Musikergesundheit | https://what-is-practice.de/tag/musikergesundheit/ BLOG Fri, 07 Jun 2024 09:55:33 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png Musikergesundheit | https://what-is-practice.de/tag/musikergesundheit/ 32 32 Mentale Gesundheit in der Musik https://what-is-practice.de/mentale-gesundheit-in-der-musik/ https://what-is-practice.de/mentale-gesundheit-in-der-musik/#respond Mon, 03 Jun 2024 08:53:44 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6524 Dr. Daniel Scholz ist Professor für Musizierendengesundheit an der Hochschule in Lübeck. Als Neurowissenschaftler, Diplom-Psychologe, Verhaltenstherapeut studierte er zudem auch Jazz Komposition und arbeitet weiter als Musiker. Die Besonderheit seiner Stelle: ganz explizit fokussiert er sich auch auf die mentale Gesundheit von Musikerinnen und Musikern. Ich habe mit ihm über konkrete Techniken zur Prävention von… Weiterlesen »Mentale Gesundheit in der Musik

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Dr. Daniel Scholz ist Professor für Musizierendengesundheit an der Hochschule in Lübeck. Als Neurowissenschaftler, Diplom-Psychologe, Verhaltenstherapeut studierte er zudem auch Jazz Komposition und arbeitet weiter als Musiker. Die Besonderheit seiner Stelle: ganz explizit fokussiert er sich auch auf die mentale Gesundheit von Musikerinnen und Musikern.

Ich habe mit ihm über konkrete Techniken zur Prävention von mentalen Problemen in unserem Beruf gesprochen. Natürlich durften Methoden zum Umgang mit Auftrittsangst und Lampenfieber ebenso wenig fehlen wie Tools zur Selbstorganisation.

Dr. Daniel Scholz - Professor für Musizierendengesundheit
Prof. Dr. Daniel Sebastian Scholz (Foto: © Laura Hinz)

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Das Interview

Inhalt

Dass ich mit einem Interviewpartner mich zweimal treffe, ist tatsächlich jetzt in knapp 30 Folgen eine Premiere für mich. Entsprechend bin ich ein bisschen nervös.

Als ich im Vorfeld drüber nachgedacht habe, kam mir der Vergleich in den Sinn, dass unsere Situation jetzt ja so ähnlich ist, wie eine Auftrittssituation beziehungsweise eine „Minitour“ mit zwei Terminen. Wir haben uns für den ersten Termin vorbereitet. Es kam, zumindest für mich, zu einem guten Ergebnis und ich war sehr zufrieden. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den Termin heute. Was wäre denn ein Tipp, den Sie mir mitgeben könnten, damit ich aus unserem Gespräch auf jeden Fall zufrieden rausgehe und nicht enttäuscht wäre, dass die erste Version aus technischen Gründen doch nicht funktioniert hat?

Da gibt es zwei Aspekte: Zum einen müssen Sie drüber nachdenken: Wie häufig müssen Sie ein Programm spielen, damit das wirklich gut wird? Sind zwei Termine ausreichend?  Die Antwort wäre wahrscheinlich nein. Sie müssten das auf jeden Fall, ich würde sagen, fünf bis zehn Mal spielen, bis so ein Programm wirklich gut wird.

Das ist auch etwas, woran zum Beispiel die Musikhochschulen total kranken. Wir haben ein Programm, erarbeitet und spielen das vielleicht ein- bis zweimal live. Es kann dann noch gar nicht gut sein, weil die Fallen und die Situationen, wenn es tatsächlich live ist, verändern sich. Sie fliegen im Zweifelsfall an anderen Stellen raus, als in der Vorführung davor und in ganz anderen Stellen, als zum Beispiel im Proberaum.

Und dann würde ich einen Baustein aus der Acceptance and Commitment Therapy empfehlen. Also man muss das akzeptieren, was man nicht ändern kann und deshalb einfach hinnehmen und sich dessen bewusstwerden. Jede Aufnahme und jeder Auftritt ist immer nur eine Momentaufnahme. Das ist das, was in diesem Moment möglich war.

Wenn man so möchte, haben wir da jetzt schon so eine kleine Lektion in „Resilienz“ erfahren. Sie hatten beim letzten Mal das schöne Zitat von Eckert Altenmüller erwähnt: „Im intergalaktischen Zusammenhang ist unser Fauxpas eigentlich bedeutungslos“. Von daher würde ich sagen, starten wir direkt rein und fangen noch mal mit unseren „Entweder-oder-Fragen“ an.       

Entweder-Oder-Fragen

Jimmy Hendrix oder Francisco Tarrega?

Schwierig. Francisco Tarrega war die erste Prägung an der klassischen Gitarre. Später hat auf auf jeden Fall Jimmy Hendrix übernommen. Ich habe hier sogar im Büro eine Jimmy Hendrix-esk bemalte Gitarre stehen, auf die besagte Eckart Altenmüller auch immer in Auge geworfen hat.

Ab 15, 16 Jahren hat Jimi Hendrix von Francisco Tarrega übernommen. Aber ich muss natürlich sagen, Tarrega ist im Zweifelsfall der Urvater.

Selten und viel oder immer und wenig?

Immer und wenig.

Wie wichtig würden Sie sagen, sind freie Tage für Musiker:innen in der Woche? Es ja typisch, vor allem in der Freiberuflichkeit irgendwann, dass man sich diesen berühmten freien Samstag/freien Sonntag nur ganz selten gönnt oder auch nur gönnen kann, weil Konzerte anstehen.

Extrem wichtig. Ich versuche das auch, allen Studierenden einzubläuen, dass sie ihr Zeitmanagement so hinkriegen müssen, dass es einen freien Tag gibt. Das muss ja nicht Samstag oder Sonntag sein. Es kann auch unter der Woche sein, so wie der Friseur z.B. den frei macht. Es muss auf jeden Fall ein Ausgleich und ein gewisser Abstand zum Instrument geschaffen werden. Das ist ein extrem wichtiger Baustein für Konsolidierung, also Verfestigung von Gedächtnisspuren.

Social Media oder Social Media Detox?

Lieber Social Media Detox.

Sie sind ja selber auch gar nicht aktiv auf Social Media. Wie beobachten Sie den Einfluss von Social Media insgesamt auf Studierende? Als Musikschaffender ist man in dieser besonderen Situation, dass eigentlich die Mitstudierenden, die Mitmusiker, immer auch Konkurrentinnen und Konkurrenten sind. Insofern kommt man fast gar nicht mehr ohne ein aktives Social-Media-Profil, ein aktives Verkaufen aus. Trotzdem geht damit immer auch ein andauerndes Vergleichen und Bewerten einher. Was raten Sie da Studierenden, wie man damit einen gelassenen Umgang findet – gleichzeitig aber auch in dem Wissen, man muss es ja heute irgendwie auch anbieten?

Ja, ich denke auch, dass man es heute leider anbieten muss. Außer man arbeitet in so einer ganz klaren Nischenbranche, wo es noch auf Zuruf und auf direkten Kontakt mit Leuten geht. Aber auch viele Freunde von mir beziehen hauptsächlich ihre Auftritte über Social-Media-Anfragen. Also ich fürchte, man muss es machen. Und dann ist der wichtige Baustein oder der wichtige Weg, dass man sich darüber klar wird, dass das ist ein Teil des Jobs ist und nicht ein Teil des Selbst. Und das ist leider genauso. Es ist so: Als Musiker müssen Sie einen Bauchladen haben, in dem Sie unterschiedliche Fähigkeiten anbieten und da gehört eben das Selbstmanagement und die Vermarktung auch dazu. Also ich würde allen wünschen, dass sie eher ein Management oder eine Booking-Agentur oder irgendjemand haben, der sie nach außen verkauft, aber das ist den wenigsten vergönnt.

Das stimmt. Tübingen oder Lübeck?

Heutzutage lieber Lübeck.

Wir kommen schon zur letzten „Entweder oder-Frage“: Musiker, Komponist oder Professor für Musizierenden Gesundheit?

Auch heutzutage eher Professor für Musizierenden-Gesundheit, wobei ich auch immer versuche, die Musik-und die Kompositionsaktivitäten aufrechtzuerhalten. Das wechselt immer ein bisschen in der Intensität. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich ein gutes Basiseinkommen habe und ich jetzt nur noch Musik mache, auf die ich Lust habe. Das heißt, ich kann eigentlich freier und entspannter Musik machen.

Absolut. Was sich wahrscheinlich auch sehr gut auf die mentale Gesundheit am Ende auszahlt. Sie sind seit dem Wintersemester 2022/2023 Professor für Musizierendengesundheit in Lübeck. Da gibt es erstmals deutschlandweit den Schwerpunkt, dass besonders auf die mentale Gesundheit geschaut wird. Jetzt sind seit 2022/2023 knapp vier Semester vergangen. Würden Sie sagen, dass Sie einen offeneren Umgang mit mentalen Problemen, mentaler Gesundheit allgemein im Kosmos der Hochschule Lübeck feststellen? Oder ist es dafür noch zu früh, für so eine Art Wandel?

Einen absoluten Wandel, denke ich, kann man noch nicht sehen. Dafür ist es noch zu früh. Aber insgesamt würde ich schon sagen, dass es vor allem seit Corona gesamtgesellschaftlich eine größere Offenheit gegenüber Themen der mentalen Gesundheit oder eben auch mentaler Belastung gibt. Und dann muss ich sagen, insgesamt sind die Studierenden an der Musikhochschule in Lübeck sehr offen und sehr interessiert, was mentale Gesundheitsangebote angeht.

Man kennt es aus dem Pop-Bereich eigentlich schon ein bisschen länger, dass sich immer wieder berühmte Musikerinnen und Musikern zu mentalen Problemen öffentlich bekennen dieses Enttabuisieren, was Sie auch gerade angesprochen haben, fördern. Ich habe jüngst in der Vorbereitung, ein Arte -Tracks-Format mit Franziska Lauter vom MIM-Verband entdeckt. Und natürlich ist diese Vorbildfunktion von solchen privilegierten Musikerinnen und Musikern auf gar keinen Fall hoch genug zu bewerten. Allerdings, es klang vorher schon ganz an, dass die Situation natürlich nicht eins zu eins vergleichbar ist mit einem Freelance-Musiker im klassischen oder im Jazz-Bereich. Würden Sie sagen, dass es trotzdem auch in der Klassik oder im Jazz-Bereich vermehrt Trends gibt, sich zu öffnen? Oder ist das immer noch, vor allem in Orchestern, eher weiter ein Tabuthema?

Also es ist schon noch ein Tabuthema, aber nicht mehr so, wie in den 70er Jahren. Ich denke, da hat auch die Gesamtgesellschaft einen Einfluss drauf. Wir dürfen hier auch ein Seminar anbieten zum guten Umgang mit Lampenfieber. Das war auch explizit gewünscht, als ich hier angefangen habe.

Jetzt würde ich aber auch sagen, genauso wie Sie es ja gerade schon umrissen haben, diese Situation, das heißt in der Fachwelt, celebrity musicians, die bekannt sind und eine ganz andere Infrastruktur haben, die ist nicht übertragbar auf den Großteil der Freelance Musicians. Sie führen ein ganz anderes Leben, nämlich das mit dem Bauchladen: Ich unterrichte ein bisschen, dann habe ich noch meine Auftritte, vielleicht komponiere ich noch oder vielleicht mache ich noch Marketing oder Social Media für irgendjemand. Oder ich mache, was ich ganz häufig sehe bei Musikkollegen, noch Fotografie. Oder ich mache einen Podcast.

Das heißt, Sie müssen relativ breit aufgestellt sein. Und da kommen dann natürlich andere Schwierigkeiten. Wenn ich die finanzielle Grundversorgung nicht habe, kann ich mich auch gern zu meinem mentalen Gesundheitsproblem bekennen. Aber wie soll ich das stemmen, wenn ich, sage ich mal ganz harsch, nichts zu essen habe oder die Miete nicht bezahlen kann? Also dann bin ich zurückgeworfen auf die Künstlersozialkasse und muss irgendwie gucken, dass ich da wieder rauskomme. Oder ich muss vielleicht schauen, dass ich einen anderen Job finde, der meine Miete bezahlen kann.

Warnsignale und Prävention zur mentalen Gesundheit von Musiker:innen

Lassen Sie uns gerne mal einen Schritt zurückgehen und vielleicht, bevor wir uns über das Äußern von mentalen Problemen unterhalten, noch auf typische Warnsignale und Präventionsmerkmale eingehen. Können Sie ein paar typische Warnsignale skizzieren, die sich in Bezug auf mentale Gesundheit, immer wiederholen und die man als Musikerin und Musiker im Auge haben sollte?

Das sind die typischen gesellschaftlichen Warnsignale im Psychologie-, Psychotherapie-Bereich:

Wenn Sie jetzt dauerhaft Schlafstörungen haben, wenn Sie merken, dass das Beruhigungsbier am Abend nicht bei einem, sondern eher bei fünf Bieren bleibt. Oder der Joint. Wenn Sie merken, dass Sie Ihren Schlaf-und Wachrhythmus nicht mehr hinkriegen, oder Sie haben massive Antriebsschwierigkeiten. Das heißt, Sie kommen nicht mehr aus dem Bett, Sie liegen auf der Couch, Sie schlafen ganz arg viel oder sie schlafen ganz arg wenig. Das sind so die Warnsignale, die man kennt. Panikattacken – Wenn Leute noch zu sehr starken Reaktionen neigen, mit sehr häufigen Weinen oder Davonlaufen aus Situationen oder einem Erstarren. Das sind so die üblichen Warnsignale.

