Mentale Gesundheit | https://what-is-practice.de/tag/mentale-gesundheit/ BLOG Fri, 07 Jun 2024 09:55:33 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png Mentale Gesundheit | https://what-is-practice.de/tag/mentale-gesundheit/ 32 32 Mentale Gesundheit in der Musik https://what-is-practice.de/mentale-gesundheit-in-der-musik/ https://what-is-practice.de/mentale-gesundheit-in-der-musik/#respond Mon, 03 Jun 2024 08:53:44 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6524 Dr. Daniel Scholz ist Professor für Musizierendengesundheit an der Hochschule in Lübeck. Als Neurowissenschaftler, Diplom-Psychologe, Verhaltenstherapeut studierte er zudem auch Jazz Komposition und arbeitet weiter als Musiker. Die Besonderheit seiner Stelle: ganz explizit fokussiert er sich auch auf die mentale Gesundheit von Musikerinnen und Musikern. Ich habe mit ihm über konkrete Techniken zur Prävention von… Weiterlesen »Mentale Gesundheit in der Musik

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Dr. Daniel Scholz ist Professor für Musizierendengesundheit an der Hochschule in Lübeck. Als Neurowissenschaftler, Diplom-Psychologe, Verhaltenstherapeut studierte er zudem auch Jazz Komposition und arbeitet weiter als Musiker. Die Besonderheit seiner Stelle: ganz explizit fokussiert er sich auch auf die mentale Gesundheit von Musikerinnen und Musikern.

Ich habe mit ihm über konkrete Techniken zur Prävention von mentalen Problemen in unserem Beruf gesprochen. Natürlich durften Methoden zum Umgang mit Auftrittsangst und Lampenfieber ebenso wenig fehlen wie Tools zur Selbstorganisation.

Dr. Daniel Scholz - Professor für Musizierendengesundheit
Prof. Dr. Daniel Sebastian Scholz (Foto: © Laura Hinz)

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Das Interview

Inhalt

Dass ich mit einem Interviewpartner mich zweimal treffe, ist tatsächlich jetzt in knapp 30 Folgen eine Premiere für mich. Entsprechend bin ich ein bisschen nervös.

Als ich im Vorfeld drüber nachgedacht habe, kam mir der Vergleich in den Sinn, dass unsere Situation jetzt ja so ähnlich ist, wie eine Auftrittssituation beziehungsweise eine „Minitour“ mit zwei Terminen. Wir haben uns für den ersten Termin vorbereitet. Es kam, zumindest für mich, zu einem guten Ergebnis und ich war sehr zufrieden. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den Termin heute. Was wäre denn ein Tipp, den Sie mir mitgeben könnten, damit ich aus unserem Gespräch auf jeden Fall zufrieden rausgehe und nicht enttäuscht wäre, dass die erste Version aus technischen Gründen doch nicht funktioniert hat?

Da gibt es zwei Aspekte: Zum einen müssen Sie drüber nachdenken: Wie häufig müssen Sie ein Programm spielen, damit das wirklich gut wird? Sind zwei Termine ausreichend?  Die Antwort wäre wahrscheinlich nein. Sie müssten das auf jeden Fall, ich würde sagen, fünf bis zehn Mal spielen, bis so ein Programm wirklich gut wird.

Das ist auch etwas, woran zum Beispiel die Musikhochschulen total kranken. Wir haben ein Programm, erarbeitet und spielen das vielleicht ein- bis zweimal live. Es kann dann noch gar nicht gut sein, weil die Fallen und die Situationen, wenn es tatsächlich live ist, verändern sich. Sie fliegen im Zweifelsfall an anderen Stellen raus, als in der Vorführung davor und in ganz anderen Stellen, als zum Beispiel im Proberaum.

Und dann würde ich einen Baustein aus der Acceptance and Commitment Therapy empfehlen. Also man muss das akzeptieren, was man nicht ändern kann und deshalb einfach hinnehmen und sich dessen bewusstwerden. Jede Aufnahme und jeder Auftritt ist immer nur eine Momentaufnahme. Das ist das, was in diesem Moment möglich war.

Wenn man so möchte, haben wir da jetzt schon so eine kleine Lektion in „Resilienz“ erfahren. Sie hatten beim letzten Mal das schöne Zitat von Eckert Altenmüller erwähnt: „Im intergalaktischen Zusammenhang ist unser Fauxpas eigentlich bedeutungslos“. Von daher würde ich sagen, starten wir direkt rein und fangen noch mal mit unseren „Entweder-oder-Fragen“ an.       

Entweder-Oder-Fragen

Jimmy Hendrix oder Francisco Tarrega?

Schwierig. Francisco Tarrega war die erste Prägung an der klassischen Gitarre. Später hat auf auf jeden Fall Jimmy Hendrix übernommen. Ich habe hier sogar im Büro eine Jimmy Hendrix-esk bemalte Gitarre stehen, auf die besagte Eckart Altenmüller auch immer in Auge geworfen hat.

Ab 15, 16 Jahren hat Jimi Hendrix von Francisco Tarrega übernommen. Aber ich muss natürlich sagen, Tarrega ist im Zweifelsfall der Urvater.

Selten und viel oder immer und wenig?

Immer und wenig.

Wie wichtig würden Sie sagen, sind freie Tage für Musiker:innen in der Woche? Es ja typisch, vor allem in der Freiberuflichkeit irgendwann, dass man sich diesen berühmten freien Samstag/freien Sonntag nur ganz selten gönnt oder auch nur gönnen kann, weil Konzerte anstehen.

Extrem wichtig. Ich versuche das auch, allen Studierenden einzubläuen, dass sie ihr Zeitmanagement so hinkriegen müssen, dass es einen freien Tag gibt. Das muss ja nicht Samstag oder Sonntag sein. Es kann auch unter der Woche sein, so wie der Friseur z.B. den frei macht. Es muss auf jeden Fall ein Ausgleich und ein gewisser Abstand zum Instrument geschaffen werden. Das ist ein extrem wichtiger Baustein für Konsolidierung, also Verfestigung von Gedächtnisspuren.

Social Media oder Social Media Detox?

Lieber Social Media Detox.

Sie sind ja selber auch gar nicht aktiv auf Social Media. Wie beobachten Sie den Einfluss von Social Media insgesamt auf Studierende? Als Musikschaffender ist man in dieser besonderen Situation, dass eigentlich die Mitstudierenden, die Mitmusiker, immer auch Konkurrentinnen und Konkurrenten sind. Insofern kommt man fast gar nicht mehr ohne ein aktives Social-Media-Profil, ein aktives Verkaufen aus. Trotzdem geht damit immer auch ein andauerndes Vergleichen und Bewerten einher. Was raten Sie da Studierenden, wie man damit einen gelassenen Umgang findet – gleichzeitig aber auch in dem Wissen, man muss es ja heute irgendwie auch anbieten?

Ja, ich denke auch, dass man es heute leider anbieten muss. Außer man arbeitet in so einer ganz klaren Nischenbranche, wo es noch auf Zuruf und auf direkten Kontakt mit Leuten geht. Aber auch viele Freunde von mir beziehen hauptsächlich ihre Auftritte über Social-Media-Anfragen. Also ich fürchte, man muss es machen. Und dann ist der wichtige Baustein oder der wichtige Weg, dass man sich darüber klar wird, dass das ist ein Teil des Jobs ist und nicht ein Teil des Selbst. Und das ist leider genauso. Es ist so: Als Musiker müssen Sie einen Bauchladen haben, in dem Sie unterschiedliche Fähigkeiten anbieten und da gehört eben das Selbstmanagement und die Vermarktung auch dazu. Also ich würde allen wünschen, dass sie eher ein Management oder eine Booking-Agentur oder irgendjemand haben, der sie nach außen verkauft, aber das ist den wenigsten vergönnt.

Das stimmt. Tübingen oder Lübeck?

Heutzutage lieber Lübeck.

Wir kommen schon zur letzten „Entweder oder-Frage“: Musiker, Komponist oder Professor für Musizierenden Gesundheit?

Auch heutzutage eher Professor für Musizierenden-Gesundheit, wobei ich auch immer versuche, die Musik-und die Kompositionsaktivitäten aufrechtzuerhalten. Das wechselt immer ein bisschen in der Intensität. Auf der anderen Seite ist es so, dass ich ein gutes Basiseinkommen habe und ich jetzt nur noch Musik mache, auf die ich Lust habe. Das heißt, ich kann eigentlich freier und entspannter Musik machen.

