist diese Rollen zu wechseln.

Im Sinne der Ressourcenorientierung, wo man von Fehlern ausgeht, liegt es doch auch nahe auch den Lehrkräften diese Fehler zuzugestehen bzw. wäre es nicht sogar „förderlich“ – im Sinne von „ich verspiele mich selbst und zeige dir, dass Fehler völlig ok sind“?

Für mich klingt das komisch (lacht). Aber man muss sich gar nicht anstrengen, um sich zu verspielen. Das passiert von ganz allein. Es ist dann nur wichtig, mit diesen Situationen authentisch und offen umzugehen. Die Fehler also anzusprechen. Schülerinnen und Schüler mögen das.

„Es geht nicht um ein Automatisieren, sondern es geht darum sich intensiv mit der Musik auseinanderzusetzen und das Vertrauen darin zu haben, sie bestmöglich (nach seinen Möglichkeiten) vorbereitet zu haben. Es geht darum, eine Haltung zu entwickeln, die es mir ermöglicht auch während der Aufführung eine Gelassenheit und Flexibilität zu haben. Nicht nur meinen Fehlern gegenüber, sondern auch im Duktus des Werkes und der Musik.“

Silke Kruse-Weber

Fehler auf der Bühne

Passiert ein Fehler auf der Bühne, gibt es oft zwei unterschiedliche Umgangsformen, die man beobachten kann.

  • Ich verspiele mich und lasse mir anmerken, dass ich mich verspielt habe (denke weiter über den Fehler nach und verspiele mich in der Folger weiter)
  • Ich verspiele mich und sehe den Fehler als Motivation mich noch mehr anzustrengen

In Ihrer Literatur beschreiben Sie das erste Szenario als den sogenannten „Tausendfüßler-Effekt“…

Ja, der Tausendfüßler-Effekt kann passieren, wenn plötzlich eine Störung in einem vermeintlich automatisierten Ablauf auftritt. Wenn ich mich bspw. zu wenig umfassend (besonders auch kognitiv) mit einem Stück auseinandergesetzt habe, sind Blackouts nahezu vorprogrammiert, da ich das Stück nur motorisch gelernt habe.

Wenn Sie einen Tausendfüßler fragen, welchen Fuß er zuerst nimmt, kann er das plötzlich nicht mehr sagen. Beim Musizieren ist dies allerdings anders und daher ist auch die Vorbereitung so entscheidend. Besonders das wie wir üben.

Es geht nicht um ein Automatisieren, sondern es geht darum sich intensiv mit der Musik auseinanderzusetzen und das Vertrauen darin zu haben, sie bestmöglich (nach seinen Möglichkeiten) vorbereitet zu haben. Es geht darum, eine Haltung zu entwickeln, die es mir ermöglicht auch während der Aufführung eine Gelassenheit und Flexibilität zu haben. Nicht nur meinen Fehlern gegenüber, sondern auch im Duktus des Werkes und der Musik.

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Das Entscheidende ist also nicht nur das (motorische) Zusammenschütteln, wie wir eben besprochen haben, sondern das Werk zugleich auf vielfältige Weise kognitiv zu erfassen (harmonisch, historisch, satztechnisch…).

Genau. Dadurch lässt sich der Tausendfüßler-Effekt minimieren. Und vieles mehr. Man gewinnt Selbstwirksamkeit, insofern das Musizieren auf einem Durchdringungsprozess aller wesentlichen Parameter basiert.

Typisch ist beispielsweise, dass man sich nur die schweren Stellen anschaut und die vermeintlich leichten Stellen werden übersprungen. Das ist schade, denn genau dort kann der Tausendfüßler-Effekt auftreten.

Auf die folgende Frage widersprechen mir in den meisten Fällen meine Gäste. Ich würde allerdings wetten, dass Sie hingegen mir zustimmen würden: Das klingt nach einem sehr analytischen Vorgehen in der Vorbereitung auf ein Stück, oder?

Ich denke ja. Das Analytische ist wichtig.

Also eine Art „Fahrplan“ im Vorfeld zum Üben zu entwickeln ist durchaus sinnvoll?

Sie meinen, dass man sich dies vorher alles aufschreibt?

Nein, nicht zwangsläufig verschriftlichen – aber zumindest gedanklich einen Überblick im Vorfeld haben, bevor man an sein Instrument geht.

Sich im Vorfeld Ziele zu setzten und mögliche Wege dahin, das ist sehr wichtig. Noch wichtiger ist es allerdings sich im Nachhinein zu reflektieren, inwiefern die eigenen musikalischen Ziele erreicht wurden und wie ich mich dabei gefühlt habe. Dadurch verhindere ich zum Beispiel, dass sich ungünstige Bewegungen einschleifen.

Das Verschriftlichen dieses Prozesses ist nochmals eine größere Herausforderung. Ich habe dies einmal mit Studierenden versucht, die das sehr ungern gemacht haben. Jedoch haben einige im Nachhinein festgellt, wie hilfreich diese Arbeit war. In der Theorie ist dies von sehr großem Vorteil, allerdings wird es in der Praxis noch wenig umgesetzt. Möglicherweise steht hier noch ein Paradigmenwechsel vor uns…

Abschließend zum Thema: Gäbe es auch Ihrer Sicht einen Wunsch, wie sich die Fehlerkultur im Musikunterricht ändern sollte oder sehen Sie hier, dass sich bereits ein Wandel zum besseren vollzieht?

Ich denke ein Paradigmenwechsel hat bereits stattgefunden, jedoch ist er noch nicht überall angekommen. Es wird zunehmend mehr geforscht und es entstehen weiter Professuren für Instrumental- und Gesangspädagogik. In kleinen Schritten geht es vorwärts…

Wenn es einen Wunsch gibt, dann, dass die Polarisierung zwischen Theorie und Praxis weiter miniert wird und sie als etwas Zusammengehöriges begriffen werden.

Outro

Was lernen (üben) Sie gerade, was Sie noch nicht können? Gerne auch nicht musikalisch.

Kochen.

Welchen Tipp würden Sie Ihrem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Es geht nicht um das wie viel des Übens, sondern um ein umfassendes und tiefgehendes Forschen.

„Es geht nicht um das wie viel des Übens, sondern um ein umfassendes und tiefgehendes Forschen.“

Silke Kruse-Weber

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Wie geht effektives Üben? https://what-is-practice.de/wie-geht-effektives-ueben/ https://what-is-practice.de/wie-geht-effektives-ueben/#respond Fri, 17 Nov 2023 10:29:00 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6168 Üben ist nicht gleich Üben. Das wissen wir alle. Aber was genau zeichnet effektives Üben aus? Die Wissenschaftlerin Susan Hallam hat hierzu viel geforscht und eine Definition vorgelegt. In diesem Artikel stelle ich vier Tipps und Tricks vor, wie richtiges Üben gelingt. Effektiv Üben heißt… Susan Hallam definiert effektives Üben als das, was uns zum… Weiterlesen »Wie geht effektives Üben?

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Üben ist nicht gleich Üben. Das wissen wir alle. Aber was genau zeichnet effektives Üben aus? Die Wissenschaftlerin Susan Hallam hat hierzu viel geforscht und eine Definition vorgelegt. In diesem Artikel stelle ich vier Tipps und Tricks vor, wie richtiges Üben gelingt.

Effektiv Üben heißt…

Susan Hallam definiert effektives Üben als das, was uns zum gewünschten „Endprodukt“ führt und zwar in so wenig Zeit wie möglich, ohne dabei negative Auswirkungen auf unsere langfristigen Ziele zu haben. Sehr frei übersetzt könnte man auch sagen: Effektives Üben ist eben das, was funktioniert, ohne uns dabei zu schaden (z.B. durch Antrainieren einer ungünstigen Haltung o.Ä.).

Effektives Üben ist eben das, was funktioniert, ohne uns dabei zu schaden.

Diese Definition zeigt, wie stark effektives Üben von unseren persönlichen und individuellen Fähigkeiten abhängt. Eine Übe-Strategie, die für Person 1 funktioniert, bewährt sich noch lange nicht in gleichem Maße für Person 2. Zum anderen wird jedoch auch deutlich, wie stark der Erfolg beim Üben von der Beschäftigung mit uns selbst abhängt. Was ist damit gemeint?

Um überhaupt einordnen zu können, wie effektiv meine Übe-Einheit war, muss ich mir vor dem Instrumentalspiel Gedanken über das machen, was ich erreichen möchte. Soll ein bestimmtes Lied gelernt oder eine schwere Passage gemeistert werden? Möglicherweise möchte man in der Übe-Einheit auch nur einen Lick in verschiedenen Tonarten spielen können. Wichtig ist, sich darüber im Vorfeld Gedanken zu machen. Noch wichtiger ist es dann allerdings, nach dem Üben selbstkritisch zu schauen, inwiefern die zurückliegende Übe-Einheit auf dieses Ziel eingezahlt hat.

Üben geht nicht mit dem Auspacken des Instruments los

Tipp 1: Der Fahrplan

Studien zeigen, dass es sogar in Musikhochschulen nicht immer gelingt, Studierenden effektive Übe-Strategien an die Hand zu geben, mit denen eine Weiterentwicklung der eigenen musikalischen Fähigkeiten möglich ist . Das betrifft vor allem die Länge unser Übe-Einheiten. Denn, was oftmals unterschätzt wird, ist das ein zu viel üben nicht nur gesundheitliche Folge (z.B. Verletzungen) haben kann, sondern auch negative Auswirkungen auf das gelernte Material hat (siehe: Penelope-Effekt).