Und lässt sich da vorbeugend irgendwas machen?

Zum Beispiel einen Tag frei die Woche. Im Ernst, das ist ganz arg wichtig. Und da zu gucken, wie halte ich das mit meiner Schlafhygiene? Wie viel kann ich realistischerweise üben oder an meinen Projekten arbeiten pro Tag? Schaffe ich es, irgendwie noch einen Ausgleich zu finden? Habe ich noch genug Kontakt mit Freunden, Bekannten, Verwandten? Und schaffe ich es auch noch, vielleicht Sport zu machen oder so was? Sie brauchen Ausgleich und Sie brauchen Abstand auch von dem MusikerInnen-Dasein.

Tipps zur Selbstwirksamkeit

Auf diesen Ausgleich würde ich gleich noch mal gerne ein bisschen konkreter eingehen. Ich finde, wir hatten es ja ganz am Anfang schon so leicht spaßeshalber angedeutet, dass wir so eine kleine Lektion in Resilienz hatten. Und wenn man Resilienz sagt, dann weiß eigentlich jeder seit Corona auch, dass Selbstwirksamkeit damit immer einhergeht. Und ich finde, gerade als Musiker:in ist Selbstwirksamkeit ja sehr schwierig. Neue Dinge manifestieren sich in unserem Spiel, in unserer Karriere erst sehr spät. Wenn ich heute ein neues Programm übe, heißt das ja nicht, dass ich es heute Abend auch sofort kann. Das heißt, Selbstwirksamkeit als Musiker, das Erfahren von „Ich mache was und es verbessert sich“ ist eher ein langfristiger Prozess. Wie schafft man denn es als Musiker, Musikerin, diese Selbstwirksamkeit für sich erfahrbar zu machen?

Durch ein Tracking: Was habe ich mir vorgenommen? Was habe ich davon geschafft? Dass Sie wirklich auch relativ kleinteilige Tagespläne schreiben. Und da gehören dann auch schon wirklich ganz alltägliche Sachen dazu, wie:

  • Ich wollte die Saiten auf meiner Gitarre wechseln
  • Ich wollte mich um neue Blätter kümmern oder ein neues Mundstück oder so was.

Und dass Sie zum einen wirklich etwas zum Abhaken haben und dass Sie nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren. Musikerinnen und Musiker bringen eine extreme Frustrationstoleranz mit, sonst könnten sie nicht ihr Instrument spielen. Aber natürlich ist es häufig so, dass sie ein bisschen aus dem Blick verlieren, was sie eigentlich an dem Tag geschafft haben und, ob sie etwas geschafft haben.

Und dann, ganz wichtig, ein Ressourcentagebuch, wo sie sich aufschreiben, was Sie gut gemacht haben und was Sie gut geschafft haben. Sodass Sie an Tagen, an denen es Ihnen schlechter geht, oder an denen Sie nicht so zuversichtlich sind, Sie nachschauen können und sagen können: „Hey, ich kann bestimmte Sachen gut, oder bestimmte Leute haben was Positives zu mir gesagt oder haben gesagt, dass sie was beeindruckt.

Das heißt, Sie führen im Grunde eigentlich zwei Tagebücher, wenn man so möchte. Einen To-Do-Block, wo Sie anstehende Aufgaben aufschreiben. Das geht quasi auf das Konto Selbstwirksamkeit. Und dann haben Sie ein zweites Büchlein, das Ressourcentagebuch, wo nur positive Sachen drinstehen.

So würde ich das empfehlen. Im Ressourcentagebuch stehen nur positive Sachen drin, weil wir die sonst aus dem Auge verlieren und vergessen. Defizite bleiben uns automatisch im Gedächtnis. Deshalb brauchen Sie sie eigentlich gar nicht aufzuschreiben.

Ausgleich als Musiker:in finden

Wir den Selbstwert als Musiker angesprochen und, dass man es versuchen sollte andere Hobbys zu haben, Sport machen oder sich mit Freunden zu verabreden. Das finde ich nämlich eine interessante Beobachtung –gar nicht nur an mir, aber auch in meinem Umfeld –, dass Musikerinnen und Musiker natürlich sehr stark geneigt sind, ihren Selbstwert an musikalische Erfolge zu koppeln. Sprich: das Konzert lief gut, es geht einem gut. Es geht sogar so weit, dass wenn man einen guten Übetag hat, dass das Umfeld das feststellt und man gute Laune hat. Entsprechend aber auch andersrum. Was sind gute Techniken, um das zu trennen? Also wie schaffe ich es denn, meinen Selbstwert nicht mit meinem musikalischen Erfolg zu koppeln?

Ja, das ist eine wichtige Aufgabe und ich denke, die ist auch ganz essenziell. Es ist wichtig, dass Sie es schaffen, sich darüber klarzuwerden, dass Sie nicht ihr Instrument sind. Sie sind jetzt nicht nur ein Trompeter oder eine Trompete, sondern Sie sind Podcaster, Sie sind ein liebevoller, fürsorglicher Katzenvater und ein toller Partner und so weiter. Also dass man sich diese ganzen Sachen wirklich bewusst macht. Und da ist auch noch mal ein anderer Aspekt: Ich denke, es ist sehr wichtig für Musikerinnen und Musiker, auch Freunde zu haben, die nicht Musiker sind. Weil sonst laufen die ganze Zeit Vergleichsprozesse unterschwellig ab.

Das heißt, das müssen Sie wirklich versuchen zu trennen und zu sehen, was Sie eben noch alles andere können und, dass Sie in erster Linie mal ein Mensch sind, und nach Carl Rogers ein bedingungslos liebenswerter Mensch. Tollerweise spielen auch noch ein Instrument oder singen. Aber das ist nur eine Kirsche auf dem Sahnehäubchen und nicht das Fundament.

Und weil Sie gerade die Vergleichung mit Kollegen noch mal angesprochen hatten: ich glaube, in unserer ersten Version des Interviews hatten Sie das mit dem Begriff „Prozessorientierung“ zusammengefasst. Wenn man sich vergleicht, dann nur mit früheren Versionen von einem selbst und nicht mit anderen Kollegen und Kolleginnen, die andere Gegebenheiten und auch vielleicht andere Umstände haben, in denen sie arbeiten und wirken.

Genau, da haben Sie recht. Also weg von so einer Produktnorm – das ist das Ergebnis, das sind meine Klicks auf YouTube oder im Podcast-Format. Sondern hin zu, wie Sie sagen, dem Prozess: Wie habe ich das früher gemacht? Wie habe ich mich individuell weiterentwickelt? Und auch gar nicht unbedingt so sehr auf dieses eine Stück, sondern mehr: Was habe ich für Mechanismen gelernt? Wie kann ich mit Sachen besser umgehen? Und das kann dann auch sein, dass ich selbstfürsorglicher mit mir umgehe, dass ich es inzwischen besser schaffe, meinen freien Tag die Woche einzuhalten oder, dass ich es besser schaffe, Feierabend zu machen usw.

Zusammenhang Depression und Auftrittsangst

Ich bin in der Vorbereitung auf eine sehr spannende Studie von Ihnen gestoßen, unter anderem auch gemeinsam mit Eckert Altenmüller, wo es den Zusammenhang zwischen geringem Selbstbewusstsein, Depression und Auftrittsangst geht. Sie haben herausgefunden, dass es einen entscheidenden Zusammenhang zwischen geringem Selbstbewusstsein in Kombination mit Auftrittsangst gibt, die zu einer Depression führen kann. Auf die Gefahr hin wahrscheinlich, dass Sie die gleichen Techniken gleich wieder erzählen, aber ich finde es trotzdem sehr spannend: Wie kann man dem vorbeugen? Beziehungsweise, wenn man merkt, ich steuere vielleicht auf so was zu, oder ich bin vielleicht schon in so einer depressiven Episode, wie komme ich denn da wieder raus? Oder schafft man das überhaupt alleine wieder da rauszukommen?

Also wenn ich in einer wirklichen Depression drin bin (wenn das nicht nur eine leichte depressive Phase ist – aber das kann man natürlich nur schwer einschätzen als Nichtfachperson) dann muss ich mir professionelle Hilfe suchen. Und bis dahin: Ressourcentagebuch.

Was Christine Sickert – das ist meine Doktorandin, die diese Arbeit verfasst hat, gesehen hat – ist, dass eben der zu geringe Selbstwert in Kombination mit der Auftrittsangst zu der depressiven Phase führt. Vielleicht auch noch mal ein anderer Aspekt, dass zum Beispiel diese Auftrittsangst, nicht immer eine Auftrittsangst sein muss, sondern es kann auch „nur“ Lampenfieber sein. Also das heißt, wie man das Ganze framed, wie man das Ganze für sich bewertet ist entscheidend.

Das heißt, dieser ganze Reflexionsprozesse und auch dieses Bewusstsein „Ich bin nicht nur Musiker, sondern auch andere Dinge, das ist wahrscheinlich in unserer heutigen Zeit mitunter die wichtigste Kompetenz, die Musikerinnen und Musiker mit bringen sollte –  abseits natürlich von fachlichem Können, um ein möglichst langes, mental gesundes und auch dann auch körperlich gesundes Berufsleben führen zu können, oder?

Ja, auf jeden Fall. Und da würde ich auch noch mal ein bisschen in ein Horn stoßen, dass diese Geschichte, von wegen „Ihr müsst alles auf eine Karte setzen und „Ihr müsst nur das wollen und so weiter, sonst könnt ihr es nicht schaffen“, dass das auf jeden Fall ein altes Märchen ist, was ich überhaupt nicht befeuern wollen würde. Sondern wir haben sehr viele Facetten und Musiker, Künstlerinnen sind in der Regel sehr offen und ziemlich vielseitig und wir sollten auch in der Ausbildung gucken, dass weitergehende Interessen gefördert. Und das kann auch sein, dass sie dann nebenher noch Psychologie oder Medizin studieren.

Alles auf eine Karte setzen

Dieses Mantra, dass man im besten Fall irgendwann alles auf eine Karte setzen muss, hält sich ja trotzdem hartnäckig. Ich habe jetzt gerade lustigerweise vor ein paar Tagen auf ein Interview aus einem Podcast mit Braxton Cook gestoßen. Das ist ein Saxophonist aus den USA. Und ich verkürze das Zitat ein bisschen, aber er meinte sinngemäß, dass man an irgendeinem Punkt in seiner musikalischen Karriere mal so richtig – er hat das obsessed sogar genannt („you have to be obsessed once“) sein muss. Einfach, um diesen musikalischen Erfolg zu generieren. Das widerspricht ja eigentlich diesem: „Wenn du Bock hast, noch Psychologie zu studieren oder Medizin zu machen, go for it“.

Am Ende, das ist ja auch so ein bisschen dieses Hochstapler-Syndrom, zumindest kenne ich das, dass man als Musiker, der viele Sachen parallel macht, ganz oft auch das Gefühl hat: „Ich mache das, das und das, aber eigentlich so wirklich können, tue ich von dem nichts so wirklich. Das spricht dann wieder eher für das Mantra, dass man sich an irgendeinen Punkten in seiner Karriere für eins entscheiden sollte, oder?

Aber realistisch gesehen ist es doch so, dass 95 bis 97% der Musikstudierenden Musikhochschul-oder Musikschullehrer werden. Das heißt, sie unterrichten, spielen sie noch Gigs und vielleicht machen sie noch etwas anderes. Das heißt, auch da sind sie schon mehrgleisig unterwegs. Instrumentallehrer, wenn sie von der Musikhochschule kommen, sind völlig überqualifiziert. Also ich sage jetzt mal, wenn Sie in Hannover Konzertexamen klassisches Klavier haben und dann an der Musikschule anfangen, dann machen Sie Hänschen klein mit 5-Jährigen und 7-Jährigen. Und Sie könnten aber eigentlich Klavierkonzerte spielen, überall auf der Welt, mit renommierten Orchester. Aber es gibt leider nicht so viele Stellen für die ganzen Pianist:innen. Das heißt, da gehört viel Glück dazu. Da gehört natürlich Fähigkeit dazu, aber auch Glück. Da gehört auch eine gute Management-Fähigkeit dazu – also auch von Außenstehenden, die Sie unterstützen und die Sie in die richtigen Bahnen lenken.