Absolut. Was sich wahrscheinlich auch sehr gut auf die mentale Gesundheit am Ende auszahlt. Sie sind seit dem Wintersemester 2022/2023 Professor für Musizierendengesundheit in Lübeck. Da gibt es erstmals deutschlandweit den Schwerpunkt, dass besonders auf die mentale Gesundheit geschaut wird. Jetzt sind seit 2022/2023 knapp vier Semester vergangen. Würden Sie sagen, dass Sie einen offeneren Umgang mit mentalen Problemen, mentaler Gesundheit allgemein im Kosmos der Hochschule Lübeck feststellen? Oder ist es dafür noch zu früh, für so eine Art Wandel?

Einen absoluten Wandel, denke ich, kann man noch nicht sehen. Dafür ist es noch zu früh. Aber insgesamt würde ich schon sagen, dass es vor allem seit Corona gesamtgesellschaftlich eine größere Offenheit gegenüber Themen der mentalen Gesundheit oder eben auch mentaler Belastung gibt. Und dann muss ich sagen, insgesamt sind die Studierenden an der Musikhochschule in Lübeck sehr offen und sehr interessiert, was mentale Gesundheitsangebote angeht.

Man kennt es aus dem Pop-Bereich eigentlich schon ein bisschen länger, dass sich immer wieder berühmte Musikerinnen und Musikern zu mentalen Problemen öffentlich bekennen dieses Enttabuisieren, was Sie auch gerade angesprochen haben, fördern. Ich habe jüngst in der Vorbereitung, ein Arte -Tracks-Format mit Franziska Lauter vom MIM-Verband entdeckt. Und natürlich ist diese Vorbildfunktion von solchen privilegierten Musikerinnen und Musikern auf gar keinen Fall hoch genug zu bewerten. Allerdings, es klang vorher schon ganz an, dass die Situation natürlich nicht eins zu eins vergleichbar ist mit einem Freelance-Musiker im klassischen oder im Jazz-Bereich. Würden Sie sagen, dass es trotzdem auch in der Klassik oder im Jazz-Bereich vermehrt Trends gibt, sich zu öffnen? Oder ist das immer noch, vor allem in Orchestern, eher weiter ein Tabuthema?

Also es ist schon noch ein Tabuthema, aber nicht mehr so, wie in den 70er Jahren. Ich denke, da hat auch die Gesamtgesellschaft einen Einfluss drauf. Wir dürfen hier auch ein Seminar anbieten zum guten Umgang mit Lampenfieber. Das war auch explizit gewünscht, als ich hier angefangen habe.

Jetzt würde ich aber auch sagen, genauso wie Sie es ja gerade schon umrissen haben, diese Situation, das heißt in der Fachwelt, celebrity musicians, die bekannt sind und eine ganz andere Infrastruktur haben, die ist nicht übertragbar auf den Großteil der Freelance Musicians. Sie führen ein ganz anderes Leben, nämlich das mit dem Bauchladen: Ich unterrichte ein bisschen, dann habe ich noch meine Auftritte, vielleicht komponiere ich noch oder vielleicht mache ich noch Marketing oder Social Media für irgendjemand. Oder ich mache, was ich ganz häufig sehe bei Musikkollegen, noch Fotografie. Oder ich mache einen Podcast.

Das heißt, Sie müssen relativ breit aufgestellt sein. Und da kommen dann natürlich andere Schwierigkeiten. Wenn ich die finanzielle Grundversorgung nicht habe, kann ich mich auch gern zu meinem mentalen Gesundheitsproblem bekennen. Aber wie soll ich das stemmen, wenn ich, sage ich mal ganz harsch, nichts zu essen habe oder die Miete nicht bezahlen kann? Also dann bin ich zurückgeworfen auf die Künstlersozialkasse und muss irgendwie gucken, dass ich da wieder rauskomme. Oder ich muss vielleicht schauen, dass ich einen anderen Job finde, der meine Miete bezahlen kann.

Warnsignale und Prävention zur mentalen Gesundheit von Musiker:innen

Lassen Sie uns gerne mal einen Schritt zurückgehen und vielleicht, bevor wir uns über das Äußern von mentalen Problemen unterhalten, noch auf typische Warnsignale und Präventionsmerkmale eingehen. Können Sie ein paar typische Warnsignale skizzieren, die sich in Bezug auf mentale Gesundheit, immer wiederholen und die man als Musikerin und Musiker im Auge haben sollte?

Das sind die typischen gesellschaftlichen Warnsignale im Psychologie-, Psychotherapie-Bereich:

Wenn Sie jetzt dauerhaft Schlafstörungen haben, wenn Sie merken, dass das Beruhigungsbier am Abend nicht bei einem, sondern eher bei fünf Bieren bleibt. Oder der Joint. Wenn Sie merken, dass Sie Ihren Schlaf-und Wachrhythmus nicht mehr hinkriegen, oder Sie haben massive Antriebsschwierigkeiten. Das heißt, Sie kommen nicht mehr aus dem Bett, Sie liegen auf der Couch, Sie schlafen ganz arg viel oder sie schlafen ganz arg wenig. Das sind so die Warnsignale, die man kennt. Panikattacken – Wenn Leute noch zu sehr starken Reaktionen neigen, mit sehr häufigen Weinen oder Davonlaufen aus Situationen oder einem Erstarren. Das sind so die üblichen Warnsignale.

Und lässt sich da vorbeugend irgendwas machen?

Zum Beispiel einen Tag frei die Woche. Im Ernst, das ist ganz arg wichtig. Und da zu gucken, wie halte ich das mit meiner Schlafhygiene? Wie viel kann ich realistischerweise üben oder an meinen Projekten arbeiten pro Tag? Schaffe ich es, irgendwie noch einen Ausgleich zu finden? Habe ich noch genug Kontakt mit Freunden, Bekannten, Verwandten? Und schaffe ich es auch noch, vielleicht Sport zu machen oder so was? Sie brauchen Ausgleich und Sie brauchen Abstand auch von dem MusikerInnen-Dasein.

Tipps zur Selbstwirksamkeit

Auf diesen Ausgleich würde ich gleich noch mal gerne ein bisschen konkreter eingehen. Ich finde, wir hatten es ja ganz am Anfang schon so leicht spaßeshalber angedeutet, dass wir so eine kleine Lektion in Resilienz hatten. Und wenn man Resilienz sagt, dann weiß eigentlich jeder seit Corona auch, dass Selbstwirksamkeit damit immer einhergeht. Und ich finde, gerade als Musiker:in ist Selbstwirksamkeit ja sehr schwierig. Neue Dinge manifestieren sich in unserem Spiel, in unserer Karriere erst sehr spät. Wenn ich heute ein neues Programm übe, heißt das ja nicht, dass ich es heute Abend auch sofort kann. Das heißt, Selbstwirksamkeit als Musiker, das Erfahren von „Ich mache was und es verbessert sich“ ist eher ein langfristiger Prozess. Wie schafft man denn es als Musiker, Musikerin, diese Selbstwirksamkeit für sich erfahrbar zu machen?

Durch ein Tracking: Was habe ich mir vorgenommen? Was habe ich davon geschafft? Dass Sie wirklich auch relativ kleinteilige Tagespläne schreiben. Und da gehören dann auch schon wirklich ganz alltägliche Sachen dazu, wie:

  • Ich wollte die Saiten auf meiner Gitarre wechseln
  • Ich wollte mich um neue Blätter kümmern oder ein neues Mundstück oder so was.

Und dass Sie zum einen wirklich etwas zum Abhaken haben und dass Sie nicht das große Ganze aus dem Blick verlieren. Musikerinnen und Musiker bringen eine extreme Frustrationstoleranz mit, sonst könnten sie nicht ihr Instrument spielen. Aber natürlich ist es häufig so, dass sie ein bisschen aus dem Blick verlieren, was sie eigentlich an dem Tag geschafft haben und, ob sie etwas geschafft haben.

