Klassik | https://what-is-practice.de/tag/klassik/ BLOG Thu, 24 Oct 2024 11:36:52 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png Klassik | https://what-is-practice.de/tag/klassik/ 32 32 Wie geht mentales Üben, Christian A. Pohl? https://what-is-practice.de/mentales-uben-christian-pohl/ https://what-is-practice.de/mentales-uben-christian-pohl/#respond Sun, 24 Mar 2024 11:18:51 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6394 Christian Pohl ist Professor für Klavier und Klaviermethodik an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Dort habe ich ihn kürzlich auch besuchen dürfen, um mit ihm über ein weiteres seiner Forschungsfelder – das mentale Üben – zu sprechen. Gemeinsam haben wir versucht Licht in das Feld dieser Übe-Technik zu bringen, die zwar oft… Weiterlesen »Wie geht mentales Üben, Christian A. Pohl?

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Christian Pohl ist Professor für Klavier und Klaviermethodik an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Dort habe ich ihn kürzlich auch besuchen dürfen, um mit ihm über ein weiteres seiner Forschungsfelder – das mentale Üben – zu sprechen. Gemeinsam haben wir versucht Licht in das Feld dieser Übe-Technik zu bringen, die zwar oft genannt wird – deren konkrete Ausführung aber oftmals vage bleibt. 

Wir sind tief in das Thema eingestiegen und haben uns angeschaut, welche Möglichkeiten und konkreten Methoden es gibt, mentales Training  in unserem täglichen Üben einzusetzen. Christian Pohl hat sich dazu sogar während der Folge ans Klavier gesetzt. Natürlich haben wir das Thema versucht auch in den größeren Kontext des Übens ingesamt zu setzten und Christian Pohl hat immer wieder auch ganz konkrete Übe-Tipps gegeben. Übrigens, ein Blick in seine Klaviermethodik lohnt sich defintiv nicht nur für Pianistinnen und Pianisten.

Link zur digitalen Version der Klaviermethodik

Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl nach unserem Interview über das mentale Üben (© Foto: Patrick Hinsberger)
Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl am Klavier in der HMT Leipzig
(© Foto: Patrick Hinsberger)

Literatur-Tipps

Klaviermethodik Christian Pohl

Klaviermethodik

Christian Pohls eigene Klaviermethodik. Sie beinhaltet die Quintessenz aus seiner langen und intensiven Beschäftigung mit dem Thema Üben. Ein paar der Inhalte stellt Christian Pohl auch kurz im Podcast vor.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Christian Pohl lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview

Inhalt

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständigen Sie folgenden Satz. Üben heißt für Sie?

Sich selbst durch Musik zu entdecken.

Das heißt, es ist eine sehr mit sich selbst beschäftigende Art. Ein sich kennenlernen und in sich hineinhorchen. Also, etwas sehr selbstreferentielles?

Ja. Ich glaube, grundsätzlich können wir ja nicht wissen, was in einem anderen Menschen vorgeht, wenn er Musik hört oder Musik macht. Wir können immer nur auf das eigene Erleben referenzieren und die Beschäftigung mit Musik, sei es am Klavier, sei es rein mental, sei es im pädagogischen Kontext, ist immer auch eine Beschäftigung mit sich selbst.

Denn was wir in der Musik erleben, ist etwas, das wir selbst in uns tragen und das durch Musik lebendig werden kann. Und deswegen ist die Beschäftigung mit Musik, ob Üben oder eben Unterrichten, immer auch eine Beschäftigung mit vielleicht teils verborgenen Seiten des Selbst.

Das finde ich einen spannenden Punkt. Darauf werden wir sicher im Anschluss ein bisschen genauer eingehen. Gibt es ein aktuell bei Ihnen einen Künstler, eine Künstlerin, den Sie in Dauerschleife hören.

Das Fauré Requiem in der Aufnahme mit Celibidache. Das höre ich in letzter Zeit sehr, sehr gerne und sehr oft. Es gibt einen Probenmitschnitt auf YouTube. Und wie erprobt und wie sich die Musik in der lebendigen Probe verändert, das beeindruckt mich so tief, dass das etwas ist, was eine ständige Faszination auf mich ausübt.

Spannend, Das kenne ich nicht. Das werde ich mir auf jeden Fall im Nachgang anschauen. Wenn Sie es auf Ihr eigenes Spiel zurückschauen. Gibt es da einen Künstler, eine Künstlerin, der Sie sehr stark geprägt hat?

Da gibt es zwei. In meiner Jugend war ich, wie so viele andere auch, fasziniert und geradezu hypnotisiert von Horowitz. Bis heute ist dieser Pianist ein Phänomen für mich, das ich kaum zu ergründen vermag. Es ist auf der einen Seite von einer solchen Natürlichkeit und Unmittelbarkeit geprägt und auf der anderen Seite aber so weit entfernt von allem Fassbaren, dass das eine stete Faszination auf mich ausübt. Und dann natürlich auch Emil Gilels, der Lehrer meines Lehrers, dessen Kunst für mich bis heute ebenfalls etwas ganz Unergründliches hat.

Entweder – Oder

Ich habe mir, bevor wir gleich wirklich in unser heutiges Thema, das mentale Üben, einsteigen etwas überlegt, um Sie ein wenig besser kennenzulernen. Ich habe mir ein paar Entweder-oder-Fragen überlegt. Sie haben einen Joker, da dürfen Sie sich der Antwort entziehen.

Wir haben gerade schon vorhin vor der Aufnahme darüber gesprochen. Ich glaube, jetzt kenne ich Ihre Antwort darauf: Leipzig oder Freiburg?

Leipzig.

Lernen oder Lehren?

Das sind für mich Synonyme.

Das ist schon der Joker?

Das war der Joker.

Dann bin ich gespannt, wie es weiter geht. Unterrichten oder Konzerte spielen?

Unterrichten.

Viele kleine Übe-Einheiten oder Üben am Stück.

Kleine Übe-Einheiten.

Morgens oder abends üben?

Morgens.

Sie sind seit 2009 Professor hier. Können Sie einen typischen Übe-Alltag nachzeichnen?

Also wenn Sie sehr stark in der Lehre verhaftet sind, dann ist das, was den Übe-Alltag angeht, schwierig. Ich habe für mich persönlich festgestellt, dass ich abends nach dem Unterrichten einfach zu müde bin. Das heißt, wenn ich übe, dann vor dem Unterricht. Und wenn der Unterricht beispielsweise um elf beginnt, dann übe ich davor. Manchmal gehe ich dann um acht in die Hochschule. Wenn es Konzertverpflichtungen gibt, auch schon früher. Und dann versuche ich, das Pensum vor dem Unterrichten zu absolvieren.

Struktur oder Chaos?

Struktur.

„Wenn ich ein Übertagebuch führe, dann habe ich zumindest den schriftlichen Beweis, was ich getan habe.“

Christian Pohl

Das dachte ich mir auch schon. Sind Sie ein Typ, der Übertagebuch führt?

Jein. Ich habe keinen Joker mehr…

Das gehört nicht zu den Entweder-Oder-Fragen. Darauf dürfen Sie ein bisschen länger antworten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, je weniger Zeit zur Verfügung steht, desto besser ist das Üben. Zumindest bei mir. Also ganz freie Tage, die über zwölf Stunden hinweg eine Carte blanche bieten, sind jene Tage, die am gefährlichsten sind. Denn dann, denkt man immer, man hätte den ganzen Tag Zeit, etwas zu tun. Wenn allerdings nur ein enges Zeitfenster zur Verfügung steht, 2, 3 oder 4 Stunden, dann möchten die besonders gut genutzt werden.

Ich habe für mich selbst die Erfahrung gemacht, dass ich mich sehr schwer damit tue, ins Blaue hinein zu üben. Das passt nicht zu mir. Deshalb mache ich, bevor ich zu Üben beginne, einen Plan. Ich nehme mir allerdings auch die Freiheit, von dem Plan abzuweichen. Was ich üben möchte. Wie ich das üben möchte. Schlicht und ergreifend auch, um nach dem Üben nachvollziehen zu können, was ich eigentlich gemacht habe.

Während meiner Studienzeit war es manchmal sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass man teilweise sehr hart (8-9 Stunden) arbeitet und sich dennoch abends zu Hause fragt, was man den ganzen Tag getan hat. Das war sehr frustrierend. Wenn ich ein Übertagebuch führe, dann habe ich zumindest den schriftlichen Beweis, was ich getan habe. Das ist ein positiver Aspekt.

Und der andere positive Aspekt, gerade in den ersten Jahren, als ich das Üben für mich entdeckte und auch die Klaviermethodik entwickelte ist, dass mir das Übertagebuch geholfen hat, besser verstehen zu können, welches Üben besonders gut funktioniert und welches nicht. Denn wenn Sie nach einigen Tagen an eine bestimmte Stelle zurückgehen und dann spüren, dass funktioniert oder eben nicht, dann ist es ohne Übertagebuch schwer im Rückblick zu sagen, wie ich das erarbeitet habe. Das hilft mir dann, das weitere Üben zu planen.

Das heißt, Ihr Tagebuch geht über den Schritt des „Was“ hinaus und beinhaltet immer auch die ganz konkrete Methode?

Genau. Also in der von mir entwickelten Klaviermethodik sind 27 verschiedene Methoden dargestellt. Die sind in vier Lerngebiete eingeteilt und decken somit einen großen Teil des Übens ab. Das Üben, das man methodisch gut fassen kann. Irgendwann, wenn man all die grundlegenden Aufgaben gelöst hat, wird es so speziell (wenn es um künstlerische Suche oder auch um ein Hineinleuchten in emotionale Prozesse geht), dass sich das mit solchen Standardmethoden nicht mehr lösen lässt. Aber bis dahin, um erst mal ein wirklich gutes Niveau zu erreichen, helfen diese Methoden sehr. Allerdings helfen sie nicht in isolierter Form, sondern sie möchten von Anforderungen zu Anforderungen in Kombinationen angewendet werden.

Kombination bedeutet, dass Sie beispielsweise zwei Methoden kombinieren: zum Beispiel ein Metronom Aufbau kombinieren Sie mit der Idee schwarz-weißen Übens. So eine Kombination von Konzepten und Methoden nennen wir in der Methodik ein Übe-Modell. Im Übertagebuch schreibe ich dann meistens in stenografischer Form eben diese Modelle auf.

Rastergrafik
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Jetzt haben Sie gerade schon Ihre Methode angesprochen: Gedrucktes Buch oder Online-Methode?

Ich möchte einen zweiten Joker kaufen (lacht).

Als ich das Buch schrieb, war mir von Beginn an klar, dass sich das geschriebene Wort nur sehr bedingt eignet, um über Musik etwas zum Ausdruck zu bringen. Das ist einfach ungeheuer schwer. Wenn es beispielsweise darum geht, zu verschriftlichen, was ein weicher Klang ist. Was ein geerdeter Anschlag ist. Deswegen war mir von Anfang an klar, dass es zu dem Buch auch ein digitales Produkt braucht. Während ich das Buch schrieb, skizzierte ich bereits gedanklich die digitale Klaviermethodik. Die Inhalte des Buches werden aufgegriffen und in vertiefter Form, mithilfe von Lehrvideos, im Internet zugänglich gemacht.

Nun hat das Buch Vorzüge, die ein digitales Projekt nicht hat. Das Buch nämlich ermöglicht Ihnen, die gesamte Klaviermethodik wortwörtlich in den Händen zu halten. Das heißt Aspekte wie einen Überblick zu gewinnen oder Referenzen zu suchen geht mit so einem Digitalprojekt nur schwer. Auch das Medium Video in der zeitlichen Bindung ermöglicht es Ihnen nur bedingt, mal schnell etwas nachzuschlagen. Insofern ist das aus meiner Sicht die perfekte Ergänzung.

Das Buch kam vor ziemlich genau drei Jahren raus. Wie kam es zur Idee? Hatten Sie vorrangig an Ihre Studierenden gedacht, die so eine Komplettübersicht in den Händen halten sollten?

Die Grundidee entstand noch während meiner Studienzeit. Mich beschäftigte von Beginn an immer die Frage, wie denn eigentlich das musikalische Lernen, das instrumentale Lernen genau funktioniert. Wie arbeitet das Gehirn? Wie sind diese Prozesse zu beschreiben, die am Ende im Konzert zu diesem unglaublichen Zustand des selbstvergessenen Aufgehens in der Musik führen? Wie funktioniert das? Ich habe dann alles gelesen, was ich finden konnte, und habe festgestellt, dass der Anfängerbereich sehr, sehr gut elaboriert ist. Es gibt Hunderte von Klavierschulen, die Anleitung geben, wie man so in den Anfängen sich dem Klavierspiel widmen kann. Und dann gibt es faszinierende Bücher auf der anderen Seite – teils von Profis, in denen es eher um Musik allgemein geht und mir keine Antworten zur konkreten Erarbeitung eines neuen Stücks gegeben werden konnten.

Ich sprach daraufhin mit unzähligen Pianisten, die weit besser spielten als ich. Ich sprach mit unzähligen Professoren und ich las alles, was ich in die Hände bekommen konnte. Und daraus hat sich dann ein Kanon von Methoden geformt. Ich habe das dann angefangen auszuprobieren, auch an den eigenen Studierenden. Und so hat sich im Laufe von 25 Jahren dann ein einmaliges Portfolio an Methoden geformt.

Jetzt sind wir auch schon mitten im Thema drin. Ich habe noch eine abschließende Entweder-oder-Frage: Mental oder physisch üben?

Das sind gute Fragen, die Sie stellen. Ich muss den dritten Joker reklamieren. (lacht)

Glenn Gould sagte in seinem berühmten Zitat: „Man spielt mit dem Kopf Klavier, nicht mit den Händen.“

Was wir am Klavier üben, kann man in zwei Ausprägungen erfahren: Entweder es ist eine Art intuitive Suche, bei der wir uns durch den lebendigen Kontakt mit dem Instrument inspirieren lassen. Das heißt, das, was unsere Hände manchmal ungeplant tun, befruchtet unsere Intuition. Wir entdecken plötzlich am Instrument Dinge, die uns sonst verborgen geblieben wären.

Das andere Üben am Instrument aber folgt der Realisierung einer hochpräzisen Vorstellung, einer Imagination. Etwas, was wir innerlich an Musik repräsentiert vorfinden. Sozusagen das geistige Bild der Musik. Und das Üben ist dann die Klangwerdung dieses geistigen Bildes. Und für mich ist dieser zweite Aspekt der, der vielleicht 95 % der Arbeit darstellt, weil ich glaube, dass das Nachdenken über Musik den Hauptteil der Beschäftigung mit Musik ausmacht.

„Mentales Üben bedeutet auch, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen.“

Christian Pohl

Was ist mentales Üben?

Das ist spannend, dass Sie das doch so stark zu einer Seite gewichten. Um an dieser Stelle einzuzäunen, worüber wir ganz konkret sprechen, wenn wir das mentale Üben oder das mentale Training hier erwähnen. Wo geht für Sie mentales Üben los? Sie haben gerade das Nachdenken über Musik angesprochen – ist das schon eine Form des mentalen Übens für Sie?

Ich glaube, wenn Sie morgens unter der Dusche stehen und eine Melodie singen oder pfeifen oder in Ihrem Kopf hören, dann ist das bereits mentales Üben. Es ist vielleicht nicht bewusst gesteuert, aber Sie arbeiten in diesem Moment schon an der Musik. Wenn Sie sich dann vornehmen, dies oder jenes gedanklich zu durchgehen, dann trifft das, was wir mit mentalem Üben meinen. Aber jegliche Form geistiger Beschäftigung mit Musik möchte ich unter dem Begriff des mentales zusammenfassen.

Würden Sie sagen, dass es eine Voraussetzung für das mentale Üben gibt?

Das ist eine gute Frage. Ich weiß nicht, ab welchem Alter die rein geistige Beschäftigung mit Musik in einem professionellen Kontext beginnen kann.

Sie haben in Ihrem Aufsatz in „Handbuch Üben“ von Ulrich Mahlers drei Säulen beschrieben: Konzentration, Imagination und Suggestion. Ich habe diese als eine Art Grundfähigkeiten verstanden, damit das mentale Üben möglichst erfolgreich ist. Könnte man diese als Schlüsselqualifikationen nehmen, damit mentales Üben gelingt?

Also ich glaube die Konzentration, dass man sich, in einen Zustand versetzt, in dem man etwas, das man zuvor am Instrument erlebt hat, gedanklich reproduzieren kann, ist die erste Voraussetzung in frühen Stadien.

Im zweiten Stadium kann man auch das, was man noch nicht am Instrument getan hat, gedanklich – über eine Fokussierung der Gedanken – vorbereiten. Dass Sie beispielsweise, wenn Sie ein Stück erarbeiten, eine Technik des mentalen Übens verwenden, die anspruchsvoll ist, die aber meiner Erfahrung nach wirklich tolle Wirkung zeigt: Wenn Sie beispielsweise zwei Takte eines Stückes memoriert haben, Sie sie dann einmal gedanklich transponieren. Das ist zumindest für mich sehr anspruchsvoll. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, wenn mir das gelingt, dann erscheint mir der Notentext in einer Transparenz, die für mich einfach überwältigend ist.

Wie kann ich denn zwei Takte gedanklich so transponieren? Wie geht das eigentlich? Und ich habe für mich die Erfahrung gemacht, dass mithilfe einer strukturellen Reduktion nach Schenker dies gut funktioniert. Das heißt, dass man zuerst die Struktur transponiert und später die Prolongation gedanklich nachvollzieht. Also ganz einfach gesagt:

Notenbeispiel aus Podcast - Struktur und Prolongation
Transposition nach E-Dur mithilfe einer strukturellen Reduktion

Wir haben diese Akkordbrechung. Jeder einzelne Ton ist mit dieser chromatischen Nebennote ornamentiert. Die gedankliche Transposition würde jetzt folgendes machen: Wir vergegenwärtigen uns zunächst die Struktur – also den Dur-Akkord. Zunächst transponieren wir anschließend gedanklich diesen Dreiklang, beispielsweise nach E-Dur. Wenn mir das gelingt, dann kann ich im nächsten Schritt die Prolongation, also die Ornamentation der einzelnen Akkordtöne, gedanklich vollziehen.

Das ist sehr spannend, dass Sie das an dieser Stelle schon ansprechen. Diese Frage habe ich mir in der Vorbereitung sehr intensiv gestellt. Das setzt bei allen Studierenden oder bei allen Menschen, die diese Technik anwenden voraus, dass sie ein sehr starkes inneres Gehör haben. Für jemand, der vielleicht hier Schwierigkeiten hat, bzw. sich damit noch ein bisschen schwer tut; der würde dann immer an dieser Stelle Schwierigkeiten bekommen. Und das Tückische dabei ist, dass er den Fehler wahrscheinlich gar nicht selbst merkt. Wissen Sie, was ich meine?