Und dann habe ich noch eine Anmerkung zu „you have to be obsessed once“. Das geht ja. Sie können sagen: „Okay, nach dem Studium werde ich wahrscheinlich nie wieder so viel Zeit haben, zu üben wie jetzt“. Später muss ich dann ganz andere Sachen machen. Und dann können Sie sich im Studium extrem ausgiebig ihrem Instrument und ihren Fähigkeiten widmen. Und da finde ich z. B. Charlie Parker, auch ein sehr berühmter Saxophonist, der gesagt hat: „Ja, Du musst alles üben und können. Und dann vergiss es und spiel einfach.“ Das heißt, es ist ja durchaus der Raum dafür, „to be obsessed“ zu sein. Die Frage ist nur, über welchen Zeitraum sich das streckt. Das kann ja auch immer wieder sein. Danach ist es die Aufgabe wieder zurückzukehren und zu sagen: „Okay, dieses Daily-Business muss halt auch irgendwie weitergehen. Und ich kann nicht komplett sagen: „Es interessiert mich jetzt alles nicht mehr. Steuererklärung brauche ich auch nicht machen. Ich brauche auch nichts zurückzulegen, weil ich bin Künstler und ich kann mich nur voll und ganz meinem Instrument widmen und, um alles andere müssen sich die anderen kümmern.“

Da habe ich auch ein Problem mit dieser Geschichte von 10 Jahre, 10.000 Stunden: „Ja, klar, üb einfach zehn Jahre lang 10.000 Stunden und dann wird es schon irgendwie laufen.“ Sie absolvieren die Musikhochschule, Sie machen ihren Bachelor oder Master oder sogar Konzertexamen – das Problem ist, da wird leider niemand kommen und sagen: „Hey, ich weiß, dass du so fleißig geübt hast. Du kannst das jetzt alles spielen. Ich habe einen Job für dich.“ Sondern das sind zwei unterschiedliche Aspekte.

Also es gibt die inhaltliche und das andere ist eher so eine Management-Geschichte. Also Selbstmanagement, was wir vorhin auch schon angesprochen hatten: Social Media, Selbstvermarktung. Irgendjemand muss wissen, dass ich was sehr gut kann, sonst werde ich keine Aufträge kriegen.

Das nennt sich in der Psychologie „Believe in a Just-World“-Hypothes. Also was die Musikstudierende häufig am Anfang vor allem noch glauben, ist: „Wenn ich nur so und so viel übe, dann gibt es einen gerechten Gott und danach kriege ich irgendeinen Job, weil ich irgendwas kann.“ Und das ist die fiese Desillusionierung.

Es gibt wahnsinnige wahnsinnig viele gute Musiker:innen da draußen und die Musikhochschulen bilden eigentlich zu viele Leute aus.

Wo Sie gerade das „Believe in a Just World“ angesprochen haben, da fiel mir sofort ein Zitat von Andrea Petkovic, der Tennensspielerin, ein. Sie hat auch ein Buch geschrieben und ich glaube, es war im Zusammenhang mit dem Buch, wo sie in einem Podcast mal von einer Meritokratie gesprochen hat, also diesem „You merit something“ („Das hast du dir verdient“ in diesem Sinne). Und diese 10.000 Stunden, 10 Jahre, das ist ja diese berühmte Ericson-Studie, wenn ich das richtig im Kopf habe. Die wurde auch in Teilen inzwischen wiederlegt, habe ich zumindest gelesen, oder?

Ja, auf jeden Fall. Und da muss man natürlich auch noch sehen, wir haben einen ganz klaren Bias, was die Auswahl von den Leuten angeht, die diese Interviews geben. Also in der Regel werden die Leute interviewt, die es geschafft haben und nicht irgendein zufälliger Mensch. Und dann erstens mal reproduzieren die ganz häufig die alten Geschichten, die sie selber so gehört haben von Leuten, die es geschafft haben. Und dann ist es auch noch so, dass das natürlich für die Selbstwirksamkeit derjenigen, die es geschafft haben, was auch immer das bedeuten mag, total gut ist, zu sagen: „Ja, das liegt daran, dass ich einfach so hart gearbeitet habe.“ Das ist völlig in Ordnung.

Ich finde, es ist ganz wichtig, dass Sie ihre Erfolge auf ihr Können und ihre Fähigkeiten attribuieren. Aber natürlich: wenn Sie sagen: „Hey, ich bin jetzt Solist der Berliner Philharmoniker, aber das hätten auch einige andere werden können.“ Das ist nicht so selbstwertdienlich, wie zu sagen: „Nein, das liegt daran, dass ich so hart gearbeitet habe.“

Das ist dann ein ganz schmaler Gerade, wenn wir wieder auf unser Ressourcentagebuch von eben schauen, sich selber ehrlich zu machen und das auch genauso aufzuschreiben

Auf jeden Fall. Es ist nur so, dass ich mir bei den Interviews mit celebrity artists wünschen würde, dass sie sich dessen bewusst sind, dass sie auch einen pädagogischen Impact haben.

Natürlich finde ich es wichtig, dass selbstwertdienliche Ereignisse auf die eigene Arbeit und auf die eigene Selbstwirksamkeit attribuiert werden. Nur die Frage ist, wie man das dann weitergibt. Also, ob man den Leuten auch sagt: „Okay, ich biete dir für dich eine Attribution, die dir hilft. Nämlich zum Beispiel, dass du das Probespiel nicht gewonnen hast, liegt sicher auch daran, dass jemand anders halt mehr Glück gehabt hat oder, dass du vielleicht an dem Tag einen schlechten Tag hattest.“ anstatt zu sagen: „Ja, du hast einfach nicht hart genug gearbeitet.

Lampenfieber

Ich würde gerne noch zum Abschluss einmal auf das Thema Lampenfieber zusprechen kommen. Sie bieten ja in Lübeck an der Hochschule ein eigenes Seminar dazu an. Sind Sie denn selber manchmal noch aufgeregt vor Konzerten, Interviewsituationen, wenn Sie Vorträge halten irgendwo?

Auf jeden Fall. Also es kommt auch immer drauf an, wie ich geübt habe. Ich habe zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit gemerkt, dass ich einen Fachvortrag auf Englisch halten musste über unterschiedliche Themen, in denen ich zum Teil nicht mehr so drin war, weil das Tagesgeschäft gerade was anderes ist. Und früher habe ich das ganz regelmäßig gemacht und da war das überhaupt kein Problem. Und jetzt merke ich zum Beispiel: Okay, ich bin gerade in einer anderen Thematik. Ich spreche in letzter Zeit häufig auf Deutsch und dann muss ich erst mal so ein bisschen suchen und merke, da geht die Nervosität hoch, weil ich mich nicht ganz so souverän fühle.

Und das andere ist auch auf jeden Fall: Ich hatte früher schon sehr oft ausgeprägt Lampenfieber, vor allem jetzt bei Francisco Tarreger. Das war nicht ohne und ich habe da auch einen Weg hingelegt.

Ich würde auch sagen, dass ich jetzt davon nicht frei bin. Das variiert. Häufig merke ich zum Beispiel erst hinterher, dass ich doch ganz schön aufgeregt gewesen bin und dann mache ich was dagegen. Oder ich sage mir hinterher: „Ja, ist doch okay. Also es war noch im Lampenfieber-Bereich – es war noch keine Auftrittsangst.

In Ihrem Seminar wird es so umgesetzt, dass Sie mit klassischen Expositionsübungen arbeiten. Das heißt, Studierende spielen sich einfach im Seminar gegenseitig vor. Kann man daraus schließen, dass viel Vorspielen gleich irgendwann weniger Auftrittsangst, weniger Lampenfieber?

Das ist das eine. Und dann, was noch ein ganz essentieller Baustein ist, dass Sie danach positive Selbstauslagen treffen müssen. Also Sie müssen sich hinsetzen vor die versammelte Gruppe und müssen mindestens zwei positive Sachen über ihr eigenes Spiel sagen. Und das fällt denen total schwer. Das ist einfach nicht in unserer Kultur. Wir haben eine sehr defizitorientierte Kultur und Leute, die was Positives über sich selbst sagen, werden sehr schnell als arrogant und überheblich abgestempelt. Deshalb üben wir so was ganz explizit. Zwei positive Sachen über das eigene Spiel und die eigene Performance sagen.

Tipps gegen Lampenfieber als Musiker

Hätten Sie denn zum Abschluss von diesem Themenkomplex eine sehr gut nachmachbare Übung, Atemübung beispielsweise, um sich ganz konkret in der Konzertsituation vor einem Auftritt ein bisschen zu entspannen und für den Auftritt ein bisschen weniger aufgeregt zu sein?

Also könnten Sie zum Beispiel Lippenbremse machen oder atmen im Dreivvierteltakt. Es geht dann so, dass Sie einen Dreivvierteltakt einatmen und dann zwei Dreivvierteltakte lang durch den Mund aus. Dann machen Sie einen Dreivvierteltakt Pause und fangen dann wieder von vorne an. Machen Sie so viele Zyklen, bis Sie merken, das es einen Effekt auf Sie hat. Ganz wichtig ist, dass Sie das in ihre Übelroutinen einbauen, damit Sie darauf ganz automatisch zugreifen können und nicht in einer Aufregungssituation das alles über den Haufen werfen.

Outro

Was lernen oder üben Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können? Darf gerne auch nicht musikalisch sein. Beim letzten Mal war es melodisch Moll über halbverminderte Akkorde. Ist es das weiterhin?

Ja, tatsächlich habe ich gestern Abend erst wieder geübt. Es ist sehr konkret und vielleicht ein bisschen sehr abstrakt für Leute, mit nicht-musiktheoretischem oder Jazz-Hintergrund: E-Moll7b5 als Brechung über einen G-Moll 6, also mit einer großen Sechste funktioniert. E-Moll7b5 ist austauschbar ist mit G-Moll 6.

Und welchen Tipp würden Sie aus Ihrer heutigen Perspektive gerne Ihrem jüngeren Erstsemester-Musik-oder Psychologiestudierenden-Ich mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Ja, eine Zuversicht, so nach dem Motto: „Das wird schon.“

Am Anfang des Psychologiestudiums habe ich fast nur Musik gemacht. Also ganz viel geprobt, in der Studierenden Big Band gespielt, eigene Bands weiterentwickelt. Wir haben dann auch ein Plattenlabel gegründet und so. Und ich habe irgendwie nicht gesehen, wo das mit der Psychologie hingehen soll und ich war auch kein besonders guter Psychologiestudent. Heutzutage bin ich extrem froh, dass ich das fertig gemacht habe. Ich konnte dann auch ganz anders an das Musikstudium rangehen und denken, das ist eigentlich meine größte Leistung, dass ich gegen so viel Widerstand das Psychologiestudium fertig gemacht habe und auch erfolgreich abgeschlossen habe.

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Wie üben wir gesund, Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn? https://what-is-practice.de/gesundes-ueben-und-musizieren-claudia-spahn/ https://what-is-practice.de/gesundes-ueben-und-musizieren-claudia-spahn/#respond Mon, 29 Jan 2024 10:13:13 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6315 Wie üben und musizieren wir gesund? Wenn jemand diese Frage gewissenhaft beantworten kann, dann Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn. Sie studierte Medizin und Musik und leitet – gemeinsam mit Bernhard Richter – seit knapp 20 Jahren das Freiburger Institut für Musikermedizin. Ich wollte wissen: Wie sieht aus musikermedizinischer Sicht der perfekte Übeplan aus. Angefangen beim… Weiterlesen »Wie üben wir gesund, Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn?

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Wie üben und musizieren wir gesund? Wenn jemand diese Frage gewissenhaft beantworten kann, dann Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn. Sie studierte Medizin und Musik und leitet – gemeinsam mit Bernhard Richter – seit knapp 20 Jahren das Freiburger Institut für Musikermedizin. Ich wollte wissen: Wie sieht aus musikermedizinischer Sicht der perfekte Übeplan aus.

Angefangen beim Warm-Up über Pausen und Erholungsphasen bis zur Prävention von typischen Musikerkrankheiten gibt Claudia Spahn wichtige Tipps wie ein gesundes Üben und Musizieren klappt. Ihr fundiertes Wissen und ihre langjährige Erfahrung machen sie zu einer führenden Wissenschaftlerinnen auf dem Gebiet der Musikergesundheit.

Darüberhinaus erzählt Claudia Spahn von dem neuen Master-Studiengang „Musikphysiologie“ in Freiburg, der sich zur Aufgabe gemacht hat die Lücke zwischen Theorie und Praxis weiter zu schließen.

Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn bei meinem Besuch im Freiburger Institut für Musikermedizin

Literaturempfehlungen zum gesunden Üben und Musizieren

Musikergesundheit - Claudia Spahn

Musikergesundheit in der Praxis

In diesem umfangreichen Buch geben euch Prof. Dr. Claudia Spahn, Prof. Dr. med. Bernhard Richter und Alexandra Türk-Espitalier Hintergrundwissen zu den körperlichen und psychischen Grundlagen des gesunden Musizierens. Sie helfen, die Ursachen der eigenen Symptome zu finden und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Mir gefallen die abwechslungsreichen Übungen am Ende, die sich perfekt in das tägliche Üben integrieren lassen.


Der gesunde Musiker

Der gesunde Musiker

Wenn wir an Warm-Up oder Aufwärmen im musikalischen Kontext denken, schließt das in den allermeisten Fällen bereits unser Instrument mit ein. Aber auch unser Körper will optimal vorbereitet ins Üben starten. Pia Skarabis gibt hierzu in „Der gesunde Musiker – Traningsprogramme für Beruf und Hobby“ wertvolle Ausgleichsübungen für die unterschiedlichen Instrumente.

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Die Folge mit Prof. Dr. Dr. Claudia Spahn lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Claudia Spahn

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Sie….

In einem selbstbestimmt strukturellen Rahmen sich persönlich musikalisch weiterentwickeln.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei Ihnen gerade in Dauerschleife?