Und dann, ganz wichtig, ein Ressourcentagebuch, wo sie sich aufschreiben, was Sie gut gemacht haben und was Sie gut geschafft haben. Sodass Sie an Tagen, an denen es Ihnen schlechter geht, oder an denen Sie nicht so zuversichtlich sind, Sie nachschauen können und sagen können: „Hey, ich kann bestimmte Sachen gut, oder bestimmte Leute haben was Positives zu mir gesagt oder haben gesagt, dass sie was beeindruckt.

Das heißt, Sie führen im Grunde eigentlich zwei Tagebücher, wenn man so möchte. Einen To-Do-Block, wo Sie anstehende Aufgaben aufschreiben. Das geht quasi auf das Konto Selbstwirksamkeit. Und dann haben Sie ein zweites Büchlein, das Ressourcentagebuch, wo nur positive Sachen drinstehen.

So würde ich das empfehlen. Im Ressourcentagebuch stehen nur positive Sachen drin, weil wir die sonst aus dem Auge verlieren und vergessen. Defizite bleiben uns automatisch im Gedächtnis. Deshalb brauchen Sie sie eigentlich gar nicht aufzuschreiben.

Ausgleich als Musiker:in finden

Wir den Selbstwert als Musiker angesprochen und, dass man es versuchen sollte andere Hobbys zu haben, Sport machen oder sich mit Freunden zu verabreden. Das finde ich nämlich eine interessante Beobachtung –gar nicht nur an mir, aber auch in meinem Umfeld –, dass Musikerinnen und Musiker natürlich sehr stark geneigt sind, ihren Selbstwert an musikalische Erfolge zu koppeln. Sprich: das Konzert lief gut, es geht einem gut. Es geht sogar so weit, dass wenn man einen guten Übetag hat, dass das Umfeld das feststellt und man gute Laune hat. Entsprechend aber auch andersrum. Was sind gute Techniken, um das zu trennen? Also wie schaffe ich es denn, meinen Selbstwert nicht mit meinem musikalischen Erfolg zu koppeln?

Ja, das ist eine wichtige Aufgabe und ich denke, die ist auch ganz essenziell. Es ist wichtig, dass Sie es schaffen, sich darüber klarzuwerden, dass Sie nicht ihr Instrument sind. Sie sind jetzt nicht nur ein Trompeter oder eine Trompete, sondern Sie sind Podcaster, Sie sind ein liebevoller, fürsorglicher Katzenvater und ein toller Partner und so weiter. Also dass man sich diese ganzen Sachen wirklich bewusst macht. Und da ist auch noch mal ein anderer Aspekt: Ich denke, es ist sehr wichtig für Musikerinnen und Musiker, auch Freunde zu haben, die nicht Musiker sind. Weil sonst laufen die ganze Zeit Vergleichsprozesse unterschwellig ab.

Das heißt, das müssen Sie wirklich versuchen zu trennen und zu sehen, was Sie eben noch alles andere können und, dass Sie in erster Linie mal ein Mensch sind, und nach Carl Rogers ein bedingungslos liebenswerter Mensch. Tollerweise spielen auch noch ein Instrument oder singen. Aber das ist nur eine Kirsche auf dem Sahnehäubchen und nicht das Fundament.

Und weil Sie gerade die Vergleichung mit Kollegen noch mal angesprochen hatten: ich glaube, in unserer ersten Version des Interviews hatten Sie das mit dem Begriff „Prozessorientierung“ zusammengefasst. Wenn man sich vergleicht, dann nur mit früheren Versionen von einem selbst und nicht mit anderen Kollegen und Kolleginnen, die andere Gegebenheiten und auch vielleicht andere Umstände haben, in denen sie arbeiten und wirken.

Genau, da haben Sie recht. Also weg von so einer Produktnorm – das ist das Ergebnis, das sind meine Klicks auf YouTube oder im Podcast-Format. Sondern hin zu, wie Sie sagen, dem Prozess: Wie habe ich das früher gemacht? Wie habe ich mich individuell weiterentwickelt? Und auch gar nicht unbedingt so sehr auf dieses eine Stück, sondern mehr: Was habe ich für Mechanismen gelernt? Wie kann ich mit Sachen besser umgehen? Und das kann dann auch sein, dass ich selbstfürsorglicher mit mir umgehe, dass ich es inzwischen besser schaffe, meinen freien Tag die Woche einzuhalten oder, dass ich es besser schaffe, Feierabend zu machen usw.

Zusammenhang Depression und Auftrittsangst

Ich bin in der Vorbereitung auf eine sehr spannende Studie von Ihnen gestoßen, unter anderem auch gemeinsam mit Eckert Altenmüller, wo es den Zusammenhang zwischen geringem Selbstbewusstsein, Depression und Auftrittsangst geht. Sie haben herausgefunden, dass es einen entscheidenden Zusammenhang zwischen geringem Selbstbewusstsein in Kombination mit Auftrittsangst gibt, die zu einer Depression führen kann. Auf die Gefahr hin wahrscheinlich, dass Sie die gleichen Techniken gleich wieder erzählen, aber ich finde es trotzdem sehr spannend: Wie kann man dem vorbeugen? Beziehungsweise, wenn man merkt, ich steuere vielleicht auf so was zu, oder ich bin vielleicht schon in so einer depressiven Episode, wie komme ich denn da wieder raus? Oder schafft man das überhaupt alleine wieder da rauszukommen?

Also wenn ich in einer wirklichen Depression drin bin (wenn das nicht nur eine leichte depressive Phase ist – aber das kann man natürlich nur schwer einschätzen als Nichtfachperson) dann muss ich mir professionelle Hilfe suchen. Und bis dahin: Ressourcentagebuch.

Was Christine Sickert – das ist meine Doktorandin, die diese Arbeit verfasst hat, gesehen hat – ist, dass eben der zu geringe Selbstwert in Kombination mit der Auftrittsangst zu der depressiven Phase führt. Vielleicht auch noch mal ein anderer Aspekt, dass zum Beispiel diese Auftrittsangst, nicht immer eine Auftrittsangst sein muss, sondern es kann auch „nur“ Lampenfieber sein. Also das heißt, wie man das Ganze framed, wie man das Ganze für sich bewertet ist entscheidend.

Das heißt, dieser ganze Reflexionsprozesse und auch dieses Bewusstsein „Ich bin nicht nur Musiker, sondern auch andere Dinge, das ist wahrscheinlich in unserer heutigen Zeit mitunter die wichtigste Kompetenz, die Musikerinnen und Musiker mit bringen sollte –  abseits natürlich von fachlichem Können, um ein möglichst langes, mental gesundes und auch dann auch körperlich gesundes Berufsleben führen zu können, oder?

Ja, auf jeden Fall. Und da würde ich auch noch mal ein bisschen in ein Horn stoßen, dass diese Geschichte, von wegen „Ihr müsst alles auf eine Karte setzen und „Ihr müsst nur das wollen und so weiter, sonst könnt ihr es nicht schaffen“, dass das auf jeden Fall ein altes Märchen ist, was ich überhaupt nicht befeuern wollen würde. Sondern wir haben sehr viele Facetten und Musiker, Künstlerinnen sind in der Regel sehr offen und ziemlich vielseitig und wir sollten auch in der Ausbildung gucken, dass weitergehende Interessen gefördert. Und das kann auch sein, dass sie dann nebenher noch Psychologie oder Medizin studieren.

Alles auf eine Karte setzen

Dieses Mantra, dass man im besten Fall irgendwann alles auf eine Karte setzen muss, hält sich ja trotzdem hartnäckig. Ich habe jetzt gerade lustigerweise vor ein paar Tagen auf ein Interview aus einem Podcast mit Braxton Cook gestoßen. Das ist ein Saxophonist aus den USA. Und ich verkürze das Zitat ein bisschen, aber er meinte sinngemäß, dass man an irgendeinem Punkt in seiner musikalischen Karriere mal so richtig – er hat das obsessed sogar genannt („you have to be obsessed once“) sein muss. Einfach, um diesen musikalischen Erfolg zu generieren. Das widerspricht ja eigentlich diesem: „Wenn du Bock hast, noch Psychologie zu studieren oder Medizin zu machen, go for it“.

Am Ende, das ist ja auch so ein bisschen dieses Hochstapler-Syndrom, zumindest kenne ich das, dass man als Musiker, der viele Sachen parallel macht, ganz oft auch das Gefühl hat: „Ich mache das, das und das, aber eigentlich so wirklich können, tue ich von dem nichts so wirklich. Das spricht dann wieder eher für das Mantra, dass man sich an irgendeinen Punkten in seiner Karriere für eins entscheiden sollte, oder?