Ich glaube, man muss hier unterscheiden. Wenn wir von innerem Hören oder wenn wir von Denken sprechen. Das innere Hören bewegt sich in einer anderen Dimension als das, was ich gerade versucht habe zu demonstrieren. Ich glaube, hier geht es vielmehr um Denken. Das heißt, wie genau sieht die Imagination aus? Sie können verschiedene Imaginationstechniken verwenden, zum Beispiel:

Was heißt es, sich einen Dreiklang vorzustellen? Sie sagten: Ich kann ihn mir über das innere Gehör vorstellen. Ich kann mir die Intervalle vorstellen. Ja, das ist eine Art und dann haben Sie vollkommen recht, wenn ich das dann transponieren muss und eben innerlich nicht so gut hören ist das schwierig. Aber Sie können im Hinblick auf die Imagination sich auch der visuellen Imagination bedienen. Das heißt, Sie stellen sich innerlich die Klaviatur vor und sehen die entsprechenden Tasten aufleuchten. Transposition bedeutet dann, dass Sie sich die entsprechenden Tasten des E-Dur Akkords vorstellen. Das heißt, das ist eine Visualisierungstechnik.

Christian Pohl am Klavier
Christian Pohl am Klavier (© Foto: Patrick Hinsberger)

Eine andere Visualisierungstechnik bezieht sich auf das Notenbild. Das heißt, Sie stellen sich den C-Dur Dreiklang auf den Notenlinien vor. Um sich dann später den E-Dur Dreiklang auch auf den Notenlinien vorzustellen. Und dadurch, dass wir von Kindesbeinen an am Klavier saßen und auch Noten gelesen haben, sind das Dinge, für die man wenig Vorbildung braucht.

Kurz dazwischengefragt: Würden Sie eine Art Gewichtung vornehmen, also, dass die eine Methode mehr oder weniger erfolgsversprechender ist als eine andere?

Wenn wir von innerem Hören sprechen, dann habe ich den Eindruck, dass das sehr stark den Bereich des intuitiven Musizierens berührt. Sie können die gleiche Person bitten, den Dreiklang nicht innerlich zu hören, sondern einfach zu singen – in C-Dur und dann in E-Dur. Ich glaube, das hätte einen ähnlichen Effekt. Für das strukturelle Verständnis von Musik, für das Verständnis der Komposition an sich ist, glaube ich, die Vorstellung auf der Klaviatur oder in den Noten (die kognitive Beschreibung) vielleicht sogar noch wichtiger als die Referenz an die Intuition und Musikalität. Beides ist unerlässlich.

Wahrscheinlich unterscheiden sich die Herangehensweisen auch stark zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen. Ich als Bläser bin wahrscheinlich stärker auf eine auditive Vorstellung angewiesen als ein Klavierspieler.

Genau. Ich glaube, da unterscheiden sich die Herangehensweisen im Hinblick auf die unterschiedlichen Instrumentengruppen ganz wesentlich.

Beispiel: Chopins Nocturne in C#-Moll (opus post.)

Strukturen erfassen und Gestaltungsschichten

Nocturne - Chopin Notentext

Um es für die Zuhörer:innen etwas anschaulicher zu machen, lassen Sie uns das Beispiel aus Ihrem Artikel nehmen: Chopins Nocturne in C#-Moll. Wir haben das „Strukturen erfassen“ (Decodieren) bereits angesprochen. Wäre das ein erster Schritt, um sich ein Stück mental zugänglich zu machen?

Sie haben die Möglichkeit die unterschiedlichsten Schichten eines Werkes mental zu durchdringen. Und die Schicht, auf die wir jetzt gerade zu sprechen kamen, ist eben diese strukturelle Schicht. Und meiner Erfahrung nach ist es empfehlenswert, dass man versteht, womit man sich beschäftigt (in kompositorischer Hinsicht) und dann weiter geht. Manche machen es auch umgekehrt. Wir treffen dann, wenn wir das Stück strukturell in uns aufgenommen haben, natürlich auch auf andere Gestaltungsschichten. Beispielsweise ist eine Gestaltungsschicht die Artikulation. Dass wir gedanklich reflektieren, wie denn eigentlich der eine in den anderen Ton übergehen möchte. Und mentales Üben, was diese Gestaltungsschicht angeht, bedeutet, sich einfach nur Fragen zu stellen, das heißt den entsprechenden Teil innerlich zu spielen.

Eine andere Gestaltungsschicht, die es zu hinterfragen gilt, ist eine meiner Liebsten. Das Thema Brems- und Strebekräfte. Das heißt, Musik im zeitlichen Kontinuum kann ganz unterschiedliche Kräfte freisetzen. Strebende Kräfte, das heißt, die Musik fließt voran. Sie ist wie ein leichter Gebirgsbach, der sich seinen Weg sucht, sozusagen vorantreibend.

Musik kann widerständig sein, als ob sie im tiefsten Winter durch hohen Schnee laufen würde. Das ist wahnsinnig mühevoll. In den Kunstwerken treffen wir auf unterschiedlichste Ausprägungen dieser sogenannten Brems- und Strebekräfte. Und mentales Üben bedeutet, was diese Gestaltungsschicht angeht, sich zu fragen, wie entfaltet sich denn die Musik in dieser und jener Episode? Mentales Üben bedeutet auch, die eigenen Gedanken zu verschriftlichen. Das hilft mir oft sehr. Ich habe im Buch verschiedene Visualisierungstechniken beschrieben. Beispielsweise, wenn die Musik sehr stark im Vorwärtsdrang begriffen ist, dass Sie einen Pfeil, der sich ein bisschen nach rechts neigt, über die Musik zeichnen.

Um es ein wenig einzuordnen und zu strukturieren: Wir haben jetzt Techniken kennengelernt, wie wir uns das Werk einteilen können. Im Buch beschreiben Sie anschließend Techniken des „Sprechens und Verbalisierens“. Nach dem Einteilen in logische Lernabschnitte und Übe-Abschnitte kommen wir jetzt an dem Punkt, wo wir mitsprechen und verbalisieren (Aufschreiben von diesen Informationen). Verstehe ich das richtig?

Ja, ich glaube, dieser ganze Prozess, über den wir im Moment sprechen, ist ein sehr individueller und sehr fluide. Obwohl ich mich als sehr systematischen Menschen sehe ist es für mich wichtig, eine Vielzahl an Angeboten zu kennen und dann eben jeden Tag sehr intuitiv das eine oder das andere beleuchten zu können. Zum Beispiel weiß ich nicht, ob ich so systematisch im Hinblick auf das mentale Üben vorgehen würde. Ich glaube, diese verschiedenen Schichten wird man im Laufe der Werkerarbeitung je nach Lust und Laune beleuchten. Ich würde das jetzt nicht so systematisch aufbauen: Erst mache ich das, dann mache ich das…

Ich glaube, wichtig ist, dass man es kennt, um dann, wenn man Freude dran hat, drauf zugreifen zu können. Und ich würde gerne noch etwas zum Analytischen sagen: Ich glaube, je mehr wir denken, desto weniger müssen wir denken. Ich erlebe dann Unsicherheiten (ein Gefühl des unbefriedigt seins auf der Bühne), wenn ich mir noch nicht ganz sicher bin. Wenn ich noch nicht alle Fragen für mich wirklich geklärt habe. Das heißt, je mehr ich im Vorfeld darüber nachdenke ,desto weniger muss ich später denken.

Ist es nicht eigentlich genau umgekehrt? Umso mehr man sich mit etwas beschäftigt, umso mehr Fragen entstehen, umso unsicherer wird man irgendwann? Das kennt man auch aus ganz vielen verschiedenen anderen Bereichen im Leben,

Ich kann immer nur, wie wir alle, aus dem eigenen Erfahrungshorizont heraus berichten. Ich glaube, dass die Zahl der Fragen im Hinblick auf die Komposition begrenzt sind. Die hat man irgendwann absorbiert und dann gibt es keine Fragen mehr.

Sie haben vollkommen recht, dass bspw. die Bedeutungsebene, wahrscheinlich nie zu einem Abschluss kommt. Es ist so wie eine Pyramide. Es wird immer feiner und feiner und es zeigt sich mehr und mehr durch viele kleine Aspekte.

So zeigt sich das, was der Adorno als das Auratische bezeichnete, nämlich der dahinter liegende Geist und den entdeckt man in der Beschäftigung mit all diesen Fragen. Je klarer sich dann dieser Geist zeigt, desto flexibler ist man auch wieder in der Formung dieses oder jenes Details. Das heißt, um auf Ihre Frage zu antworten ich erlebe es genau umgekehrt.

Je mehr ich mir die Fragen stelle und je mehr ich mich mit einem Werk beschäftige, desto mehr wird das Werk meins und desto mehr wird es zum auch Ausdruck meiner musikalischen Intuition. Eine letzte Bemerkung. Was bedeutet denn Nachdenken? Was bedeutet denn Analyse? Es bedeutet nichts anderes als Bewusstmachung von Intuition. Das heißt, wenn ich über etwas nachdenke, leuchte ich ins Dunkel des Unbewussten hinein. Mache es greifbar und lasse es zurück ins Unbewusste sinken. Aber dadurch habe ich es sozusagen destilliert. Und dann, wenn ich einmal entdeckt habe, dass das ein bspw. Dreiklang ist, dann stellt sich die Frage nicht mehr. Wenn ich einmal entdeckt habe, wie das gebaut ist, stellt sich die Frage nicht mehr. Sehen Sie, und deswegen möchte ich doch nach wie vor ein Plädoyer für das Nachdenken proklamieren. Ich glaube nicht, dass man zu viel nachdenken kann. Ich glaube aber, dass man, wenn man falsch rangeht, man in eine Art von Verstopfung hineinkommen kann.

Aufgabenorientiertes Üben

Sie haben in Ihrem Aufsatz von zwei Schritten gesprochen – und das fand ich zumindest im Geschriebenen sehr gut gegliedert (auch, wenn ich verstehe, dass sich diese Trennung nicht so scharf im eigentlichen Üben vollziehen lässt). Den Decodier-Schritt haben wir bereits hinreichend besprochen.

Das heißt, wenn wir diese Stellen alle so für uns herausgefiltert haben und wollen aus dem Spielmodus wieder in einen Arbeitsmodus kommen, wie findet dieser Übergang statt? Also wie gehen wir handwerklich im nächsten Schritt vor?

Das ist eine wunderbare Frage. Wir nehmen mal an, wir haben jetzt eine Nocturne von Chopin und wir haben all diese grundlegenden Aufgaben erledigt. Also wir kennen das Stück. Wir haben auch schon eine ungefähre Vorstellung entwickelt. Wir wissen, wie wir mit den Brems- und Strebekräfte arbeiten, wie wir artikulieren usw. Jetzt treten wir in ein neues Stadium des Übens ein, wo wir mit solchen Standard-Patterns nicht mehr weiterkommen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn wir in diesem Stadium arbeiten, wir den Spielmodus brauchen.

Ich beginne meinen Übetag, indem ich mich uneingespielt ans Klavier setze, das Aufnahmegerät anschalte und den Satz oder das Werk spiele. Egal was passiert. Egal wie gut oder schlecht ich mich fühle. Ich spiele, als ob Publikum vor mir sitzt. Das gibt mir dann am Morgen sozusagen den „Worst Case“. Anschließend nehme ich die Aufnahme und setze mich in den Sessel und höre mir die gesamte Aufnahme an. Takt für Takt.

Ich höre, was ich spiele. Und dann vollzieht sich, wenn ich dann beispielsweise nach wenigen Sekunden stoppe, eine Synchronisation. Ich versuche zu synchronisieren, was ich mit meiner Vorstellung höre und gespielt habe. Und ich frage mich, wo sind die beiden Bilder inkongruent? Wo klingt es nicht so, wie ich will? Das schreibe ich mir auf. So erstelle ich mir eine Arbeitsliste, die kann manchmal circa 30 bis 40 Punkte umfassen kann.

Im zweiten Schritt stelle ich mir dann die Frage, wie erarbeite ich mir nun die einzelnen Punkte? Üben bedeutet wiederholen. Was Wiederholungen angeht gibt es zwei strategische Ausrichtungen: Entweder ich arbeite mit Wiederholungsbegrenzung (z.B. 20 Mal spielen) oder ich arbeite mit zeitlicher Begrenzung (z.B. drei Minuten spielen). Und so arbeite ich mich durch die ganze Arbeitsliste durch, lasse die Aufnahme nebenher laufen und höre dann immer ganz kurz die letzten Sekunden ab.

Vom Was zum Wie

Ich hatte die die Gelegenheit gehabt, ihre digitale Klaviermethodik ein wenig vorab zu testen. Vielen Dank noch mal an der Stelle. Und weil ich kein Pianist bin, haben mich natürlich besonders die Übe-Konzepte interessiert. Weil wir es gerade von Wiederholungsbegrenzungen hatte: Wann ist der entscheidende Zeitpunkt weiterzugehen? Also wann ist die Gefahr der Monotonie zu groß? Denn es gibt ja auch den von Prof. Eckart Altenmüller beschriebenen Penelope Effekt, dass man auch zu viel üben kann und sich dann schlechte Bewegungsmuster einprägen.

Das ist ein wichtiger Punkt, der den großen Bereich metakognitive Lernstrategie betrifft. Das heißt: wie ich einzelne Tools, einzelne Werkzeuge benutze, ist das eine – sie aber dann innerhalb des Tages zur richtigen Zeit, in der richtigen Intensität, anzuwenden, ist das andere.

Als sehr wirkungsvoll hat sich herausgestellt, dass Sie eine Aufmerksamkeitsspanne von 25 bis 30 Minuten in Ihr Üben einbeziehen sollten. Das heißt: Teilen Sie Ihren Übe-Tag ein in sogenannte Slots von 25 bis 30 Minuten ein. Wenn Sie fünf Stunden Zeit haben, haben Sie zehn Slots. Natürlich nicht alle hintereinander, sondern mit kleinen Pausen.

Wie fülle ich einen Übe-Slot? Sie haben gefragt, ob es Richtwerte im Hinblick auf die Wiederholungszahl gibt. Wenn Sie bezugnehmend auf das Thema Übe-Tagebuch am Anfang unseres Gespräches Buch führen, wie viel Wiederholungen Sie bei einem Punkt gemacht haben (z.B. im Rahmen des aufgabenorientierten Übens) dann wissen Sie, diese Wiederholungszahl war gut. Wenn Sie merken, der gleiche Fehler passiert wieder, dann wissen sie, da muss ich mit höherer Intensität oder mit mehr Variabilität ran.

Ich erinnere mich noch gut an meinen Pädagogikprofessor Professor Dr. Anselm Ernst „Lehren und Lernen“.

Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht

Anselm Ernst

Das Handbuch begründet erstmalig eine allgemeine Didaktik des Instrumentalunterrichts. Es beschreibt fächerübergreifend Ziele, Lerninhalte und Lehrmethoden und bietet eine Fülle von detaillierten Vorschlägen für die Praxis. Der Leser erfährt Wesentliches über die Gestaltung der Lehrer-Schüler-Beziehung, das körpersprachliche Verhalten im Unterricht und die Förderung von Lernprozessen. Der instrumentale Gruppenunterricht wird in einem ausführlichen Kapitel behandelt. Das Buch stellt somit umfassend die zentralen Aspekte pädagogischer Professionalität dar.

Er hat ja doch schon etwas Legendenhaftes mittlerweile. Und ich erinnere mich noch gut daran, wie wir einmal über das Thema Over Learning sprachen. Das heißt weiter zu üben, obwohl Sie etwas schon können. In meiner Klaviermethodik findet sich dieser Punkt am ehesten in der sogenannten Stabilisierungsmethode.

Die Methode arbeitet mit Wiederholung (begrenztem Üben). Das heißt, Sie arbeiten makroskopisch. Sie nehmen, wenn Sie etwas schon ziemlich gut können, zum Beispiel eine 3/4 Seite. Die Aufgabe besteht darin, keinen Parameter, der gedankliche Frische bringen könnte, zu verändern. Sie versuchen sich zehn Mal in die Empfindung dieser Episode hineinzuversetzen. Da habe ich unglaubliche Erfahrungen gemacht. Was passiert? Sie fangen an und die erste Wiederholung klappt super. Sie arbeiten auch in einem bequemen Tempo. Auch die zweite Wiederholung klappt super. Die dritte Wiederholung: Jetzt beginnt es Ihnen schon langweilig zu werden. Aber es klappt aber immer noch. Vierte Wiederholung: Nun passieren die ersten Fehler, weil sie nicht mehr aufmerksam sind.

Sie brauchen allerdings zehn fehlerfrei Wiederholungen. Klingt auf den ersten Blick stupid – ich weiß. Warten Sie. Jetzt kommen Sie in eine Situation, die emotional der Konzertsituation entspricht. Sie können im Konzert nämlich auch nicht beliebig oft wiederholen. Die einzige Möglichkeit, damit Sie bis zur zehnten Wiederholung kommen, besteht darin, dass Sie sich wieder und wieder in diese Episode verlieben. Das heißt, Sie beginnen dann wieder zu spielen und sie richten die Aufmerksamkeit plötzlich auf eine Zwischenstimme. Das machen sie ganz intuitiv. Allein das Durchführen dieser zehn fehlerfreien Wiederholungen führt dazu, dass Sie in die Lage versetzt werden, Musik tiefer zu entdecken.

Wissen Sie, wenn Sie mit einem mit einem Ihnen nahestehenden Menschen zu tun haben, verbringen Sie ja auch Zeit mit ihm, obwohl Sie ihn schon gut kennen. Sie entdecken plötzlich Dinge an diesem Menschen, die Sie nur dann entdecken können, wenn sie weiter mit ihm Zeit verbringen. So ist es auch mit der Musik.

Wenn man es auf den Menschen überträgt, wird das Bild recht stimmig. Es braucht eine Offenheit gegenüber dem Werk, um es wieder auf die Musik zu übertragen. Dass man nicht mit der Haltung an das Werk geht „Ich kann es schon, da gibt es nichts mehr zu entdecken für mich.“. Sondern, dass man sich jedes Mal neu inspirieren, berauschen und emotionalisieren lässt. Das finde ich ganz schön. Es ist faszinierend Ihnen dabei zuzusehen, wie Sie darüber sprechen.

Und genauso wichtig wie diese Beschäftigung, dieses sich immer wieder Einlassen auf eine Episode oder ein Werk ist, ist das Weglegen und das Vergessen. Wir wissen aus den Briefen von Brahms, dass er Kompositionen monatelang ruhen ließ, bevor er wieder zurückkehrte. Ich glaube, dass das eine sehr gute Art ist zu arbeiten ist. Wenn es die Lebensumstände zulassen.