Selbst musizierend sind aktuell mehrere Titel von Friedrich Hollaender, einem jüdischen Komponisten im Berlin der 1920/30er Jahre. Die meisten werden ihn sicher wegen seiner Songs mit Marlene Dietrich kennen. Hier gibt es einige tolle Titel, die mich schon mein ganzes Leben lang begleiten und die ich auch immer wieder in meinem Kabarett-Duo mit einem Sänger spiele.

Und hörend auch gerne Blues und Jazz – gar nicht immer nur Klassik.

Gibt es eine CD, die Sie musikalisch (auf Ihr Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Nein, das kann ich so nicht sagen. Ich finde ganz viele Künstler ganz toll.

Ich glaube, dass ich vom Typ her eher eine Pionierin in ganz vielen Dingen bin. Inzwischen kann ich ja schon etwas zurückblicken. Deshalb kann ich es mir erlauben, eine kleine Quintessenz meines Lebens zu ziehen. (lacht)

Ich finde, man kann von allen Menschen etwas lernen. Alle sind interessant. Auch in meiner Pubertät hatte ich nie Idole, da ich kein Mensch bin, der auf einzelne Leute total abfährt. Ich würde mich eher als jemand beschreiben, der von vielen Menschen gerne etwas annimmt. Allerdings vieles auch aus mir selbst heraus entwickele.

Aber natürlich habe ich auch im Studium ganz viel von meinen Lehrerinnen und Lehrern mitgenommen. So hat mich selbstverständlich auch meine Professorin stark geprägt. Aber es gibt nicht den einen Namen, den ich hier nennen würde.  

Musik trifft Medzin

Claudia Spahns Werdegang

Sie haben zunächst das Medizin-Studium angefangen und dann Ihr Musik-Studium angeschlossen – wenn ich richtig recherchiert habe?

Ja.  Ich habe begonnen mit dem Medizin-Studium, das ist richtig.

Ich habe in Würzburg mein Abitur gemacht und war schon während der Schulzeit in einer Vorklasse der Musikhochschule, wie man heute sagen würde. Allerdings habe ich dann zunächst Medizin in Freiburg studiert – jedoch weiterhin intensiv Musik gemacht und mir dort auch Unterricht gesucht.

Mir hat die Musik doch sehr gefehlt und daher wollte ich mich weiter professionell ausbilden. Daraufhin habe ich die Aufnahmeprüfung gemacht und nach dem Physikum (also nach dem vierten Semester des Medizin-Studiums) parallel Musik studiert.

Hat sich Ihr Üben im Verlauf der Zeit verändert? Möglicherweise auch mit dem Wissen aus dem Medizin-Studium?

Also um ganz ehrlich zu sein: Ich habe ja in den 1980er Jahren studiert und da gab es noch gar keine so großen Verbindungen zwischen Medizin und Musik.

Natürlich es gab schon seit den 1970er das Institut von Christoph Wagner in Hannover – damals bezeichnete er es noch als Musikphysiologie. Aber die Musikermedizin war da noch nicht sehr bekannt.

Im Grunde waren es auch ganz viele Zufälle, die da eine Rolle spielten. Bei mir war dieser Zufall, als ich Ärztin im Praktikum war – also kurz nach Abschluss meines Medizinstudiums. Zu dieser Zeit wurde ein Kongress in New York veranstaltet, der sich „Performing Arts Medicine“ nannte. Eine Kollegin wurde darauf aufmerksam und so fuhr ich mit ihr gemeinsam dorthin. Das war sozusagen die erste Berührung mit diesem Feld. Durch den Kongress entstanden dann auch weitere Verbindungen hier in Deutschland, bspw. mit der Fachgesellschaft (DGfMM).

Eine direkte Verbindung zwischen Musik und Medizin habe ich während meiner Studienzeit gar nicht direkt wahrgenommen. Obwohl sich beide Bereiche trotz ihrer Verschiedenheit bereichert haben. Die Verbindung kam erst viel später – im Jahr 2002, als ich mein erstes Lehrangebot an der Freiburger Musikhochschule nach Anfrage der damaligen Rektorin Frau Professor Nastasi angeboten habe.

Und wenn Sie jetzt sagen, die beiden Bereiche haben sich bereichert: Haben Sie dann auch versucht das Wissen über korrekte Bewegungen und richtiges Lernen aus dem Medizinstudium in die Musik zu übertragen?

Das ist eine sehr interessante Frage, die Sie stellen. Den ganz konkreten Transfer, wie wir ihn heute aus den Neuro- und Trainingswissenschaften kennen, gab es noch nicht. Ich glaube, dass ich vieles von dem allerdings schon intuitiv gemacht habe.

Für mich war die Bereicherung eher auf der persönlichen Ebene. Das Medizin-Studium ist ja gerade am Anfang eine große Massenveranstaltung. Mich hat daran immer gestört, dass niemand gemerkt hat, ob ich da war oder nicht. Da war natürlich das Musikstudium mit seinem Einzelunterricht und der künstlerisch-kreativen Entwicklung ein schöner Gegensatz, um sich gesehen zu fühlen. Das hat mich sehr voran gebracht.

Andererseits hat es in der Musik schon geholfen, dass die Medizin Studierenden etwas objektivierendes (eine Meta-Ebene einnehmen können) beibringt. Diese Art sein Tun reflektieren und relativieren zu können hat mir im Musikstudium schon geholfen – allerdings eher auf einer abstrakteren Ebene.

Tipps zum optimalen Übe-Plan aus Sicht der Musikermedizin

Dann ist es ja schön zu sehen, dass sich der Kreis nun etwas schließt. Unter anderem mit dem neuen Master-Studiengang „Musikerphysiologie“, der in Freiburg kürzlich geschaffen wurde. Dieser vereint ja genau diese beiden Welten und könnte weiter dazu beitragen, dass sich die Lücke zwischen Theorie und Praxis weiter und weiter schließt.

Genau. Es ist ja interessant, dass sich dieses gesamte Feld weiter und weiter entwickelt und wir insgesamt in Deutschland, mit allen Instituten und der Fachgesellschaft, in der Entwicklung vorne mit dabei sind.

Wir haben jetzt hier in Freiburg konkret eine Profilierung und eine Differenzierung vorangetrieben. Denn auf der einen Seite gibt es die Musikermedizin, bei der es um die Behandlung spezifischer gesundheitliche Probleme bei Musizierenden aller Couleur geht. Die spannende Frage dabei war immer schon: Was macht die Medizin an einer Musik- oder Kunsthochschule?

Schließlich ist das auch die spannende Frage hier in Ihrem Podcast: Wie gelangen Informationen – heute würde man vielleicht sogar aus den Lebenswissenschaften sagen – in die Ausbildung von Musizierenden? Insbesondere von Profimusikerinnen und Musikern. Das nennen wir dann Musikphysiologie. Gerade hier gibt es viele Inhalte, die neu in die Ausbildung kommen und es sich deshalb lohnt, daraus ein eigenes Grundlagenfach zu entwickeln.

Seit diesem Wintersemester kann man dieses Fach als Hauptfach bei uns im Master studieren. Dort geht es vor allem darum, die Grundlagen (Wie bereite ich mich auf Auftritte und Probespiele vor? Wie entwickle ich mich weiter? Wie übe ich dafür? Wie vermittle ich das, was ich bin? Was möchte ich zur Gesellschaft beitragen?) zu erwerben und zu entwickeln. Als Studierender kann man dann sehr individualisiert mithilfe von bspw. (Orchester-)Praktika z.B. gesundheitliche Aspekte in die Orchester tragen oder, wie das Beispiel der Kooperation mit der AOK zeigt, die Unterstützung von Musikvereinen in unserer Gesellschaft voranbringen. Immer davon ausgehend, dass es sich um sehr gut ausgebildete Musikerinnen und Musiker handelt.

Rastergrafik
Übeplan Vorlage what is practice

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Die größte Herausforderung beim Üben ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Genau dabei hilft dir die what is practice Übeplan-Vorlage.

  • Definiere deine Ziele
  • Coaching-Tool zum Visualisieren deiner Stärken und Schwächen
  • Auswertungs-Vorlage, die dich beim Erreichen deiner Ziele unterstützt
  • Übe-Tipps

Das klingt nach einem sehr ganzheitlichen Konzept. Wenn wir dieses Themenfeld nun etwas im Detail aufgreifen: Lassen sich aus musikermedizinischer Sicht Empfehlungen für ein geeignetes Warm-Up geben? Auch wenn natürlich allgemeingültige Hinweise schwierig sind, gibt es Empfehlungen für das Aufwärmen unseres Körpers noch vor dem ersten Ton auf dem Instrument?

Das ist schön, dass Sie das so natürlich ansprechen. Denn es ist immer noch nicht so, dass wir das als Selbstverständlichkeit gelernt haben. Anders als im Sport oder im Tanz.

Am Anfang geht es vor allem darum den Körper, aber auch die mentale Verfassung, auf das Üben einzustimmen. Das ist der weitere Sinn des Warm-Ups. Natürlich geht es auch um die Durchblutung und das Anwärmen der Gelenke – also Übungen machen, die dies unterstützen und ankurbeln. Durchaus auch in die Aktion kommen (z.B. Abklopfübungen).

Was ebenso sehr wichtig ist, ist das der Körper in einer guten Grundposition – und Ausrichtung sein sollte. Wir achten im Sitzen und im Stehen immer darauf, dass die Mittelachse sehr präsent und gut eingestellt ist. Aus dieser Position gehen wir zum Instrument bzw. kommt das Instrument zu uns. Diese Schritte sollten bewusst vollzogen werden – gerade auch, wenn man selbst unterrichtet.

Wir sitzen hier gerade sehr zurückgelehnt, mit den Beinen überschlagen jeweils. Das ist sicher nicht die Mittelachse, von der Sie sprechen?

Im Sitzen wäre das nicht angelehnt, wie wir hier sitzen. (lacht) Sondern aufrecht auf dem Stuhl. Die beiden tiefsten Punkte, also unsere beiden Sitzbeinhöcker, sollten wir gut spüren können. Sie sind die beiden tiefsten Punkte, die aufliegen. Wenn man sich an diesen ausrichtet, richtet sich automatisch die Wirbelsäule mit auf. Dazu gibt es ein sehr passendes Image aus der Ideokinese. In dieser Position hat man eine gute Freiheit für Arm-, Finger- und Handbewegung – und natürlich auch für die Atmung.

Musikerpausen und Erholungsphasen: Die Notwendigkeit von Ruhezeiten

Gerade in der Musik hält sich weiter hartnäckig das Mantra „mehr gleich besser“ (Übezeit). In der Vorbereitung bin ich auf ein Gespräch mit Horst Hildebrandt (Musikermediziner der ZHDK) gestoßen in dem er sagte, dass er seinen Studierenden empfiehlt in Blöcken à jeweils 10 Minuten maximal zu üben. Jeweils von 2 Minuten Pause dazwischen unterbrochen. Das Ganze wird 5x wiederholt und darauf folgt eine große Pause. Würden Sie das unterschreiben bzw. gibt es musikermedizinisch eine Empfehlung wie das Verhältnis von Spannung und Entspannung beim Üben sein sollte?

Da mischen sich für mich zwei Punkte. Zunächst bin ich der gleichen Meinung wie mein Kollege Horst Hildebrandt. Wichtig ist vor allem ein Konzept zu haben und nicht in Dauerschleife Übungen stupide zu wiederholen (obwohl das seltener wird).

Übt man in kleinen Portionen ist man sehr konzentriert und fokussiert. Dadurch ist die Präzision in den Wiederholungen sehr hoch. Man vermeidet dadurch den Penelope-Effekt – also sich bei zu langem Üben falsche Bewegungen anzueignen. Das Intervall von 10 Minuten ist, wenn man mental konzeptualisiert und konzentriert übt, auch gesund.

Wenn man auf die musikermedizinische Seite geht, ist dies auch genau die Empfehlung, die wir in unseren Therapien geben. Nämlich in kleinen Portionen üben, die unterhalb der eigenen Schmerzgrenze bleiben. Natürlich können diese dann sogar noch kürzer sein.

Der Alltag ist allerdings oft genau gegen ein solches Üben. Das Problem ist, dass Studierende die Zeit, in der sie den Überaum haben, ausschließlich am Instrument verbringen wollen. Denn vermeintlich ist nur diese Zeit die „gute“ Zeit. Also ein total an der Dauer orientiertes Übe-Paradigma. Das ist natürlich sehr schwierig. Allerdings stellen wir bei uns in den Seminaren fest, dass es hierzu auch eine Gegenbewegung gibt.

Die Pause sollte dann weg vom Instrument sein und möglichst mit Ausgleichs- oder Entspannungspausen gestaltet werden.

Was könnten solche Ausgleichsübungen sein?

Ich finde Ausgleichsübungen sind super einfach, da man mit ihnen leicht seinem eigenen Körpergefühl nachgehen kann. Wenn man eine gewisse Zeit in einer bestimmten Position verharrt hat, hat man ganz natürlich das Bedürfnis sich in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen. Also zum Beispiel vom Beugen ins Strecken.

Das setzt natürlich voraus, dass man sein Smartphone möglichst weit weg liegen hat. Sonst ist die Verlockung, gerade in diesen Mini-Pausen sehr groß, doch zum Handy zu greifen.