Aber realistisch gesehen ist es doch so, dass 95 bis 97% der Musikstudierenden Musikhochschul-oder Musikschullehrer werden. Das heißt, sie unterrichten, spielen sie noch Gigs und vielleicht machen sie noch etwas anderes. Das heißt, auch da sind sie schon mehrgleisig unterwegs. Instrumentallehrer, wenn sie von der Musikhochschule kommen, sind völlig überqualifiziert. Also ich sage jetzt mal, wenn Sie in Hannover Konzertexamen klassisches Klavier haben und dann an der Musikschule anfangen, dann machen Sie Hänschen klein mit 5-Jährigen und 7-Jährigen. Und Sie könnten aber eigentlich Klavierkonzerte spielen, überall auf der Welt, mit renommierten Orchester. Aber es gibt leider nicht so viele Stellen für die ganzen Pianist:innen. Das heißt, da gehört viel Glück dazu. Da gehört natürlich Fähigkeit dazu, aber auch Glück. Da gehört auch eine gute Management-Fähigkeit dazu – also auch von Außenstehenden, die Sie unterstützen und die Sie in die richtigen Bahnen lenken.

Und dann habe ich noch eine Anmerkung zu „you have to be obsessed once“. Das geht ja. Sie können sagen: „Okay, nach dem Studium werde ich wahrscheinlich nie wieder so viel Zeit haben, zu üben wie jetzt“. Später muss ich dann ganz andere Sachen machen. Und dann können Sie sich im Studium extrem ausgiebig ihrem Instrument und ihren Fähigkeiten widmen. Und da finde ich z. B. Charlie Parker, auch ein sehr berühmter Saxophonist, der gesagt hat: „Ja, Du musst alles üben und können. Und dann vergiss es und spiel einfach.“ Das heißt, es ist ja durchaus der Raum dafür, „to be obsessed“ zu sein. Die Frage ist nur, über welchen Zeitraum sich das streckt. Das kann ja auch immer wieder sein. Danach ist es die Aufgabe wieder zurückzukehren und zu sagen: „Okay, dieses Daily-Business muss halt auch irgendwie weitergehen. Und ich kann nicht komplett sagen: „Es interessiert mich jetzt alles nicht mehr. Steuererklärung brauche ich auch nicht machen. Ich brauche auch nichts zurückzulegen, weil ich bin Künstler und ich kann mich nur voll und ganz meinem Instrument widmen und, um alles andere müssen sich die anderen kümmern.“

Da habe ich auch ein Problem mit dieser Geschichte von 10 Jahre, 10.000 Stunden: „Ja, klar, üb einfach zehn Jahre lang 10.000 Stunden und dann wird es schon irgendwie laufen.“ Sie absolvieren die Musikhochschule, Sie machen ihren Bachelor oder Master oder sogar Konzertexamen – das Problem ist, da wird leider niemand kommen und sagen: „Hey, ich weiß, dass du so fleißig geübt hast. Du kannst das jetzt alles spielen. Ich habe einen Job für dich.“ Sondern das sind zwei unterschiedliche Aspekte.

Also es gibt die inhaltliche und das andere ist eher so eine Management-Geschichte. Also Selbstmanagement, was wir vorhin auch schon angesprochen hatten: Social Media, Selbstvermarktung. Irgendjemand muss wissen, dass ich was sehr gut kann, sonst werde ich keine Aufträge kriegen.

Das nennt sich in der Psychologie „Believe in a Just-World“-Hypothes. Also was die Musikstudierende häufig am Anfang vor allem noch glauben, ist: „Wenn ich nur so und so viel übe, dann gibt es einen gerechten Gott und danach kriege ich irgendeinen Job, weil ich irgendwas kann.“ Und das ist die fiese Desillusionierung.

Es gibt wahnsinnige wahnsinnig viele gute Musiker:innen da draußen und die Musikhochschulen bilden eigentlich zu viele Leute aus.

Wo Sie gerade das „Believe in a Just World“ angesprochen haben, da fiel mir sofort ein Zitat von Andrea Petkovic, der Tennensspielerin, ein. Sie hat auch ein Buch geschrieben und ich glaube, es war im Zusammenhang mit dem Buch, wo sie in einem Podcast mal von einer Meritokratie gesprochen hat, also diesem „You merit something“ („Das hast du dir verdient“ in diesem Sinne). Und diese 10.000 Stunden, 10 Jahre, das ist ja diese berühmte Ericson-Studie, wenn ich das richtig im Kopf habe. Die wurde auch in Teilen inzwischen wiederlegt, habe ich zumindest gelesen, oder?

Ja, auf jeden Fall. Und da muss man natürlich auch noch sehen, wir haben einen ganz klaren Bias, was die Auswahl von den Leuten angeht, die diese Interviews geben. Also in der Regel werden die Leute interviewt, die es geschafft haben und nicht irgendein zufälliger Mensch. Und dann erstens mal reproduzieren die ganz häufig die alten Geschichten, die sie selber so gehört haben von Leuten, die es geschafft haben. Und dann ist es auch noch so, dass das natürlich für die Selbstwirksamkeit derjenigen, die es geschafft haben, was auch immer das bedeuten mag, total gut ist, zu sagen: „Ja, das liegt daran, dass ich einfach so hart gearbeitet habe.“ Das ist völlig in Ordnung.

Ich finde, es ist ganz wichtig, dass Sie ihre Erfolge auf ihr Können und ihre Fähigkeiten attribuieren. Aber natürlich: wenn Sie sagen: „Hey, ich bin jetzt Solist der Berliner Philharmoniker, aber das hätten auch einige andere werden können.“ Das ist nicht so selbstwertdienlich, wie zu sagen: „Nein, das liegt daran, dass ich so hart gearbeitet habe.“

Das ist dann ein ganz schmaler Gerade, wenn wir wieder auf unser Ressourcentagebuch von eben schauen, sich selber ehrlich zu machen und das auch genauso aufzuschreiben

Auf jeden Fall. Es ist nur so, dass ich mir bei den Interviews mit celebrity artists wünschen würde, dass sie sich dessen bewusst sind, dass sie auch einen pädagogischen Impact haben.

Natürlich finde ich es wichtig, dass selbstwertdienliche Ereignisse auf die eigene Arbeit und auf die eigene Selbstwirksamkeit attribuiert werden. Nur die Frage ist, wie man das dann weitergibt. Also, ob man den Leuten auch sagt: „Okay, ich biete dir für dich eine Attribution, die dir hilft. Nämlich zum Beispiel, dass du das Probespiel nicht gewonnen hast, liegt sicher auch daran, dass jemand anders halt mehr Glück gehabt hat oder, dass du vielleicht an dem Tag einen schlechten Tag hattest.“ anstatt zu sagen: „Ja, du hast einfach nicht hart genug gearbeitet.

Lampenfieber

Ich würde gerne noch zum Abschluss einmal auf das Thema Lampenfieber zusprechen kommen. Sie bieten ja in Lübeck an der Hochschule ein eigenes Seminar dazu an. Sind Sie denn selber manchmal noch aufgeregt vor Konzerten, Interviewsituationen, wenn Sie Vorträge halten irgendwo?

Auf jeden Fall. Also es kommt auch immer drauf an, wie ich geübt habe. Ich habe zum Beispiel vor nicht allzu langer Zeit gemerkt, dass ich einen Fachvortrag auf Englisch halten musste über unterschiedliche Themen, in denen ich zum Teil nicht mehr so drin war, weil das Tagesgeschäft gerade was anderes ist. Und früher habe ich das ganz regelmäßig gemacht und da war das überhaupt kein Problem. Und jetzt merke ich zum Beispiel: Okay, ich bin gerade in einer anderen Thematik. Ich spreche in letzter Zeit häufig auf Deutsch und dann muss ich erst mal so ein bisschen suchen und merke, da geht die Nervosität hoch, weil ich mich nicht ganz so souverän fühle.

Und das andere ist auch auf jeden Fall: Ich hatte früher schon sehr oft ausgeprägt Lampenfieber, vor allem jetzt bei Francisco Tarreger. Das war nicht ohne und ich habe da auch einen Weg hingelegt.