Wir reden ja gerade davon, das Werk wirklich durchzuspielen. Also wir reden von physischem Üben. Beim mentalen Üben geht es ja – wenn wir an den Auftritt, das Probespiel oder den Wettbewerb denken – immer auch darum, dass wir in die Lage versetzt werden sicherer aufzutreten und mit einer größeren Souveränität vorzuspielen. Gibt es nach diesen physischen Übe-Methoden bei Ihnen auch nochmal den Punkt zurück zum mentalen Üben? Also, dass Sie sich vorstellen, wie sich die ganz konkrete Situation vor Publikum, vor der Jury anfühlen wird?

Ich glaube, wenn wir von mentalem Üben und mentaler Vorbereitung einer Konzertsituation sprechen, dann müssen wir unterscheiden: Bereiten wir innerlich das konkrete Konzertereignis vor, in dem wir beispielsweise uns den Konzertraum vorstellen, in dem wir antizipieren, wie wir uns fühlen usw.

Auf der anderen Seite steht die mentale Arbeit am Werk selbst. Und was die konkrete mentale Arbeit angeht, so ist diese gar nicht zu trennen vom Üben am Instrument. Das heißt, das geschieht mit ebensolcher Regelmäßigkeit wie auch das Üben am Instrument. Das mentale Üben und das instrumentale Üben sind wie Einatmen und Ausatmen. Das eine geht nicht ohne das andere. Insofern ist das nicht etwas, was man zu einem bestimmten Zeitpunkt im Arbeitsprozess tut. Sondern es durchzieht den gesamten Arbeitsprozess. Es ist sogar eher so, dass wenn Sie etwas schon sehr gut auch manuell beherrschen, das dann vielleicht sogar weniger Zeit am Instrument und mehr Zeit rein mental mit dem Werk verbracht wird. Das ist eine sehr individuelle Sache.

Andere Methoden

Ich würde gern abschließend den Blick weiten und auf andere Methoden schauen. Ich habe zum Beispiel die Methode von Tanja Orloff Tschekorsky in der Vorbereitung gefunden. Ich weiß nicht, ob sie Ihnen vertraut ist. Gibt es Besonderheiten an Ihrer Methode, die Sie von anderen unterscheidet, oder würden Sie sagen, das ist im Üben so individuell, dass es sich das gar nicht abgrenzen lässt?

Mir persönlich ist es wichtig, dass man als Musiker vieles kennt. Ich glaube, nur wenn man vieles kennt, kann man entscheiden, was man selbst braucht. Oder zu brauchen glaubt. Im Hinblick auf die Klaviermethodik, auf die 27 Methoden, 13 Konzepte und auf die Formulierung von über 50 Lernzielen, die ich entwickelt habe, ist es wichtig (und neu), dass ich versucht habe, es jeweils auf den kleinsten denkbaren Bausteinen herunterzubrechen. Denn das ermöglicht es den Übenden und den Lehrenden diese verschiedenen Vorgehensweisen wirklich unmittelbar nutzen zu können und direkt auszuprobieren.

Sie haben bestimmt gesehen, dass die ganze Klaviermethodik an sogenannten kleinen Lernkarten festgemacht ist. Und auf diesen Lernkarten steht in teilweise ikonographisch aufgehübschter Form der, für den jeweiligen Punkt wichtigen, Aspekt. So kann man sich sehr einfach durch die Vorgehensweisen hindurcharbeiten und entdeckt dann was für einen selbst funktioniert.

Ja, absolut. Das fand ich auch in Ihrer Online-Methode sehr gut. Alle Lektionen weisen unten auf das jeweilige Lernziel hin, auf welches sie einzahlen. Das ist eine Sache, die sich die Musik noch mehr vom Sport abschauen könnte – man denke nur an die Abbildungen an den Geräten im Fitnessstudio, die genau zeigen, welche Muskelgruppen gerade trainiert werden. Am Ende ist das ein sehr hilfreiches Wissen für jeden Musiker, aber auch für jede Person, die unterrichtet.

Also besser könnte ich es nicht zum Ausdruck bringen.

Wir könnten sicher noch weitere Stunden über das Thema sprechen. Das macht sehr großen Spaß Ihnen zuzuhören und die Leidenschaft zu sehen, mit der Sie über das Thema sprechen. Ich würde noch zwei Fragen zum zum Abschluss stellen. Was üben oder lernen Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können?

Also im Musikalischen beschäftige ich mich gerade mit der sechsten Partita von Bach. Das lerne ich gerade und das fällt mir schwer, weil es so wenig Zeit außerhalb der Aktivitäten gibt, sich damit zu beschäftigen.

Und wenn Sie jetzt auf Ihre eigene Musikstudierenden-Zeit zurückschauen und sich aus heutiger Sicht einen Tipp mitgeben würden, um welchen Tipp Sie früher als Erstsemester froh gewesen wären. Was wäre das?

Ich würde vielleicht meinem jungen Ich mit auf dem Weg geben wollen, dass für die Raupe die Zerstörung des Kokons eine Zerstörung der umliegenden Welt bedeutet. Und erst später versteht sie, dass sie zu dem wunderbaren Schmetterling werden musste – werden konnte – nur indem der Kokon gerissen ist und zerstört wurde.

Künstlerische Entwicklungsprozesse sind schmerzhaft. Wenn man über sich hinauswächst, gibt es Wachstumsschmerzen. Und deshalb ist es so wichtig, dass man als Lehrer ganz behutsam begleitet, auch psychologisch einen angstfreien Raum schafft, in dem diese Prozesse stattfinden können. Dass man als Lernender versteht, dass ein Scheitern immer eine Chance ist, etwas zu lernen. Wenn ich nur Erfolg habe, wie kann ich da etwas lernen? Durch das Scheitern lerne ich und kann wachsen.

Der Ursprung der gesamten Klaviermethodik ist an ein solch schmerzliches Erlebnis gebunden. Ich hatte einen internationalen Wettbewerb zu spielen. Mein Lehrer schickte mich während meines Grundstudiums dorthin. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie bin ich ins Finale gekommen und war krank vor Nervosität. Nicht nur im übertragenen Sinn. Ich weiß, ich war der Situation überhaupt nicht gewachsen und bin mit wehenden Fahnen untergegangen. Ich spielte die zweite Sonate von Rachmaninow. Das ist ein irrwitzig schwieriges Stück und ich weiß nicht mehr, wie ich da das Ende erreichte. Das war der Beginn der Klaviermethodik.

Nachdem ich mich da von diesem Schock erholt hatte, stellte ich mir die Frage, wieso ich im Finale nicht auf mein gesamtes Leistungspotential zugreifen konnte. Ich hatte nicht weniger geübt als die anderen.

Dann habe ich angefangen, die Klaviermethodik zu entwickeln. Und wegen der Klaviermethodik konnte ich Professor werden. Wegen dieser Klaviermethodik konnte ich seit 2009 unzählige Seminare geben. Und auch wegen dieser Klaviermethodik haben jetzt meine Studenten die Möglichkeit, ihr Talent noch besser zu entfalten. Das heißt, der Ursprung war in etwas Negativem, aber die Frucht ist ganz positiv.

Das heißt, wenn wir beim Bild bleiben wollen, ist aus der Raupe inzwischen der Schmetterling entwachsen und fliegt seit mehreren Jahren und Jahrzehnten.

Ja und mal schauen, wie sich dieser Schmetterling dann zu etwas anderem wieder transformiert. Es geht ja immer weiter. Man hört nie auf zu lernen. Das ist das Schöne in unserem Beruf. Und dann gibt es natürlich auch außerhalb des Musischen unendlich viel, was es neu zu entdecken, neu zu lernen gibt.

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Was bringt dich näher an dein Ziel, François Bastian? https://what-is-practice.de/wie-uebt-hornist-francois-bastian/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-hornist-francois-bastian/#respond Sun, 25 Feb 2024 22:51:06 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6364 François Bastian ist seit 2009 zweiter Hornist beim Symphonie-Orchester des Bayrischen Rundfunks – auch als BRSO bekannt. Daneben spielt er regelmäßig mit dem Blechbläser Ensemble German Brass oder den Berliner Philharmonikern. Damit aber noch nicht genug. Seit 2020 hat er an der Hochschule in Saarbrücken auch eine Professur für Horn und hat während der Pandemie… Weiterlesen »Was bringt dich näher an dein Ziel, François Bastian?

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François Bastian ist seit 2009 zweiter Hornist beim Symphonie-Orchester des Bayrischen Rundfunks – auch als BRSO bekannt. Daneben spielt er regelmäßig mit dem Blechbläser Ensemble German Brass oder den Berliner Philharmonikern. Damit aber noch nicht genug. Seit 2020 hat er an der Hochschule in Saarbrücken auch eine Professur für Horn und hat während der Pandemie seine eigene Lernplattform für das Hornspielen – „Hornskills“ – an den Start gebracht. 

Obwohl François sich in unserem Gespräch als er eher faulen Student beschrieben hat, ist sein Üben und Arbeiten klar und strukturiert aufgebaut. Freut euch auf seine Tagesroutine, die er ganz am Ende des Interviews verrät. Wir haben verschiedene Techniken zum Üben schwieriger Passagen durchgesprochen und François hat wertvolle Tipps zum Aufbau von Selbstvertrauen gegeben. 

François Bastian an der Musikhochschule Saarbrücken (Foto: Patrick Hinsberger)
François Bastian an der Musikhochschule Saarbrücken (Foto: Patrick Hinsberger)
Francois Bastian spielt Horn
François Bastian an der Musikhochschule Saarbrücken (Foto: Patrick Hinsberger)

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Das Interview mit François Bastian

Inhalt

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?

Routine.

Gibt es gerade eine Musik, eine*n Künstler*in, der bei dir in Dauerschleife läuft?

Ja, Bruno Mars höre ich sehr viel. Und ich habe immer wieder Richard Wagner Phasen. Ich war früher schon Wagner Fan. Dann durfte ich vier Jahre lang in Bayreuth spielen und habe da natürlich, um mich vorzubereiten, die Wagner Opern gehört und einstudiert.

Zu dieser Zeit hatte ich eine besondere tägliche Routine: Um nicht zu spät zum Dienst zu kommen, hatte ich immer den Schluss des ersten Akts von Siegfrieds im Bad laufen. Ich wusste, wenn da die Stelle kommt, dann muss ich beim Shampoo sein

Also Richard Wagner im Alltag richtig live.

Ja, das finde ich inspirierend.

Absolut. Und hast du auf dein Spiel bezogen jemand, von dem du sagst, er oder sie ist eine Art Vorbild für dich?

Ein großes Vorbild ist Stefan Dohr, der Solo-Hornist der Berliner Philharmoniker. Wegen ihm wollte ich Hornist werden. Davor habe ich, durch meinen Vater, sehr viel von Hermann Baumann gehört.

Während des Studiums war meine Professorin Marie-Luise Neunecker ein Vorbild. Sie hat mir alles beigebracht. Später Wolfgang Gaag von German Brass.

Waren es dann jeweils bestimmte Aspekte, die dich in dem Spiel dieser vier Hornisten fasziniert haben?

Ja, absolut. Hermann Baumann, weil er einfach der größte Solist auf dem Instrument war. Er ist leider vor ein paar Wochen gestorben. Stefan Dohr ist als Orchestermusiker unschlagbar. Nach wie vor muss man sagen. Marie-Luise Neunecker natürlich, weil sie die erste Frau war, die so bekannt auf dem Instrument wurde. Und, die gezeigt hat, dass es eigentlich noch besser geht als die meisten Männer. Technisch unglaublich. Und Wolfgang Gaag, weil er mit seinem Ensemble German Brass auf dem Instrument so schön gesungen hat. Ich durfte circa 40 Konzert mit ihm zusammenspielen. Wir wohnen auch nur zwei Straßen voneinander entfernt. Er ist auch als Mensch eine super Inspiration.

Übe-Alltag

Jetzt hast du schon eine Formation angesprochen, in der du regelmäßig mitspielst. Du bist seit 15 Jahren Teil des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (BRSO) und seit vier Jahren inzwischen Professor an der Hochschule in Saarbrücken.

Dazu kommen noch Engagements wie bei German Brass. Du hast das Orchester des Festivals in Bayreuth schon angesprochen, das Bayerische Orchester der Staatsoper habe ich hier noch stehen. Die Liste ist wahrscheinlich noch länger. Das heißt, nicht nur viele Konzerte, sondern auch viel reisen. Wie sieht ein typischer Übealltag von dir aus – wenn du sagst, Routine spielt für dich so eine große Rolle?

Ich übe tatsächlich nur, wenn ich frei habe. Das heißt, wenn ich weder Proben noch Konzerte habe. Sonst komme ich eigentlich nicht dazu. Wenn ich im Orchester spiele, hier unterrichte, oder mit einem Ensemble spiele, dann übe ich an diesem Tag nicht, sondern spiele mich einfach nur ein. Je nach Programm kürzer oder länger – im Durchschnitt circa 20 Minuten. Die ganze Arbeit muss ich schon davor gemacht haben.

Die besten Übe-Tage sind die Tage, an denen ich ganz frei habe. Meine Routine beginnt dann so: gemütlich aufstehen, Kaffee trinken, frühstücken und dann gegen 11h00 fange ich mit körperlichen Übungen an. Ein bisschen in Richtung Yoga, aber es ist mehr Mobilität, um den ganzen Körper warm zu bekommen. Das dauert ungefähr 20 bis 30 Minuten.

Dann fange ich an Atemübungen zu machen. Anschließend spiele ich mich sehr viel auf Mundstück ein (20 bis 30 Minuten). Dann übe ich eine Stunde auf dem Horn. Danach mache ich eine lange Pause, um etwas zu essen oder zum Sport zu gehen. Später am Tag übe ich nochmal eine Stunde. Insgesamt würde ich sagen, übe ich circa zwei bis drei Stunden. Davon netto Horn spielen sind 1,5 Stunden.

Wie kann man sich dein Einspielen an Probe- oder Konzerttagen vorstellen? Ist das eine Art Check, dass du einmal Stoßübungen, einmal Bindeübungen, ein paar Luftübungen machst, um zu gucken, ob alles an dem Tag da ist, was du brauchst?

Nein. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass auch wenn ich 30 Sekunden vor dem Auftritt hinter der Bühne ein paar Töne spiele, das Gefühl später auf der Bühne ein ganz anderes ist. Also nicht nur mental, von der Aufregung her, sondern wirklich physisch. Deswegen habe ich auch vorhin Routinen gesprochen.

Ich mache zwei, drei Standardübungen, aber versuche gar nichts zu checken, sondern einfach nur mit der richtigen Technik zu spielen – darauf zu vertrauen, dass ich mit dieser Technik alles spielen kann.

Was ich bemerkenswert finde, ist, dass auch ein körperliches Warm-Up zu deiner Routine zählt. Das höre ich hier in den Interviews gar nicht so oft. Wenn du den mentalen Aspekt ansprichst: Übst du bestimmte Stellen manchmal auch nur im Kopf, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das dann ist an Konzerttagen ist?

Inzwischen weniger – aber früher sehr häufig. Wir hatten, als ich in der Akademie des BRSO war, mentales Training als Einzelunterricht gehabt. Da habe ich sehr viele Techniken gelernt, die ich auch dann anwenden musste. Gerade für das Probespiel, um die Stelle zu bekommen. Mittlerweile ist es so, dass ich ein bisschen weniger diese Übungen brauche.

Inzwischen weiß ich, wenn ich diese paar Stunden mit dem Instrument verbringe, mit mir selber, mit meinem Körper, vielleicht auch mit meinem Kopf, dann weiß ich, dass es laufen wird. Und wenn es nicht läuft, dann läuft es halt nicht. Und das ist das Gute, wenn man schon ungefähr 15 Jahre im Job ist. Man hat alles schon erlebt.

Ich habe mich schon super gut gefühlt, bevor ich auf die Bühne gekommen bin, und habe total versagt. Oder war unglaublich nervös. Es gibt Aufnahmen von mir auf Spotify mit einem Orchester, wo ich zittere. Das hört man noch ein bisschen. Ich habe auch Wochen erlebt, wo ich krank war und nicht zum Üben kam und es super gelaufen ist. Oder wo ich dachte, die fragen mich nie wieder und einen Tag später kam noch mal eine Anfrage.

„Wenn jemand ein Solo gespielt hat, dann scharrt man mit dem Fuß oder man macht ein kleines Zeichen – auch wenn es nicht perfekt war. Das ist wie eine Fußballmannschaft, die sich einfach immer gratuliert, wenn jemand was Gutes gemacht hat. Und im Orchester oder in der Musik, finde ich, muss man das auch pflegen.“

Francois Bastian

Selbstvertrauen trainieren

Das erinnert mich sehr an so einen, an so eine Art Urvertrauen, was man irgendwann in sich und seine Fähigkeiten auf dem Instrument entwickelt. Man weiß, dass man sich auf diese Basis verlassen kann. Und was ich ganz schön fand: Du hast gesagt „Naja, wenn es nicht läuft, dann läuft es halt nicht.“ Hattest du schon immer einen so entspannten Umgang mit Fehlern?

Nein. Ich glaube auch, dass man das fast nicht lernen kann. Es gibt natürlich Leute, die das als Talent haben. Aber man muss auch sagen: Am Anfang einer Karriere, oder wenn man noch im Studium ist, hat man noch nicht diese Bestätigung.

Ich habe natürlich leichtes Spiel. Ich habe hier eine feste Professur, bin in München seit 15 Jahren und ich erhalte super Anfragen. Warum sollte ich mir jetzt Sorgen machen? Ich mache mir natürlich immer noch Sorgen.

Wenn man diese Bestätigung für sein Ego braucht, ist das legitim. Ein sehr guter Tipp kam von Johannes Dengler, der Solo-Hornist an der Bayerischen Staatsoper in München. Er hat mir gesagt: Wenn du Komplimente brauchst, dann geh am Ende vom Konzert zu deinen Kollegen und sagst „Bravo, schön gespielt“. Dann wird das Gleiche zurückkommen. Schon hast du deine Bestätigung.

Das ist diese Etikette, die man im Orchester pflegt. Wenn jemand ein Solo gespielt hat, dann scharrt man mit dem Fuß oder man macht ein kleines Zeichen – auch wenn es nicht perfekt war. Das ist wie eine Fußballmannschaft, die sich einfach immer gratuliert, wenn jemand was Gutes gemacht hat. Und im Orchester oder in der Musik, finde ich, muss man das auch pflegen und diese Techniken anwenden, um eben sich das zu holen, was man braucht.

Das finde ich einen sehr schönen Vergleich. Ich frage mich manchmal nur, weil man als Spieler*in selbst weiß, dass die aktuelle Leistung nur 70 % oder 80% von dem ist, was ich eigentlich imstande gewesen wäre zu leisten. Nimmt man so ein Kompliment dann trotzdem für voll? Weißt du, wie ich meine?