Wichtig ist daher auch die kognitive Beschäftigung mit dem Stück:

  • Wo liegen schwierige Passagen, die mehr Aufmerksamkeit benötigen?
  • Wie teile ich schwierige Stellen sinnvoll unterteilen?
  • Wie kann ich eine schwere Stelle schneller spielen? (siehe: 2 zu 1 Technik)
  • Welche Funktion hat meine Stimme?

Unser Üben sollte daher nicht erst mit dem Auspacken des Instruments starten. Die kognitive Beschäftigung mit dem Stück (harmonisch, satztechnisch, historisch etc.) stärkt unser Üben ungemein. Ganz nebenbei können sie auch dabei helfen dem Tausendfüßler-Effekt vorbeugen – dazu mehr in der Podcast-Folge mit Prof. Dr. Silke Kruse-Weber.

Möglicherweise hilft es sogar, sich eine Art „Fahrplan“ zu notieren. Welche Passagen benötigen mehr Aufmerksamkeit? Welche Techniken stehen mir zur Verfügung. Bis wann möchte ich das Stück können?

Üben in Chunks

Tipp 2: Schwierige Stellen sinnvoll aufteilen

Ist eine Passage in einem neuen Stück schwierig zu spielen, ist eine gängige Vorgehensweise wiederholen, wiederholen, wiederholen. Effektiv ist dies allerdings nur bedingt. Forschungen aus anderen Fachrichtungen haben gezeigt, dass unser Kurzzeitgedächtnis nur einen begrenzten Speicherplatz hat. Ungefähr sieben „Items“ können darin zeitgleich gespeichert werden.

Für unser musikalisches Üben bedeutet das, dass wir die Länge der zu übenden Stelle (auch Chunk genannt) sinnvoll auswählen sollten. Möglicherweise empfiehlt es sich, die Phrasenlänge anfangs etwas kürzer zu wählen, bevor man sie in größere Chunks überführt. So meistert man nach und nach die einzelnen Schwierigkeiten, ehe die ganze Passage fehlerfrei spielbar ist.

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Üben ohne Ablenkung

Tipp 3: Aus den Augen, aus dem Sinn

In einer Studie beobachteten Wissenschafler*innen 260 Studierende beim Lernen. Im Schnitt wurden sie alle 6 Minuten von ihrem Smartphone oder Laptop aus der Konzentration gerissen. Besonders Social Media Benachrichtigungen sorgten dabei für regelmäßige Ablenkung. Das Smartphone in den Flugmodus zu schalten, sobald man mit dem Üben starten möchte, ist also bereits ein guter Start. Ich arbeite zudem gerne mit der Pomodoro-Technik und verbanne in diesen 25-Minuten Übe-Einheiten mein Handy ganz aus meiner Nähe. Sonst werden die kleinen, fünf-minütigen Pausen doch meist ungewollt länger…

Mini-Pausen während des Übens

Tipp 4: Die richtige Erholung für unser Gehirn

Eine Studie aus dem Jahr 2021 konnte zeigen, dass kleine Pausen von 10-Sekunden einen immensen Einfluss auf den Speichervorgang in unserem Gehirn und somit auch auf unseren Lernerfolg haben. 

Studie zur 10 Sekunden Pause

Wie man in der Abbildung deutlich sehen kann, fand der Lernerfolg ausschließlich in den 10-Sekunden Pausen statt. Nicht jedoch während der 10-Sekunden Übezeit. Im Gegenteil: Mit nachlassender Konzentration sank die  Fähigkeiten der Teilnehmer*innen die Aufgabe korrekt auszuführen. Um also effektiv zu üben, sind nicht nur die „großen“ Pausen wichtig. Zum richtigen Üben gehören auch kleine Mini-Pausen für unser Gehirn.

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Down the rabbit hole

Literatur

Hallam, Susan: What do we know about practising? Towards a model synthesising the research lit- erature, in: H. Jørgensen & A. Lehman (Hrsg.), Does practice make perfect? Current theory and research on instrumental music practice (pp. 179–231).

Susan Hallam,Tiija Rinta, Maria Varvarigou and Andrea Creech: The development of practising strategies in young people.

Hallam, Susan: What predicts level of expertise attained, quality of performance and future musical aspirations in young instrumental players? Psychology of Music.

Foto-Credit: Cristina Gottardi

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Optimal Üben mit Susan Williams https://what-is-practice.de/optimal-ueben-mit-susan-williams/ https://what-is-practice.de/optimal-ueben-mit-susan-williams/#respond Mon, 27 Mar 2023 12:49:19 +0000 https://what-is-practice.de/?p=5865 Susan Williams ist Trompeterin, Pädagogin und Buch-Autorin. Die meisten kennen sicher ihr Buch "Optimal Üben", welches 2017 erschienen ist. Höchste Zeit, um mit ihr über ihre ganz persönliche Anwendung zu sprechen.

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Mein heutiger Gast ist die Trompeterin, Pädagogin und Buch-Autorin von „Optimal Üben“ Susan Williams.

Auf gut 120 Seiten hat Williams darin nicht nur die aktuelle Forschungslage zum Thema Üben skizziert sondern – und das hat mich ganz persönlich  an ihrem Buch so begeistert – auch viele konkrete Tipps gleich mitgeliefert. Auf 10 Arbeitsblättern und zahlreichen sogenannte Spielkarten, lässt sich das Gelesene sofort im eigenen Üben anwenden. Höchste Zeit also um mit ihr nicht nur über das Buch , sondern auch über ihre ganz persönliche Anwendung zu sprechen.

Neben vielen Ideen zum Bewegungslernen haben wir uns vor allem mit dem Planen und Strukturieren des Übens beschäftigt. Am Ende kamen wir hier – ganz unverhofft –  noch einem kleinen Geheimnis auf die Spur. 

Susan ist gebürtige Australierin. Ein umso größer Dank bereits an dieser Stelle, dass sie sich auf das Experiment eingelassen hat und das Gespräch mit mir auf Deutsch geführt hat. 

Susan Williams

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Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Forschen. Kennenlernen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Die Hohe Messe von Johann Sebastian Bach in der Version von Collegium Vocale Gent. Für mich ist Bach der wichtigste Komponist. Er hat mich mein ganzes musikalisches Leben lang begleitet. Und besonders dieses Stück ist für mich dabei das schönste Stück. Besonders mit einer solchen Gruppe, die sich auf die Musik Bachs spezialisiert hat und diese auf historischen Instrumenten aufführt.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Man könnte glauben, weil ich Trompete spiele, sollte es auch ein anderer Trompeter oder eine andere Trompeterin sein. Aber ich habe immer schon versucht, mein Spiel noch reicher und nuancierter zu gestalten und über das, was bereits vorhanden ist, hinauszugehen.

Ich habe daher viel von Marcel Ponseele gelernt, der erste Oboist von Collegium Vocale Gent. Mich fasziniert, wie beseelt sein Ton klingt und wie er es schafft genau das zu spielen, was nötig ist. Als ich ihn zum ersten Mal gehört habe, wusste ich, dass ich das auch auf der Trompete machen wollte. Auch wenn die Leute sagen, dass das nicht möglich sei. (lacht)

Wie wendest du die Inhalte von „Optimal Üben“ selbst an?

Dafür üben wir ja. Du bist Dozentin für Barocktrompete an der Hochschule in Bremen und Den Haag, gibst Kurse zum Themen Üben und die meisten werden dich sicher über dein Buch „Optimal Üben“ kennen. Was wahrscheinlich die wenigsten wissen ist – Wie sieht dein Übe-Alltag aus?

Wenn ich übe, versuche ich mir sehr bewusst zu werden, was ich von diesem Stück möchte, warum es komponiert wurde und wie ich ihm am besten dienen kann. Gar nicht nur als Trompeterin, sondern vor allem als Erzählerin. Ich glaube viele Trompeter*innen denken an Klangproduktion und einen sanglichen Ausdruck. Allerdings glaube ich, dass wir sogar noch mehr können. Wir können erzählen. Das höre ich übrigens viel öfter in Jazz und Alter Musik, weniger in Klassik.

Beim Üben frage ich mich dann, welchen Effekt ich an den einzelnen Stellen benötige. Dann versuche herauszufinden, was die einzelnen Phrasen sagen. Anschließend spiele ich die Stelle in verschiedenen Wegen, bis ich genügend Informationen über Klang und Tonabstände (Intervalle) entdeckt habe. Ich arbeite dabei viel mit meiner Vorstellungskraft – und zwar nicht nur der auditiven, sondern auch der auf Effekte bezogenen.

Das meinte ich ganz zu Beginn auch mit forschen. Ich versuche beim Üben viel in diesen Meta-Ebenen zu denken. Dabei vertraue ich darauf, dass wenn ich eine halbe Stunde darin investiere, dass dies auch etwas bringt.

Jetzt hast du ganz viele wichtige Aspekte angesprochen, die ich gern der Reihe nach durchsprechen würde. Wie du es so berichtest, klingt es, als hättest du einen sehr analytischen Ansatz zum Thema Üben. Würdest du sagen, dass du dein Üben damit beginnst, dass du dir anschaust, welche Herausforderungen die einzelnen Stücke mit sich bringen und daraufhin die entsprechenden Methoden auswählst?