Das stimmt natürlich. Übt man nach diesem Muster, ist es wichtig ein klares Konzept zu haben, wie man damit umgeht. Schließlich gibt es auch nützliche Funktionen auf unseren Smartphones. Die Gefahr ist aber (das kenne ich auch), dass man sich gedanklich in Nachrichten oder Ähnlichem verliert.

Ganz aktuell wurden die Ergebnisse der Pisa-Studie veröffentlicht. Erneut schnitt Deutschland schlecht ab – ein Kritikpunkt ist unter anderem auch die schwache Integration von modernen Lehrmethoden. Wenn ich jetzt an solche modernen Konzepte wie das Üben in kleinen Blöcken à 10 Minuten denken, könnte man auch in der Musikpraxis Parallelen entdecken. Tun sich Erkenntnisse aus der Wissenschaft schwer in die Übe-Praxis zu gelangen? Haben Sie ein ähnliches Gefühl?

Ja, das ist auch ein langer Weg. Bestimmte Veränderungen im Denken benötigen einfach ihre Zeit. Wenn ich allerdings zurückschaue in meine eigene Unterrichtszeit als Studentin in der Musikhochschule, sehe ich dort bereits große Unterschiede. Auch das Interesse und die Offenheit diesem Thema gegenüber ist inzwischen sehr viel größer geworden. Das stellen wir nicht nur bei unseren Studierenden fest.

Typische Krankheitsbilder von Musiker*innen und ihre Prävention

Jetzt sind wir hier bei Ihnen am Freiburger Institut für Musikermedizin. Bevor wir gleich auf das Themenfeld Prävention noch zu spreche kommen, können Sie uns sagen, welche Krankheiten Sie hier typischerweise am häufigsten behandeln?

Damit man es sich besser vorstellen kann: Wir haben hier eine Ambulanz, die ähnlich wie andere Ambulanzen in Klinken organisiert ist. Allerdings stehen bei uns überall Instrumente. Wir haben mehrere Fachärzte sowie Physio- und Stimmtherapeuten.

Das häufigste Krankheitsbild als Symptom ist Schmerz – im weiteren Sinne Überlastungssyndrome. Zumeist im oberen Bereich des Körpers – oftmals in den Unterarmen.

Daneben gibt es auch, das haben wir in unserem Lehrbuch Musikermedizin unterschieden, Krankheiten (wie z.B. Arthrose), die die Musikausübung betreffen und beeinträchtigen gleichzeitig aber auch durch das Musizieren verstärkt werden. Auch einzig musikspezifische Erkrankungen wie die fokale Dystonie oder Lampenfieber/Auftrittsangst werden hier behandelt.

In der Vorbereitung bin ich auf eine Studie von Heiner Gembris Studie aus 2012 gestoßen. Darin wurden Orchestermusiker*innen und Musikstudierende gefragt, ob sie an körperlichen Beschwerden leiden, die das Musizieren erschweren. Bei den Orchestermusiker*innen waren es 55% (schon mehr als ¼ bei den unter 30-Jährigen. Besonders Streichinstrumentalisten sind davon wohl überdurchschnittlich oft betroffen.

Wieso quälen wir uns so gern?

Dieses alte „no pain, no gain“ hat besonders die ältere Generation an Musikerinnen und Musikern noch stärker verkörpert. Allerdings löst sich dies nach und nach auf. Letztlich rollen wir das Feld von hinten auf: Sie mit Ihrem Podcast ebenso wie bspw. unser neuer Studiengang hier in Freiburg.

Dass es bei einer so besonderen, und besonders schönen, Berufsausübung auch zu spezifischen Krisen kommen kann, ist denke ich – auch im Vergleich zu anderen hochspezialisierten Leistungsberufen, weniger erstaunlich. Wichtiger ist, wie man darauf eingestellt ist und welche Tools man gelernt hat, um sich wieder anzupassen. Daher ist das Thema Resilienz so entscheidend – nicht nur auf mentaler Ebene, sondern auch erweitert auf den Körper. Resilienz ist etwas, dass man jeden Tag herstellen muss. Ohne auch dabei in „Resilienzstress“ zu kommen.

Allerdings muss man auch nicht in Ängstlichkeit verharren und denken, der Beruf ist so schlimm. Ich bin kein Freund davon das Thema zu „kathastrophisieren“. Wichtig ist, dass man wieder in Erholung kommt. Auch hier ist die Sportwissenschaft und Sportmedizin wesentlich weiter. Wir schauen in der Musik aktuell hier noch zu wenig drauf.

Mit Resilienz haben Sie ja bereits das große Themenfeld Prävention angesprochen. Dem sollte dann vermutlich in der Musiker*innen-Ausbildung weiter noch ein größer Stellenwert zugesprochen werden, um genau dem vorzubeugen?

Ja, absolut. Wenn wir als Fachvertreterinnen und Fachvertreter die Grundlage so vermitteln, dass Musizieren letztlich mit Freude – so einfach es klingt – und körperlicher und geistiger Gesundheit geleistet werden kann und auch so gesehen wird – sowohl in der Amateur und Profiwelt – dann haben wir unglaublich viel gewonnen.

Die Chance ist, dass wir zeigen, welche Erkenntnisse die Musikausübung positiv befördern. Wenn wir das schaffen, sind wir am Kern dessen, worum es geht. Dann wird sich hoffentlich daraus Gesundheit mit ergeben.

Lampenfieber

Sie haben auch viel zum Thema Lampenfieber geforscht. Gerade dann, wenn aus Lampenfieber Auftrittsangst wird und uns Versagensängste hemmen bzw. sich körperlich bemerkbar machen (Blockaden, Gedächtnisverlust, muskuläre Anspannung), wirkt sie sich ja massiv auf unser Spiel aus.

Für mich ist der Umgang mit Lampenfieber und Auftrittsangst auch Teil des Übens. Denn die mentalen Ansätze, die wir hierzu haben, sind eine große Chance, die dort mitgeübt werden können.

Gerade in den Phasen wie z.B. dem Studium, in denen das Verhältnis von Üben und Auftritten sehr zu Gunsten des Übens liegt, den Umgang mit Lampenfieber einzuüben ist sinnvoll. Ich versetze mich also in die Rolle des Vorspiels/Konzerts hinein und stelle mir vor, wie die Auftrittssituation ablaufen wird. Dadurch lassen sich Auftrittssymptome positiv konditionieren.

Früher gab es oftmals die Auffassung, dass wenn man ausreichend geübt hat, man kein Lampenfieber haben muss. Das halte ich für etwas verkürzt. Oftmals stimmt es eben nicht, weil die Situation sich zeigen zu müssen im Auftritt/Probespiel, nochmals andere Dinge freisetzt. Eine gute Vorbereitung ist sicher wichtig für das Gelingen eines Auftritts, allerdings noch keine Garantie.

Außer dem klassischen Üben (also reproduzierendes Üben) ist es wichtig weitere Tools zu lernen, wie beispielsweise die Sekundenschnellentspannung, Anker und anderes. Dieses muss dann natürlich auch ins Üben integriert werden.

Daran schließen auch sehr schön die beiden letzten Folgen mit Annemarie Gäbler vom NDR Sinfonieorchester, mit der wir übers Probespiel gesprochen haben und die Folge mit Prof. Dr. Silke Kruse-Weber in der es um den Umgang mit Fehlern ging, an.

Outro

Was lernen (üben) Sie gerade, was Sie noch nicht können (gerne auch nicht musikalisch)?

Aber was ich wirklich noch lernen möchte, ist Saxofon spielen. Das mache ich dann, wenn ich endlich mehr Zeit und regelmäßig Zeit zum Üben haben.

Welchen Tipp würden Sie Ihrem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Das ist schwierig. Ich fand mein Studium super.

Ich muss sagen ich hatte wirklich sehr tollen Input und habe viele tolle Menschen kennengelernt. Das Studium ist sicher eine wichtige Phase, aber danach geht es ja noch weiter. Wie wir heute wissen, hören wir ja nie auf zu lernen.

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Buchtipp: Musikergesundheit in der Praxis https://what-is-practice.de/buchtipp-musikergesundheit-in-der-praxis/ https://what-is-practice.de/buchtipp-musikergesundheit-in-der-praxis/#respond Sun, 28 Jan 2024 11:11:34 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6349 In „Musikergesundheit in der Praxis“ präsentiert Prof. Dr. Claudia Spahn Musikerinnen und Musiker einen unverzichtbaren Leitfaden für ein gesundes Üben und Musizieren. Dieses Buch bietet wertvolle Einblicke und praktische Tipps, um Verletzungen vorzubeugen, ergonomische Spieltechniken zu entwickeln und Stress effektiv zu bewältigen. *Affiliate Link: Wenn du das Buch über diesen Link kaufst erhalte ich 5%… Weiterlesen »Buchtipp: Musikergesundheit in der Praxis

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In „Musikergesundheit in der Praxis“ präsentiert Prof. Dr. Claudia Spahn Musikerinnen und Musiker einen unverzichtbaren Leitfaden für ein gesundes Üben und Musizieren. Dieses Buch bietet wertvolle Einblicke und praktische Tipps, um Verletzungen vorzubeugen, ergonomische Spieltechniken zu entwickeln und Stress effektiv zu bewältigen.

Musikergesundheit - Claudia Spahn

*Affiliate Link: Wenn du das Buch über diesen Link kaufst erhalte ich 5% Provision. Für dich bleibt der Preis gleich – allerdings unterstützt du damit ganz automatisch meine Arbeit. Vielen Dank also! 🙂

Verstehen wie unser Körper musiziert

Durch ihre langjährige Erfahrung und ihre fundierte Expertise bietet Prof. Dr. Spahn wertvolle Einblicke und Empfehlungen, die sowohl Anfängern als auch etablierten Musikern helfen können, ihre Gesundheit zu erhalten und zu verbessern. Besonders hervorzuheben sind die praxisnahen Übungen und die konkreten Handlungsempfehlungen, die dazu beitragen, die Risiken von Überlastung und Verletzungen zu minimieren.


Claudia Spahn im Podcast „Wie übt eigentlich..?“

Wie üben wir gesund? Wenn jemand diese Frage gewissenhaft beantworten kann, dann Claudia Spahn. Sie studierte Medizin und Musik und leitet – gemeinsam mit Bernhard Richter – seit knapp 20 Jahren das Freiburger Institut für Musikermedizin.

Ich wollte wissen: Wie sieht aus musikmedizinischer Sicht der perfekte Übeplan aus.

Angefangen beim Warm-Up, über Pausen und Erholungsphasen bis zur Prävention von typischen Musikerkrankheiten gibt Claudia Spahn wichtige Tipps wie ein gesundes Üben und Musizieren klappt.

Darüberhinaus erzählt Claudia Spahn vom neuen Master-Studiengang „Musikphysiologie“ in Freiburg, der sich zur Aufgabe gemacht hat die Lücke zwischen Theorie und Praxis weiter zu schließen.


Fazit

„Musikergesundheit in der Praxis“ von Prof. Dr. Claudia Spahn ist ein unverzichtbares Werk für alle Musikerinnen und Musiker – egal ob Profi oder Hobby-Musiker. Mit fundierten Erkenntnissen, praktischen Übungen und klaren Empfehlungen bietet dieses Buch eine umfassende Anleitung zur Erhaltung und Verbesserung der körperlichen und mentalen Gesundheit.

Auf einen Blick

Musikergesundheit in der Praxis - Claudia Spahn

Sprache: Deutsch
Verlag: Henschel Verlag
Umfang: 111 Seiten
Für wen: Alle Musiker*innen
Sonstiges:

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Buchtipp: Der gesunde Musiker https://what-is-practice.de/buchtipp-der-gesunde-musiker/ https://what-is-practice.de/buchtipp-der-gesunde-musiker/#respond Wed, 03 Jan 2024 13:01:45 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6294 Wenn wir an Warm-Up oder Aufwärmen im musikalischen Kontext denken, schließt das in den allermeisten Fällen bereits unser Instrument mit ein. Aber auch unser Körper will optimal vorbereitet ins Üben starten. Pia Skarabis gibt hierzu in „Der gesunde Musiker – Traningsprogramme für Beruf und Hobby“ wertvolle Ausgleichsübungen für die unterschiedlichen Instrumente. *Affiliate Link: Wenn du… Weiterlesen »Buchtipp: Der gesunde Musiker

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Wenn wir an Warm-Up oder Aufwärmen im musikalischen Kontext denken, schließt das in den allermeisten Fällen bereits unser Instrument mit ein. Aber auch unser Körper will optimal vorbereitet ins Üben starten. Pia Skarabis gibt hierzu in „Der gesunde Musiker – Traningsprogramme für Beruf und Hobby“ wertvolle Ausgleichsübungen für die unterschiedlichen Instrumente.

Der gesunde Musiker Buchcover
Der gesunde Musiker – Pia Skarabis

*Affiliate Link: Wenn du das Buch über diesen Link kaufst erhalte ich 5% Provision. Für dich bleibt der Preis gleich – allerdings unterstützt du damit ganz automatisch meine Arbeit. Vielen Dank also! 🙂

Ausgleichsübungen für alle Instrumente

Ausgleichsübungen sollen den spezifischen Belastungen des Instrumentalspiels entgegenwirken. Meist hervorgerufen durch lange, einseitige Sitzpositionen oder (Instrumenten-)Haltungen. Auf gut zehn Seiten hat Pia Skarabis allgemeine Übungen zusammengestellt, die sich wunderbar in unser Warm-Up, in kleinen Übe-Pausen oder zum Cool-Down eignen. Die Bilder helfen die Übungen korrekt auszuführen.