Ich finde es immer wichtig den Kontext zu verstehen – so wurde ich auch erzogen. Wenn du zum Beispiel im Landesjugendorchester Saarland spielst: Innerhalb dieses Rahmens kannst du dich so professionell wie möglich verhalten. Und wenn du da gut spielst, dann weißt du, das waren jetzt die Besten aus der Region und ich glaube, ich habe mit 80, 90 % von meiner Bestleistung dazu beigetragen. Wenn wir jetzt ins BR Sinfonieorchester vorspulen – Sir Simon Rattle als Dirigent. Wenn wir eine Mahler Sinfonie spielen, gibt es diese am gleichen Abend vielleicht noch zwei oder drei Mal so auf der Welt. Das heißt, es ist wirklich die höchste Klasse. Wenn ich nur 70 % von meiner Bestleistung abrufen kann, dann ist immer noch 70 % Weltklasse. Und wenn ich mal 95 % habe, dann ist das eigentlich unglaublich. Das ist wie in einem WM Finale drei Tore zu schießen. Immer dann, wenn ich anfange zu spinnen und mir sagen, dass es nicht gut genug ist, versuche raus zu zoomen und zu schauen, wo ich jetzt eigentlich bin.

Das ist auch was, was ich meine Studierenden versuche beizubringen. Du musst dich immer wie ein Experte oder wie eine Expertin beurteilen und bewerten. Das heißt, wenn du einmal gekiekst hast, ist das sehr wenig. Du bist zum Probespiel gefahren und du warst nervös? Das ist normal. Sag nicht, dass alles negativ war, oder du könntest es viel besser. Das ist fast arrogant zu sagen. Du hast es ja gerade nicht besser gemacht. Das heißt, arbeite nun dran, dass du es beim nächsten Mal besser machst. Wenn die anderen dir gratulieren bedankst du dich. Egal von wem es kommt. Auch wenn es von deiner Mutter, deiner Schwester oder von deiner Frau kommt

Rastergrafik
Übeplan Vorlage what is practice

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Die größte Herausforderung beim Üben ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Genau dabei hilft dir die what is practice Übeplan-Vorlage.

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Du hast in deiner Antwort zwei sehr interessante Punkte verpackt, die ich gern herausgreifen möchte. Du hast den Sport angesprochen. Was im Sport deutlich leichter ist, als in der Musik ist, dass man sehr gut Fortschritte sichtbar machen kann. Wenn ich an einem Tag einen Kilometer gelaufen bin und am nächsten Tag zwei schaffe, dann sehe, dass ich mehr gelaufen bin. In der Musik ist das sehr schwer. Wir reden von Nuancen. Klangqualität lässt sich auch nicht so leicht messen. Wie macht man seinen eigenen Fortschritt sichtbar, um auch motiviert zu bleiben?

Um es zu schaffen, habe ich immer mehr Disziplin gebraucht. Du hast den Sport angesprochen. Alles, was wir machen, gerade wir Blechbläser (aber eigentlich gilt es für jedes Instrument) hat nichts mit Magie zu tun. Das heißt, wenn ich jeden Tag meine Übungen mache, dann werden meine Muskeln stärker. Dann spüre ich bei den Übungen, dass es mir leichter fällt. Dann kann ich vielleicht schwerere Übungen machen.

Wenn ich von Routine spreche, dann heißt das jedoch nicht, dass ich die Übungen immer genau gleich spiele. Sondern ich versuche Varianten zu entwickeln. Das mache ich auch bei hornskills. Sobald eine ich eine Übung technisch kann, versuche ich am Sound zu arbeiten oder sie noch musikalischer zu gestalten.

Jetzt haben wir ein paar Mal hornskills angesprochen. Dass ist deine Online Lernplattform, wo sich jeder registrieren kann, um mit dir gemeinsam zu üben. Jetzt natürlich die spannende Frage, weil wir es anfangs schon von deinem vollen Terminkalender hatten: Wie kommt man dazu noch eine Online Lernplattform aufzubauen?

Als ich an der Hochschule in München angefangen habe zu unterrichten, habe ich festgestellt, dass die Studentinnen und Studenten anfangs am meisten von mir lernen, wenn wir gemeinsam üben. Ich habe also nicht nur einzeln unterrichtet, sondern habe angeboten, sich zum gemeinsamen Üben zu verabreden. Plötzlich waren ganz viele Leute da und wir haben einfach zusammen geübt.

Der Mensch besitzt Spiegelneuronen. Man kennt es von Kindern, die Dinge einfach so, ohne viel nachzudenken und die Theorie zu verstehen, nachmachen. Das ist das Prinzip von hornskills.

Was mir besonders gut an hornskills gefällt ist, dass du die Benefits der Übungen sehr klar strukturierst. Die Videos haben immer einen sehr klaren Fokus für welchen Bereich diese spezielle Übung gut ist. Du hast das in einem Pentagramm (5 Übe-Bereiche: hohe und tiefe Lage, Ausdauer, Flexibilität und Artikulation) grafisch schön dargestellt. Es erinnert ein bisschen an das „Wheel of Life“ aus dem Coaching-Kontext. Warum genau diese fünf Bereiche? Wir haben gerade schon über Sound gesprochen. Mir ist beispielsweise noch Gehörbildung, Repertoire oder Geschwindigkeit eingefallen.

Weil meine Erfahrung gezeigt hat, um wirklich professionell Horn spielen zu können, sind dies die wichtigsten Faktoren. Man sagt immer, dass es schön klingen muss. Aber Horn klingt an sich eigentlich sehr schön. Aber schaust du in meine Klasse oder in ein Orchester, wirst du feststellen, dass wir alle verschieden klingen. Klang ist sehr individuell – oft auch anatomisch bedingt. Aber Punkte wie sauber artikulieren, Ausdauer und für das Horn speziell eine gute Tiefe, gleichzeitig aber auch eine gute Höhe zu haben, das sind die wichtigsten Sachen. Die Herausforderungen sind nicht die schweren Konzerte, die man vielleicht zweimal in seinem Leben mit Orchester spielen darf. Sondern, ob du wirklich auf den Punkt, wenn die Mikrofone live im Radio laufen, drei Triolen gleich artikuliert spielen kannst.

Würdest du sagen, dass du früher selbst nach so einem Schema geübt hast? Dir quasi selbst einen hornskills Trainingsplan entworfen hast?

Ja, so habe ich das von meiner Professorin Marie-Luise Neunecker gelernt. Sie hat gesagt, es ist nicht wichtig, dass man stundenlang alles übt, sondern gezielt bestimmte Bereiche: zum Beispiel fünf Minuten Artikulation, fünf Minuten gestopft spielen, üben in der tiefen Lage. Dinge, die man eigentlich nie übt, weil sie keinen Spaß machen. Diese Arbeit ist natürlich nicht inspirierend.

Musik hat auch etwas mit Handwerk zu tun. Wie bei einem Tennisspieler. Serena Williams hatte ein super Tipp. Sie hat gesagt: Es ist ganz einfach. Du machst 1 Millionen Mal Vorhand, 1 Million Mal Rückhand und wenn du fertig bist, dann machst du es noch mal. So ist auch mein Konzept. Ich kann dir sehr viele Sachen beibringen, auch musikalisch. Aber dazu musst du ebenso diese einfachen Übungen machen, die wenig Spaß machen.

Das geht in eine ähnliche Richtung wie die Ericsson Studio („10.000 Stunden“) damals. Egal was du im Prinzip machen willst, wenn du es 10.000 Stunden machst, dann bist du schon gut darin. In Teilen wurde sie ja inzwischen widerlegt.

Ja, genau.

Das heißt, Fortschritt kommt quasi, indem man stetig dranbleibt.

Genau. Du brauchst natürlich auch die richtige Methode, die zu dir passt. Mein Konzept ist weg von Magie und weg von zu viel Schnickschnack –  sondern was passiert physikalisch?

Es ist sehr einfach. Du möchtest Horn spielen professionell machen, also muss deine Technik belastbar sein. Also kannst du nicht alles mit deinen kleinen Lippen lösen. Du musst es mit dem ganzen Körper machen. Deine großen Muskelgruppen, wie die ganze Atemmuskulatur oder im Halsbereich, kann man gut kontrollieren. Allerdings ist es erstmal nicht intuitiv.

Wie üben wir das Horn-Solo in Bruckners 4. Symphonie?

Ich will gerne noch einmal ganz kurz den Bogen zurück zum Anfang spannen. Gerade hast du auf Instagram bei hornskills ein kleines Quiz, in dem du jeden Tag den Notenausschnitt aus einer berühmten Horn-Stelle postest. Ich glaube, gestern war es Bruckners Vierte. Ich habe mir in der Vorbereitung die Frage gestellt: Wenn du so eine Stelle, die du gestern gepostet hast, selbst für ein Konzert erarbeiten müsstest – hast du dazu eine bestimmte Vorgehensweise?

Ich spiele zweites Horn bei uns im Orchester, das heißt, ich werde die Stelle in Bruckners Vierte eher nicht spielen. Es sei denn, unser Hornist wird in der Pause krank– davor habe ich immer Angst (lacht).

Man kennt diese Stelle. Die Streicher spielen sehr leise und das Horn muss quasi aus dem Nichts kommen. Ultra schwer. Du sprichst die Vorbereitung an. Dann schaue ich in die Noten und schaue mir die Dynamik an, die sich Bruckner vorgestellt hat. Mezzoforte. Das heißt, Bruckner wollte vielleicht gar nicht, dass es aus dem Nichts kommt. Vielleicht finde ich da eine Klangfarbe (Eine Dynamik ist nicht nur eine Lautstärke. Da steht nicht: „Bitte spielen Sie 23 Dezibel laut, sondern mit mezzoforte. Forte heißt stark und mezzo mittelstark) mit der ich in meiner Komfortzone bleiben kann. Aber dennoch im Saal gut trägt und so diese Softness rüberbringt. Das heißt: Ich würde bei so einer heiklen Stelle immer schauen, ob sie wirklich so heikel geschrieben wurde.

Und dann sind wir beim Thema Belastbarkeit. Wie kann ich es so üben, und letztendlich spielen, dass ich noch in meiner Komfortzone bleiben kann. Natürlich musst du bis zur Grenze üben. Du musst schauen, wo deine Grenze ist. Aber du spielst letztendlich in deiner Komfortzone und fühlst dich dabei immer wohler und kannst vielleicht dann, nach ein paar Jahren, mehr Risiko nehmen.

Es ist oft so, dass man Profis hört und denkt sie hätten richtig viel Risiko genommen. Aber wenn man zum Beispiel Stefan Dohr in Berlin nimmt. Er nimmt kein Risiko am Anfang der Vierten. Er kann die Stelle wirklich 100 Mal so leise spielen. Ich sage nicht, dass es totale Routine für ihn ist. Aber er weiß ganz genau, was er tut.

Und wenn es um viel geht, zum Beispiel im Probespiel oder im Probejahr, dann würde ich erstmal dort bleiben, wo ich mich spielerisch wohlfühle und mein Selbstvertrauen aufbauen kann.

Und wenn die Stelle jetzt eher technisch herausfordernd ist, übst du sie dann auch in verschiedenen Wegen?

Ja, auf jeden Fall! Was bei mir gar nicht klappt, ist perfekt zu üben. Es funktioniert überhaupt nicht. Dieses „Ich übe es genauso, wie ich es im Konzert spielen möchte“ klappt nicht bei mir. Ich muss ganz viele Angriffswinkel während des Übens haben. Natürlich muss es dann am Schluss rhythmisch und von der Musikalität richtig sein. Aber technisch gesehen würde ich sie anders erüben (z.B. in Jazz-Phrasierung, mit ein bisschen mehr Groove oder gestopft). Sodass ich auf der Bühne auf viele Versionen und viele Werkzeuge zurückgreifen kann.

Wir haben ja ganz am Anfang über deinen vollen Terminkalender gesprochen. Hast du bewusst frei gewählte Tage, an denen du kein Horn spielst?

Im Jahr habe ich schon Phasen, in denen ich gar nicht spiele. Meistens im Sommer, wenn ich nicht gerade ein Festival spiele. Dann mache ich schon fünf bis sechs Wochen Pause. Ich versuche diese freie Zeit schon einzuplanen. Wenn ich im Orchester viel gespielt und viel unterrichtet habe, dann kann ich auch mal so einen Tag Pause einlegen. Das tut mir sehr gut. Ich versuche das sehr professionell zu machen.

Ich habe die Autobiografie von Novak Djokovic gelesen. Sein Ziel war früh die Nummer 1 der Welt zu werden. Er hat sich dann immer gefragt: Bringt mich das, was ich gerade vorhabe näher oder weiter weg von meinem Ziel? Das ist es auch, was ich versuche, meine Studierenden beizubringen. Die Antwort ist: Nicht immer ist Üben besser. Manchmal ist es besser, du gehst mit deinem Freund, mit deiner Freundin in ein Wellness-Wochenende. Das ist in dem Moment das Beste für dich und da brauchst du Erfahrung.

Auch ein Tipp an dieser Stelle: Man muss sich das Üben so attraktiv wie möglich gestalten. Ich fahre jede Woche zehn Stunden Zug, um nach Saarbrücken zu kommen. Wenn ich jetzt nur ein Buch mitnehme, was ich nicht lesen werde und nichts zu dann wird mir die Fahrt keinen Spaß machen. Aber ich kann mir auch super Kopfhörer kaufen, sodass die Fahrt angenehm ist und ich mich am Freitagabend, nach einem Konzert, wirklich freue fünf Stunden Zug zu fahren.

Und beim Üben ist es genau das Gleiche. Ich versuche alles immer so attraktiv wie möglich zu machen. Wenn ich eine Pause einlege, dann mache ich nicht nur eine Pause und langweile mich, sondern ich plane was anderes damit.

Das finde ich ein sehr schöner Gedanken. Was lernst du gerade? Oder übst du gerade, was du noch nicht so gut kannst? Darf auch gerne nicht musikalisch sein.

Ein Dauerthema bei mir sind meine Tenniskünste. Es ist immer sehr lustig zu sehen, wenn Musiker einen Sport wie Tennis lernen. Sie gehen es an wie früher im Studium. Das heißt: Ich muss das studieren. Ich muss zu Tenniscamps fahren. Ich muss die besten Trainer in München finden. Deswegen hat Tennis lernen mir unglaublich viel auch für das Hornspielen gebracht. Ich bin nach wie vor am Lernen und das ist ein Gebiet, so wie beim Hornspielen oder in der Musik generell, wo man einfach nie fertig wird. Und das ist das Schöne daran.

Man merkt hier wieder, wie nahe sich doch Profisport und Profimusik sind. Hättest du einen Tipp an dein jüngeres Erstsemester Musikstudenten-Ich, um den du damals froh gewesen wärst?

Ich hätte früher gern mehr und besser geübt. Das wurde mir nicht richtig beigebracht. Ich wusste schon, dass ich mich ein paar Stunden am Tag mit dem Instrument beschäftigen muss. Man sagt Musik sei wie eine Sprache und ich bin ein großer Fan dieser Denkweise. Man muss ein Vokabular auf seinem Instrument entwickeln und dafür muss man einfach ein paar Stunden am Tag mit dem Instrument verbringen.

Du hast nach einem Tipp für mein Erstsemester-Ich gefragt. Oft hat man das Gefühl „Das ist jetzt entscheidend für das ganze Leben und die ganze Karriere“. Es ist entscheidend, wenn du es nicht machst. Wenn du es nicht machst, dann hast du wahrscheinlich keine Chance mehr Horn-Spielen professionell ausüben zu können. Wenn du es machst, und nach 3-4 Jahren merkst, das ist doch nichts für dich, dann kannst du immer noch etwas anderes machen. Du bist immer noch Anfang 20, hast aber schon eine Disziplin aufgebaut. Das hilft dir auch für deinen anderen Werdegang.

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Wie gelingt das Probespiel? https://what-is-practice.de/wie-gelingt-das-probespiel/ https://what-is-practice.de/wie-gelingt-das-probespiel/#respond Sun, 29 Oct 2023 18:16:23 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6065 Annemarie Gäbler ist seit 2017 fest im MDR Sinfonieorchester angestellt. Seit langem wollte ich schon eine ganze Folge rund um das Thema Probespiel-Vorbereitung machen. Umso mehr freut es mich, dass Annemarie mir Rede und Antwort gestanden hat und von ihren ganz persönlichen Erfahrungen erzählt. Denn, was so süß klingt, ist für die meisten Musikerinnen und… Weiterlesen »Wie gelingt das Probespiel?

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Annemarie Gäbler ist seit 2017 fest im MDR Sinfonieorchester angestellt. Seit langem wollte ich schon eine ganze Folge rund um das Thema Probespiel-Vorbereitung machen. Umso mehr freut es mich, dass Annemarie mir Rede und Antwort gestanden hat und von ihren ganz persönlichen Erfahrungen erzählt. Denn, was so süß klingt, ist für die meisten Musikerinnen und Musiker eine echte Qual. Wie sich Annemarie auf dieses, für ihre Karriere so wichtige Vorspiel, vorbereitet hat, und welche Tipps sie jungen Musikern mitgeben würde, erfahrt ihr in dieser Folge.

Annemarie Gäbler schwarz-weiß Portrait mit ihrer Geige
Annemarie Gäbler

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Das Interview mit Annemarie Gäbler

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Mich sehr konzentriert auf eine Sache vorbereiten.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Aktuell gibt es keine Musik, die in Dauerschleife läuft. Ich höre sehr viele unterschiedliche Genres – vor allen Dingen 80er Jahre Musik. Klassische Musik höre ich besonders gerne im Konzert. Nur selten lege ich zu Hause mal eine Sinfonie auf. Wenn dann doch eher mal Jazz.

Gehst du in der Vorbereitung auf anstehende Konzerte auch dann eher in ein Konzert oder bereitest du dich eher mit CD vor?

Nein, da nutze ich auf jeden Fall CDs und Spotify. Ich finde, dass ist auch eine der wichtigsten Vorbereitungen als Orchestermusiker.

Gibt es einen Musiker, eine Musikerin, die dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich glaube, da kann ich schon meine Eltern nennen. Ich bin in einer Musikerfamilie groß geworden und meine beiden Eltern sind auch Geiger. Von klein auf habe ich miterlebt, wie zu Hause Konzerte vorbereitet wurden. Auch ganz unterschiedlicher Musikgenres. Ohne es wahrscheinlich bewusst wahrzunehmen, habe ich da sicher bereits ganz viel mitgenommen.

„Ich habe während des Studiums Einiges unterschätzt, was zum Beruf und zum Probespiel dazu gehört.“

Annemarie Gäbler

Die Vorbereitung auf das Probespiel

Du hast in Weimar Geige studiert. War für dich schon während dieser Zeit klar, dass dein Weg mal in Orchester führen soll?

Eigentlich schon viel früher. Wenn mich jemand mit 16 Jahren gefragt hat, was ich später werden möchte, war meine Antwort immer: „Ich studiere Musik und gehe ins Orchester“.