Für mich meint Forschen auch sinnliches forschen, also fühlen. Damit meine ich, dass ich eher über (be)merken nachdenke und nicht über analysieren und bewerten.

Wenn ich dann feststelle, dass etwas nicht effizient ist, versuche ich mit der entsprechenden Stelle zu improvisieren. Oder ich denke mir eine eigene Übung für diese Stelle aus. Nur dann bin ich aktiv dabei und kann die richtigen Fragen an das Stück stellen.

Wenn es dann zum ersten Mal geklappt hat, ist es wichtig innezuhalten und zu fühlen (fragen), warum es geklappt hat. Man muss sich selbst die Fragen beantworten können, was man sich vorgestellt hat, damit die Stelle funktioniert hat. Damit baut man ganz nebenbei auch Selbstbewusstsein auf.

Was man vermeiden sollte, ist in den Kategorien gut und schlecht zu denken. Die Technik ist dann letztlich nur ein Nebenprodukt – genauso wie effiziente Körperbewegungen.

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Buchtipp: Üben – was ist das eigentlich? https://what-is-practice.de/buchtipp-ueben-was-ist-das-eigentlich/ https://what-is-practice.de/buchtipp-ueben-was-ist-das-eigentlich/#respond Sun, 26 Feb 2023 17:24:09 +0000 https://what-is-practice.de/?p=5778 Man könnte fast glauben, dass der Name meines Podcast vom Buch von Francis Schneider „Üben – was ist das eigentlich? inspiriert wurde. Tatsächlich habe ich das Buch aber erst unlängst entdeckt. Ähnlich wie im Podcast, versucht sich auch der Autor dem weiten Themengebiet des musikalischen Übens auf möglichst viele Arten zu nähern und somit ein… Weiterlesen »Buchtipp: Üben – was ist das eigentlich?

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Man könnte fast glauben, dass der Name meines Podcast vom Buch von Francis Schneider „Üben – was ist das eigentlich? inspiriert wurde. Tatsächlich habe ich das Buch aber erst unlängst entdeckt. Ähnlich wie im Podcast, versucht sich auch der Autor dem weiten Themengebiet des musikalischen Übens auf möglichst viele Arten zu nähern und somit ein Nachschlagewerk für Musiker*innen zu kreieren.

*Affiliate Link: Wenn du das Buch über diesen Link kaufst erhalte ich 5% Provision. Für dich bleibt der Preis gleich – allerdings unterstützt du damit ganz automatisch meine Arbeit. Vielen Dank also! 🙂

Üben - was ist das eigentlich? Buch von Francis Schneider
Francis Schneider – Üben – was ist das eigentlich?

Perfekte Snacks in den Übe-Pausen

Jeder weiß um die Wichtigkeit, Pausen während des Übens möglichst aktiv zu gestalten. Im besten Fall bleiben wir ganz in der Musik und hören uns Versionen des zu übenden Stücks an. Mindestens genauso inspirierend kann es allerdings sein, sich neue Anregungen und Ideen fürs eigene Üben aus Büchern zu holen. Francis Schneiders Publikation „Üben – was ist das eigentlich?“ eignet sich hierfür perfekt. Die Kapitel fassen die Essenz der jeweiligen Themen meist auf ein bis zwei Seiten zusammen. Ein perfekter Snack für die kurzen Pausen zwischen unseren Übe-Einheiten. Die so neu gewonnenen Erkenntnisse lassen sich dann gleich in die Tat umsetzen.

Zumal man das Buch auf zwei Arten lesen kann: Einmal, ganz klassischen, von vorne nach hinten. Aber dann auch im Stile eines Glossars. Über das Inhaltsverzeichnis lassen sich gezielt bestimmte Fragestellungen ansteuern. Möchte man beispielsweise Tipps zum Auswendigspielen oder dem Vernetzen von linker und rechter Gehirnhälfte beim Üben finden, schlagt man die entsprechenden Kapitel auf und lässt sich von dort aus, über die Links zu weiterführenden Kapiteln, durch Buch treiben.

Ausschnitt aus Francis Schneiders Buch - "Üben was ist das eigentlich?"
Am unteren Seitenrand befinden sich Links zu weiterführenden Kapiteln (Ausschnitt aus Francis Schneiders Buch „Üben – was ist das eigentlich?“)
Auszug aus Francis Schneiders Buch „Üben – was ist das eigentlich?“

Ein Nachschlagewerk für den Instrumentalunterricht

Besonders Instrumentallehrer*innen profitieren von zahlreichen, sehr konkreten Anregungen. Der Beziehung Lehrer*in – Schüler*in ist sogar ein ganzer Themenkomplex gewidmet. Neben Tipps zum richtigen Einstieg in neues Material finden sich dort auch Gedanken zum Umgang mit Eltern. Ein kleiner Motivationstest lässt mit ein paar wenigen Fragen zudem schnell herausfinden, welche Beweggründe Schüler*innen in die Musik treibt. Natürlich widmet sich Francis Schneider auch dem häufigsten Satz in Unterrichtsstunden: „Zu Hause konnte ich’s…“.

Fazit

Natürlich ist „Üben – was ist das eigentlich?“ bereits etwas in die Jahre gekommen ist (erstmaliges Erscheinen 1992 – mir liegt die 4. Auflage von 2013 vor). Das merkt man vor allem am Literaturverzeichnis, welches für meinen Geschmack gerne großzügiger ausfallen hätte können. So ist die im Buch beschriebene 20-Sekunden Regel durch eine aktuelle Studie von 2021 kürzlich aktualisiert worden (auf meinem Steady-Kanal findet ihr hierzu mehr). Nichtsdestotrotz finde ich es als Nachschlage- und Inspirationsquelle für das eigene Üben und Unterricht sehr wertvoll. Die vielen sehr konkreten Ausführungen geben ausreichenden Input, um das Üben möglichst kreativ und abwechslungsreich zu gestalten.

Auf einen Blick

Üben - was ist das eigentlich? Buch von Francis Schneider

Sprache: Deutsch
Verlag: Nepomuk Verlag (Breitkopf & Härtel)
Umfang: 120 Seiten
Für wen: Alle Musiker*innen
Sonstiges: Super Inspirations- und Nachschlageglossar mit vielen konkreten Tipps zum Üben und Unterrichten

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Wie geht Üben mithilfe der Dispokinesis, Angelika Stockmann? https://what-is-practice.de/wie-geht-ueben-mithilfe-der-dispokinesis-angelika-stockmann/ https://what-is-practice.de/wie-geht-ueben-mithilfe-der-dispokinesis-angelika-stockmann/#respond Wed, 25 Jan 2023 10:45:18 +0000 https://what-is-practice.de/?p=5565 Dispokinesis ist eine besondere Körperarbeits-Methode, die Musiker*innen unterstützt ihre Möglichkeiten vollständig auszuschöpfen. Angelika Stockmann unterrichtet diese Methode seit 30 Jahren.

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Angelika Stockmann studierte Cello an der Folkwang Hochschule in Essen. Seit über dreißig Jahren arbeitet sie zudem auch als Dispokinetikerin mit eigener Praxis und hilft Musikerinnen und Musikerin mit fokaler Dystonie, Ausdruckshemmungen oder anderen Formen von Überblestatungssyndromen. Im letzten Jahr hat sie ein wunderbares Buch veröffentlicht, in dem sie ihre Erfahrungen zum Thema Üben ausführlich zu Papier gebracht hat. Es trägt den passenden Titel: Üben hilft eben doch*. 

Als ich das Buch zu Ende gelesen hatte, wusste ich sofort, dass ich Angelika Stockmann gerne als Gästin im Podcast begrüße möchte und ich bin sehr froh darüber, dass sie meiner Einladung sofort gefolgt ist. Wir haben über das richtige und gute Üben gesprochen, darüber wie man es schafft loszulassen und nicht zu viel zu machen und natürlich wie die Dispokinesis hier helfen kann.

*Affiliate Link: Wenn du das Buch über diesen Link kaufst erhalte ich 5% Provision. Für dich bleibt der Preis gleich – allerdings unterstützt du damit ganz automatisch meine Arbeit. Vielen Dank also! 🙂

Angelika Stockmann (Dispokinesis-Trainerin)
Angelika Stockmann (Foto: Katarzyna Salamon)
Üben hilft eben doch - Buch Angelika Stockmann
Üben hilft eben doch – Angelika Stockmann

Mehr Informationen zu Angelika Stockmann:

Webseite: http://www.dispokinesis-praxis.de

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Die Folge mit Angelika Stockmann lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview

Übersicht

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Üben heißt für Sie….

Erstmal möchte ich vorausschicken, dass ich sehr gerne übe. Üben heißt für mich spüren, was gerade ist. Sowohl was mein Instrument als auch mein Körper betrifft, um es dann im zweiten Schritt beeinflussen zu können. Üben heißt also auch für mich zu gestalten, beeinflussen und möglicherweise sogar zu verändern. Daraus entsteht dann ein intensives Selbstgespräch, weshalb ich es liebe zu üben.

Am Ende steht dann eine Vorstellung, die mir hilft, am nächsten Tag nicht am gleichen Punkt erneut anzufangen. Es gibt also eine Erinnerung in mir, wenn ich mit diesem Spüren übe.

Das mit dem Selbstgespräch ist ein interessanter Aspekt, der auch im Buch oft vorkam. Darauf werden wir sicher im Verlauf nochmal zu sprechen kommen. Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei Ihnen gerade in Dauerschleife?