Beispiele für Ausgleichsübungen:

  • Katzenbuckel/ Pferderücken
  • Unterarmdehner
  • Brustdehner
  • Rückenkraul

Auf 30 weiteren Seiten geht Pia Skarabis dann gezielt auf spezifische Ausgleichsübungen für die jeweiligen Instrumentengruppen ein. Selbstverständlich darf auch der/die Dirigent*in nicht fehlen.

Fazit

Pia Skarabis beginnt „Der gesunde Musiker“ mit vier einführenden Kapiteln zu körperlichen Belastungen beim Musizieren, einer Rückenschule, typischen Musikererkrankungen und der gesunden musikalischen Entwicklung bei Kindern. Das Buch datiert aus dem Jahr 2005 und hat somit bereits ein paar Jahre auf dem Buckel. Die ein oder andere wissenschaftliche Erkenntnis hat sich in der Zwischenzeit gewiss aktualisiert. Gleichwohl besticht „Der gesunde Musiker“ durch viele wertvolle, zeitlose Erkenntnisse und stärkt unser Verständnis über das gesunde Musizieren. Gerade durch seinen handlichen Umfang lässt es sich gut in der Instrumententasche verstauen und jederzeit in den Übe-Pausen zücken.

Auf einen Blick

Der gesunde Musiker Buchcover

Sprache: Deutsch
Verlag: Henschel Verlag
Umfang: 111 Seiten
Für wen: Alle Musiker*innen
Sonstiges:

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Your mind is an instrument https://what-is-practice.de/your-mind-is-an-instrument/ https://what-is-practice.de/your-mind-is-an-instrument/#respond Thu, 12 May 2022 11:57:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3948 Mentale Gesundheit bei Musikerinnen und Musikern In Deutschland sind jährlich 17,8 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen1. Diese Zahl ist so unvorstellbar groß, dass sich ein Vergleich mit einem Bundesland lohnt: Denn so viele Menschen wohnen aktuell in Nordrhein-Westfalen. Leider gibt es keine Statistik darüber, wie viele Musiker*innen hier einbegriffen sind. Jedoch fragte im… Weiterlesen »Your mind is an instrument

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Mentale Gesundheit bei Musikerinnen und Musikern

In Deutschland sind jährlich 17,8 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen1. Diese Zahl ist so unvorstellbar groß, dass sich ein Vergleich mit einem Bundesland lohnt: Denn so viele Menschen wohnen aktuell in Nordrhein-Westfalen. Leider gibt es keine Statistik darüber, wie viele Musiker*innen hier einbegriffen sind. Jedoch fragte im Jahr 2019 die schwedische Record Union ihre Nutzer*innen wie es um ihre mentale Gesundheit steht. Dabei gaben 73% der Befragten an, bereits negative Gefühle wie Angst oder Stress im Bezug auf Ihre Musik erfahren zu haben. Und lediglich 1 von 10 Befragten kann hierüber mit seinen Bandkolleg*innen sprechen2.

73 Prozent Studie Mentale Gesundheit
10 Prozent sprechen mit Bandkollegen über mentale Gesundheit

Übungen zur Stärkung der mentalen Gesundheit als Musiker:in

Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Barbara Barth:

Barbara Barth
Barbara Barth (Foto-Copyright: Juliane Guder)

Barbara Barth

Jazz-Sängerin und studierte Pyschologin.

Sie ist Dozentin an der Hochschule für Musik Saar und der Folkwang Universität der Künste in Essen, an der Sie unter anderem ein Resilienztraining für Studierende anbietet.

„Gut umgehen [mit sich] bedeutet nicht, dass man keinen Stress hat oder nie Rückschläge erlebt. Sondern eher, dass man – über Rückgriff auf seine eigenen Ressourcen – mit Krisen und ganz alltäglichem Stress so umgehen kann, dass man gesund bleibt und dazulernt oder möglicherweise sogar gestärkt daraus hervorgeht.“

(aus dem Interview mit Barbara Barth)

Als studierte Psychologin vermittelt Barbara Barth in ihrem Resilienztraining für Musiker*innen Studierenden Strategien und Techniken, wie sie mental gut aufgestellt in das Berufsmusiker*innen-Leben starten. Im Interview mit ihr hat sie Teile ihrer Methoden dazu verraten:

  1. Bewusstsein schaffen (Welche Ressourcen und Strategien im Umgang mit negativen Gefühlen habe ich bereits?)
  2. Entspannungs- & Atemübungen (meistens wirkt sich Stress ja auch körperlich aus)
  3. Pausen machen
  4. Sport treiben & gute Ernährung
  5. Welche Glaubenssätze (und Annahmen) über mich und andere stecken in meinem Verhalten?

„Dazukommt, dass man in andern Berufen abends nach Hause kommt und dort eine ganz andere, private Person ist. Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.“

(aus dem Interview mit Barbara Barth)

food for thoughts – Empfehlungen


Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Peter Laib:

Peter Laib mit Tuba

Peter Laib

Tubist unter anderem bei Moop Mama & Ernst Hutter und den Egerländer Musikanten.

Neben seiner musikalischen Tätigkeit hat er gerade seinen Masterstudium in Mentalcoaching an der Universität Salzburg abgeschlossen.

„So ein Werkzeugkoffer mit mentalen Interventionen ist wie eine Geheimwaffe, die niemand sieht – aber die man trotzdem immer bei sich trägt“

(aus dem Interview mit Peter Laib)

In seiner Masterarbeit zum Thema Mentalcoaching hat sich Peter Laib mit den Möglichkeiten von sogenannten Rollenspielen beschäftigt. Das bedeutet: Wie verändert es meinen Gemütszustand, wenn ich mich in eine bestimmte Situation hineinversetze und versuche, dieses Gefühl wieder zu erleben. Diese „Theater“ hat sich Peter Laib als Motivationsmöglichkeit angeschaut, um besser mit dem Üben anfangen zu können.

Sein Tipp um generell besser auf negative Stimmungen zu reagieren sieht so aus:

„Man schnappt sich einen Song, mit dem man positiv verbunden ist. Bei Peter wäre das Stevie Wonder „You are the sunshine of my life“.

Man zählt während des Liedes auf, entweder laut oder in Gedanken, wofür man gerade dankbar ist. Sowohl im beruflichen, als auch im privaten Kontext.

  • Ich bin happy, dass ich bei den Egerländern spiele.
  • Ich bin unglaublich glücklich, dass ich mit einer Band wie Moop Mama auf so großen Festivals spielen kann.
  • Ich bin dankbar, dass ich Musiker bin.
  • Ich freue mich, dass ich so eine tolle Partnerin habe.

So kann man es schaffen, innerhalb von kurzer Zeit, negative Gedanken auszublenden und eine sogenannte positive Affektlage herzustellen.

Jeder kennt es ja: Wenn du schlecht gelaunt bist, fällt alles viel schwerer. Und seitdem ich diese Übung entdeckt habe, mache ich sie auch selbst bevor ich anfange zu üben.“


food for thoughts – Empfehlungen


Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Daniel Scholz

Daniel Sebastian Scholz mit Gitarre

Daniel Sebastian Scholz

Daniel Sebastian Scholz ist seit dem Wintersemester 2022/23 Professor für Musizierendengesundheit an der Musikhochschule in Lübeck. Die Hochschule widmet sich, erstmals in ganz Deutschland, auch ganz dezidiert den mentalen Herausforderungen als Musiker:in


Tipps zum Umgang mit Lampenfieber als Musiker:in

Atmen im 3/4 Takt

„Also könnten Sie zum Beispiel Lippenbremse machen oder Atmen im 3/4 Takt.

Es geht dann so, dass Sie einen 3/4 Takt einatmen und dann zwei 3/4 Takte lang durch den Mund aus. Dann machen Sie einen 3/4 Takt Pause und fangen dann wieder von vorne an.

Machen Sie so viele Zyklen, bis Sie merken, das es einen Effekt auf Sie hat. Ganz wichtig ist, dass Sie das in Ihre Übelroutinen einbauen, damit Sie darauf ganz automatisch zugreifen können und nicht in einer Aufregungssituation das alles über den Haufen werfen.“

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Wie übt eigentlich Barbara Barth? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/#respond Tue, 16 Nov 2021 14:17:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3965 Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie. Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer… Weiterlesen »Wie übt eigentlich Barbara Barth?

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Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie.

Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer Praxis und bietet ein spezielles Resilienztraining für Musiker*innen an.

Was der Begriff genau meint, was man sich von ihrem Training erhoffen darf und warum aktuell das Thema mentale Gesundheit in der Musikbranche so präsent ist, darüber haben wir im Podcast gesprochen. 

Barbara Barth
Barbara Barth
(Foto-Copyright: pgwiazda Photographie)

Dieses Interview ist besonders, denn es steht auch noch ganz im Zeichen einer neuen Rubrik, die es seit Oktober hier auf dem Blog gibt. Nämlich dem Format „In der Sprechstunde“. 

Darin beantworten Expert*innen Eure Fragen zu einem halbjährlich, wechselnden Thema. Den Anfang machte der große Themenkomplex „Mentale Gesundheit“. An dieser Stelle nochmal ein herzliches  Dankeschön an die Psychologin Nathalie Mong, die als Expertin die ersten Fragen beantwortete.

Wenn ihr euch nun noch fragt, was mentale Gesundheit mit Eurem Übe-Alltag zu tun hat, dann seid auf das Gespräch gespannt.

Mehr Informationen zu Barbara Barth findet Ihr unter: www.barbarabarth.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Barbara Barth lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Ein Ziel haben und verfolgen. Also vorher zu wissen was möchte ich eigentlich lernen und wie komme ich dahin. Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben. Das habe ich im Studium ganz viel gebraucht und ist auch das, was ich heute den Studierenden vermittle. 

Deshalb bedeutet Üben für mich erst einmal klar haben was, wie, wann und auch wie lange. Es braucht für mich immer auch einen guten Rahmen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Ich höre nach wie vor, quasi eine Art Dauerbrenner seit ich angefangen habe Jazz zu singen, die Sängerin Tierney Sutton. Ich mochte sie von Anfang an und habe sie mit der Zeit immer mehr schätzen gelernt, da ich mich immer mehr reinhören konnte was sie und ihre Band da eigentlich macht.

Würdest du sagen, dass sie dann auch die Musikerin ist, die dich für dein Spiel am meisten geprägt hat?

Nein, am meisten nicht. Aber sicherlich stark – vor allem was das Komponieren und Arrangieren betrifft. Ich merke das auch, wenn ich Studierenden jetzt Beispiele geben möchte, dann lande ich oft bei Arrangements ihrer Band. 

Man kann dann schön zeigen: das war der Standard, das hat die Band daraus gemacht und warum klingt der auf einmal so anders.

Wen ich auf jeden Fall ganz speziell nennen kann sind Maria Pia De Vito, Theo Bleckmann, Sidsel Endresen oder ganz traditionell Fay Claassen und Al Jarreau.

Aktuell bist du Teil von zwei Trios, einem Duo mit dem Pianisten Manuel Krass, deinem Quintett, dem JassLabb de Cologne und singst im Blue Art Orchestra. Daneben hast du einen Lehrauftrag in Saarbrücken und an der Hochschule Osnabrück und bist Teil des PENG Kollektivs. Wie kann man sich Deinen typischen Übe-Alltag vorstellen ?

Die Zeit, in der ich am meisten geübt habe in meinem Leben ist wirklich das Studium und die Zeit davor gewesen. Da hatte man jeden Tag Zeit und es ist ja auch sozusagen deine „Aufgabe“. Wenn man dann mit beiden Beinen im Berufsleben steht – und du hast ja gerade schon ein paar Projekte aufgezählt – ist schon viel, viel Zeit ausgefüllt. Das heißt, man muss sich dann schon hier und da die Zeit „abzwacken“. 

Natürlich ist das auch immer sehr davon abhängig, was gerade ansteht. In der vergangenen Woche habe ich beim Fuchsthone Orchester mitgesungen, wofür ich ein riesen Programm lernen musste. Da alle Stück neu für mich waren, habe ich mir natürlich in der Vorbereitung sehr viel mehr Zeit zum Üben genommen.

„Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben.“

(Barbara Barth)

Ich übe also meistens auf Konzerte hin. Wenn ich dann mal mehr Zeit habe, merke ich, dass auch wieder Raum da ist um Dinge zu üben, die mich interessieren. Dann transkribiere ich gerne ein Solo oder nehme ein transkribiertes Solo wieder aus dem Regal.

An meiner Stimmtechnik arbeite ich dagegen aber weiter regelmäßig. Einmal im Monat bin ich hierfür bei meiner Technik-Lehrerin. Die Stunde nehme ich dann meistens auf und versuche sie dann im Anschluss nochmals nachzuvollziehen.

Ich kann dir also gar keinen genauen Übe-Alltag sagen, der dann immer auf eine bestimmte Art und Weise ist. Ich kann nur sagen, dass zum Üben auch immer Pausen dazu gehören. Und Üben ist auch alles, was du bewusst aufnimmst und reflektierst. Gerade bei Stimmtechnik geht es auch viel darum physiologische Prozesse zu verstehen, oder zu empfinden was passiert, wenn ich dies oder jenes denke. Wie reagiert mein Körper ? Wie reagiert meine Stimme? Dies ist dann auch viel mentales Üben.