Ich frage mich auch heute, was aus mir geworden wäre, hätte ich nicht von klein auf mein Hobby gehabt.

Hattest du jemals einen Plan B, für den Fall, dass es mit der Orchesterstelle nicht klappt?

Unterrichten fand ich ebenfalls sehr spannend. Meine Mutter war auch Geigenlehrerin, sodass ich auch hier viel miterleben konnte. Ich fand es immer faszinierend, wie man die speziellen Fertigkeiten des Musikmachens anderen Menschen beibringen kann.

Aber auch Klassenunterricht an einer Schule wäre ein möglicher Plan B für mich gewesen. Zum Glück kam dieser Plan B aber nie zum Tragen, da Plan A funktioniert hat.

Unser Thema heute soll das Probespiel sein. Sowohl die Vorbereitung als auch der Tag selbst und natürlich der Umgang damit, wenn es mal doch nicht klappt. Hast du das Gefühl, dass man während des Studiums gut auf diesen Berufswunsch vorbereitet wird, oder sind Praktika und Akademien eigentlich fast schon unerlässlich?

Jein, ja. Ich glaube, ich habe während des Studiums Einiges unterschätzt, was zum Beruf und zum Probespiel dazu gehört.

Ich finde, man ist während des Studiums sehr stark in diesem „Einzelüben“ drin: also perfekt seine Einzelstimme spielen können und Violinkonzerte vorbereiten. Letztendlich ist das allerdings nur ein Teil des Probespiels – aber es gibt ja auch noch den Teil der Orchesterstellen. Diesen habe ich nicht nur im Studium, sondern wahrscheinlich bis zum Probespiel hin unterschätzt.

Erst jetzt, wo ich auf der anderen Seite auch Probespiele abnehme, realisiere ich mehr und mehr deren Relevanz. Obwohl uns die Wichtigkeit der Orchesterstellen von unseren Lehrern regelmäßig eingebläut wurde.

Hast du in der Vorbereitung Praktika absolviert, um ein Gefühl für die Probespiele und das Orchesterspiel zu bekommen?

Die Probespiele für Akademien und Praktika waren ein kleiner Teil davon. Während der Akademie-Zeiten hat man aber vor allen Dingen gelernt, wie man innerhalb des Orchesters funktioniert. Man findet sich in den Klang seiner Gruppe, in meinem Fall den der 2. Violinen ein. Es zählt nicht, wie toll man alleine klingt. Das ist ein ganz anderes spielen, als während des Probespiels finde ich.

„Ich finde, man ist während des Studiums sehr stark in diesem „Einzelüben“ drin: also perfekt seine Einzelstimme spielen können und Violinkonzerte vorbereiten. Letztendlich ist das allerdings nur ein Teil des Probespiels – aber es gibt ja auch noch den Teil der Orchesterstellen.“

Annemarie Gäbler

Aus dem Vorgespräch weiß ich, dass du bereits in deiner Jugend ein paar „Mini“-Probespiele durchlaufen hast. Gewinnt man dadurch zumindest einen kleinen Eindruck oder lässt sich das mit dem tatsächlichen Probespiel gar nicht vergleichen?

Ich glaube, jedes Vorspiel, das man absolviert, bereitet auf die Probespielsituation vor.

Natürlich ist das Probespiel nochmal ein Härtefall. Anders als bei einem Wettbewerb, wo man in der ersten Runde die Chance hat sich zwanzig Minuten zu präsentieren, sind es im Probespiel (wenn man Glück hat) maximal fünf Minuten.

Es ähnelt etwas dem 100-Meter Sprint. Dort muss alles von Beginn an funktionieren. Man hat nicht die Chance, wie beim Marathon, später nochmal etwas herauszuholen. Jedes Probespiel trainiert dafür natürlich. Man muss vor allen Dingen wissen, wie der eigene Körper in Stresssituationen reagiert.

Das bedeutet aber auch, dass man sehr genau seinem eigenen Körper zuhören muss, oder? Diese Fähigkeit trainiert man ja nicht automatisch in seiner Musiker*innen-Ausbildung?

Ich hatte Glück, dass wir in unserer Geigen-Klasse jede Woche ein Vorspiel hatten. Dieses regelmäßige Training hat mich unglaublich gestärkt.

Wenn ich mir dann Aufnahmen aus diesen Vorspielen angehört habe, merkte ich, dass ich meist sehr hastig war. Daraus habe ich für mich das „Mantra: Zeitlupe“ formuliert. Angefangen vom Gang auf die Probespielbühne oder zum Auftritt, habe ich versucht meine Bewegungen langsam auszuführen, da sich sonst diese Hektik auch auf mein Spiel ausgewirkt hat. Was am Ende jedem einzelnen gegen diese Aufregung hilft, muss man allerdings selbst herausfinden.

Hat sich dein Üben in dieser Zeit deutlich von deinem „normalen“ Üben unterschieden?

Ein großer Punkt in meiner Vorbereitung, war dass ich in den Wochen vor dem Probespiel jeden Tag das Programm einmal durchgespielt und mich dabei aufgenommen habe. Die Aufnahmen waren dann jeweils die Grundlage für mein Üben. Ich habe mir angehört, was gut klang und an welchen Stellen es noch etwas zu tun gab. Das habe ich dann am nächsten Tag geübt.

Alleine zu wissen, dass man sich selbst aufnimmt, bringt schon Stress. Ich war in der Vorbereitungszeit sehr viel genauer als sonst. Und am Ende ist es diese Perfektion, die es beim Probespiel ausmacht.

Könntest du 2-3 Übe-Möglichkeiten aus dieser Zeit nennen, um genau diese Perfektion zu trainieren – abseits der Aufnahmen?

Also Orchesterstellen üben waren natürlich ein sehr großer Punkt. In einer Bruckner-Sinfonie gibt es eine Stelle, die intonatorisch für die 2. Geigen sehr schwierig ist. Hierzu habe ich mir damals Referenztöne aufgenommen, die zur Harmonie passen, um anschließend dazu üben zu können.

Natürlich habe ich auch versucht so viel wie möglich anderen vorzuspielen. Während meiner Akademiezeit haben wir uns häufig getroffen und uns gegenseitig vorgespielt. Man kann dadurch auch schauen, wie die anderen schwierige Stellen meistern. Alleine das Zuhören kann einen schon sehr viel weiterbringen.

Hast du dann auch manchmal Ideen deiner Kolleg*innen „geklaut“?

Vielleicht habe ich mir den ein oder anderen Fingersatz abgeguckt (lacht).

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Hast du dir bewusst in dieser Zeit vorgenommen, weniger Konzerte zu spielen, um dich perfekt auf die unterschiedlichen Vorspiele vorzubereiten?

Während meiner Akademie-Zeit hatte ich verschiedene Orchester-Dienste. Ich war sehr froh darum, dass diese mir etwas Struktur über den Tag gegeben haben und ich nicht „nur“ Zeit zur Vorbereitung auf die Probespiele hatte.

Was in dieser Zeit allerdings gelitten hat, waren private Aktivitäten mit Freunden. Wenn ich wusste, dass ich am kommenden Vormittag üben musste, konnte ich den Abend davor nicht noch mit in eine Kneipe gehen.

Der Tag des Probespiels

Wenn wir uns vorstellen, der Tag X ist gekommen. Wie sieht dein Tag aus? Hast du spezielle Rituale am Morgen oder vielleicht noch sogar am Abend davor?

Ich hatte natürlich unglaubliches Glück, dass ich in der Stadt gelebt habe, in der auch mein Probespiel stattfand. Wenn wir uns diesen Fall einmal vorstellen, hat es mir immer gutgetan, nochmal an die frische Luft zu gehen. Ich bin also sehr sicher mit dem Fahrrad zum Probespiel gefahren. Davor habe ich mir zu Hause circa 30-45 Minuten eingespielt. Allerdings nur langsam und keine schnellen Läufe mehr.

Als ich damals beim MDR angekommen bin, hat man schon aus allen Räumen Geigentöne gehört. Ich habe es immer vermieden mich dort nochmal in einem Raum, gemeinsam mit anderen, einzuspielen. Das hat mich eher verrückt gemacht. Ich habe mich dann versucht zurückzuziehen und in Ruhe Noten auf der Geige ohne Ton zu greifen.

Nach dem Einruf des Orchesterinspektors in den Vorspielsaal, werden jedem Kandidaten zufällig Nummern zugelost. Diese legen dann die Reihenfolge der ersten Runde fest. Meistens findet sie hinter einem Vorhang statt. So weiß niemand aus der Jury, wer wann spielt. Die erste Runde dauert auch am längsten. Es ist also sehr viel mit Warten verbunden.

Sind alle Kandiat*innen durch, stimmt das Orchester ab, wer es in die zweite Runde geschafft hat. Dort spielt man ein romantisches Konzert mit Klavierbegleitung. Nach einer erneuten Beratung stimmt das Orchester ab, wer es in die dritte Runde geschafft hat. Dort sind dann die Orchesterstellen an der Reihe.

Wie ich vorhin schon gesagt habe, sind Orchesterstellen wirklich etwas, das ich unterschätzt habe. Man bereitet sich so intensiv auf die Violinkonzerte vor – natürlich machen diese auch mehr Spaß zu spielen. Losgelöst vom eigentlichen Werk sind die Orcherstellen auch nochmal um einiges schwieriger. Das Orchester hört in der dritten Runde dann ganz genau hin, ob du alles Informationen beachtest, die in den Noten stehen: Dynamik, Artikulation, Strichart, Intonation.

Wenn ich dir so zuhören, klingt das vor allem nach ganz viel Warten. Wie bereitet man sich dann kurz bevor man an der Reihe ist, nochmal auf sein Vorspiel vor? Spielt man sich jedes Mal nochmal ein?

Man rechnet auf jeden Fall durch, wann man ungefähr dran ist. Kurz bevor es soweit ist, nimmt man schon die Geige nochmal in die Hand.

Ich empfand es vor allen Dingen als Herausforderung, dass die Räume klimatisch so anders waren. Im Orchestersaal war es oftmals viel kühler als den Räumen, in denen man sich zuvor aufgehalten hat. Das ist auch ganz praktisch für die Frage „Was ziehe ich an?“ ein Problem.

Wie ist das Gefühl hinter einem Vorhang zu spielen?

Natürlich beeinflusst der Vorhang klanglich das Ergebnis. Aber so geht es ja jedem Kandidaten. Ich fand es sogar ganz charmant, in der ersten Runde für mich zu sein.

Warst du weniger aufgeregt?

Ich war gelöster. Ob ich weniger aufgeregter war, kann ich gar nicht sagen.

Du hast am Anfang gesagt, dass für dich mit 16 Jahren bereits klar war, dass du ins Orchester möchtest. Am Ende hängt die gesamte Karriere unter Umständen von diesem einen Vorspiel ab. Das ist natürlich ein unglaublicher mentaler Druck. Wie gehst du in diesen Situationen mit Fehlern um? Hast du dir darüber im Vorfeld Gedanken gemacht und das möglicherweise sogar trainiert, indem du dich bewusst hast ablenken lassen?

Jetzt, wo du es so sagst, wäre das sicher eine tolle Vorbereitung gewesen (lacht). Aber, dass ich bewusst Fehler eingebaut habe, habe ich nicht trainiert.

Für mich war immer die Schwierigkeit, dass wenn ich mich verspielt habe, ich noch länger über diesen Fehler nachgedacht habe. Obwohl es weiterging. Dann ist natürlich sofort der nächste Fehler passiert. Von daher hätte sich dein Vorschlag gut in meiner Vorbereitung gemacht.

Hast du dir dann zumindest Gedanken gemacht, wie du reagierst, wenn du dich verspielen solltest? Also dein Mantra ist nicht nur „Zeitlupe“ sondern auch „Weiterspielen“.

Ich glaube, ich habe das auch vor allen Dingen durch die vielen Aufnahmen trainiert, die ich in dieser Zeit gemacht habe. Dadurch, dass ich die Stellen am nächsten Tag geübt habe, an denen ich mich tags zuvor verspielt hatte, war ich gut vorbereitet. Ich glaube, das Probespiel-Programm ist mit Abstand das Programm, dass ich bisher am meisten geübt habe.

„Letztlich ist das Probespiel auch eine mentale Herausforderung.“

Annemarie Gäbler

Nach dem Probespiel

Wie geht man am besten mit Absagen um? Du hast das selbst ja auch ein paar Mal erleben müssen? Wie schwer ist es sich immer wieder erneut auf diese Prüfungssituation einzulassen?

In meine aller ersten Probespiele bin ich nicht mit der Vorstellung gegangen, diese zu gewinnen. Sondern ich wollte anfangen diese Situation zu trainieren. Daher war ich sehr locker und konnte schauen, was passiert. Wenn es dann für mich in eine zweite Runde ging, habe ich mich unglaublich gefreut.

Probespiele muss man trainieren. Daher würde ich auch jedem empfehlen, auf Probespiele für Stellen zu gehen, die man vielleicht nicht so sehr möchte. Aber das Training zahlt sich spätestens dann für Stellen aus, bei denen es darauf ankommt.

Natürlich gab es allerdings auch bei mir mehrmals Probespiele, bei denen ich in der letzten Runde war und es am Ende nicht geklappt hat. Besonders wenn dann niemand genommen wurde, sitzt man abends zu Hause da und ärgert sich.

Hattest du jemals den Gedanken, dass wenn es nach dem nächsten Probespiel nicht klappt, dass du dir Gedanken für einen möglichen Plan B machst?

Nein, eigentlich nicht. Eher, dass ich gesagt habe, dass ich mich nochmal an anderen Häusern bewerbe. Aber dass ich den Kopf in den Sand stecke, das gabs für mich.

Ich hatte aber auch, im Vergleich zu Erfahrungen von Freundinnen und Freunden, sehr viel Glück. Andere sind nicht daran zerbrochen, aber haben gewiss begonnen etwas an sich zu zweifeln.

Jetzt auf der anderen Seite

Seit 2017 bist du jetzt fest im MDR Sinfonieorchester. Hättest du einen Wunsch, wie man die Probespiele aus Kandidat:innen-Sicht angenehmer gestalten könnte?

Ich glaube, es gibt in allen Orchestern immer Debatten über Probespiele. Vor allem, wie man sie so gestalten kann, dass man am Ende sich nicht ein Solist ins Orchester holt, sondern jemand der teamfähig ist. Dafür ist natürlich auch das Probejahr da.

Letztlich ist das Probespiel auch eine mentale Herausforderung. Aber auch die Zeit danach, im Orchester, ist mental herausfordernd. Es gibt Dirigenten, die einen fordern, herausgehobene Positionen (Konzertmeister, Solo-Stellen) die anspruchsvoll sind. Ich glaube, daher wirst du immer mit mentalen Herausforderungen zu tun haben. Wenn man das Probespiel geschafft hat, hat man bereits einen Baustein, auf dem man in Zukunft weiter aufbauen kann. Weißt du, was ich meine?

Ja, absolut. Wie schaut dein Übe-Alltag heute aus?

Wir haben ja bereits am Anfang kurz darüber gesprochen, dass ich mir gerne Musik in der Vorbereitung auf Konzerte anhöre.

Kürzlich haben wir „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss gespielt. In der Vorbereitung setze ich mich dann hin und gehe das Stück mit den Noten und der Musik durch. Ich überlege mir, wo die Herausforderungen des Stücks für meine Stimme sind. Gerade bei Strauss merkt man gar nicht immer direkt, wo die Schwierigkeit liegt, wenn man nur in die Noten schaut.

Auf die erste Frage hast du geantwortet, dass Üben für dich heißt, eine Sache sehr konzentriert zu machen. Wie gehst du denn in der Auswahl der zu übenden Stellen vor? Machst du dir während des Hörens kleine Zeichen in die Noten, an Stellen, die du später üben möchtest?

Ja, tatsächlich. Meist greife ich dann direkt nach dem Hören zur Geige, um die Stelle mit dem frischen Eindruck zu spielen.

Natürlich macht man aber auch sehr viel über das Optische. Man sieht irgendwann Stellen, die schwer sind. Man übersieht aber auch manchmal Stellen, die schwer sind (lacht). Das Anhören ist daher für mich eine Absicherung, weil man so viel weniger schwierige Stellen übersieht.

Outro

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst? Darf auch gerne nicht musikalisch sein.

Ich hab seit einem Jahr ein sehr cooles, neues Hobby: Hula Hoop. Viele haben ja die Vorstellung, dass man nur dasteht und den Reifen kreisen lässt. Allerdings ist es unfassbar, was man alles mit einem Hula Hoop machen kann, was teilweise wie Zauberei aussieht.

Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass ich dadurch Bewegungen mache, die ich im Alltag mit meiner Geige verliere.

Also ein kleiner sportlicher und gesundheitlicher Ausgleich?

Ja, genau. Aber ein kreativer sportlicher, gesundheitlicher Ausgleich (lacht).

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Orchesterstellen nicht unterschätzen. Auch Orchesterstellen vorspielen. Am Ende ist das die dritte Runde im Probespiel und damit der letzte Eindruck, den man der Jury gibt.

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Wie gehst du mit negativen Gedanken um, Simon Höfele? https://what-is-practice.de/wie-gehst-du-mit-negativen-gedanken-um-simon-hoefele/ https://what-is-practice.de/wie-gehst-du-mit-negativen-gedanken-um-simon-hoefele/#respond Mon, 24 Jul 2023 08:11:05 +0000 https://what-is-practice.de/?p=5926 Wer kennt diese Gedanken nicht – einfach nicht genug geübt zu haben? Dass auch mein heutiger Gast diese hat, war mir neu, denn seine Karriere gleicht einem Bilderbuch-Verlauf. Simon Höfele kam bereits im Alter von 12 Jahren zu seinem später Professor Reinhold Friedrich und zählte damit zu seinen allerjüngsten Schülern. Inzwischen ist er als Solist… Weiterlesen »Wie gehst du mit negativen Gedanken um, Simon Höfele?

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Wer kennt diese Gedanken nicht – einfach nicht genug geübt zu haben? Dass auch mein heutiger Gast diese hat, war mir neu, denn seine Karriere gleicht einem Bilderbuch-Verlauf. Simon Höfele kam bereits im Alter von 12 Jahren zu seinem später Professor Reinhold Friedrich und zählte damit zu seinen allerjüngsten Schülern. Inzwischen ist er als Solist in der ganzen Welt unterwegs und führt nicht nur die Klassiker der Trompeten-Literatur auf, sondern immer wieder auch Jazz-Stücke und zeitgenössische Literatur. 