Ich würde auch sagen, dass ich jetzt davon nicht frei bin. Das variiert. Häufig merke ich zum Beispiel erst hinterher, dass ich doch ganz schön aufgeregt gewesen bin und dann mache ich was dagegen. Oder ich sage mir hinterher: „Ja, ist doch okay. Also es war noch im Lampenfieber-Bereich – es war noch keine Auftrittsangst.

In Ihrem Seminar wird es so umgesetzt, dass Sie mit klassischen Expositionsübungen arbeiten. Das heißt, Studierende spielen sich einfach im Seminar gegenseitig vor. Kann man daraus schließen, dass viel Vorspielen gleich irgendwann weniger Auftrittsangst, weniger Lampenfieber?

Das ist das eine. Und dann, was noch ein ganz essentieller Baustein ist, dass Sie danach positive Selbstauslagen treffen müssen. Also Sie müssen sich hinsetzen vor die versammelte Gruppe und müssen mindestens zwei positive Sachen über ihr eigenes Spiel sagen. Und das fällt denen total schwer. Das ist einfach nicht in unserer Kultur. Wir haben eine sehr defizitorientierte Kultur und Leute, die was Positives über sich selbst sagen, werden sehr schnell als arrogant und überheblich abgestempelt. Deshalb üben wir so was ganz explizit. Zwei positive Sachen über das eigene Spiel und die eigene Performance sagen.

Tipps gegen Lampenfieber als Musiker

Hätten Sie denn zum Abschluss von diesem Themenkomplex eine sehr gut nachmachbare Übung, Atemübung beispielsweise, um sich ganz konkret in der Konzertsituation vor einem Auftritt ein bisschen zu entspannen und für den Auftritt ein bisschen weniger aufgeregt zu sein?

Also könnten Sie zum Beispiel Lippenbremse machen oder atmen im Dreivvierteltakt. Es geht dann so, dass Sie einen Dreivvierteltakt einatmen und dann zwei Dreivvierteltakte lang durch den Mund aus. Dann machen Sie einen Dreivvierteltakt Pause und fangen dann wieder von vorne an. Machen Sie so viele Zyklen, bis Sie merken, das es einen Effekt auf Sie hat. Ganz wichtig ist, dass Sie das in ihre Übelroutinen einbauen, damit Sie darauf ganz automatisch zugreifen können und nicht in einer Aufregungssituation das alles über den Haufen werfen.

Outro

Was lernen oder üben Sie gerade, was Sie noch nicht so gut können? Darf gerne auch nicht musikalisch sein. Beim letzten Mal war es melodisch Moll über halbverminderte Akkorde. Ist es das weiterhin?

Ja, tatsächlich habe ich gestern Abend erst wieder geübt. Es ist sehr konkret und vielleicht ein bisschen sehr abstrakt für Leute, mit nicht-musiktheoretischem oder Jazz-Hintergrund: E-Moll7b5 als Brechung über einen G-Moll 6, also mit einer großen Sechste funktioniert. E-Moll7b5 ist austauschbar ist mit G-Moll 6.

Und welchen Tipp würden Sie aus Ihrer heutigen Perspektive gerne Ihrem jüngeren Erstsemester-Musik-oder Psychologiestudierenden-Ich mitgeben, um den Sie damals froh gewesen wären?

Ja, eine Zuversicht, so nach dem Motto: „Das wird schon.“

Am Anfang des Psychologiestudiums habe ich fast nur Musik gemacht. Also ganz viel geprobt, in der Studierenden Big Band gespielt, eigene Bands weiterentwickelt. Wir haben dann auch ein Plattenlabel gegründet und so. Und ich habe irgendwie nicht gesehen, wo das mit der Psychologie hingehen soll und ich war auch kein besonders guter Psychologiestudent. Heutzutage bin ich extrem froh, dass ich das fertig gemacht habe. Ich konnte dann auch ganz anders an das Musikstudium rangehen und denken, das ist eigentlich meine größte Leistung, dass ich gegen so viel Widerstand das Psychologiestudium fertig gemacht habe und auch erfolgreich abgeschlossen habe.

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Your mind is an instrument https://what-is-practice.de/your-mind-is-an-instrument/ https://what-is-practice.de/your-mind-is-an-instrument/#respond Thu, 12 May 2022 11:57:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3948 Mentale Gesundheit bei Musikerinnen und Musikern In Deutschland sind jährlich 17,8 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen1. Diese Zahl ist so unvorstellbar groß, dass sich ein Vergleich mit einem Bundesland lohnt: Denn so viele Menschen wohnen aktuell in Nordrhein-Westfalen. Leider gibt es keine Statistik darüber, wie viele Musiker*innen hier einbegriffen sind. Jedoch fragte im… Weiterlesen »Your mind is an instrument

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Mentale Gesundheit bei Musikerinnen und Musikern

In Deutschland sind jährlich 17,8 Millionen Menschen von einer psychischen Erkrankung betroffen1. Diese Zahl ist so unvorstellbar groß, dass sich ein Vergleich mit einem Bundesland lohnt: Denn so viele Menschen wohnen aktuell in Nordrhein-Westfalen. Leider gibt es keine Statistik darüber, wie viele Musiker*innen hier einbegriffen sind. Jedoch fragte im Jahr 2019 die schwedische Record Union ihre Nutzer*innen wie es um ihre mentale Gesundheit steht. Dabei gaben 73% der Befragten an, bereits negative Gefühle wie Angst oder Stress im Bezug auf Ihre Musik erfahren zu haben. Und lediglich 1 von 10 Befragten kann hierüber mit seinen Bandkolleg*innen sprechen2.

73 Prozent Studie Mentale Gesundheit
10 Prozent sprechen mit Bandkollegen über mentale Gesundheit

Übungen zur Stärkung der mentalen Gesundheit als Musiker:in

Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Barbara Barth:

Barbara Barth
Barbara Barth (Foto-Copyright: Juliane Guder)

Barbara Barth

Jazz-Sängerin und studierte Pyschologin.

Sie ist Dozentin an der Hochschule für Musik Saar und der Folkwang Universität der Künste in Essen, an der Sie unter anderem ein Resilienztraining für Studierende anbietet.

„Gut umgehen [mit sich] bedeutet nicht, dass man keinen Stress hat oder nie Rückschläge erlebt. Sondern eher, dass man – über Rückgriff auf seine eigenen Ressourcen – mit Krisen und ganz alltäglichem Stress so umgehen kann, dass man gesund bleibt und dazulernt oder möglicherweise sogar gestärkt daraus hervorgeht.“

(aus dem Interview mit Barbara Barth)

Als studierte Psychologin vermittelt Barbara Barth in ihrem Resilienztraining für Musiker*innen Studierenden Strategien und Techniken, wie sie mental gut aufgestellt in das Berufsmusiker*innen-Leben starten. Im Interview mit ihr hat sie Teile ihrer Methoden dazu verraten:

  1. Bewusstsein schaffen (Welche Ressourcen und Strategien im Umgang mit negativen Gefühlen habe ich bereits?)
  2. Entspannungs- & Atemübungen (meistens wirkt sich Stress ja auch körperlich aus)
  3. Pausen machen
  4. Sport treiben & gute Ernährung
  5. Welche Glaubenssätze (und Annahmen) über mich und andere stecken in meinem Verhalten?

„Dazukommt, dass man in andern Berufen abends nach Hause kommt und dort eine ganz andere, private Person ist. Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.“

(aus dem Interview mit Barbara Barth)

food for thoughts – Empfehlungen


Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Peter Laib:

Peter Laib mit Tuba

Peter Laib

Tubist unter anderem bei Moop Mama & Ernst Hutter und den Egerländer Musikanten.

Neben seiner musikalischen Tätigkeit hat er gerade seinen Masterstudium in Mentalcoaching an der Universität Salzburg abgeschlossen.

„So ein Werkzeugkoffer mit mentalen Interventionen ist wie eine Geheimwaffe, die niemand sieht – aber die man trotzdem immer bei sich trägt“

(aus dem Interview mit Peter Laib)

In seiner Masterarbeit zum Thema Mentalcoaching hat sich Peter Laib mit den Möglichkeiten von sogenannten Rollenspielen beschäftigt. Das bedeutet: Wie verändert es meinen Gemütszustand, wenn ich mich in eine bestimmte Situation hineinversetze und versuche, dieses Gefühl wieder zu erleben. Diese „Theater“ hat sich Peter Laib als Motivationsmöglichkeit angeschaut, um besser mit dem Üben anfangen zu können.