Übst du dann auch bewusst mental, wenn du beispielsweise unterwegs bist ?

Nein, wenn ich jetzt konkrete Stücke übe, dann übe ich diese schon immer am Instrument. Aber zur Frage „Wie funktioniert eigentlich mein Instrument und wie bringe ich es zum Klingen?“ – hier passiert viel mehr vor dem eigentlichen Singen. Beispielsweise mit der Einstellung zum Instrument, wie fühlen sich meine Muskeln an – bin ich frei oder macht etwas die Stimme eng? Diese Fragen haben auf jeden Fall sehr viel mit dem Kopf zu tun. 

Meine Technik-Lehrerin sagt beispielsweise, sie übe nur noch denkend. Sie hat vor einer Weile aufgehört zu singen beim Üben. Sie denkt nur noch die Töne und die Vokale und hat eine ganz starke Empfindung, was dabei an den Stimmlippen und im Kehlkopf passiert. Sie trainiert quasi nur noch Ruhe zu bewahren. Sie ist klassische Sängerin und daher ist es hier auch nochmal etwas anderes.

Aber ich kann ja auch eine Stunde am Tag meine Tonleitern auf und ab singen und dabei nichts geübt haben. Oder ich denke ein paar Mal das Richtige und programmiere auf diese Weise meinen Körper und habe dann viel mehr erreicht im Vergleich.

Spannenderweise habe ich gerade vor zwei Wochen das Buch von Renate Klöppel „Mentales Training als Musiker“ entdeckt und mich in dem Zusammenhang erstmals mit mentalem Üben auf meinem Instrument beschäftigt. Es ist super spannend sich in dieses Mindset zu bringen und sich vorzustellen „Wie fühlen sich meine Muskeln an, wenn ich spiele“. Also in jedem Fall ein super interessantes Thema, welches aber vielleicht zu ausufernd für diesen Rahmen nun wird.

Aber weil du nun gerade zur Konzertvorbereitung gefragt hast. Das eine sind die Töne lernen. Die Stücke lernen. Habe ich eine Stelle, an der ich improvisiere? Dann übe ich diese Stelle.
Aber das andere ist sich darauf einzustellen, was habe ich zum Beispiel für Befürchtungen, Zweifel und Ängste – und was macht das dann wieder mit meiner Stimme und meiner Musikalität. Das ist mindestens genauso wichtig, wie die richtigen Töne zu üben.

„Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.“

(Barbara Barth)

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Puh, das ist eine sehr allumfassende Frage (lacht). Ich habe mir dann immer Übungen gebaut. Für mich stand immer im Vordergrund, dass ich improvisieren lernen möchte. Es fließt ja letzten Endes so viel zusammen bei dem was und wie man etwas übt und was man dabei lernt. 

Wenn ich jetzt improvisieren übe, dann lerne ich etwas über Harmonielehre, ich muss mich am Klavier begleiten – ich übe also Klavier-Spielen – ich lerne Gehörbildung und lerne Intervalle und Skalen hören. Man übt ja zumeist ganz vieles miteinander und schaut dann auf dem Weg, wo einen das Ganze hinbringt.
Wichtig ist dabei auch, dass man in der Lage sein sollte sein Ziel von Zeit zu Zeit anzupassen. Man kann jetzt nicht sagen „ich möchte in zwei Jahren dies und jenes erreichen“ und merkt dann auf dem Weg, dass sich möglicherweise das Interesse verändert hat. Große Ziele sind daher auf jeden Fall wichtig. Aber noch wichtiger, bezogen auf das Üben und vor allem zum Durchhalten, sind die kleinen Ziele. Das man zum Beispiel sagt, dass man ein eigenes Stück schreiben möchte, ein bestimmtes Stück gerne mal lernen will oder auch mehr Chromatik in der Improvisation nutzen möchte.

Hast du das dann damals auch in einer Art Übetagebuch festgehalten?

Ja, ich habe mir immer die Übungen ganz konkret aufgeschrieben, um Anhaltspunkte zu haben und auch dann Schritt für Schritt voran zu kommen. Man sieht dann „jetzt kann ich das schon und kann dann einen Schritt weiter gehen“.

Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig sich eine Struktur zu geben.

Zum Beispiel, wenn ich nun mit einer bestimmten Skala über ein Stück improvisieren lernen möchte, dann reicht es unter Umständen nicht, sich nur den Akkord hinzulegen und dann zu singen und zu schauen, was passiert. Besser ist wirklich konkret die Töne zu üben und mir eine Struktur zu schaffen, wie ich das machen kann. 

Ich glaube, dann muss man auch akzeptieren, dass Üben nicht unbedingt bedeutet sich kreativ am Instrument ausleben zu können. Sondern vielleicht erst einmal etwas herunter zu brechen und einmal das Gefühl zu haben, kurzzeitig auch schlechter zu werden. Das kennt man ja sicher: Wenn man sich mit etwas intensiv beschäftigt, fallen einem plötzlich die ganzen Dinge auf, die man noch nicht kann. Oder man ist so fokussiert darauf es richtig machen zu wollen, dass man das Gefühl hat, sich zu verschlechtern. Aber ich glaube, dass gehört fest zum Üben dazu. Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.

Ich glaube Üben – oder besser werden – ist etwas, dass nicht einfach so passiert, sondern, dass ich mir wirklich erarbeiten muss.

Barbara Barth
Barbara Barth (Copyright © Juliane Guder)

Das hat ja auch ganz viel mit Wahrnehmung zu tun. Wie nehme ich mich selbst wahr beim Üben? Habe ich überhaupt eine gute Selbstwahrnehmung?

Genau, mache ich mir das eigentlich bewusst, was ich da singe. So ist es zumindest für den Prozess „Ich kann etwas noch nicht und möchte es üben“. Natürlich gibt es auch ganz viel, dass sich entwickelt, wenn man mit anderen Musiker*innen zusammen spielt, wenn man Musik hört oder auf Konzerte geht.

Aber wenn man eine bestimmte Sache übt, dann bin ich der Meinung, dass dies auf jeden Fall bewusst und strukturiert passieren sollte.

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Du hattest eben ja bereits angesprochen, dass du einen Tag in der Woche noch als Psychologin arbeitest. Würdest du sagen, dass dieses Studium dir als Musikerin geholfen hat eine besser Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung zu entwickeln?

Es ist natürlich eine total persönliche und individuelle Sache, wie jemand in ein Studium geht und damit letztlich zurechtkommt. Und warum es bei mir so war, hat natürlich bestimmt auch mit dem Psychologie-Studium zu tun. Mir hat es auch geholfen, bereits vorher mal einen Studiengang gemacht zu haben. Daher war ich auch jemand, die immer recht strukturiert gewesen ist.

Das andere, was du vielleicht meinst, ob ich dadurch nun reflektierter war, oder schon besser mit mentalen Dingen umgehen konnte, weiß ich gar nicht. Ich glaube, das hängt auch immer stark an der persönlichen „Ausstattung“ und wie sich jemand damit auseinander setzten möchte. 
Ich fand es für mich total bereichernd dieses Studium gemacht zu haben. Man lernt in einem Psychologie-Studium ja immer auch die Dinge von verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Und dann realisiert man, dass immer viele Faktoren zusammen eine Rolle spielen und wir alle verschieden sind. Das war in jedem Fall grundsätzlich sehr bereichernd. 

Inzwischen verbindest du nun diese beiden Fachgebiete in einem speziellen Resilienztraining für Musiker*innen. Kannst du ganz kurz erklären was der Begriff meint und uns einen kurzen Einblick in das Seminar geben?

Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.

Gut umgehen bedeutet nicht, dass man keinen Stress hat oder nie Rückschläge erlebt. Sondern eher, dass man – über Rückgriff auf seine eigenen Ressourcen – mit Krisen und ganz alltäglichem Stress so umgehen kann, dass man gesund bleibt und dazulernt oder möglicherweise sogar gestärkt daraus hervorgeht.

„Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.“

(Barbara Barth)

Natürlich ist dies für alle Menschen wichtig. Warum es aber gerade für Musik-Studierende (oder Studierende allgemein) wichtig ist? 
Das Studium ist eine ganz besondere Lebensphase. Zum ersten Mal kommt man aus dem Elternhaus heraus, hat gerade Abitur gemacht und fängt allmählich an auf eigenen Beinen zu stehen. Alleine daher macht man bereits ganz viele Veränderungen mit und muss sich erstmal neu finden.

Dann kommt man in einen Pool von anderen Mitmusiker*innen und merkt plötzlich, dass man sich anfängt zu vergleichen. Man bekommt sehr viele Aufgaben von den unterschiedlichen Dozierenden mit und möchte diese natürlich auch gut erfüllen. Möglicherweise möchte man genauso gut sein, wie jemand bestimmtes und beginnt sich dann zu fragen, wieso man die Aufgabe noch nicht kann. Oder man etwa für ein Projekt nicht gefragt wird. Damit lernen so umzugehen, dass man psychisch gesund und motiviert bleibt ist in jedem Fall eine Herausforderung. Aber gleichzeitig auch total wichtig, weil es sonst sein kann, dass man seinen Beruf nicht weiter ausüben kann.

Geht es in dem Kurs dann auch darum, konkrete Übungen zu vermitteln oder hauptsächlich erst einmal ein Bewusstsein hierfür zu schaffen?

Beides. Ein Bewusstsein zu schaffen ist ja bereits eine Übung. Zum Beispiel geht es schon damit los, ein Bewusstsein zu schaffen, welche Ressourcen und Strategien (also Resilienzfaktoren) wir bereits alle haben. Wenn man sich hier im Kurs umhört, gibt es immer eine große Sammlung an Dingen, die die Studierenden machen, wenn es ihnen nicht gut geht. An Wegen, wie sie sich motivieren und wie sie mit Rückschlägen umgehen. Eigentlich alle haben hier bereits Erfahrungen und somit auch Fähigkeiten „im Gepäck“, über die sie sich gar nicht bewusst sind. Vor allem, weil sie oftmals denken, dass diese Strategien ja selbstverständlich seien. 

Andere, konkrete Übungen, die im Kurs vermittelt werden, sind Entspannungs- oder Atemtechniken. Meistens wirkt sich Stress oder Leistungsdruck ja auch körperlich aus. Darüber hinaus sind generell Pausen machen, Sport, gesunde Ernährung wichtig.

Auf der mentalen Ebene schauen wir uns dann an, welche Glaubenssätze und Annahmen (über mich und andere) stecken hinter meinem Verhalten. Dieses Zusammenspiel von Gedanken, Gefühlen und Verhalten – also, dass meine Gedanken Gefühle auslösen können. Dies wiederum beeinflusst, wie ich mich in bestimmten Situationen dann verhalte werde und bestätigt unter Umständen wieder meine Gedanken.

Würdest du sagen, dass man als Musiker*in hier mehr gefährdet ist, da man sich ja quasi immer am Vergleichen ist? Sowohl mit seinen Mitstudierenden, als auch mit seinen Idolen.

Ich glaube, es ist immer auch eine Persönlichkeits- und Kontextfrage. Auch in anderen Berufen gibt es diese Vergleiche.

Allerdings scheint unter Musiker*innen immer noch mehr dieses „Einzelkämpfertum“ zu existieren – komischerweise. Eigentlich sollte man sich viel mehr zusammentun. Zwar spielt man mal in einer Band zusammen, aber ansonsten bleibt jeder meistens für sich. In anderen Berufen gibt es sicher mehr ein „Nebeneinander“ – wohingegen in der Musik weiter gilt: entweder du oder ich. Entweder werde ich gefragt, oder jemand anderes. Selbst wenn man das gar nicht möchte und wir alle Kolleg*innen sind. 

Dazukommt, dass man in andern Berufen abends nach Hause kommt und dort eine ganz andere, private Person ist. Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.

„Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig, sich eine Struktur zu geben.“

(Barbara Barth)

Was in diesem Zusammenhang jedoch ganz schön festzustellen ist, dass spätestens seit Corona hier ein größeres Bewusstsein geschaffen wurde. Inzwischen gibt es ja auch den Mental-Health in Music (MiM) Verband und auch unter Musiker*innen stelle ich eine andere Wahrnehmung bei diesem Thema fest.

Ich glaube auch, dass nur wir alle zusammen das verändern können indem wir offen damit umgehen und aufhören uns gegenseitig etwas vorzumachen. Es nützt ja niemandem, wenn man versucht ständig eine „Hackordnung“ einzuführen.

Du hattest eben selbst Sport für dich als einen Resilieztipp angeführt. Was hilft dir nach einem anstrengenden Probe- oder Gigtag um abschalten und „runterkommen“ zu können?

Für mich ist immer super wichtig, dass ich genügend Schlaf habe und ausreichend Pausen mache. Einfach, dass ich mir den Tag nicht so voll packe. Wenn ich beispielsweise weiß, dass ich abends spät nach Hause komme, schaue ich, dass ich den nächsten Vormittag frei habe. Mir ist wichtig, dass ich gut für mich sorge. Dazu zählt natürlich auch gutes Essen irgendwohin mitzunehmen, wenn ich länger unterwegs bin. Überhaupt mir vorher zu überlegen, wann ich essen kann.