In unserem Gespräch wollte ich vor allem wissen, wie Simons Werdegang als Solist verlief und wie sein Üben dazu ausschaut. Wir haben über mentale Gesundheit, unseren Umgang mit Stress und schlechten Übe-Tagen gesprochen. Natürlich kamen wir trotzallem auch nicht an den Themen Kaffee und Fotografie vorbei. Überhaupt hat sich das Gespräch eher angefühlt, als würden wir uns in seinem Café treffen als virtuell. In der ganzen Euphorie kamen wir dann auch gleich auf drei Podcast-Empfehlungen für euch und ganz nebenbei hat Simon dann noch ein Geheimnis verraten, dass – Achtung Spoiler – mit genau diesem Format zu tun hat. Seid also gespannt. 

Simon Höfele mit C-Trompete
Simon Höfele (Foto: Marco Borggreve)

Mehr Informationen zu Simon Höfele

Webseite: www.simon-hoefele.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Simon Höfele lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Simon Höfele

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Üben heißt für mich Konzentration.

Kannst du das etwas konkretisieren?

Ich merke, immer wenn ich gut übe ist mein Handy nicht im Raum und ich bin wenig von anderen Dingen abgelenkt. Dann habe ich einfach eine ganz andere Konzentration – eine, die über das Üben hinaus geht und ich mir vorstelle, auf der Bühne zu sein und dieses Stück dort zu spielen. Ich bin also weniger im Hier und Jetzt, sondern versuche mich mit all meinen Gedanken in diese Situation zu versetzen.

Das klingt fast ein wenig nach Flow-Zustand?

I wish (lacht). Der Flow-Zustand kommt natürlich nicht immer. Vor allem dann nicht, wenn man nicht gut übt bzw. wenn man merkt, dass das Üben nicht so läuft, wie man es sich vorgestellt hat.

Wenn ich allerdings gut übe, kann ich mich schon mal in dieser Tätigkeit verlieren. Besonders, wenn ich Stücke durchspiele und eine Generalproben-Situation simuliere.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Fatoni.

Welcher Künstler hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ganz klar mein Professor, Mentor, Freund Reinhold Friedrich. Ich bin bei ihm seit ich 12 Jahre bin und seitdem war und ist er immer da. Das ist natürlich eine nie enden wollende Inspirationsquelle, für die ich sehr dankbar bin.

„Ich versuche meistens zunächst Druck aus der Situation zu nehmen (Ich bin König darin mich selbst fertig zu machen – und wenn es mal nicht gut läuft, bin ich oft geneigt alle Instrumente aus dem Fenster zu werfen (lacht). Auch, wenn das natürlich völlig überzogen ist.). Das heißt dann eine kleine Pause zu machen und ein Glas Wasser trinken.“

Simon Höfele

Was tun, wenn es mal nicht so läuft?

Du hast es gerade schon erwähnt: Du hast in Karlsruhe bei Reinhold Friedrich studiert und hast im Laufe der Jahre die verschiedensten Förderprogramme und Preise gewonnen (warst BBC Radio 3 New Generation Artist, Rising Star der European Concert Hall Organisation). Inzwischen hast du fünf CDs unter eigenen Namen veröffentlicht – und bist als Solist in der ganzen Welt unterwegs. Eigentlich war meine Frage, ob du uns mal in einen typischen Übe-Alltag mitnehmen kannst. Nach deiner ersten Antwort interessiert mich nun allerdings viel mehr, was du machst, wenn es mal nicht so gut läuft?

Das ist natürlich immer sehr persönlich. Jeder Künstler und jede Künstlerin hat dazu ihr eigenes Notfallprogramm.

Ich versuche meistens zunächst Druck aus der Situation zu nehmen (Ich bin König darin mich selbst fertig zu machen – und wenn es mal nicht gut läuft, bin ich oft geneigt alle Instrumente aus dem Fenster zu werfen (lacht). Auch, wenn das natürlich völlig überzogen ist.). Das heißt dann eine kleine Pause zu machen und ein Glas Wasser trinken.

Mir helfen dann oft auch wieder Basic-Übungen (Gymnastik, Atem-Übungen, lange Töne, Stamp, Chicowitz, die Stellen auf dem Mundstück spielen oder singen). Auf keinen Fall weiter so machen, wie zuvor und denken, dass es nun doch klappen müsse. Das muss es nämlich nicht: Es muss nicht jeden Tag fantastisch laufen.

Dein Weg ist also sowohl die mentale Bremse zu ziehen und dir eine Pause zu gönnen als auch auf dem spielerischen Weg nochmal an den Basics zu arbeiten und später zur Stelle zurück kommen?

Jein. Wenn ich eine Stelle oder Passage habe, die nicht funktioniert versuche ich auch immer zu checken, wie ich sie besser machen kann. Meist funktioniert das auch. Natürlich muss aber auch nicht jede Stelle an einem Übe-Tag perfekt werden. Gut Ding will Weile haben. Jeden Tag eine schwere Stelle 10 Minuten extra üben und dies über ein paar Tage helfen mir.

Dein Übe-Alltag

Wenn du einen typischen Übe-Tag von dir im Kopf so durchgehst – hast du eine bestimmte Reihenfolge, wie du dich strukturierst?

Klar, natürlich habe ich auch meine „Skin-Care-Routine“ auf der Trompete (lacht). Meistens beginnt diese mit ein paar langen Tönen und Luft (vor allem abwechselnd Luft, spielen und singen). Dann geht es weiter mit Clark, Stamp und dann eine Extended Version von Chicowitz. Nach diesen 30-45 Minuten Warm-Up fühle ich mich dann fit.

Vor allem versuche ich mir dabei ständig zuzuhören. Schließlich bringt es nichts, wenn jemand anderes sagt, eine bestimmte Übung sei die beste. Ich habe meine Routine für mich so entwickelt und aktuell funktioniert sie so für mich wunderbar. Damit kann ich guten Gefühls auf die Bühne und das Potential, das ich glaube zu haben, abrufen. Deshalb bin ich auch kein Freund von gemeinsamem Einspielen – vor allem auf Meisterkursen nicht.

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Es ist auf jeden Fall auch eine große Leistung, genau diese Übung auszuwählen, die für einen selbst gut funktionieren. Vor allem, wenn man nach ein paar Tagen Pausen wieder ans Instrument kommt.

Ich kenne das Gefühl, wenn man aus dem Urlaub kommt. Da habe ich wirklich Neurosen. Wenn ich einen Tag nicht übe, bekomme ich regelrechte Entzugserscheinungen. Besonders gravierend ist es an Tagen, an denen ich eigentlich hätte üben müssen. Deswegen habe ich eben auch noch geübt (lacht).

Du hast in deinen Antworten jetzt ein paar Mal das Stichwort Luft erwähnt. In einem Podcast mit dir habe ich gehört, dass du hier ein besonderes Konzept von Kristian Steenstrup verfolgst. Was ist hieran so besonders und wie hat dir diese Methode geholfen?

Ich kenne Kristian ganz gut und hatte bei ihm ein paar Mal Unterricht. Seine Spezialität ist es den „Flow der Luft“ gesondert zu betrachten. Diese Einsichten sind, meiner Meinung nach, für jeden Instrumentalist spannend. Im Prinzip begründet sich seine Methode in der Arnold Jacobs Schule. Er animiert seine Schüler*innen sich vorzustellen, wo sie die Luft hin atmen und wie sie sie wieder ausatmen. Grob gesagt also: Wie effizient kann ich mit Luft arbeiten. Vieles davon ging in eine gleiche Richtung, wie ich sie auch schon von Reinhold Friedrich kannte bzw. sie ganz natürlich bereits anwandte.

Er hat auch ein paar Bücher geschrieben, die sich ebenfalls zu lesen lohnen.

Bücher von Kristian Steenstrup bei Amazon

Karriere als Solist

Im gleichen Podcast hast du auch erzählt, dass du kurz vor dem Abi doch noch die Schule abgebrochen, um dein Studium in Karlsruhe zu beginnen. Hattest du jemals Zweifel, dass dies die richtige Entscheidung gewesen ist?

Ja. Ich wäre gerne so naiv gewesen und hätte geglaubt, dass alles schon laufen würde.

Dieses Risiko war am Anfang natürlich da. Allerdings hatte ich damals noch nicht die Konsequenz im Kopf, was es heißt ohne Abitur zu studieren. Andererseits dachte ich mir, dass ich selbst mit Abitur Musik studiert hätte, und mit dem abgeschlossenen Studium kann man ebenso etwas anfangen. So war ich dann mit meinem Bachelor fast fertig, als meine Mitschüler*innen gerade zu den Abiturprüfungen kamen.

Natürlich kann man mit einem BWL-Studium mehr anfangen. Jedoch ist auch nicht so, dass es nur den Weg in Orchester oder an die Musikschule gibt. Das finde ich sowieso problematisch. Schließlich gibt es ganz viele andere Dinge, die man mit einem Musik-Studium noch machen kann, die nicht im Studium besprochen (gar belächelt) werden.

Absolut. Da stimme ich dir ganz zu. Auch Eckart Altenmüller hat auf diesen Punkt in unserem Gespräch deutlich hingewiesen. Wahrscheinlich war bei dir auch nicht von Anfang an klar, dass du mal Solist wirst?

Nein. Ich habe natürlich unter der Prämisse angefangen, irgendwann mal eine Stelle im Orchester zu besetzen. Das hat sich dann gewandelt, als ich ein paar Wettbewerbe gewonnen hatte. Nachdem ich den Deutschen Musikwettbewerb 2016 gewonnen hatte, beschloss ich es zu probieren und habe mir ein Management gesucht. Das ermöglicht mir natürlich eine weitere Art der Absicherung in dieser Form der Freiberuflichkeit.

Am Ende gibt es aber so viele verschiedene Arten mit dem Wissen der Musik was anderes anzufangen. Und selbst wenn nicht: Wenn man mit einer gewissen Begeisterung an Sachen herangeht, kann man sehr viel machen. Bei mir ist das die Baristarei und die Fotografie. Aber, ich werden demnächst auch einen eigenen Podcast an den Start bringen.

„Am Ende gibt es aber so viele verschiedene Arten mit dem Wissen der Musik was Anderes anzufangen. Und selbst wenn nicht: Wenn man mit einer gewissen Begeisterung an Sachen herangeht, kann man sehr viel machen.“

Simon Höfele

Heißt das, das du jetzt schon perspektivisch im Blick hast, dass es mal ein „Leben danach“ geben wird?

Das sowieso. Ich weiß nicht, ob ich mit 64 noch der große Trompeten-Solist sein werde. Klar gibt es Menschen, die das können. Reinhold Friedrich zum Beispiel.

Allerdings sind wir, biologisch gesehen, auf dem absteigenden Ast. Natürlich hilft uns dann viel unsere Erfahrung weiter. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass ich meine Peak Performance davor habe.  

Als Solist bist du natürlich maximal exponiert. Viele Menschen kommen extra wegen dir zu den Konzerten. Hast du Lampenfieber oder bist aufgeregt?

Im Prinzip geht’s. Ich habe Lampenfieber, allerdings habe ich noch nie darüber nachgedacht Beta-Blocker zu nehmen. Ist auch wirklich nicht empfehlenswert.

Ich hatte das Glück bisher noch nie schlimme Erfahrungen auf Bühnen sammeln zu müssen. Das ist aber wirklich Glück. Ich erinnere mich noch an ein Rezital in der Elbphilharmonie, das super entspannt lief. Ich war fast nicht aufgeregt und freute mich einfach Musik zu machen. Am nächsten Tag spielten wir das gleiche Programm in einer kleinen Konzertlocation an einem anderen Art. Ich war plötzlich so nervös dort. Warum auch immer. Zum Glück lief alles gut und ich konnte spielen. Allerdings konnte ich mir diesen Unterschied nicht erklären.

Würdest du sagen, dass du nervöser bist wenn du Leute im Publikum kennst bzw. die Konzerthallen kleiner sind?

Ich bin nervöser, wenn ich jemand im Publikum kenne. Den zweiten Punkt, finde ich, kann man nicht so pauschal sagen. Aber ich weiß, was du meinst.

Ich hatte so coole Konzerte in großen Hallen, aber auch andere, bei denen ich sehr nervös war. Zum Beispiel in der Philharmonie in Berlin einmal. Oftmals sind einfach Nuancen, die dich nervöser werden zu lassen oder eben nicht. Dann hilft natürlich unsere Professionalität weiter.

Hast du eine bestimmte Technik, um dich an solchen Tagen besonders zu fokussieren?

Nein. Ich schaue, dass ich zumindest etwas gegessen habe davor. Harte Fakten schaffen also: Habe ich genug getrunken? Bin ich unterzuckert? Besonders genügend Wasser trinken ist für mich sehr wichtig.

Wenn ich auf der Bühne dann mal nervös bin, versuche ich mich darauf zu konzentrieren extrem viel Luft einzuatmen und mich besonders hierauf zu fokussieren. Manchmal hilft es auch sich zu vergegenwärtigen, dass andere Musiker*innen ebenfalls mal schlechte Tage hatten und das dies nicht schlimm ist. Diese Relativierung hilft mir.

Was paradoxerweise ebenfalls hilft – obwohl ich mich lange Zeit davor gefürchtet habe – ist in Konzerten zu sprechen. Mir nimmt das viel Nervosität ab. Dabei ist gar nicht so wichtig was ich sage, Hauptsache ich sage etwas.

Wie gelingt es dir abzuschalten?

Um an dieser Stelle nochmal den Bogen zum Üben zu schlagen: Du erwähntest eben, dass es dir schwer fällt mal einen Tag Pause einzulegen. Was machst du um abzuschalten?

Das ist immer die Frage. Ich bin da leider keine gute Ansprechperson und muss schauen, dass ich mental gesund bleibe. Dazu helfen mir auch die Gespräche mit meiner Therapeutin.

Danke, dass du das öffentlich sagst. Ich finde es wichtig, dass man akzeptiert, dass man Zweifel nicht mit sich selbst aushandeln muss.

Ja, das kann ich jedem und jeder nur empfehlen. Natürlich kann es so etwas kostspielig werden, sofern es die Krankenkassen nicht übernehmen. Aber für mich lohnt sich es.

Generell das Thema „Zur Therapie“ gehen zu entdämonisieren, finde ich sehr wichtig und ist inzwischen mehr als an der Zeit. Dazu braucht es noch viel mehr gesellschaftliche Akzeptanz.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst? Bei dir darf weder die Fotographie noch die Baristarei sein.

Das ist unfair (lacht).

Indirekt hat es natürlich wieder mit dem Üben zu tun. Nämlich, dass was wir gerade besprochen haben: nicht verrückt werden.

So schreibe ich mir oft in mein Tagebuch, mich weniger zu stressen und die kleinen Dinge mehr wertzuschätzen. Wie zum Beispiel, wenn ich gut geübt habe. Oder einen schönen Spaziergang gemacht habe.
Wenn man sich dies regelmäßig vor Augen führt, geht man, finde ich, mit einem ganz anderen Gefühl zu Bett.

„Mehr Mut zum Scheitern und sich auch neue Sachen trauen.“

Simon Höfele

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Weniger in Schubladen denken und offener sein. Ich war sicher bis circa 2016/17 ein „Fachidiot“, der wenig anderes gemacht hat. Ausgenommen der Fotographie. Vor allem, dass man etwas ganz anderes machen kann und, dass es nicht nur die klassischen Wege gibt.

Mehr Mut zum Scheitern und sich auch neue Sachen trauen. Ich bin andererseits aber auch nicht traurig, wie mein Studium verlaufen ist. Aber vielleicht hätte ich mir, an der ein oder anderen Stelle, etwas mehr Freche und Mut gewünscht.

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10 Tipps zum Üben https://what-is-practice.de/10-tipps-zum-ueben/ https://what-is-practice.de/10-tipps-zum-ueben/#respond Sun, 05 Dec 2021 21:28:47 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4033 10 Tipps zum Üben Ein Leitfaden zur bestmöglichen Verbesserung im Übe-Zimmer (für alle Instrumente) Read in English. Ein Gastbeitrag von Alex Knutrud. Seit längerer Zeit bitten mich meine Student*innen, meine Lehrphilosophie in kleine Aufzählungspunkte und individuelle Ideen zu zusammenzufassen, die sie dann direkt mit in den Übungsraum nehmen können. Ich bin mir sehr sicher, dass… Weiterlesen »10 Tipps zum Üben

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10 Tipps zum Üben

Ein Leitfaden zur bestmöglichen Verbesserung im Übe-Zimmer (für alle Instrumente)

Ein Gastbeitrag von Alex Knutrud.

Alex Knutrud (Tromboneguide)

Seit längerer Zeit bitten mich meine Student*innen, meine Lehrphilosophie in kleine Aufzählungspunkte und individuelle Ideen zu zusammenzufassen, die sie dann direkt mit in den Übungsraum nehmen können. Ich bin mir sehr sicher, dass Unterrichtsanweisungen einer Lehrer*in motivierend sein können. Allerdings wenn Schüler*innen diese nicht im eigenen Alltag praktisch anwenden, sind sie nicht besonders wertvoll.

Jeder sagt, man sei sein eigener, bester Lehrer. Auch ich glaube das. Aber als seine eigene Lehrer*in besteht die Aufgabe darin, sich ständig zu hinterfragen und zu analysieren, wie man sich selbst am besten unterrichten könnte.

Das ist das Schöne an diesen 10 Punkten. Sie sind die komprimierte Essenz, die ich versuche, jedem meiner Schüler*innen ständig zu vermitteln.

Nicht jeder Punkt kommt bei jedem gleich gut an. Aber das sind die 10 Punkte, die mir am meisten geholfen haben. Ich habe sie im Laufe der Jahre geändert, aber in der Analyse meiner derzeitigen Praxis war dies das Hilfreichste.

(Photo von Toby Oft)

Tipp #1 – Der Unterschied zwischen Motivation, Inspiration & Disziplin

Motivation ist weniger wichtig, als wir denken. Sie vergeht bei jedem von uns von Zeit zu Zeit. Versuche besser inspiriert (bspw. durch andere, durch Musik o.ä.) zu bleiben und strebe nach Verbesserung. Nutze die Macht (Disziplin) der Gewohnheit als eine ernstzunehmende Energiequelle, während du jeden Tag dir kleine Erfolge erarbeitest.

Tipp #2 – Der Wert einer fixen Planungszeit

Wähle eine bestimmte Uhrzeit während der Woche, die nur deiner Planung dienen soll. Meine ist jeden Sonntag Abend – für etwa dreißig Minuten. Genieße einen heißen Tee, und viel Ruhe, während du deine Woche planst. Schreibe die Dinge nieder und sei dabei genau. Stell dir vor, dies sei eine Mischung aus Tagebuch und Checkliste. Wenn du dies jede Woche tust, wird deine Zeit in der Übe-Kabine fokussierter sein.

Tipp #3 – Die 4er-Regel

Jedes Mal, wenn du etwas übst, und sei es nur eine einzelne Note, spiele sie vier Mal.