Sein Tipp um generell besser auf negative Stimmungen zu reagieren sieht so aus:

„Man schnappt sich einen Song, mit dem man positiv verbunden ist. Bei Peter wäre das Stevie Wonder „You are the sunshine of my life“.

Man zählt während des Liedes auf, entweder laut oder in Gedanken, wofür man gerade dankbar ist. Sowohl im beruflichen, als auch im privaten Kontext.

  • Ich bin happy, dass ich bei den Egerländern spiele.
  • Ich bin unglaublich glücklich, dass ich mit einer Band wie Moop Mama auf so großen Festivals spielen kann.
  • Ich bin dankbar, dass ich Musiker bin.
  • Ich freue mich, dass ich so eine tolle Partnerin habe.

So kann man es schaffen, innerhalb von kurzer Zeit, negative Gedanken auszublenden und eine sogenannte positive Affektlage herzustellen.

Jeder kennt es ja: Wenn du schlecht gelaunt bist, fällt alles viel schwerer. Und seitdem ich diese Übung entdeckt habe, mache ich sie auch selbst bevor ich anfange zu üben.“


food for thoughts – Empfehlungen


Diese Tipps stammen aus dem Gespräch mit Daniel Scholz

Daniel Sebastian Scholz mit Gitarre

Daniel Sebastian Scholz

Daniel Sebastian Scholz ist seit dem Wintersemester 2022/23 Professor für Musizierendengesundheit an der Musikhochschule in Lübeck. Die Hochschule widmet sich, erstmals in ganz Deutschland, auch ganz dezidiert den mentalen Herausforderungen als Musiker:in


Tipps zum Umgang mit Lampenfieber als Musiker:in

Atmen im 3/4 Takt

„Also könnten Sie zum Beispiel Lippenbremse machen oder Atmen im 3/4 Takt.

Es geht dann so, dass Sie einen 3/4 Takt einatmen und dann zwei 3/4 Takte lang durch den Mund aus. Dann machen Sie einen 3/4 Takt Pause und fangen dann wieder von vorne an.

Machen Sie so viele Zyklen, bis Sie merken, das es einen Effekt auf Sie hat. Ganz wichtig ist, dass Sie das in Ihre Übelroutinen einbauen, damit Sie darauf ganz automatisch zugreifen können und nicht in einer Aufregungssituation das alles über den Haufen werfen.“

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Wie übt eigentlich Peter Laib? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-peter-laib/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-peter-laib/#respond Fri, 11 Feb 2022 16:12:52 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4321 Peter Laib kennen die meisten sicher durch Ernst Hutter & seine Egerländer Musikanten - oder als Groove-Maschine bei Moop Mama. 

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Peter Laib kennen die meisten sicher durch Ernst Hutter & seine Egerländer Musikanten – oder als Groove-Maschine bei Moop Mama. Zufällig bin ich im letzten Jahr über seinen Aufruf zur Teilnahme an der Studie zu seiner Master-Arbeit in Mentalcoaching gestoplert. Als er diese kürzlich abgegeben hat, war ich natürlich neugierig, wie die Studie so gelaufen ist und, ob seine Methode erfolgreich war.

Mit Peter hatte ich aber nicht nur einen Mentalcoach als Gast, sondern natürlich auch einen fantastischen Musiker. Die Gelegenheit habe ich genutzt, um möglichst viel über seinen Übe-Alltag zu erfahren. 

Peter Laib mit Tuba
Peter Laib (Foto © Felix Steiner)

Aber keine Angst, auch für alle nicht Blechbläser ist die Folge super interessant.

Mehr zu Peter könnt ihr hier finden:
www.peterlaib.com

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Peter Laib lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Übersicht

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Üben bedeutet für mich Spaß haben, kreativ sein und immer wieder auch dasselbe tun.

Das ist interessant. Darauf kommen wir später in jedem Fall noch zu sprechen. Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Bei mir läuft immer Motown-Musik in Dauerschleife. Ganz gleich welche: Jackson 5, Stevie Wonder. Hier habe ich immer Playlists, die regelmäßig laufen.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich glaube tatsächlich Stevie Wonder. Was Groove-Musik angeht ist er auf jeden Fall mein Hero.

Im Speziellen ein Album oder einfach alles?

Ich glaube alles einfach. Ich habe so ziemlich jedes Album auf Vinyl – aber ein Spezielles könnte ich nicht nennen. Generell sein Stil einfach, wie er singt und wie musikalisch das ist. Vor allem wie perkussiv und groovig alles gespielt ist, gefällt mir wahnsinnig.

Übe-Alltag: „Der Realitätscheck“

Gerade gestern (wir nehmen am Montag, 17.01.2022 auf) habe ich gesehen, hast du mit Ernst Hutter & den Egerländer Musikanten in Biberach gespielt. Hast bist vor kurzem an deiner Master-Arbeit gesessen und das Hörspiel „Der Ulm-Träumer“ produziert. In Nicht-Pandemie-Zeiten tourst du zusätzlich noch mit Moop Mama viel. Kannst du uns mal mitnehmen in einen typischen Übe-Alltag von dir?

Außerhalb der Pandemie sah das eigentlich immer so aus, dass man am Wochenende auf Tour beim Spielen war. Montags war dann erst einmal gar nichts angesagt, sondern: Erholen, Pause machen, Lippen ausruhen.

Von Dienstag bis Donnerstag habe ich dann immer richtig geübt. Vormittags immer zwischen zwei und drei Stunden. Freitagmorgens, falls noch Zeit war und man nicht bereits Donnerstagabend abreiste, noch so viel Üben, wie möglich. Aber meistens eher in Richtung warm spielen, Mundstück spielen. Circa 20 Minuten.

Wenn wir mit Moop Mama dann manchmal über eine längere Zeit am Stück unterwegs sind, muss man sich natürlich ganz anders vorbereiten. Und natürlich auch auf der Tour täglich bestimmte Sachen machen, um durchzuhalten und damit die spielerische Qualität gleichbleibt.

Dann bist du eher der Early Bird, der morgens früh um 9h dann mit seiner Routine beginnt?

Genau, das hat sich letztlich so ergeben. Für mich persönlich sind Routinen im Allgemeinen auch total wichtig. Ohne feste Zeiten klappt es bei mir nämlich meistens nicht. Wenn ich sage „Ich übe heute mal eine Stunde“, habe dann aber keine feste Uhrzeit zum Starten, dann wird es oft verschoben und die Prokrastination gewinnt.

Aktuell in der Corona-Zeit verschwimmen diese Routinen etwas und ich übe eher projektbezogen. 

Morgens übe ich dann eher die Sachen, bei denen ich das Gefühl habe, total wach sein zu müssen. Die kreativen Dinge übe ich dann eher am Abend.

„Ohne feste Zeiten klappt es bei mir nämlich meistens nicht. Wenn ich sage „Ich übe heute mal eine Stunde“, habe dann aber keine feste Uhrzeit zum Starten, dann wird es oft verschoben und die Prokrastination gewinnt.“

(Peter Laib)

In deiner ersten Antwort hast du vorhin bereits etwas Spannendes gesagt, nämlich „Üben heißt für dich immer auch dasselbe zu machen“.
Würdest du sagen, dass du beim Üben dann versucht Routinen bewusst einzustudieren? Oder bist du auch jemand, der versucht das gleiche Ziele über verschiedene Wege und Tools zu erreichen?

Ich versuche es mal zu erklären: Für mich hat sich eine kurze, feste Übe-Routine inzwischen bewährt. Diese ändere ich in der Regel alle drei Monate.

Diese Routine (circa 30 Minuten) kann ich dann nach ungefähr zwei bis drei Wochen ganz gut. Sie ist dann meine Referenz, wie fit ich aktuell bin.

In dieser Routine sind Atem-Übungen, Mundstück und Tuba spielen enthalten. Nach den 30 Minuten weiß ich dann ziemlich genau, in welchen Bereich es gerade „klemmt“. Zum Beispiel Bindeübungen, die nicht so gut klappen – ein Anstoß, der etwas indirekt ist. Oder der Sound, der etwas zu eng ist.