Aktuell gerade nichts. Aber es gab eine Zeit, in der ich viel die Händel Cembalo Suiten gehört habe. Besonders die in D-Moll hat es mir besonders angetan.

Welche CD hat Sie musikalisch (auf Ihr Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Nein, den gibt es nicht. Ich wusste ja, dass Sie mir diese Frage stellen werden (lacht) und bin dem deshalb etwas nach gegangen. Im Nachhinein würde ich sagen, dass mich mein erster Cello-Lehrer in der Art und Weise, wie er mit Musik umging, sehr geprägt hat.

Es gibt die schöne Episode, als er mir mal im Sommer sagte, dass üben wichtig und richtig sei, ich aber auch mal entspannen sollte. Mich unter einen Baum legen und ein Buch lesen solle. Daraufhin habe ich (damals gerade 14 Jahre alt) ihn gefragt, was ich denn lesen könne. Sie werden es nicht glauben: Er empfahl mir der Glöckner von Notre Dame. Ich hatte keine Vorstellung davon, was das ist. Erst viel später habe ich verstanden, was er damit erreichen wollte. 

„Üben heißt für mich spüren, was gerade ist. Sowohl was mein Instrument als auch mein Körper betrifft, um es dann im zweiten Schritt beeinflussen zu können. Üben heißt also auch für mich zu gestalten, beeinflussen und möglicherweise sogar zu verändern.“

(Angelika Stockmann)

Die Besonderheit der Dispokinesis – die Geschichte von Gerrit Onne van de Klashorst

Eine schöne Geschichte. Sie können glücklich sein, früh einen Lehrer gehabt zu haben, der Musik als etwas ganzheitliches begreift und nicht nur die technische Perfektion sieht. Nach Ihrem Cello-Studium haben Sie eine Ausbildung in Dispokinesis begonnen und arbeiten seit mehr als 30 Jahren in eigener Praxis als Dispokinetikerin. Über die Jahre haben Sie darüber hinaus auch einige Lehraufträge an deutschen Musikhochschulen wahrgenommen.

Können Sie in ein paar Sätzen erklären, was Dispokinesis ist und wie es Musiker*innen helfen kann?

Vielleicht ist es hierfür am besten, den Werdegang des Begründers der Dispokinesis, Gerrit Onne van de Klashorst, zu skizzieren. Van de Klashorst war Pianist und hat durch einen tragischen Unfall jung zwei Finger einer Hand verloren. Daraufhin begann er ein Studium der Physiotherapie. Wahrscheinlich auch motiviert durch seinen Vater, der Solo-Cellist am Concertgebouw Amsterdam war. Er interessierte sich stark dafür, was die Grundvoraussetzung dafür ist, dass man frei spielen kann. Gemeinsam mit einem befreundeten Neurologen, Carl Schröters, erdachten sie sich regelmäßig Übungen. 

Sie stellten dabei fest, was dem einen als sinnvoll erschien, auch den anderen jeweils weiterbrachte: Nämlich die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass ich mich ungehemmt ausdrücken kann. Da wir als Menschen der Schwerkraft unterliegen, bedeutet dies, dass wir eine Stabilität von unten brauchen. Bei vielen Musikern habe ich allerdings manchmal das Gefühl, dass sie nicht wissen, dass sie Füße haben. Sie nutzen diese Stabilität also gar nicht. Sie fangen dann meist an dies im Oberkörper zu kompensieren, was dazu führt, dass es sich nicht frei und leicht anfühlt. 

Das bedeutet, dass die Lösung oftmals nicht in den Details am Instrument zu finden ist, sondern in erster Linie in dem körperlichen Bereitstellen von Möglichkeiten. Erst dann lässt sich, in einem zweiten Schritt, der Oberkörper feinmotorisch bearbeiten. Dispokinesis bedeutet das Bereitstellen von Möglichkeiten. Sowohl für die Bühne, aber auch für mich als Künstler*in, sodass ich meinen persönlichen Weg finden kann. Dies unterscheidet die Dispokinesis auch am meisten von allen anderen Körperarbeitsangeboten. Sie bearbeitet die konkreten Fragen immer auch am Instrument. 

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Sie meinen im Gegensatz zu Feldenkrais und Alexander-Technik beispielsweise?

Genau. Auch in der Dispokinesis gibt es dieses Basis-Programm (die sog. Originals). Damit geht es immer los, um überhaupt die Voraussetzung dafür zu schaffen und die Sensomotorik zu schulen. Danach geht es dann in die Arbeit mit dem Instrument. 

Ich persönlich habe auch viel Erfahrung mit der Feldenkrais-Methode gesammelt, genauso wie der Begründer der Dispokinesis Gerrit Onne van de Klashorst – bevor er seine eigene Methode entwickelte.

Sie haben dann anschließend noch eine Ausbildung in Formativer Psychologie angeschlossen. Wie kam es zu diesem Schritt?

Ich habe eine Ausschreibung zu einem Seminar meiner beiden späteren Ausbilderinnen gelesen, das den Titel trug „Zwischen Panik und Depression“. Das fand ich sehr spannend, da ich in der Arbeit mit meinen Klient*innen täglich erlebt habe, dass sie sich in diesem Kontinuum bewegen. Nicht zuletzt die, mit Bühnenängsten. 

Ich habe festgestellt, dass der Ansatz mit der Pulsation des Organismus zu arbeiten, unglaublich hilfreich war. Die Depression ist die Rückseite der Panik. Das bedeutet, dort wo der Erregungspegel im Körper zu hoch wird, zieht das Nervensystem irgendwann den Stecker. 

Oftmals erleben Musiker*innen in ihrem Alltag das Hin-und-Herpendeln zwischen „alles ist zu viel“ und „ich rappele mich wieder auf“. Daher ist es wichtig, die frühen Anzeichen kennenzulernen und mich in meinem Alltag so zu managen, dass die Ausschläge, sowohl nach oben als auch nach unten, nicht zu stark sind. 

„Dispokinesis bedeutet das Bereitstellen von Möglichkeiten“

(Angelika Stockmann)

Kontakt zum Boden – Basisübungen (Originals)

Sie hatte es eben bereits kurz angesprochen, dass die Zentrierung in der Dispokinesis-Ausbildung sehr entscheidend ist. Auch in Ihrem Buch ist davon viel die Rede. Können Sie erklären, warum die Verbindung zum Boden so wichtig ist?

In dem Moment, in dem ein Kleinkind lernt, selbstständig auf den eigenen Beinen zu stehen, lernt es auch gestaltend auf sein Leben einzuwirken. Wir wissen, dass sich in dieser Zeit die Sprache beginnt zu entwickeln und auch das Gehirn macht nochmals einen großen Entwicklungssprung. Wenn man so möchte, ist dies die Geburtsstunde für das, was uns als Menschen auszeichnet. Im Laufe der Jahre büßen wir diese Spannkraft allerdings ein, da wir uns oftmals zu wenig bewegen. Mit dem Basisprogramm gelingt es der Dispokinesis wieder in diesen Zustand zurückzukommen. 

Können Sie uns eine Übung aus dem Dispokinesis Basisprogramm demonstrieren?

Wir beide sitzen auf unseren Stühlen vor dem Bildschirm. Wenn ich beginne mit den Fußsohlen die Schuhsohle (wenn ich Schuhe trage) anzufassen und besonders mit den Großzehenballen die Sohle nach unten zu modellieren, dann merke ich, dass eine kleine Streckreaktion durch meinen Körper fährt und sich mein Oberkörper öffnet. Gleichzeitig senken sich meine Schultern und vielleicht fällt Ihnen auch auf, dass meine Stimme tiefer wird und ich etwas langsamer spreche.

Durch diese Aufmerksamkeit, die Sie mir gerade entlockt haben, hat sich meine muskuläre Verfassung verändert. Zusätzlich bin ich in meiner Selbstwahrnehmung etwas verlangsamt. Ich nenne das gerne die Fühllupe

Wenn ich mich an Ihre erste Antwort erinnere, dass Üben für Sie wie ein Selbstgespräch ist, dann ermöglichen uns diese Übungen eine noch bessere Selbstwahrnehmung. Kann man sagen, dass die Dispokinesis lehrt sehr genau auf den eigenen Körper zu hören und zu ihm eine Verbindung herzustellen. Kann man das so sagen?

Ja, das stimmt. Denn nur wenn ich spüre, was ich tue, kann ich es beeinflussen. 

Ich möchte allerdings nochmal auf das sehr genau eingehen. Schließlich kann das auch manchmal zum Fallstrick werden. Viele Musiker*innen würden über sich sagen, dass sie sehr genau darauf achten, was sie tun. Und die Musiker*innen, die mit fokaler Dystonie in meine Praxis kommen, würden sogar sagen, dass sie in ihrer Karriere immer versucht haben an alles zu denken. Wir merken hier bereits, dass einmal von Spüren und einmal von Denken die Rede ist. Vielleicht meinen wir jedoch, wenn wir denken sagen eher kontrollieren

Kontrollieren bedeutet sehr genau spüren. Und, wenn Sie jetzt, auf dem Stuhl sitzend, sehr genau spüren, was sie da gerade tun und wie Sie sitzen, dann werden Sie feststellen, dass Sie einfrieren und versteifen. Gerade deshalb ist es so wichtig zu unterschieden: Spüren (und bewusst werden) heißt nicht alles zu kontrollieren. Sondern es kann für Musiker*innen auch heißen, sich weniger zu konzentrieren. Schließlich können wir uns sowieso nur auf eine Sache gleichzeitig konzentrieren. Der Rest wird dann sympathisierend mitlaufen.