Das erste Mal, um zu sehen, wo du stehst. Das zweite Mal um zu experimentieren / Dinge zum besseren zu ändern. Die anderen beide Male um das gerade Erlernte zu verfestigen. Diese Vorgehensweise wird dir helfen dich schnell zu verbessern.

Tipp #4 – Das richtige Werkzeug

Werkzeuge sind wichtig, wenn man sie richtig einsetzt. Ein Hammer nützt wenig, wenn man eine Schraube in der Hand hält. Übertragen auf die Übe-Kabine heißt das:

Ein Metronom oder ein Stimmgerät nützen wenig, solange du sie nicht aktiv zum Üben nutzt. Auch andere Hilfsmittel können von Vorteil sein. Aber auch hier gilt: Nutze sie in Maßen und mit Bedacht.

Tipp #5 – Die 67-Tage-Regel

Man sagt, es brauche 67 Tage um eine neue Gewohnheit zu formen. Davor kämpft dein Körper noch mit der Umstellung.

Egal wie bewusst und gewissenhaft du vorgehst, dein Körper braucht Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen. Wissenschaftler gehen von circa 67 Tagen aus.1,2 Sei am Anfang geduldig mit dir selbst und schau mal, welche äußeren Reize (Personen, Dinge etc.) dir bei deiner neuen Gewohnheit helfen können.

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Wie übt eigentlich Johanna Röhrig? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-johanna-roehrig/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-johanna-roehrig/#respond Mon, 19 Apr 2021 20:32:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3504 Johanna Röhrig studierte Violine in London und ist nun in der Solistenklasse an der HfMT Hamburg. Im Gespräch verrät sie, wie das Unterrichten ihr eigenes Üben verändert hat.

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How does Johanna Roehrig practice?
Wie übt eigentlich Johanna Röhrig? (Deutsche Version)

Johanna Röhrig ist 28 Jahre alt und studierte während der letzten Jahre an der Royal Academy of Music in London. Inzwischen ist sie Teil der Solistenklasse der HfMT Hamburg und absolviert nun ihr Konzertexamen in der Klasse von Tanja Becker-Bender. Welche besondere Rolle ihre Dozentin für sie spielt, erfahrt ihr gegen Ende unseres Gesprächs.

Ähnlich wie bei Julia Hagen, bin ich über einen Podcast auf Johanna aufmerksam geworden. Neben ihrem großen musikalischen Können beeindruckt die junge Geigerin vor allem durch ihre hingebungsvolle Strukturiertheit.

Johanna Röhrig
Johanna Röhrig (Foto-Copyright: Raimar von Wienskowsk)

Mehr Informationen zu Johanna Röhrig findet ihr unter: https://www.johannaroehrig.com/

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Johanna Röhrig lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Zu mir selbst finden. Zeit am Instrument, mit mir alleine, verbringen. Die Sachen, die in mir sind, rausholen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Sia – Thousand Forms of Fear.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Es war bei mir nie so, dass mich irgendjemand besonders geprägt hat. Ich weiß noch ganz genau, als ich 18 Jahre alt war, da habe ich zum ersten Mal das Mendelssohn Violin-Konzert mit Orchester gespielt. Das war im Sommer. Alle Leute waren draußen. Die Nachbarskinder haben im Garten gespielt und ich saß in meinem Zimmer, hab geübt und fand das nur begrenzt gut.

Und dann, irgendwann, hat es einfach Klick gemacht und ich wusste, wie ich die Sachen haben wollte. Das hört sich total komisch an. Ich hab die Arbeit an dem Stück angefangen und habe mir immer Aufnahmen angehört – habe versucht Dinge zu kopieren, um da einen Ausdruck hineinzubekommen. Das ist aber eine sehr mühsame Arbeit, wenn man denkt „diese Note etwas länger, diese etwas kürzer, hier ein bisschen lauter“. Etwas zu kopieren ist sehr anstrengend und dann irgendwann hat es irgendwie Klick gemacht und ab da wusste ich einfach, wie ich es haben wollte. Das war schon ein sehr früher Punkt und seitdem ist es eigentlich auch so geblieben. Ich kann nicht sagen, dass mich irgendwas geprägt hat. Es war irgendwie immer da.

„Ich würde schätzen, dass ich immer so 40 bis 50 Minuten übe und dann eine Pause einlege“

(Johanna Röhrig)

In Zeiten, in denen Du viele Konzerte spielst und daher viel unterwegs bist, klappt das Planen der eigenen Übezeit sicher nicht immer so wie gewünscht. Hast Du an solchen Tagen eine „Minimal-Routine“, auf die Du dann zurückgreifst ?

Ich hatte das früher, so circa vor 2-3 Jahren. Da habe ich selbst an Tagen, an denen ich richtig viel unterwegs war, abends im Hotel noch versucht eine Art Minimal Routine hineinzuquetschen. Aber ich bin hier wirklich wesentlich entspannter geworden. Ich weiß mittlerweile was ich kann und ich weiß inzwischen auch gut, wie Geige spielen funktioniert. Einfach weil ich selbst auch viel unterrichtet habe. Das hat mir dabei sehr geholfen.

Also natürlich, ich habe meine Routine. Die besteht aus Technik und anschließend wende ich mich den Stücken zu. Aber wenn ich das mal nicht schaffe, flippe ich mittlerweile auch nicht mehr aus.

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Das passiert so oder so. Oft sind es die Tage nach Konzerten, an denen man dann mal ausschläft. Man hat vielleicht auch gemerkt, dass man sich auf ein Konzert vorbereitet hat und die Muskel melden sich entsprechend. Das ist wie im Hochleistungssport, wenn man sich auf einen Wettkampf vorbereitet. Man ist einfach sehr unter Spannung und beansprucht den eigenen Körper sehr stark. Und ich glaube dieser Wunsch nach einem oder zwei Tagen Entspannung und „weg vom Instrument“ passiert ganz natürlich.

Was hilft Dir, nach einem anstrengenden Tag, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen?

Das war lange Zeit für mich der Sport. Und wirklich dann auch mal nach einem Konzert-Abend ausschlafen, Kaffee und dann ins Fitness-Studio: Laufband, Sauna, Schwimmen, Strechen, Yoga, Krafttraining. Aber das fällt seit einem Jahr weg. Ich glaube, da spreche ich nicht nur für mich, wenn ich sagen, dass mir das sehr schwer fällt. Und draußen im Park eine Runde Laufen, oder zu Hause irgendwelche Work-Outs machen ist kein Ersatz dafür. Das Fintess-Studio war für mich lange Zeit dieser „Safe-Space“.

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?

Also meine beste Übezeit ist immer morgens – so ab 9 / 10 Uhr und dann für drei bis vier Stunden. Da sind natürlich auch Pausen dabei. Ich würde schätzen, dass ich immer so 40 bis 50 Minuten übe und dann eine Pause einlege. Ich gucke dabei allerdings nicht mehr auf die Uhr.

Früher jedoch schon. Da habe ich immer 50 Minuten geübt und dann 10 Minuten Pause gemacht. Aber wie schon gesagt, irgendwann kommt das Leben und möchte, dass man sich um es kümmert. Ich versuche auch sehr viele Alltagssachen in mein Übealltag einzubauen (z.B. Wäsche waschen, Telefonate an Leute, die nur vormittags erreichbar sind etc.). Dass ich dann nachmittags nochmal übe, passiert eigentlich nur, wenn ich mich wirklich auf Konzerte vorbereite und noch mehr Zeit brauche.

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Also in aller Regel ist morgens deine Übezeit und der Rest des Tages ist frei für andere Dinge, wie Büro-Angelegenheiten oder ähnliches?

Ja, genau. Oder auch Proben, Unterrichten, Kurse an der Universität. Gehe raus oder treffe mich mit Freunden.

Wie gehst du mit Fehlern um?

Üben an sich ist ja die Wiederholung von fehlerfreien Durchläufen. Wenn man übt und man hat einen Fehler „drin“, dann geht diese eine Wiederholung der Passage in das „negative Lager“. Das ist nicht das, was man möchte. Man möchte ja die Sachen fehlerfrei wiederholen, um sowohl das Gehirn an den richtigen Bewegungsablauf, als auch sich selbst daran zu gewöhnen.

Das heißt Fehler sind etwas, was man versucht per se nicht vorkommen zu lassen. Wenn dann doch einer da ist, versuche ich herauszufinden warum er entstanden ist. Ich versuche die Passage nicht einfach blind so oft zu wiederholen, bis der Fehler weg ist. Am Ende bin ich dabei so verkrampft, dass mir am nächsten Tag die Sehnen wehtuen. Ich versuche eher analytisch heranzugehen.

Egal wo ich wohne habe ich immer mein festes Übe-Setup aus Spiegel, Notenständer und etwas zum Ablegen. Generell arbeite ich viel mit dem Spiegel und versuche die Checkpunkte meines Konzept’s des Geige-Spielens durchzugehen. Sprich: Ist mein Arm in der richtigen Position? Wie sieht es mit meinem Handgelenk aus? Wie steht es um die Balance innerhalb der Hand? Wo treffen meine Finger auf die Saite? Was ist mit meinen Schultern? Ich versuche diese Punkte durchzugehen und meistens findet sich dort schon der Fehler.

1) Mein Notenständer mit iPad und Metronom. Ich übe gerne ohne Handy, daher ganz old school. 😉
2) Mein Geigenkasten liegt direkt neben meinem Notenständer und hat einen festen Platz, so habe ich immer einen Ort, wo ich meine Geige schnell in Sicherheit bringen kann, das beugt Unfällen vor.
3) Im Spiegel kann ich während des Übens meine Haltung beobachten und ggf. korrigieren.
4) Auf einzelnen A4 Seiten halte ich alle meine einzelnen Projekte fest (von denen manche noch top secret sind 😉 ). So habe ich alle Vorgänge immer im Blick und vergesse die Sachen nicht so schnell.
5) In der Kommode lagern alle Sachen rund um Musik; Noten, Geigenzubehör, Saiten, und all die Produkte, die mit meinen Instagram Kooperationen verbunden sind.

Dann schreibe ich mir die Sachen in meine Noten auf. Meistens in rot  – damit der Fehler in dieser Passage nicht noch einmal passiert. Oftmals passieren Fehler auch, weil unser Gehirn etwas in den Noten etwas sieht, was nicht klar genug aufgezeichnet wurde.

„Wenn dann doch ein Fehler da ist, versuche ich herauszufinden warum er entstanden ist. Ich versuche die Passage nicht einfach blind so oft zu wiederholen, bis der Fehler weg ist.“

(Johanna Röhrig)

Wenn man dich so in den Sozialen Netzwerken verfolgt, hat man den Eindruck, dass Du sehr akribisch arbeitest. Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren? Führst du beispielsweise ein Übetagebuch?

Nein, sowas habe ich tatsächlich nicht. Wahrscheinlich würde es mir allerdings nicht schaden. Ich habe gerade gestern erst auf einem Blatt das ganze Repertoire aufgeschrieben, welches ich jetzt so für die nächsten Monate benötige.

Das Problem ist allerdings gerade die Corona-Krise. Ich hatte so einen ähnlichen Plan bereits vor zwei Monaten gemacht und da sah er noch ganz anders aus. Mittlerweile wurden einfach wieder so viele Auftritte gestrichen.

Ich mache mir schon Pläne, um den Überblick zu behalten was wann fertig sein muss, oder welche Ziele meine Professorin Tanja Becker-Bender mit mir verfolgt. Allerdings habe ich keinen speziellen Plan nur für’s Üben. Ich habe eine ganz klare, technische Struktur, die ich immer durchlaufe. Mal etwas länger, mal etwas kürzer – je nach Länge meiner Übezeit. Wenn ich weiß, ich habe nur zwei Stunden Zeit, dann komprimiere ich die Dinge dementsprechend.

Gerne würde ich in Zukunft diese technische Struktur in einem Online-Kurs umsetzen. Dieses System, welches ich über die Jahre entwickelt habe, besteht aus zehn Blöcken, die alle aufeinander aufbauen. Jeder einzelne Block beschäftigt sich mit allen Aspekten des Geige-Spielens – von Armen, Händen bis Fingern. Dennoch sind sie variabel, abhängig davon wie fortgeschritten der/die Schüler*in ist.

Ich selbst passe diese Blöcke auch gerne an das Repertoire an, welches ich gerade vorbereite. Beispielsweise ist einer der Punkte im Kurs Terzen. Hier kann es dann sein, dass ich lediglich schaue, wie die Terzen in der Hand liegen, oder eine Tonleiter in Terzen über alle Saiten spiele – oder auch nur über eine Saite. Es kann sein, dass ich eine Passage aus einem Stück, welches ich gerade übe, spiele, in dem Terzen vorkommen. Einerseits ist also die Struktur festgesetzt durch die Baukästen, anderseits aber auch komplett variabel in den Inhalten.

„Ich übe Stücke gerne vom Ende her. Einfach, weil man ja sonst die Angewohnheit hat immer nur in den ersten Seiten „rumzuhängen“.“

(Johanna Röhrig)

Hast Du eine bestimmte Routine, mit der Du an ein neues Stück herangehst?

Ich übe Stücke gerne vom Ende her. Einfach weil man ja sonst die Angewohnheit hat immer nur in den ersten Seiten „rumzuhängen“. Ich übe auch gerne Sonaten mal von hinten durch – sogar in Proben.

Würdest Du sagen, dass sich Dein Üben verändert hat, seitdem Du unterrichtest?

Mein Üben gar nicht unbedingt, allerdings mein Verständnis was das Geige-Spielen anbelangt in jedem Fall. Ich weiß noch ganz genau, ich habe in London angefangen selbst zu unterrichten. Online als auch offline – im echten Leben.

Einer meiner Schüler (erwachsener Amateur) aus Brasilien war gerade beruflich in London. Wir haben dann ganz intensiv, jeden Tag während einer Woche, miteinander gearbeitet. Ich habe in der Woche selbst gar nicht viel anderes gemacht. Eigentlich nur mit ihm gearbeitet – wahrscheinlich hatte ich keinen Übestress. Wir haben gemeinsam dieses gesamte Programm (Anm. d. Red.: Sie meint die Bausteine ihres eigenen Kurs-Systems.) durchgearbeitet. Ich habe es ihm erklärt, aufgeschrieben, gezeigt und bei ihm verbessert. Im Präsenz-Unterricht lassen sich Fehler so leicht verbessern, weil man die Schüler*innen anfassen kann und sie so korrigieren kann. Nach dieser Woche hatte ich dann selbst Unterricht und mein Lehrer fragte mich, ob ich die ganze Woche nichts anderes gemacht hätte außer Üben. Ich daraufhin „Nein, ich hab eigentlich gar nicht geübt.“ (Sie muss lachen, als sie das erzählt.).

Aber das ist genau der Punkt. Dadurch, dass ich mit meinem Schüler diese ganzen technischen Sachen gemacht habe, hat sich mein ganzes Verständnis verändert. Das ist jetzt zwei oder drei Jahre her und seitdem hat sich das natürlich auch nochmal verändert und verbessert.

Dieser technische Teil morgens ist wirklich nur dafür da, meine innere Vorstellung mit der Realität abzugleichen. Zu schauen, wo denke ich, dass mein Arm sein sollte und wo er heute wirklich ist. Und dann gleiche ich das an und gehe weiter zum Handgelenk, zur Balance in meinen Händen und so weiter.

„Dieser technische Teil morgens ist wirklich nur dafür da, meine innere Vorstellung mit der Realität abzugleichen. Zu schauen, wo denke ich, dass mein Arm sein sollte und wo er heute wirklich ist.“

(Johanna Röhrig)

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (auch gerne nicht-musikalisch)

Ich versuche gerade die Balance zu finden zwischen Disziplin und freier Zeit.

Wie klappt das so?

Mhh, Lernkurve: durchwachsen (Sie lacht herzlich.)

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Immer versuchen beim Spielen, den Weg mit dem geringstmöglichen Widerstand zu gehen. Ich habe mich echt in Verletzungen hineingeübt und war dann auch mal ein halbes Jahr lang komplett „außer Kraft“ gesetzt, weil ich versucht habe die Qualität des Übens mit der Quantität zu ersetzten. Das fliegt einem früher oder später um die Ohren. Wenn man nicht mit dem Kopf an das Üben herangeht, geht das zu Lasten des eigenen Körpers.

Also nicht gegen den eigenen Körper arbeiten – das wäre dein Tipp?

So viel Anstrengung wie nötig, so wenig Anstrengung wie möglich.

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Wie übt eigentlich Julia Hagen? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-julia-hagen/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-julia-hagen/#respond Sun, 24 Jan 2021 17:42:53 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3035 Julia Hagen zählt sicher zu den vielversprechendsten Instrumentalist*innen ihrer Generation. Sie wurde bereits mit zahlreichen Preisen überhäuft und teilte mit namhaften Musiker*innen die Bühne.

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Julia Hagen zählt sicher zu den vielversprechendsten Instrumentalist*innen ihrer Generation. Sie wurde nicht nur bereits mit zahlreichen Preisen überhäuft (z.B. den internationalen Cellowettbewerb in Liezen oder den Mazzacurati Cellowettbewerb), sondern teilte darüberhinaus ebenfalls schon die Bühne mit namhaften Künstler*innen wie Renaud Capuçon, Kathia Buniatiishvili oder Igor Levit.

Im Jahr 2019 erschien ihre erste CD mit Cellosonaten und Liedbearbeitungen von Johannes Brahms.

Mir persönlich fiel Julia Hagen das erste Mal in einem Interview zur Situation von Musiker*innen während der Corona-Pandemie auf. Gleich zwei Mal war sie bei Martin Zierolds Podcast „Wie geht’s? – Kultur in Zeiten von Corona“ zu Gast. Ebenfalls eine echte Hörempfehlung.

Selbstverständlich hat Julia Hagen auch eine eigene Webseite, auf der Ihr weitere Informationen findet:

www.juliahagen.com

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Üben heißt für mich: ich beschäftige mich mit Musik und/oder meinem Cello und versuche mich immer weiter zu verbessern. Technisch, musikalisch, mental. 

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Keith Jarrett.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Die Aufnahmen von meinem alten Lehrer Heinrich Schiff! Die habe ich als Kind schon rauf und runter gehört und haben mich und mein Spiel sicher sehr geprägt. 

„Ich bin ein großer Fan von vielen Pausen, um dann wieder voll konzentriert weiter üben zu können.“

(Julia Hagen)

In Zeiten, in denen Du viele Konzerte spielst und daher viel unterwegs bist, klappt das Planen der eigenen Übezeit sicher nicht immer so wie gewünscht. Hast Du an solchen Tagen eine „Minimal-Routine“, auf die Du dann zurückgreifst ?

An Konzert- oder Reisetagen spiele ich die Werke gerne einmal langsam durch. Das verschafft mir Sicherheit. 

Wie gehst du mit Fehlern um ?