Anhand dieser Erkenntnis kann ich dann entscheiden, was ich genau an Übungen brauche, um mich an diesen, eben ausgemachten Schwachstellen, zu verbessern. Andernfalls übt man ja oftmals irgendetwas, ohne Konzept.

Für mich ist immer wichtig, dass Üben Sinn macht. Ich möchte immer daran arbeiten, wo ich aktuell Defizite habe bzw. wo ich vorhabe, mich wirklich zu verbessern. Das ist im Grunde meine Idee beim Üben.

Also am Ende wie ein kleiner „Realitätscheck“, der dir verrät, wo du gerade stehst. Anschließend gehst du dann gezielt ein Problem (deep-dive mäßig) an.

Genau. Und dadurch, dass man diese halbe Stunde über einen längeren Zeitraum macht, bekommt man ein gutes Gefühl dafür wie gut etwas geht.

In dieser Zeit wird alles abgedeckt: von pianissimo bis fortissimo, schnell, langsam, Technik, Chromatik, ein paar Tonleitern, Bindeübungen und Naturtonreihen – eben alles, was man so macht als Bläser. Das ist dann der Check-Up und dann geht es, wie du sagst, deep-dive in einen Bereich.

Hast du immer schon nach diesem Konzept geübt oder ist das eher etwas Neues?

Nein, das Konzept habe ich vor circa vier bis fünf Jahren für mich entdeckt. Und sicher ist es auch keine Neuerfindung.

Mir ist es irgendwann einmal auf Tour mit den Egerländern aufgefallen. Hier sind wir ja im Grunde zwei Generationen: einmal meine Generation und dann Musiker, die circa 25-30 Jahre älter sind. Vor allem die älteren Kollegen, die schon lange im Business sind, spielen sich immer mit den gleichen Sachen ein.

Ich habe damals immer wieder neue Übungen zum Einspielen genommen. Dann kam aber die Erkenntnis, dass man nur an den gleichen Übungen erkennt, wie fit man eigentlich gerade ist.

„Für mich ist immer wichtig, dass Üben Sinn macht. Ich möchte immer daran arbeiten, wo ich aktuell Defizite habe bzw. wo ich vorhabe, mich wirklich zu verbessern. Das ist im Grunde meine Idee beim Üben.“

(Peter Laib)

Atmung, Atmung, Atmung

Deine Bachelor-Arbeit ging über die Atumung. Auf deinem Patreon-Kanal habe ich gesehen, dass du die Arbeit damals mit deinen Arnold Jacobs Zitat über das Autofahren begonnen hast. Was war denn damals die größte Erkenntnis dieser Arbeit?

Meine größte Erkenntnis danach war, dass 99% des Könnens als Bläser*in von der Atmung abhängt. Und, dass für mich Begriffe wie Ansatz oder Ähnliches, fast vernachlässigbar sind, wenn die Atmung gut funktioniert.

Gerade auch die Schule von Arnold Jacobs verfolgt im Grunde diese Herangehensweise. Wenn man sich damit viel beschäftigt, lösen sich ganz viele Probleme quasi von selbst.

Hattest du damals auch konkrete Übungen dazu entwickelt oder was war deine Herangehensweise?

In der Bachelor-Arbeit habe ich nur den Unterschied zwischen der Blechbläser-Atmung und der normalen Atmung herausgearbeitet.

Dazu kamen noch mögliche Ursachen, die die Blechbläser-Atmung verschlechtern können. Zum Beispiel, wenn man eine schwere Skoliose oder ein schweres Asthma hat.

Allerdings hatte Arnold Jacobs, meines Wissens nach, bloß einen Lungenflügel. Er war dennoch sehr lange Mitglied im Chicago Symphony Orchestra. Wenn man sich Aufnahmen von ihm anhört, ist sein Sound wirklich unglaublich. Er hat quasi bewiesen, dass mit der richtigen Atemtechnik alles super gut funktionieren kann.

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Also sprach Arnold Jacobs (Buch)

Arnold Jacobs war Tubist und spielt 44 Jahre im Chicago Symphony Orchestra. Das „Buch“ von dem wir hier sprechen heißt „Also sprach Arnold Jacobs“.* Denn neben seiner musikalischen Tätigkeit, galt Jacobs auch als exzelenter Pädagoge. 

Die Anekdote mit nur einem Lungeflügel konnte ich nicht bestätigen. Allerdings muss er wohl, aufgrund von Asthma und einer Krebsbehandlung später, nur ein sehr eingeschärnktes Lungenvolumen gehabt haben.

Seine Hauptphilosophie war daher, die Atmung und die Atmentechnik in den Vordergrund zu rücken. 

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Ich habe das Buch selbst vor Jahren mal gelesen und extra für die Folge wieder aus dem Schrank gekramt. Was ich damals schon bemerkenswert fand, dass er oft schreibt, man solle „vom Ziel her denken“. Also nicht die Methode diktiert das Spiel, sondern die Musik. Ist das auch dein Credo geworden?

Ja, das würde ich schon sagen. Wobei, seitdem ich mich mit Mentaltraining so viel beschäftige, würde ich noch ergänzen: Das Mindset und der Sound gehen über alles!

Bei mir ist so, dass ich auf der Tuba zuerst schaue, dass ich gut klinge. Denn das ist unser Job. Und dann kommt erst alles andere: der Rhythmus, die Töne, die Technik usw.

Andernfalls interessiert es niemand, wenn ich zum Beispiel wahnsinnig schnell und rhythmisch komplex spiele, aber es schlecht klingt. Daher steht der Sound für mich ganz weit oben.

Aber inzwischen eben auch das Mindset. Weil, was bringt mir der schöne Sound, wenn man beispielsweise keine Liebe oder keine Authentizität in der Musik spürt. Das kommt für mich noch hinzu.

„Meine größte Erkenntnis danach war, dass 99% des Könnens als Bläser*in von der Atmung abhängt. Und, dass für mich Begriffe wie Ansatz oder Ähnliches, fast vernachlässigbar sind, wenn die Atmung gut funktioniert.“

(Peter Laib)

„Das Instrument im Kopf“

Das ist spannend. In dem Arnold Jacobs Buch gibt es am Ende ebenfalls eine Stelle, an der er sagt, dass man im Grunde zwei Instrumente spielt. Das Instrument im Kopf und das, was man in der Hand hält. War Arnold Jacobs dann ein Grund für das Mentalcoaching-Studium?

Nein, das kam woanders her. Allerdings war Arnold Jacobs definitiv die Initialzündung umzudenken. Mehr in Richtung Atmung und weniger „mache ich alles perfekt mit der Muskulatur um den Mund“.

Das mit dem Mentaltraining kam bei einem privaten Spaziergang. Ich spiele leidenschaftlich gerne Alphorn und schreibe auch gelegentlich für Alphorn-Ensemble.

Da, wo ich herkomme, ist ein großer Wald und dieser ist mein Kraft- und Ruheort. Bei einem Spaziergang durch diesen Wald, kam der Gedanke, dass ich gerne irgendwann mal – anstelle des auf die Dauer anstrengenden Tourlebens – etwas machen möchte, wo ich zu Hause wäre und in der Natur bin. Daraufhin entstand die Idee mit ein bis zwei Personen Alphorn-Kurse im Wald zu geben.

Damit dies allerdings nicht rein musikalisch bleibt, wollte ich die Kurse um ein Kommunikationstraining ergänzen. Allerdings hatte ich Bedenken, dass es dann schnell zu esoterisch klingen würde. So kam ich zu dem Entschluss, dass ich noch zusätzlich eine gute und fundierte Ausbildung in der Richtung Mentaltraining brauche.

Meine Idee war es, dass ich ein Team von einer Firma mit in den Wald nehme und dort ein Kommunikationstraining mit Alphörnern anbiete. Das war im Jahr 2017.

Wie lief das damals dann konkret ab, dass du mit einem musikalischen Bachelor den Master of Science in Mentalcoaching an der Universität Salzburg machen konntest?

Das Institut, an dem man studiert, nennt sich „Mental College Bregenz“ und ist eine Mentaltrainier Schule, die mit der Universität Salzburg kooperiert. Dadurch erhält man schlussendlich auch den akademischen Abschluss.