Um diese Art der Selbstwahrnehmung zu schulen, hat der Gründer der Dispokinesis ein pädagogisches Besteck entwickelt, dass sich Entlocken nennt. Das bedeutet, dass ich z.B. eine Geschichte erzähle, ein Bild gebrauche, damit unwillkürlich eine bestimme Reaktion entsteht. Anstelle, dass ich konkrete Arbeitsanweisungen à la „tu dies“ gebe. Wenn ich in der Vorbereitung auf ein Konzert immer nur versuche alles zu kontrollieren, wird die Musik auf der Bühne nicht ins Fließen kommen. 

Sind diese Bild universell oder für jede*n Musiker*in unterschiedlich?

Diese Bilder sind für jede*n Musiker*in verschieden. Wobei ich natürlich oftmals, in meiner Arbeit, die gleichen Bilder mehrmals verwende. Am besten ist es jedoch, wenn ein*e Klient*in einen eigenen Bezug zum Bild herstellen kann („Das ist ja wie…“). Dann wird das Bild am stimmigsten im eigenen Körper resonieren.

„Übe in der Sonatenhauptsatzform „ABA“.“

(Angelika Stockmann)

Üben in der Sonatenhauptsatzform

Ich hänge noch an Ihrem Satz, dass es auch ein zu viel an Aufmerksamkeit geben kann und, dass es wichtig ist, auch das Loslassen zu trainieren. Dabei kam mir das Zitat aus Ihrem Buch in den Sinn: „Ziel des Üben ist Vergessen.“ Wie schaffe ich es denn ganz konkret dieses Loslassen im Übezimmer zu trainieren?

Im Buch schreibe ich an einer Stelle, dass das gute Üben der Sonantenhauptsatzform gleicht: A B A

A: Ich liebe das Stück / Ich lasse mich lieben vom Stück. Damit meine ich, sich von der Musik begeistern zu lassen.

B: Ich organisiere das Stück. Das ist natürlich mit A verbunden, da ich bereits eine Vorstellung des Stücks habe. In dieser Phase bin ich sehr aufmerksam und picke mir konkrete Stellen heraus, mit denen ich etwas tun möchte. 

A: Ich liebe das Stück. Das bedeutet, dass ich meine Aufmerksamkeit wieder etwas herunterschrauben kann. Wenn ich das tue, werde ich feststellen, dass ich in meinem Blick sofort defokussiere (mein Blick ist nicht mehr so scharf gestellt). Ich beginne dann anders zu denken: ich fühle beispielsweise eher wie ich spreche/singe/spiele. Allerdings kontrolliere ich mich dabei nicht, sondern spüre/ beobachte es lediglich.

Sollte man, damit der Prozess der Automatisierung auch einsetzen, diese drei Schritte jeweils Schritte in eine Übe-Session einplanen oder über einen längeren Zeitraum verteilen?

Sowohl als auch. Natürlich wird es in der Vorbereitung auf ein neues Programm gefühlt mehr mit B beschäftige. Ich werde täglich versuchen die Stellen, die ich noch nicht gut kann, zu verbessern. Jedoch, umso näher das Konzert rückt, ist es gut mich wieder mehr mit A zu beschäftigen. Ich sage sogar, dass Musiker*innen A üben sollen, da wir dies tatsächlich verlernen. Das kann natürlich bedeuten, dass ich jeden Tag versuche mit A zu enden. 

Mein erster Cello-Lehrer, von dem ich eben bereits erzählte, pflegte jede Übe-Session beispielsweise mit einer Bach Suite zu beenden. Seine Frau sagte darüber so schön, das sei sein „Abendgebet“.

„Im Übrigen sollten wir spätestens nach 25 Minuten sowieso eine Pause machen.“

(Angelika Stockmann)

Das Üben einteilen

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass man mit dem Üben dann aufhören sollte, wenn es sprichwörtlich am schönsten ist. Wieso ist das so?

Üben hat mit Wiederholungen zu tun. Wir wissen, dass unser Gehirn eine gewisse Anzahl an Wiederholungen benötigt, um zu merken, dass es sich um eine wichtige Information handelt. Wenn wir also etwas Neues lernen, bilden sich zunächst vorübergehende Synapse-Verbindungen, die sich auch wieder lösen können – sofern wir nicht dranbleiben.

Gleichzeitig hat die Wissenschaft festgestellt, dass sich unser Gehirn schnell beginnt zu langweilen. Bereits nach wenigen Wiederholungen verliert es „das Interesse“. Das bedeutet, dass ich den „Geschmack“ der Tätigkeit von Mal zu Mal weniger intensiv wahrnehme. Meine Ausführung wird mechanischer und der Fühl-Input, den ich eigentlich brauche, wird weniger deutlich. Das ist der Grund, warum wir nicht zu lange an etwas bleiben sollen. Im Übrigen sollten wir spätestens nach 25 Minuten sowieso eine Pause machen. Das lernt heutzutage jeder Studierende in der Embodiement-Vorlesung.

Wenn ich viel zu arbeiten habe, ist es gut oft zu wechseln. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass unser Gehirn weiter mit unseren Erfahrungen arbeitet, auch wenn wir die Tätigkeit nicht mehr ausüben und uns beispielsweise mit Freunden treffen. Wenn es dann zu wenig Pausen gibt, verpassen wir die Chance dieses „Einspeicher-Vorgangs“.

Demnach wäre sinnvoll weiterhin die Dinge zu wiederholen, die ich bereits kann. Somit könnte unser Gehirn kontinuierlich die Synapsen-Verbindungen stärken. Lässt sich das so sagen?

Genau. Das ist zum Beispiel auch genau das, was Kinder im Anfänger-Unterricht oft tun. Besonders, wenn sie sehr jung sind. Sie kommen dann nach einer Woche wieder in den Unterricht und haben alles gespielt, was sie bereits können – nur das, was noch nicht gut lief, wurde ausgelassen. Allerdings tut das Kind intuitiv genau das richtige. Nämlich die Grundlagen seines Spiels – das was leicht ist und Freude macht – weiter verfestigen. 

In Ihrem Buch stellen Sie am Anfang Ihren Leser*innen die Fragen, wann sie bereit zum Üben sind. Also welche Rahmenbedingungen müssen erfüllt sein, damit gutes Üben möglich ist. Welche Antwort haben Sie für sich hier gefunden?

Sicherlich Ruhe und ein guter Aufmerksamkeitsmodus. In Erschöpfung und Müdigkeit können wir nicht gut üben. Im gegenteiligen Fall, wenn wir übererregt sind, allerdings auch nicht. Es gibt zudem das Phänomen von Morgen- und Abendmenschen. Darauf sollten wir, sofern es uns möglich ist, Rücksicht nehmen. 

Ich kann mir jedoch vorstellen, dass der Permanentanspruch von Musiker*innen ständig üben zu müssen, dazu führt, dass sie glauben „viel helfe viel“. Das führt dazu, dass sie Zeit in der Übekabine vergeuden, weil sie sich nicht bewusst machen, ob sie bereit zum Üben sind. Wahrscheinlich würde es sogar reichen, von einem zwei Stunden Zeitfenster, was ihnen bspw. zur Verfügung steht, die ersten 5-10 Minuten mit einer Körperübung zu verbringen und lediglich die übrige Zeit zum Üben zu nutzen. Das kann einerseits bedeuten, dass ich mich sammle und etwas wacher werde oder meine Erregung herunter regle, sodass die verbleibende Zeit wirklich zur Verfügung steht. 

Das betrifft natürlich auch die Dauer des Übens. Es gibt Musiker*innen, die sagen, wenn ich nur 20 Minuten zur Verfügung habe, fange ich gar nicht erst an. Jedoch können 20 Minuten ein wunderbares Zeitfenster sein, um etwas („Slow-Food mäßig“) durchzufühlen. Wir alle kennen das sicher auch, dass wir nach einer solchen Sequenz hoch zufrieden sein können. 

„Dazu ist es wichtig zu wissen, dass unser Gehirn weiter mit unseren Erfahrungen arbeitet, auch wenn wir die Tätigkeit nicht mehr ausüben.“

(Angelika Stockmann)

Die Grenzen der Dispokinesis

Wir haben jetzt sehr viel gehört über die Möglichkeiten der Dispokinesis. Hat die Dispokinesis Grenzen? Oder anders gefragt: Wenn Forschung sehr viel über das Üben zusammengetragen hat und die Dispokinesis das Üben weiter verbessern kann, dann sollte der erfolgreichen Musiker*innen-Karriere nichts mehr im Wege stehen, oder?

Die Entwicklung in der Musikwelt zeigt uns, dass immer bessere Unterrichtsmethoden und Techniken dazu führen, dass Musiker*innen sich schneller weiterentwickeln können. Und das ist schön. Gleichzeitig müssen wir sagen, dass Musik ein menschliches Ausdrucksmittel ist – damit zitiere ich Heinrich Jacoby. Er meinte damit, dass Musik in diesem Sinne erst einmal keine Kunst und keine Profession ist.