Ich ärgere mich noch zu sehr über Fehler – daran versuche ich zu arbeiten. Vermeiden kann ich sie sowieso nicht, daher sollte ich sie einfach akzeptieren und mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen. 

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?

Viele kleine übe-Einheiten. Ich bin ein großer Fan von vielen Pausen, um dann wieder voll konzentriert weiter üben zu können. 

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Übst Du Gehörbildung, Harmonielehre oder Rhythmik noch gesondert in Deiner Überoutine ? Oder falls nicht, wie schaffst Du es, bewusst diese Bereiche in Dein Üben einzubauen ?

Nein, das mache ich nicht mehr. Ich beschäftige mich jeden Tag mit Musik, da kann ich diese Sachen in den zu spielenden Werken üben.

Was hilft Dir, nach einem anstrengenden Tag, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen? 

Menschen, Natur, schlafen.

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ? 

Als Kind hatte ich ein Übetagebuch, was mir damals auch wirklich sehr geholfen hat, Konsequenz in mein Üben zu bekommen. Mein Lehrer war wirklich fantastisch und hat mein Übetagebuch so gut geführt, dass viel Abwechslung entstand und es nie stumpf und langweilig wurde. 
Je älter ich wurde, desto weniger Struktur gab es und desto weniger Struktur brauchte ich. 

„Ich liebe es cellofreie Tage einzulegen. Das ist für mich sehr wichtig und gesund.“

(Julia Hagen)

Wie hat sich das Üben im Laufe Deiner Musiker-Karriere verändert ?

Ich muss viel flexibler sein. An langen Reisetagen vor Konzerten kann ich eventuell gar nicht üben. Das musste ich lernen mir zu vertrauen, dass ich die Stücke alle gut kann und sie nicht bis kurz vor Konzert zig mal durchspielen muss.

Hast Du eine bestimmte Routine, mit der Du an ein neues Stück herangehst ?

Nein, auch hier findet man bei mir keine Routine. Manchmal höre ich mir die Stücke zuerst an, manchmal gehe ich sie Zeile für Zeile durch, manchmal strukturiere ich sie erst rhythmisch,.. viele Möglichkeiten! 

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Die letzte Idee, die ich ausprobiert habe, war alles im doppelten Tempo zu spielen. Man merkt dabei erstaunlich gut,  was in einer Phrase wichtig ist und welchen Noten man zu viel Aufmerksamkeit geschenkt hat. 

„Ich hätte mir gesagt, dass zu sich selbst streng sein zwar gut und wichtig ist, aber dass ich auch unbedingt mit mir zufrieden sein soll und mich auch selbst loben darf.“

(Julia Hagen)

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Nein, habe ich nicht. Das würde mit meinem Kalender auch nicht funktionieren, da jede Woche anders aussehen kann und ich mir keinen fixen freien Tag leisten kann. 
Ich liebe es aber Cellofreie Tage einzulegen. Das ist für mich sehr wichtig und gesund. 

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ?

Mal so, mal so.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ?

Noch bessere Kontrolle über meinen Körper zu haben. Mein Kopf wackelt immer ganz fleißig mit, das sollte ich zumindest bewusst abstellen können. 

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Ich hätte mir gesagt, dass zu sich selbst streng sein zwar gut und wichtig ist, aber dass ich auch unbedingt mit mir zufrieden sein soll und mich auch selbst loben darf.


Foto-Copyright „Pressefoto Julia Hagen“ by Julia Wesely

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Wie übt eigentlich Martin Hutter? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-martin-hutter/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-martin-hutter/#comments Wed, 09 Dec 2020 14:07:35 +0000 http://what-is-practice.de/?p=2973 Der Trompeter Martin Hutter gilt als Weltenbummler zwischen traditioneller Blasmusik und moderner Musik (MOOP MAMA).

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Martin Hutters Tätigkeit als Musiker und Trompeter könnte man recht zweifelsfrei auch in einem Wort beschreiben: Weltenbummler. Seit nunmehr zehn Jahren ist er Gründungsmitglied und Trompeter der Brass-Band „MOOP MAMA“. Gleichzeitig kann man ihn aber ebenso leidenschaftlich bei „Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original“ hören. Auch in der SWR Big Band trifft man ihn hin und wieder an. Kurzum ein viel beschäftigter Musiker, der in der übrigen (knappen) freien Zeit, auch gerne noch Workshops gibt und sein Wissen um die Trompete an andere Musiker vermittelt. Wie übt er eigentlich für all diese Projekte?

Martin Hutter
Martin Hutter

Darüber hinaus ist Martin seit zwei Jahren im familieneigenen Label HUTTER MUSIC aktiv.

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich…. 

Seine Routine täglich zu wiederholen und sich als Instrumentalist täglich optimieren zu wollen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ? 

Momentan alles was mit der Band „BrassTracks“ zu tun hat.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ? 

Das ist für mich sehr schwer zu beantworten, da ich von klein auf unzählige, verschiedene Musikrichtungen gehört habe. Ich kann gerne einige Trompeter, die es mir sehr angetan haben, erwähnen: Bobby Show, Chuck Findley, Derek Watkins, Wayne Bergeron, Miles Davis, Freddie Hubbard … 

Die Alben von Bobby Shew & Chuck Findley mit dem Metropole Orkestra hab ich vermutlich an die 1.000x gehört. Die haben mich sicher geprägt, da ich ein ganz großer Fan von ihrem Trompetenspiel bin.

Du bist aktuell mit Eurem Verlag „Hutter Music“ sehr aktiv und ansonsten das Jahr über viel mit Moop Mama auf Tour. Da klappt das Planen der Übezeit, so wie man es sich gerne wünscht, sicher nicht immer. Hast Du an solchen Tagen eine „Minimal-Routine“, auf die Du dann zurückgreifst ? 

Das ist in der Tat hin und wieder sehr spannend die Zeit fürs Instrument effektiv zu nutzen. Aber ich habe mir ein Übeprogramm entwickelt, das mir hilft schnell zwischen all meinen Welten als Musiker & Trompeter zu wechseln. Bei mir geht es hier viel um mentale Vorbereitung, deswegen gilt für mich die Zeit am Rechner, oder auf Tour sinnvoll zu nutzen, in dem ich ständig Musik höre. Ich weiss genau, welche Musik mich fürs Instrument sensibilisiert und gerade in solchen Stresssituationen hilft mir diese Musik für die Übeeinheit vorbereitet zu sein.

„Ich musste auch lernen Fehler zuzulassen und umso besser das jemandem fällt, desto einfacher wird es zu wachsen.“

(Martin Hutter)

Wie gehst du mit Fehlern um ? 

Fehler gibt es? Spaß beiseite. Eine meiner Regeln lautet tatsächlich „lass Fehler zu“.
Auch ich bin oft genug nervös vor heiklen Passagen, aber im Umkehrschluss weiss ich immer, was ich in den letzten 15 Jahren als Profi gemacht habe: Spiel ich für mich ein super Konzert, fahre ich nach Hause und möchte das noch besser hinbekommen. Spiele ich ein für mich schlechtes Konzert mit „Fehlern“, passiert dasselbe. Ich musste auch lernen Fehler zuzulassen und umso besser das jemandem fällt, desto einfacher wird es zu wachsen.

Die andere Frage ist: Was sind Fehler? Sind Fehler falsche Töne oder die Herangehensweise wie ich Musik mache? Als Zuhörer ist für mich eher das Zweite ein großer Kritikpunkt, aber auch an mich selbst. Fehler sind dazu da um zu wachsen und das verstehe ich eher positiv 🙂 Deswegen gibt es tonal keine Fehler. Man muss immer zwischen den Zeilen lesen und sich auf die Musik konzentrieren.

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?

Regeneration ist ebenso wichtig wie die Zeit am Instrument. Wenn nicht sogar einen Tick wichtiger. Es gibt ganz verschiedenen Möglichkeiten, aber ich präferiere ganz klar kleine Übe-Einheiten von 30 Minuten, die aber ebenso kleine Pausen beinhalten. Gerade wenn nicht viel Zeit ist sich vorzubereiten, sollte man sich niemals zwingen und „over the top“ gehen. 

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Übst Du Gehörbildung, Harmonielehre oder Rhythmik noch gesondert in Deiner Überoutine ? Oder falls nicht, wie schaffst Du es, bewusst diese Bereiche in Dein Üben einzubauen ?

Ich trainiere eigentlich nur meine Physis, aber klar mit Metronom und Groove. Meine Gehörbildung übe ich in dem ich ständig Musik höre. Hin und wieder schmeiss ich mich ins kalte Wasser und versuche Jazz Standards über die Anlage laufen zu lassen und beginne ohne Noten das zu erörtern. Aber Gehörbildung habe ich das letzte Mal in der Hochschule gemacht.

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Über die Jahre habe ich mein „Workout“ und Übungen für bestimmte Bereich zusammengestellt, aber suche auch täglich nach neuen Hilfsmitteln. Ein Tagebuch in diesem Sinn habe ich nie geführt, aber über die Jahre wurde meine Struktur immer klarer, welche ich jetzt auch als Heft Band 1 veröffentlichten werde. Aber das dauert noch bis Januar. Aber es geht bei mir zu 80 Prozent um mentales Training.

Wie hat sich das Üben im Laufe Deiner Musiker-Karriere verändert ? 

Eigentlich recht radikal. In jungem Alter habe ich nie geübt. Da bin ich nur zum Üben in den Keller, damit meine Eltern nicht sauer wurden. Hier habe ich nie mit Fokus auf bestimmten Regeln geübt, sondern einfach nur gedaddelt. Irgendwann habe ich das aber umgestellt und festgestellt, wie schnell man (wenn man diszipliniert ist) mit bestimmten Regeln ans Ziel kommen kann. Seither macht mir das großen Spass. Also eigentlich wirklich radikal geändert. Aber auch die Einteilungen ändern sich immer wieder. Ich probiere gerne neue Sachen aus und wir müssen uns immer wieder anpassen, da wir uns auch ändern.

Seit kurzen kann man sich von Dir regelmäßig Übetipps über Deinen Patreon-Kanal holen. Hast Du den Eindruck, dass sich durch diese Beschäftigung (oder durch Unterrichten allgemein) Dein Üben verändert hat ? 

Mir hat schon immer alles, was mit meinem Instrument zu tun hat, Spaß gemacht. Somit auch das Unterrichten. Ich liebe es anderen dabei zu helfen sich schnell zu optimieren. Für mich sind diese Momente sehr wichtig, da sie meine Methode entweder bestätigen oder mir selbst dabei helfen den Fokus zu erlangen. Aber das kommt ganz darauf an, wie man persönlich dazu steht. Wie gesagt, macht mir eigentlich alles großen Spaß.

Hast Du eine bestimmt Routine, mit der Du an ein neues Stück, das Du gerne lernen möchtest, herangehst ? 

Auf jeden Fall. Wenn ich mir das Stück anschaue, weiß ich welche Übungen ich zu üben habe, damit es mir leichter fällt. Angenommen man entscheidet sich für den „Hummelflug“ gibt es für mich nur „CLARKE“. Entscheide ich mich für Gordon Goodwins Big Band Charts, weiss ich auch was ich zu tun habe: „Caruso“, „Stamp“ und vieles mehr 🙂

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Ich lege mir sehr sehr gerne eigene Übungen auf. Die letzte Übung war eine echt coole Flexibilitätsübung, in der ich alles reingepackt hab, was ich trainieren muss. Höhe, Anstoss, Technik, Triolenzunge, … Insgesamt geht diese Übung durch alle Tonarten dann circa 10 Minuten. Aber man hat eigentlich alles geübt – aber sie fällt mir noch sehr schwer.

„Jedem muss klar sein, dass alles seine Zeit braucht. Das heisst man sollte immer entspannt, aber diszipliniert an sich weiter trainieren und genau das machen, was man liebt.“

(Martin Hutter)

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ? 

Diese Frage ist sehr gut. Ich hab das jahrelang immer wieder vergessen. Aber wie oben schon erwähnt, braucht man Regeneration. Ich teile mir das eigentlich so ein, wie es sich anfühlt. Aber um es an einem Beispiel zu zeigen:

Wenn dieser Optimalfall eintreten sollte schaut meine Vorbereitung für ein Konzert am Freitag so aus, dass ich Montag ganz entspannt eine Stunde übe und das jeden Tag um 15 – 30 Minuten verlängere. Am Donnerstag ist dann tagsüber eine Pause, dennoch versuche ich abends für 5 Minuten kurz ranzugehen. Entweder um das schlechte Gewissen zu besänftigen, zu sehen, dass ich tatsächlich Pause brauche, oder meine Vorfreude auf den folgenden Tag zu steigern. 

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ? 

Ganz egal. Morgens fällt es manchmal leichter… manchmal auch nicht. Für mich ganz klar Kopfsache.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? 

Momentan versuche ich meine Triolenzunge zu optimieren. Die rennt mir schon zu lange weg 🙂

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ? 

Von klein auf habe ich durch mein Vater und seine Kollegen das Privileg gehabt schon früh gute Tipps zu bekommen. Vor allem die menschlichen Tipps haben mir immer am meisten geholfen. Jedem muss klar sein, dass alles seine Zeit braucht. Das heisst man sollte immer entspannt, aber diszipliniert an sich weiter trainieren und genau das machen, was man liebt. Sei musikalisch so vielfältig, wie du sein kannst. Jede Musikrichtung (sei es Klassik, Jazz, Blasmusik, Pop), zu komponieren oder zu unterrichten hilft dir auf deinem Weg ein besserer Musiker zu werden. Es gibt keinen schlechten Input, es kommt nur darauf an, was du damit machst. 

„Es gibt keinen schlechten Input, es kommt nur darauf an, was du damit machst.“

(Martin Hutter)

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Wie übt eigentlich Anton Richter? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-anton-richter/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-anton-richter/#respond Wed, 09 Sep 2020 20:28:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=2738 Der gebürtige Berliner Anton Richter studierte Horn an der Universität der Künste in Berlin bei Prof. Christian-Friedrich Dallmann und ist seit 2017 Solohornist am Staatstheater in Saarbrücken. Hier kreuzten sich auch unsere Wege. Als Instrumentalist träumt man ja davon, dass irgendwann das Instrument eine Verlängerung der eigenen Sprache wird. Beim der Improvisation spricht man förmlich… Weiterlesen »Wie übt eigentlich Anton Richter?

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Der gebürtige Berliner Anton Richter studierte Horn an der Universität der Künste in Berlin bei Prof. Christian-Friedrich Dallmann und ist seit 2017 Solohornist am Staatstheater in Saarbrücken. Hier kreuzten sich auch unsere Wege.

Als Instrumentalist träumt man ja davon, dass irgendwann das Instrument eine Verlängerung der eigenen Sprache wird. Beim der Improvisation spricht man förmlich durch das Instrument und erzählt seine Geschichte. Jedoch besonders als Blechbläser steht man oft vor dem Phänomen, dass technische Dinge die am Vortag noch funktionierten, Tage später plötzlich nicht mehr da sind. Die Methode von Malte Burba, die auch Anton aus einer blechbläserischen Krise geholfen hat und dir er inzwischen auch selbst als Lehrer weitergibt, ist ein solcher Weg ein technisch sehr fundiertes Wissen über sein Blechblasinstrument zur erlangen.

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

… meine technischen und musikalischen Fähigkeiten gezielt zu verbessern.

 Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Es waren einige dabei. Von den Beatles über Helge Schneider zu vielen klassischen Interpreten.

Gibt es ein Buch, welches Deine Übestrategien / Herangehensweise ans Üben nachhaltig beeinflusst oder vielleicht sogar verändert hat ?

BrassMasterClass“* und “Werde dein Lehrer“*. Beide sind sehr strukturiert und verständlich geschrieben. Keine schwammigen Begriffe und Formulierungen.

Nicht immer klappt das Planen der Übezeit, so wie man es sich vorstellt. Man muss viel reisen, möchte gerne Zeit für die Familie freihalten oder hat aus anderen Gründen keine Zeit sein volles Übeprogramm zu absolvieren. Hast Du an solchen Tagen eine „Minimal-Routine“, auf die Du dann zurückgreifst ?

Definitiv! Und dieses Minimalprogramm ist auch sehr flexibel, je nachdem, wie viel Zeit mir bleibt und welche äußeren Faktoren hinzukommen.

Manchmal gibt es aber auch Tage, an denen einfach nichts ansteht und man Zeit und Lust zum Üben hat. Kannst Du beschreiben, wie ein solcher Tag dann bei dir aussieht?

Schwierig zu sagen, weil es sehr unterschiedlich ist. 

„Üben heißt für mich meine technischen und musikalischen Fähigkeiten gezielt zu verbessern.“

(Anton Richter)

 Wie gehst du mit Fehlern um ?

Ich stelle mir manchmal die Frage, was überhaupt ein Fehler ist? Beim Improvisieren beispielsweise ist es schwer zu sagen. Aber wenn es darum geht etwas exakt reproduzierbar zu machen: Wenn es nicht geklappt hat, dann nochmal versuchen, wenn es dann nicht gut funtioniert die Strategie ändern oder später wieder probieren.

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?

Eher viele kleine, damit die Konzentration erhalten bleibt. Aber manchmal auch eine längere, wenn es gut läuft und ich mich nicht nach einer Pause fühle.

Übst Du Gehörbildung, Harmonielehre oder Rhythmik noch gesondert in Deiner Überoutine ? Oder falls nicht, wie schaffst Du es, bewusst diese Bereiche in Dein Üben einzubauen ?

Oft einfach beim Hören von Musik diese analysieren. 

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An manchen Tagen will einfach mal nichts so gelingen, wie man es gerne möchte. Womit schaffst Du es auf andere Gedanken zu kommen ? 

Ich mache mir bewusst, dass ein Tal in der Leistungs-/Lernkurve dazugehört und bei regelmäßigem und sinnvollem Üben die Kurve langfristig nur steigen wird.

Wie hat sich das Üben im Laufe Deiner Musiker-Karriere verändert ?

Es ist konzentrierter und sinnvoller.

Hast Du eine bestimmt Routine, mit der Du an ein neues Stück, das Du gerne lernen möchtest, herangehst ?

Nein. Es hängt ganz von den Anforderungen des Stückes ab.

„Wer faul ist (und trotzdem vorankommen will) übt jeden Tag.“

(Anton Richter)

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Ich habe eine Konstruktion gebastelt, die Rücken, Arme und Nacken entlastet. (Die Haltung beim Hornspielen ist sehr einseitig und kann langfristig körperliche Schmerzen verursachen.) 

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Nein. Wer faul ist (und trotzdem vorankommen will) übt jeden Tag.

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ?

Ich versuche ersteres (früh üben). Manchmal klappt es, manchmal nicht.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ?

 „Können“ oder „nicht können“ ist ja eine Ansichtssache. Aber in jedem für Blechbläser relevanten Arbeitsfeld sehe ich noch Potential.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst

Ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand früher erklärt, wie ein Blechblasinstrument funktioniert.


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