Für mich ist das Regenerative eher die Entspannung. Das heißt also auch in die Sauna gehen, oder in Ruhe auf der Couch zu liegen, oder etwas zu kochen.

„Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.“

(Barbara Barth)

Also Freiräume schaffen, das wäre dein Tipp?

Ja, auch für Freunde. 

Wenn ich merke, dass ich nicht gut drauf bin und beim Üben feststelle, dass es nicht besser wird, dann weiß ich, dass ich besser aufhören sollte. Vielleicht höre ich dann sogar für die nächsten drei Tage auf. Und schaue dann nochmal, wenn ich in einer besseren Stimmung bin und netter mit mir umgehe, was dann herauskommt.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Vor kurzem neu entdeckt kann ich nicht sagen, aber was ich immer super gerne mache ist transkribieren und Transkriptionen singen. Dabei möchte ich diese so verinnerlichen, dass ich sie nicht einfach nur einmal zur Aufnahme mitsingen kann, sondern Ton für Ton wirklich so „reingehen“, dass ich verstehe was der/ die Komponist*in hier gemacht hat. Natürlich auch Licks herausnehmen. Es macht richtig Spaß, wenn man merkt, dass die Dinge dann in sein eigenes Improvisieren übergehen.

Was mich inzwischen schon seit sechs Jahren beschäftigt (daher auch nicht unbedingt mehr neu), ist die Funktionale Stimmtechnik. Sie hat mir so viel über mein Instrument, die Stimme, erst einmal beigebracht. Ich kann hier ganz in mir ruhend und mit ganz viel Aufmerksamkeit drei Mal „A“ singen und habe dabei so viel gelernt, wie ich mein Instrument benutzen sollte. Das ist für mich immer noch „neu“ und faszinierend.

Was ich vor allem während Corona schätzen gelernt habe, ist die Fülle an Übe-Material bei Youtube oder tolle Apps, wie von deinem letzten Interview Gast Steffen Weber. Dass es hier so viel gutes Material gibt, mit dem es Spaß macht zu üben. Vor allem, wenn man durch ausbleibende Konzerte nicht so viel Routine hat. 

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir, guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Ich versuche schon zu schauen, dass es insgesamt ausgeglichen ist. Das heißt ich achte schon darauf, dass ich frei habe und vor allem Freiräume für mich habe, um meine Sachen zu machen. Also um mich mit meinen Projekten zu beschäftigen, um in Ruhe üben zu können, um meine Technik-Übungen machen zu können. Das ist bei mir zum Beispiel immer der Freitag. Mittwochs habe ich ähnliches Zeitfenster für mich. Aber, dass muss ich mir dann auch bewusst in den Kalender schreiben.

Bei Terminen, beispielsweise zur Organisation des PENG-Festivals, versuche ich dann dafür konsequent zu sein und zu sagen „Sonntag geht nicht“.

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ?

Das kommt total auf die Tagesform an. Wenn ich viele andere Sachen erst einmal anfange, fällt es mir schwer nochmal ins Üben zu kommen.

Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein. Anschließend kann man dann den anderen Kram machen.

„Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein.“

(Barbara Barth)

Allerdings geht es mir manchmal so, wenn die Sonne schon untergegangen ist, dass ich dann nochmal Lust bekomme von 20h bis 22h Üben zu gehen. Und dann läuft es voll. Manchmal ist es einfach unberechenbar. Ich glaube was für mich gut ist ist, aufmerksam zu sein, für das, was gerade in mir passiert und was mir gut tut. Besonders rechtzeitig zu merken, wann ich aufhören sollte. Das ist auch unabhängig von der Tageszeit. 


Ich hab hierauf schon wieder keine pauschale Antwort, wie du merkst (lacht).

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (auch gerne nicht-musikalisch)

Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann. Dann zu sagen: „Ok, es ist trotzdem gut.“ Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.

Ich glaube das Wichtigste ist zu lernen zufrieden zu sein, auch wenn man ganz viele Dinge noch nicht kann. Davon sich nicht grundsätzlich demotivieren zu lassen – sondern mit den Dingen, die man bereits gelernt hat zu sagen: „Damit kann ich doch jetzt schon mal gut weitermachen.“

Das schließt ja nun auch den Kreis zur Selbstwahrnehmung und dem vorhin angesprochenen Resilienztraining.

Ja. Für mich hat sich die Frage „was ist üben?“ wirklich dahingehend verändert. Im Studium habe ich es immer durchgezogen. Jeden Tag. Das ist auch total gut gewesen, weil ich dadurch auch eine gute Basis mitnehmen konnte. 

Aber ich merke inzwischen immer mehr, dass es total wichtig ist, mit mir gut umzugehen und auch Abstand vom Üben nehmen zu können. 

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Eigentlich habe ich immer davon profitiert im Studium, dass ich so strukturiert geübt habe. Aber was ich gebraucht hätte, wäre ein Person gewesen, die sich eher den mentalen Themen mit mir gewidmet hätte und mich da besser aufgefangen hätte.

„Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann.  Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.“

(Barbara Barth)
Bildnachweis:

Titelbild von pgwiazda Photographie

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Mental Health mit Dipl. Psych. Nathalie Mong

Die Expertin

Die Expertin für die erste Sprechstunde zum Thema Mentale Gesundheit („Mental Health“) ist Nathalie Mong.

Rock- und Popmusik spielte im Leben von Nathalie schon immer eine bedeutende Rolle. In ihrer Jugend war sie Sängerin in Popbands. Beeinflusst von dem, was MTV zu der Zeit zu bieten hatte. Auch ihre Praktika beim Radiosender Fritz in Potsdam-Babelsberg brachten sie stärker mit der Welt der Musik in Kontakt. Bis heute singt sie leidenschaftlich gern und arbeitet an ihrer Stimme.

Dipl. Psych. Nathalie Mong
Dipl. Psych. Nathalie Mong

Nathalies zweites großes Interesse ist die Psychologie. Nach ihrem Diplomstudium in diesem Fach und einer Ausbildung zur Psychotherapeutin wollte sie diese beiden für sie wichtigen Felder zusammenbringen. Bei ihrer Suche nach neuen Ansätzen hierzu stieß sie auf die Musikermedizin, die sich mit speziellen körperlichen und psychischen Erkrankungen dieser Berufsgruppe befasst und bildete sich darin weiter.

Die Forschung auf diesem Gebiet interessiert sie ebenfalls sehr. Als Autorin für Fachzeitschriften setzt sie sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen aktiv auseinander. Bis 2020 bot Nathalie eine Spezialsprechstunde für Berufsmusiker*innen am Psychotherapeutischen Gesundheitszentrum in München an, wo sie parallel als stellvertretende Leitung tätig war.

Aktuell bietet Nathalie private Psychotherapie und Coaching speziell für Rock-/Pop-Musiker*innen an und gibt Workshops zum Thema mentale Gesundheit. 

Mehr zu Nathalie auf Instagram: musicandsoul_nathalie

Die Sprechstunde

Das Thema mentale Gesundheit ist in der Musik-Branche  aktuell sehr präsent. Wie kommt es, dass gerade (selbstständige) Musiker*innen so oft mit psychischen Problemen zu tun haben?

Es gibt eine Kombination von Risikofaktoren, die speziell in der Musikbranche auftreten. Diese führen nicht zwangsläufig zu Beschwerden, da jeder Mensch anders reagiert. Sie kann aber, ohne das Bewusstsein dafür und geeignete Coping Strategien im Umgang damit, die Wahrscheinlichkeit von psychischen Problemen erhöhen.

Zu diesen Faktoren gehören u.a.:

  • extremes Arbeitspensum und Arbeitszeiten
  • unregelmäßige Schlafenszeiten oder zu wenig Schlaf,
  • schlechte Ernährung und andere Folgen von vielem (low Budget) Reisen
  • hoher Druck auf den Punkt zu performen
  • mangelnde finanzielle Sicherheit- und Planbarkeit
  • niedrige Gagen, leichte Verfügbarkeit und hohe Akzeptanz von Alkohol sowie Drogen
  • in der Regel hohe Identifikation mit der eigenen Arbeit
  • Erwartung der ständigen Verfügbarkeit
  • weniger Grenzen zwischen Privatem und Arbeit, evtl. komplett gleicher Freundeskreis
  • wenig Verständnis und Unterstützung von Menschen außerhalb der Branche 

Selbstwirksamkeit und Resilienz sind uns als Stichworte spätestens seit der Corona-Pandemie sehr vertraut. Gibt es hier spezielle Strategien und Techniken für Musiker*innen, die auch der Tatsache Rechnung tragen, dass musikalische Resultate meist langfristige Prozesse sind?

Ich kenne ehrlich gesagt, zu den beiden Bereichen keine Strategien, die nur für Musiker*innen anwendbar wären. Eine hohe Selbswirksamkeitserwartung (=Die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungen souverän bewältigen zu können) ist u.a. ein wichtiger Bestandteil von Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit einer Person).

Zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit, ist es wichtig, sich gut zu kennen, damit man sich (Übungs-) Ziele setzt, die zwar eine Herausforderung, aber keine Überforderung sind. Umgib dich mit unterstützenden Menschen, die an dich glauben. Es hilft auch, sich Mentor*innen zu suchen, die schon das erreicht haben, was du möchtest (oder lies Bücher von ihnen/höre Podcasts). Positive Modelle, in Bezug auf sein Ziel im Leben zu haben, hilft.  

Für den Bereich Resilienz finde ich persönlich wichtig, sich Humor und Optimismus zu erhalten. Man kann sich in einer schwierigen Situation gezielt fragen, wie diese aussehen würde, wenn man sie mit Humor betrachtet. Investiere in ein positives, ehrliches und unterstützendes Umfeld und lerne Achtsamkeit.   

Wie gehst du mit negativen Gedanken während des Übens um?  (Typisches „Heute klappt gar nichts.“)

Ich mache mir klar, dass ich kein Roboter bin. Es ist ok, dass meine Leistungen daher in Abhängigkeit der Tagesform schwanken können. Da ich achtsam bin, versuche ich den Gedanken „Heute klappt gar nichts“ und den Frust darüber nur zu registrieren. Mit einem Fokus auf die Gegenwart versuche ich nicht in diese Abwärts-Grübel-Selbstabwertungsspirale zu geraten.

Praktisch würde ich mir eine Pause gönnen und etwas machen, was mir einfach „nur“ Freude und Spaß bringt z.B. Tanzen und mich voll darauf konzentrieren. Danach probiere ich es nochmal mit dem Üben. 

Barbara Barth

Sind Musiker*innen gefährdeter für psychische Probleme, Barbara Barth?

“Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.”

Hat sich der Druck auf junge Musiker*innen durch die sozialen Netzwerke erhöht oder überwiegen weiter die Vorteile?

Es gibt Risiken, die mit der übermäßigen und unreflektierten Nutzung von sozialen Medien zusammenhängen. Die Stimmung sinkt bis hin zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Depressionen. Durch die ständigen (unrealistischen) Vergleiche sinkt der Selbstwert. Sogar die Beziehung zum eigenen Körper kann sich verändern.

Auf der anderen Seite sind soziale Medien momentan das unmittelbarste Marketing Tool von Musiker*innen. Bei einem bewussten Umgang (z.B. Limitierung der Zeit in sozialen Medien, Erhalt eines sozialen Netzwerks im realen Leben / klare Social Media Strategie / Wie will ich mit Hasskommentaren umgehen?) überwiegen aus meiner Sicht aktuell die Vorteile. 

„Positive Modelle, im Bezug auf sein Ziel im Leben zu haben, hilft.“

(Nathalie Mong)

Was wäre dein Rat gegen zu viel Perfektionismus?

Sich zuerst bewusstmachen, was genau meine Erwartung an mich selber ist und warum ich das ändern will. Ist die Erwartung z.B. ich muss immer 120% geben, dann würde ich mir gezielt Situationen in meinem Alltag suchen, wo ich mich traue mal „nur“ 100% zu geben und achtsam die Folgen beobachten. Passiert das, was ich befürchte (andere mögen mich nicht mehr, halten mich für schlampig etc.)? Diese Experimente sehr oft wiederholen, am besten aufschreiben und evtl. das Ganze sogar auch mit 80% probieren.

Kann starkes Lampenfieber vor Auftritten schon ein Indiz für ein psychisches Problem sein?

Lampenfieber und Auftrittsangst bilden ein Kontinuum bei dem Aufrittsangst eine sehr extreme Ausprägung ist (mit massiven körperlichen Symptomen, Vermeidungsverhalten etc.). Das alleinige Auftreten von Lampenfieber führt nicht zwangsläufig zu einer Auftrittsangst – es kommt aber darauf an, wie mit dem Lampenfieber umgegangen wird.

Wird das Lampenfieber zunehmend als negativ bewertet und führt es zu tatsächlichen negativen Auftrittserfahrungen, kann sich mit der Zeit schon eine Auftrittsangst aufbauen. Allerdings kann man einen guten Umgang mit Lampenfieber – auch mit starken Lampenfieber – lernen, so dass es sich nicht zu Auftrittsangst entwickelt.

Die letzte Frage wurde durch Melissa Salinas beantwortet (https://www.melissa-salinas.de/).

food for thoughts – Empfehlungen

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