Natürlich spielt auch Begabung eine Rolle. Das habe ich im Studium ebenfalls erlebt. Es gab Kommiliton*innen, die mit einer großen Leichtigkeit und wenig Aufwand ihre Ziele erreicht haben. Ob ich das nun Begabung nenne, oder die Summe meiner Möglichkeiten ist dabei zweitrangig.

Die Frage, die Sie mir hier nun zum Schluss stellen ist symptomatisch und sie berührt mich. Sie berührt mich in dem Sinne, weil ich hier oft Musiker*innen sitzen habe, die mit einer Vorstellung von dem, was sie erreichen wollen, unterwegs sind, die sie jeden Tag deprimiert. Mit der Vorstellung in eine Ausbildung zu gehen (oder gar in ein Leben), es sei alles erreichbar, wenn ich mich nur genug anstrenge und optimiere, ist etwas ganz Schwieriges. Das Einzige, was hilft ist zu schauen, was aktuell gerade ansteht. Es kann ungeheuer lähmend sein, sich jeden Abend an dieser Messlatte zu messen. 

Meine Erfahrung mit Musiker*innen ist die, dass es hilft herauszufinden, welcher Typ man eigentlich ist und wohin es mit einem geht. Dort, wo ich mit Freude übe und spiele, werde ich mich schnell entwickeln. Mit Sicherheit! Aber das ist etwas anderes als zu sagen, es gibt optimale Bedingungen und es muss dann das optimale Ergebnis dabei herauskommen.

„Meine Erfahrung mit Musiker*innen ist die, dass es hilft herauszufinden, welcher Typ man eigentlich ist und wohin es mit einem geht. Dort, wo ich mit Freude übe und spiele, werde ich mich schnell entwickeln. Mit Sicherheit! Aber das ist etwas anderes als zu sagen, es gibt optimale Bedingungen und es muss dann das optimale Ergebnis dabei herauskommen.“

(Angelika Stockmann)

Was lernen (üben) Sie gerade, was Sie noch nicht können?

Ich muss gestehen, dass ich aktuell mehr das Singen, als das Cello spielen übe. Das mache ich noch nicht so lange. Dort stelle ich fest, dass das, was ich in meiner Praxis meinen Klient*innen vermitteln möchte, für mich selbst immer wieder eine Herausforderung ist. Ich kenne kein Instrument, bei dem es so wichtig ist, seine Möglichkeiten unmittelbar zur Verfügung zu stellen, wie beim Singen. Und immer wieder diese gute Präsenz zu finden, ist auch für mich wie eine Lebensübung habe ich das Gefühl. 

Welchen Tipp würdest Sie Ihrem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Nimm deine Zeit. Vergleiche dich nicht mit andern und gehe deinen Weg. Und bringe dich aktiv in den Unterrichtsprozess ein.

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Wie übt eigentlich Prof. Dr. Eckart Altenmüller? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-prof-dr-eckart-altenmueller/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-prof-dr-eckart-altenmueller/#comments Thu, 15 Sep 2022 09:57:29 +0000 https://what-is-practice.de/?p=4951 Prof. Dr. Eckart Altenmüller gehört zu den profiliertesten Forschern für das musikalisches Üben. Er verrät, wie man korrekt übt.

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Eckart Altenmüller gehört sicher zu einem der profiliertesten Forschern auf dem Themengebiet musikalisches Üben. Er leitet das Institut für Musikphysiologie und Musiker Medizin an der Hochschule in Hannover. Dort forscht und lehrt er gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen. Und ja, ich gebe zu, es war tatsächlich ein lang gehegter Traum ihn für ein Interview gewinnen zu können. 

Als Neurologe interessiert ihn alles, was während des Musizierens in unserem Kopf vorgeht. Trotz eines vollen Arbeitspensums findet er weiterhin Zeit zum Üben und Konzerte spielen. Wie er dies schafft, darüber haben wir im Podcast gesprochen.

Mir hat das Gespräch sehr großen Spaß gemacht, weil Eckart Altenmüller es schafft die komplexen Zusammenhänge in unseren Gehirn –  während des Übens und spielens eines  Instruments – auf verständliche Art und Weise zu erklären. Er berichtet von aktuellen Studien am Institut und erzählt, worauf es wissenschaftlich gesehen beim Üben ankommt. Eine kleine Zusammenstellung lohnenswerter Publikationen findet sich hier.

Eckart Altenmüller
Prof. Dr. Eckart Altenmüller

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Eckart Altenmüller lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

Literatur-Empfehlungen

Die Kunst der Lehre - Waloschek, Gruhle

Die Kunst der Lehre

In diesem Sammelband von Maria Anna Waloschek und Constanze Gruhle finden sich gleich zwei Aufsätze von Prof. Dr. Eckart Altenmüller. Zum einen „Neurophysiologische und motivationspsychologische Grundlagen des Lernens“ sowie „Besonderheiten des Musiklernens„. Beide durfte ich in Vorbereitung auf das Gespräch lesen und sind sehr zu empfehlen.

Die Kunst der Lehre erschien 2022 und fasst damit den aktuellen Stand der Forschung zusammen.


Optimal Üben - Williams

Optimal Üben

Im Jahr 2016 untersuchte die Bewegungsforscherin Gabriele Wulf das motorische Lernen. Ihre Studie „Optimal Theorie des motorischen Lernens“ – wobei OPTIMAL hier eine Abkürzung ist und für „Optimizing Performance through intrinsic motivation“ ist – wurde von Prof. Susan Williams auf das musikalische Üben übertragen. Das Buch lässt sich direkt bei Susan Williams bestellen.


Handbuch Üben - Mahlert

Handbuch Üben

Bei Handbuch Üben handelt es sich ebenfalls um einen Sammelband von Ulrich Mahlert. Eckart Altenmüller verfasste hier den Aufsatz „Hirnphysiologische Grundlagen des Übens„.

Mahlerts Werk versteht sich als ganzheitliche Handreichung, die von didaktischen und gesundheitlichen Themen bis zu konkreten Methoden (Edwin E. Gordon oder Burzik Üben im Flow) viele Aspekte versucht abzudecken.

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Das Interview

Übersicht

Vervollständigen Sie folgenden Satz: Üben heißt für Sie….

Freudig forschen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei Ihnen gerade in Dauerschleife ?

Ich schreibe gerade an einem Artikel über Richard Wagners Parsifal. Innerlich höre ich gerade Kundrys Fluch.

Welche CD hat Sie musikalisch (auf Ihr Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Ja, Emmanuel Pahud. Er war ein jüngerer Kommilitone von mir gewesen und ich kenne ihn noch als Student. Wir waren beim gleichen Lehrer, aber er hat unvergleichlich besser gespielt als ich.

Sie haben einen sehr besonderen Werdegang: Sie haben zunächst Medizin und anschließend Querflöte studiert – parallel dazu noch in der Medizin promoviert und dann den Facharzt in Neurologie angeschlossen. Wenn ich richtig recherchiert habe, sind Sie auch weiterhin als Musiker aktiv. Wann haben Sie das letzte Mal geübt und wie kam es zu der Entscheidung, gleich zwei so intensive Studiengänge zeitweise sogar parallel zu studieren.

Zuletzt geübt habe ich heute früh. Das mache ich am Morgen – allerdings nur recht kurz. Circa eine halbe Stunde, in der ich Tonübungen und Tonleitern spiele. Also etwas ganz Systematisches. Das gehört gewissermaßen zu meiner täglichen Routine.

Für die Frage, wie man es schafft Medizin und Musik zu studieren, muss ich ein wenig ausholen: Als ich zwischen 1974 und 1982 Medizin studiert habe, war der Studiengang noch nicht so verschult, wie er es heute ist. Wir hatten extrem viel freie Zeit und konnte viele Kurse zusammenlegen. Es gab sehr wenig schriftliche Testate und mündliche Prüfungen.

Dazu kam, dass ich von meinen Professor*innen auch immer unterstützt wurde, als ich dann beides parallel studiert habe. Auch mein Musik-Professor Aurèle Nicolet fand dies eher interessant. Sein Kommentar bei meiner Aufnahmeprüfung war: „Ich bin sehr froh, dass du noch Medizin studierst. Ich bin es leid, arbeitslose Musiker*innen auszubilden.“. Das war im Jahr 1978. Die Situation für Flötist*innen war damals in der Tat so, dass pro Probespiel circa 180 Bewerber*innen pro Stelle vorstellig wurden. 

So haben mich alle in meinem Umfeld bei den Terminen unterstützt. Gleichzeitig muss ich aber auch sagen, dass ich sehr viel gearbeitet habe. Das hat mir jedoch Spaß gemacht. Es war für mich eher eine Ergänzung und nicht belastend. Wenn ich Anatomie oder Pathologie gelernt habe und dann, nach ein paar Stunden an die Flöte gegangen bin, habe ich mich wieder frisch gefühlt. Anschließend konnte ich immer besser Medizin weiterlernen. Umgekehrt ebenso. Da die Bereiche so unterschiedlich waren, haben sie sich total ergänzt. Zu Stoßzeiten, das gebe ich jedoch gerne zu, war es manchmal dennoch sehr viel. Ich habe das dadurch versucht zu lösen, dass ich meine Studienzeit etwas gedehnt habe. 

Wie schwer ist Ihnen letztlich die Entscheidung gefallen, sich für bzw. gegen die Karriere als Flötist oder Mediziner entscheiden zu müssen? Oder war dies immer ein Miteinander und haben Sie dies nie so empfunden?

Das ist eine gute Frage. Am Anfang wollte ich nur lernen und gut spielen. Das hat mir so Spaß gemacht, dass ich das Studium mit all seinen Nebenfächern immer intensiver betrieben habe. Es war mir dann aber irgendwann klar, dass, um professionell erfolgreich an der Querflöte zu sein, ich hätte noch sehr viel mehr üben und investieren müssen. Das war einfach nicht möglich.

Ich habe trotzdem einen sehr guten Abschluss (Note: 1,5) gespielt. Allerdings hätte ich es mir nicht zugetraut (und ich hätte dazu auch nicht das Niveau gehabt) eine erstklassige Orchesterstelle zu bekommen. Da ich immer die Möglichkeit hatte als Arzt zu arbeiten, war mir diese Alternative lieber, als in einem C-Orchester an der zweiten Flöte eine Stelle zu besetzen.

Eckart Altenmüller und Patrick Hinsberger im Interview
Prof. Dr. Eckart Altenmüller und Patrick Hinsbeger im Video Interview

Für alle, die Sie noch nicht so gut kennen: Sie sind dann später Leiter des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM) geworden. Können Sie kurz den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen beschreiben?

Ich bin nach meiner Promotion zunächst Facharzt für Neurologie geworden, später Habilitation, bevor ein damaliger Mitarbeiter und Freund, Christian Gerloff im Jahr 1992 im Ärzteblatt eine winzig kleine Annonce gesehen hat: Institut für Musikphysiologie in Hannover sucht neuen Leiter. Ich selbst hatte sie gar nicht entdeckt und konnte mir zunächst auch nichts unter dem Begriff vorstellen.

Als ich an der Musikhochschule angerufen haben, wurde ich direkt mit dem Präsident Prof. Jakoby verbunden. Ich stellte mich kurz vor und fragte, welches Profil für die Stelle gesucht würde. Prof. Jakoby meinte daraufhin: „Herr Altenmüller, schreiben Sie uns einfach, was Sie machen wollen und wir schauen dann, was wir machen können.“ Das war im Grunde eine Carte Blanche – es war fantastisch. Im Jahr 1994 kam ich dann an das Institut. 

Was ist Musikphysiologie? Musikphysiologie ist die Lehre der körperlichen und seelischen Vorgänge bei gesunden Menschen, die mit dem Musizieren, dem Musik hören, dem Komponieren und dem Singen zusammenhängen. Musikermedizin hingegen ist die Heilung der Musiker-Erkrankungen und ihre Prävention. Ich habe in Hannover beides erstmals miteinander verbunden. 

„Insofern muss man ihnen heute vor allen Dingen mitgeben, dass es noch ein Leben außerhalb des Orchesters gibt. Dass Musik etwas unglaublich Reichhaltiges ist. Dass es fantastische Möglichkeiten gibt freiberuflich zu arbeiten, zu unterrichten oder musiktherapeutisch zu wirken.“

(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)

Aufgabengebiet

1. Lehre

Es gibt bei uns einen sehr großen Lehr-Bereich. Sie geht vor allem in Richtung Prävention von Erkrankungen und seelischen Schwierigkeiten. Wir bieten hierzu eine Vorlesung zu den Körperlichen und Geistigen Grundlagen des Musizierens an. Hier erfahren alle Studierende, wie der Körper aufgebaut ist. Darüber hinaus besprechen wir in einem großen Block, wie wir am besten Üben können („Ich muss aufhören zu üben, wenn es am schönsten ist.“), sowie in weiteren Blöcken Inhalte zu Auftrittsangst, Selbstmanagement und Ernährung. Hier gehen wir dann auch auf die (schädliche) Wirkung von sogenannten Enhancern (Anm. d. Red: „Doping“) ein. Viele Studierende denken, sie könnten mit Mitteln wie Ritalin ihre Leistung steigern. 

Daneben gibt es die sogenannten Übe-Labore. Dort können Studierende Stücke mitbringen, die Ihnen Schwierigkeiten bereiten. Für diese finden wir dann im Kurs gemeinsam Lösungen. Weil das Seminar interdisziplinär, also mit Studierenden der Klassik, dem Bereich Jazz sowie Rock & Pop angelegt ist, ist es extrem spannend und aufschlussreich.

Im Lampenfieber-Studio erarbeiten wir gemeinsam mit einer Psychologin, was man alles zur Lampenfieber-Vorbeugung machen kann. Also beispielsweise körperliche Entspannungstechniken, Atemtechniken aber auch gedankliche Techniken, wie bspw. den Fokus auf den Klang zu legen. 

2. Forschung

Unser Institut ist eigentlich ein Forschungsinstitut. Hier ist unser Schwerpunkt vor allem die Erforschung der Wirkung von Musik auf unser Gehirn – sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. 

In einem Forschungsprojekt von Edoardo Passarotto untersucht er, wie das Übeverhalten die feinmotorischen Repertoires beeinflusst. Unsere Hypothese ist, dass Musiker*innen, die Schmerzen und Dystonien (Bewegungsstörungen beim Instrumentalspiel) entwickeln, zu viel repetitiv und zu wenig fantasievoll üben. Wenn wir dann feststellen, dass jemand zu ängstlich, oder zu „Scheuklappen-mäßig“ übt, versuchen wir sie mit gezielten Übungen aufzulockern. 

Im Bereich Dystonie-Forschung sind wir weltweit die größte Institution. Wir betreuen die höchste Anzahl von Musiker*Innen weltweit. Hier machen wir Untersuchungen zur Hirnvernetzung und zu Therapieformen. Zuletzt eine sehr große Studie zur sogenannten Re-Training-Therapie, die wir gerade am Veröffentlichen sind. 

Mein Mitarbeiter und Nachfolger Prof. Dr. Lee, führt derzeit eine Studie zum chronischen Schmerz bei Musiker*innen durch. Er untersucht, ob sie veränderte Schmerzschwellen haben und, ob dies eine gelernte Erkrankung ist, die sich im Gehirn widerspiegelt. 

Das klingt einerseits nach einem sehr abwechslungsreichen Arbeitsalltag und andererseits nach einem sehr ganzheitlichen Modell für Studierende an der Hochschule. Es erinnert mich gerade etwas an Ihre Biografie und da stelle ich mir natürlich die Frage: Wenn es so viel Wissen über das perfekte Üben gibt, dann bleibt als einzige Variable im System lediglich noch der „innere Schweinehund“ übrig, den es zu überwinden gilt?

Sie haben Recht. Wir versuchen eigentlich den Studierenden die Kunst des Übens beizubringen. Und Üben meint in diesem Fall sich selbst zu unterrichten. Ich denke schon, dass diese Potentiale da sind, wobei man durchaus sagen muss, dass das Niveau der Studierenden extrem hoch ist. Es gibt viele Studierende, die sehr gut üben und viele, die sehr sehr gut spielen. Allerdings gibt es nur wenige Plätze in den Orchestern. Insofern muss man ihnen heute vor allen Dingen mitgeben, dass es noch ein Leben außerhalb des Orchesters gibt. Dass Musik etwas unglaublich Reichhaltiges ist. Dass es fantastische Möglichkeiten gibt freiberuflich zu arbeiten, zu unterrichten oder musiktherapeutisch zu wirken. 

„Üben muss sehr stark individualisiert werden. Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren und Stellschrauben ab.“

(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)

Was passiert in unserem Gehirn beim Üben?

In der Vorbereitung habe ich gelesen, dass sich Üben neurophysiologische betrachtet in drei Schritte unterteilen lässt. Es wird zunächst ein grober Bewegungsplan im Gehirn erstellt, dieser wird im zweiten Schritt durch das Üben verbessert und verfeinert und auf die notwendigen Muskelgruppen reduziert, bis es im dritten Schritt zur Automatisierung kommt (stark verkürzt). Gibt es demnach einen neurophysiologisch / wissenschaftlich perfekten Übeplan? 

Das ist eben individuell sehr unterschiedlich. Jeder von uns muss herausfinden, wie er am besten üben kann. Das ist die Kunst. Es ist auch nicht sinnvoll zu sagen: „Du musst mindestens vier Stunden am Tag üben.“ Das wurde mir damals noch so erklärt – nach dem Motto: Unter vier Stunden Querflöte täglich läuft gar nichts. Das ist allerdings nicht richtig.

Üben muss sehr stark individualisiert werden. Es hängt von vielen verschiedenen Faktoren und Stellschrauben ab.

Zunächst hängt es davon ab, welche Gene ich habe. Jeder hat gute Gene, allerdings haben manche bessere Gene in bestimmten Aspekten. So gibt es beispielsweise Leute, die motorisch wahnsinnig schnell sind, dafür jedoch Schwierigkeiten bei der Erfassung von emotionalen Schichtungen und Ambivalenzen haben. Andere wiederum können Triller nicht sehr schnell spielen, haben dafür allerdings ein fantastisches Klanggefühl. Es ist wichtig dies zunächst einmal so zu akzeptieren.

Ebenso ist von entscheidender Bedeutung in welchem Alter ich anfange zu üben. Wenn Sie ein „Spitzenathlet“ am Instrument werden wollen, dann müssen Sie vor dem Alter von 7 Jahren beginnen. Wer später anfängt wird ein solches Niveau nur schwerlich erreichen. Alle Spitzenmusiker*innen von Lang Lang über David Garrett bis Julia Fischer haben im Alter von vier Jahren begonnen. Es sieht so aus, als ob das Nervensystem in diesen frühen Jahren ein Gerüst baut, in dem meine Potentiale (wie schnell ich später werden kann) festgelegt werden. Das heißt, wenn ich sehr früh anfange zu lernen, lernt mein Gehirn Geschwindigkeit zu lernen. Das gilt ähnlich beim Sprachenlernen. Wenn Sie sehr früh eine zweite Fremdsprache lernen, dann hat Ihr Gehirn gelernt, wie man eine Sprache lernt. Dann können Sie auch gut eine dritte oder vierte Sprache lernen.

„Musik ist lebendige Kommunikation. Es ist das Mitteilen von Emotionen im Moment. Es zählt nicht die Anzahl detailliertester, richtig gespielter Noten pro Zeiteinheit. Sondern es geht darum, dass Sie Ihre Gefühle, die Sie im Moment haben, in Echtzeit den Hörenden übermitteln.“

(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)

Wenn Sie dann angefangen haben zu üben, und Sie haben durchschnittliche Gene, ist es wichtig, guten Unterricht zu bekommen. Hier haben Eltern, die Peergroup und Freunde eine riesige Verantwortung. Das Entscheidende ist dabei, Kinder sich entwickeln zu lassen. Man sollte sie anregen und unterstützen. Das ist auch die große Kunst des Lehrens: Jedes Kind ist anders. Und jedes Kind ist auch jeden Tag anders. Sie sind auch in der ersten Hälfte der Unterrichtsstunde anders als in der zweiten. Dies zu nutzen und dann auch ihre (der Kinder) Motivation aufrechtzuerhalten ist wichtig. 

Daneben ist aber auch wichtig, dass Kinder lernen, nicht nur auf Finger, Hände, Zähne und Kehlkopf zu achten, sondern auch auf den Klang. Sie müssen lernen, sich zuzuhören und verstehen, dass sie in der Lage sind viele wundervolle Klänge zu produzieren.

Meinen Studierenden sage ich darüber hinaus immer noch: Hört auf zu üben, wenn ihr merkt, dass ihr in Gedanken nicht mehr dabei sind. Üben sie über diesen Punkt hinaus, trainieren sie sich möglicherweise ungünstige Bewegungsprogramme ein, weil sie sie nicht mehr überprüfen. Am besten ist es morgens mit großer Wachheit zu üben. Das mache ich auch selbst noch so.

Also es ist folglich besser in kleineren, kürzeren Blöcken über den Tag verteilt zu üben als in einem längeren?

Auch das ist im Allgemeinen richtig. Aber es gibt durchaus auch mal Tage, an denen ich so vertieft in ein bestimmtes Problem bin, dass ich auch drei Stunden am Stück dranbleiben kann. Man kann auch in den Flow kommen. Wenn Sie das körperlich konditioniert haben, das heißt entsprechend Muskeln aufgebaut haben, dann ist es nicht schädlich. Man sollte das Üben auch nicht mit Angst belegen. Es hängt immer auch von der Aufgabe und Ihrer Tagesform ab.

Sie hatten eben eine Studie zur Wiederholung angesprochen. Wenn Sie uns hier einen kleinen Einblick geben können: Gibt es, wissenschaftlich belegt, Zahlen in welchem Verhältnis Wiederholung zu Abwechslung beim Üben stehen soll?

Das ist eine sehr gute Frage. Es kursieren viele Zahlen umher, wie oft man Passagen wiederholen soll: sieben Mal, vierzehn Mal. Allerdings ist es auch hier nicht sinnvoll, so etwas zu sagen. Es gibt keinen Richtwert, da es hier keine Untersuchung dazu gibt. Dies herauszufinden ist auch nicht so ganz trivial.

Gerade mein Kollege und Freund Hans-Christian Jabusch hat sich hiermit sehr viel beschäftigt. Im Prinzip ist variables Üben für unser Gehirn interessanter, motivierender und auch nachhaltiger. Aber die Untersuchungen, die gemacht wurden, sind im Wesentlichen in der Sportpsychologie entstanden. Proband:innen mussten hier in einem Versuchsgerät z.B.  ein Dreieck nachfahren. Das ist so viel zu einfach. In der Musik geht es immer auch zusätzlich um Klangqualität, nicht nur darum, dass ich den Ton treffe. Die Musikphysiologie ist, das muss ich leider sagen, in dieser Hinsicht noch überfordert.

Mein Vorschlag wäre daher, die einschlägigen Künstler*innen zu befragen, wie sie üben, und dies dann als Modell zu nehmen. Hierzu sind auch bereits mehrere Bücher erschienen, z.B.: Wie Meister Üben. Ich glaube das Entscheidende ist, das Gehör auszubilden und die künstlerischen Konzepte.

„Hört auf zu üben, wenn ihr merkt, dass ihr in Gedanken nicht mehr dabei sind. Am besten ist es morgens mit großer Wachheit zu üben.“

(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)

In der Vorbereitung bin ich auf eine Studie von Ihnen und Hans-Christian Jabusch gestoßen, in der Sie Pianisten über einen längeren Zeitraum beobachtet haben. Sie untersuchten die Genauigkeit des C-Dur Tonleiter-Spiels und fanden heraus, dass die Musiker*innen mind. 3,75h täglich üben müssten, um über den Zeitraum das Tonleiter-Spiel zu verbessern. Dabei war allerdings unerheblich was geübt wurde. Entscheidend war die verbrachte Zeit am Klavier. Lässt sich daraus folgern, dass das wasweniger entscheidend ist, als die Tatsache, dass man überhaupt übt?

Ja.

Aus dem Jahr 1993 gibt es die berühmte 10.000 Stunden Regel von Anders Ericsson. Lässt sich diese damit dann bestätigen?

In unserer Studie haben wir uns natürlich nur einen ganz winzig kleinen Aspekt des Klavierspiels angeschaut – nämlich die Tonleiter. Hier ist es tatsächlich so, um diese Finger ganz genau zu bewegen, muss man sich selbst immer sehr gut zuhören. Es ist übrigens ganz interessant, dass die Pianistin, die im Test am besten abschnitt, regelmäßig auf einem stummen Klavier übte.

Die Ericsson-Kurve ist inzwischen ganz schön unter Druck geraten. Der Psychologe Zack Hambrick hat die Daten nochmals analysiert und kam zu dem Schluss, dass die besagten 10.000 Stunden nur etwa 20-21% der Varianz der Kurve erklären. Viele andere Faktoren spielen hier ebenfalls eine große Rolle. Unter anderem, wann ich angefangen habe zu üben, welchen Hintergrund ich habe und in welchem Alter ich wie viel geübt habe.

Das sind ja ähnliche Faktoren, wie die, die Sie bereits eben aufgezählt haben. Gibt es einen Unterschied beim Üben zwischen Jazz Musiker*innen und klassischen Musiker*innen? Im Sinne von: Automatisierung versus die Fähigkeit im Moment „live zu komponieren“? (Vergleiche die Studie von Limb und Brown)

Ein Unterschied ist sicher, dass Jazz-Musiker*innen weniger stark repetitiv üben. Durch die Improvisation sind sie kreativer. Die Improvisation wiederum orientiert sich immer auch an körperlichen Realitäten: Sie machen das, was sie gut können. Natürlich erweitern sie auch ihr Repertoire und Klänge. Allerdings müssen sie nicht Repetitionen in Prokofjew siebter Klaviersonate zwei Monate am Stücke täglich 1,5 Stunden üben. 

Was ich bei der Limb-Studie noch spannend finde, ist, dass das Stirnhirn (in dem die Konsequenzen meines Tuns für mich und andere abgewogen werden) deaktiviert wird. Sie geben also im Akt des Improvisierens Kontrolle ab. Das ist etwas, das vielleicht bei manchen klassischen Künstlern fehlt.

Musik ist lebendige Kommunikation. Es ist das Mitteilen von Emotionen im Moment. Es ist Kontaktaufnehmen mit den Mitspieler*innen und dem Publikum. Ein Austausch, den man dann auch im Saal spüren kann. Das darf man eben nicht missverstehen: Es zählt nicht die Anzahl detailliertester, richtig gespielter Noten pro Zeiteinheit. Sondern es geht darum, dass Sie Ihre Gefühle, die Sie im Moment haben, in Echtzeit den Hörenden übermitteln.

„Im Prinzip ist variables Üben für unser Gehirn interessanter, motivierender und auch nachhaltiger.“

(Prof. Dr. Eckart Altenmüller)

Was lernen (üben) Sie gerade, was Sie noch nicht können ?

Ich lerne italienisch. Das ist allerdings ein Projekt, das seit 10 Jahren bereits läuft und bei dem ich regelmäßig Geld an Babbel zahle. Allerdings mache ich es diesmal richtig (lacht).

Welchen Tipp würdest Sie Ihrem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wärst ?

Ich glaube, das Wichtigste ist: Es erwartet niemand von dir, dass du perfekt bist. Der Tipp wäre wichtig für mich gewesen. Ich war in den Stunden immer wahnsinnig aufgeregt. Wir hatten ausschließlich Klassenstunden (französisches System). Mein Professor war mit 11 Studierenden in einem großen Raum und dann wurde willkürlich jemand zum Vorspielen ausgewählt. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich nicht perfekt sein muss und noch lerne – das wäre für mich wichtig gewesen.

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