Das Studium ist ein nebenberufliches Studium. Der Master-Zulassung erhält man dann, wenn man ein Bachelor-Studium, oder Diplom Studium, in einem pädagogischen oder psychologischen Fachbereich absolviert hat. Ich hatte mein Studium mit dem Dipl. Musiklehrer abgeschlossen.

Das Besondere an dem Master-Studium ist, dass man sowohl bei Professor*innen als auch Mentaltrainer*innen, die viel Erfahrung unter anderem mit Sportler*innen haben, Unterricht erhält.

Ich musste selbst insgesamt 200 Praxisstunden machen. Das heißt, ich habe mir immer Freunde und Bekannte gesucht und sie nach möglichen Themen gefragt, an denen sie mental arbeiten wollen.

Inzwischen mache ich das auch bereits nebenberuflich und habe ein paar „Mental-Kunden“.

„Seitdem ich mich mit Mentaltraining so viel beschäftige, würde ich noch ergänzen: Das Mindset und der Sound gehen über alles!“

(Peter Laib)

Ich durfte ja Teil deiner Studie sein (ich hoffe, ich darf das an dieser Stelle sagen) – und dein Ziel war es ja mit verschiedenen „Theatern“ (Starttheater, Jetzt-Erst-Recht-Theater) einen besseren Start ins Üben zu finden. Kannst du nach deiner Arbeit nun sagen, dass diese Methode funktioniert?

Die Arbeit besteht auf einer bereits bestehenden mentalen Intervention, die sich Rollenspiel nennt. Leider kann ich aktuell noch keine finalen Ergebnisse sagen, da noch geprüft wird, ob ich mich nicht eventuell verrechnet habe.

Allerdings das Rollenspiel „Starttheater“ sah in der Auswertung so aus, als ob es gewirkt habe. Also eine signifikante Verbesserung.

Bei der Intervention tut man so als ob, körperlich und physisch erlebend, und steigert sich letztlich in eine Rolle hinein. Es scheint so, als ob dann die Chance höher sei wirklich mit dem Üben zu beginnen und es nicht zu verschieben.

Übst du selbst nach diesem Muster?

Auf jeden Fall benutze auch ich diese Methoden.

Ich sehe das so: Ich habe einen Werkzeugkoffer mit ganzen vielen mentalen Interventionen. Da alle Tage sich auch ein wenig voneinander unterscheiden.

Der eine Tage ist mal total schlecht, weil man einen Misserfolg gehabt hat und dann benötigt man eine bestimmte mentale Intervention.

Dann gibt es aber auch tolle Tage, an denen alles wie selbst zu laufen scheint. Natürlich braucht man dann keine Intervention.

So ein Werkzeugkoffer mit mentalen Interventionen ist wie eine Geheimwaffe, die niemand sieht – aber die man trotzdem immer bei sich trägt. Dadurch hat man große Vorteile, weil man flexibel auf bestimmte Ereignisse reagieren kann.

Peter Laib mit Tuba
Peter Laib (Copyright © Felix Steiner)

Mein Werkzeugkoff

Kannst du uns dafür mal ein Beispiel geben?

Da gibt es eine Übung, die ich auch gerade selbst mache. Und zwar geht es darum wie man der generell negativen Stimmung, auch wegen der Pandemie, etwas entgehen kann.

Man schnappt sich einen Song, mit dem man positiv verbunden ist. Bei mir wäre das Stevie Wonder „You are the sunshine of my life“. Ich empfehle einen Song, der nicht länger als drei Minuten geht.

Man zählt während des Liedes auf, entweder laut oder in Gedanken, wofür man gerade dankbar ist. Sowohl im beruflichen, als auch im privaten Kontext.

  • Ich bin happy, dass ich bei den Egerländern spiele.
  • Ich bin unglaublich glücklich, dass ich mit einer Band wie Moop Mama auf so großen Festivals spielen kann.
  • Ich bin dankbar, dass ich Musiker bin.
  • Ich freue mich, dass ich so eine tolle Partnerin habe.

So kann man es schaffen, innerhalb von kurzer Zeit, negative Gedanken auszublenden und eine sogenannte positive Affektlage herzustellen.

Jeder kennt es ja: Wenn du schlecht gelaunt bist, fällt alles viel schwerer. Und seitdem ich diese Übung entdeckt habe, mache ich sie auch selbst bevor ich anfange zu üben.

Man investiert einfach zwei Minuten und schon schafft man es, gute Laune zu haben.

Gerade in unserer Branche ist es brutal mit Existenzängsten und Sinnkrisen. Deshalb finde ich es wichtig, dass man zur Zeit solche kleinen Interventionen macht, um vorzubeugen und sich das Leben etwas leichter zu machen. Weil es geht. Man kann es sich leichter machen, wenn man möchte.

„So ein Werkzeugkoffer mit mentalen Interventionen ist wie eine Geheimwaffe, die niemand sieht – aber die man trotzdem immer bei sich trägt.“

(Peter Laib)

Das ist ein guter Tipp. Vor allem, um dann im Übezimmer auch direkt in den Fokus zu kommen und sich nicht nochmal durch äußere Faktoren (wie Handy oder Ähnliches) ablenken zu lassen.

Ja, absolut. Ich finde solche kleinen Interventionen auch perfekt, um diesen Rollenwechsel zu schaffen. Also der Peter, der gerade in der Rolle des Partners am Frühstückstisch saß, geht jetzt in die Rolle Peter, der Berufsmusiker und beginnt zu üben. Dann spiele ich diese Rolle zwei Stunden und versuche alle anderen Rollen dabei auszublenden.

Das ist natürlich ein wenig vereinfacht gesagt – und vielleicht auch ein bisschen hart – aber für solche Situationen finde ich diese Intervention super, um einen Transfer beim Ankommen zu haben.

Normalerweise mache ich das auch gerne mit Atemübungen. Das kann ja auch eine meditative Geschichte sein.

Aber ich finde es auch zu schön, diese Intervention zu üben. Manche tun sich schwer, einfach mal zwei Minuten nur positive Dinge aufzuzählen. Dagegen zwei Minuten über die Pandemie jammern, ist ganz leicht. Natürlich kann ich das verstehen. Schließlich sind es auch heftige Probleme, die manche haben.

Du hast vorhin die Rollenteilung zwischen Partner und Musiker angesprochen. Ist das auch unter anderem ein Grund für deinen freien Tag in der Woche?

Vor der Pandemie war das definitiv so. Jetzt versuche ich das ebenfalls beizubehalten, auch wenn gerade keine Konzerte stattfinden.

Es sind dann aber eher kleine Dinge, wie das Handy bewusst beim Spazierengehen zu Hause lassen. Um nicht ständig an den Wahnsinn erinnert zu werden.

Wenn ich es dann mal nicht schaffe, kann es dann auch mal passieren, dass mich meine Freundin freundlich daran erinnert.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (gerne auch nicht musikalsich)

Ich habe mir gerade ein Buch gekauft, in dem es darum geht, alle Akkorde kennenzulernen. Das Buch ist speziell für Musiker*innen, die bereits eine Ausbildung hinter sich haben. Und hier möchte ich mich gerade weiterbilden, vor allem auch als Komponist. Weil ich mir denke, wie soll ich etwas komponieren, wenn mir die Vorstellungskraft für bestimmte Klänge nicht in meinem Kopf habe.

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Ich möchte diese Akkorde vor allem auch auf dem Klavier drücken können. Obwohl ich schon für das Studium Klavier geübt habe, bin ich hier nicht so der „Hero“.

Das Buch ist vor allem deshalb auch gut, weil es wie ein Workbook aufgebaut ist.

Außerdem steht noch die Abschlussprüfung an. Das heißt ich habe auch noch ein Buch, zum Thema Differentielle und Persönlichkeitspsychologie, vor mir liegen.

Was motiviert dich?

Generell erst einmal die Freude an der Sache selbst. Mir macht es jedes Mal großen Spaß Tuba zu spielen.

Dann ist es natürlich eine große Motivation, sobald man wieder auf die Bühne darf, fit zu sein. Wieder Vollgas geben zu können und Leute mit Musik glücklich zu machen. Ich glaube, das ist eigentlich meine größte Motivation.

Und – eine ganz andere Motivation ist, es einfach zu schaffen. Ich will durch die Krise durch als Musiker und danach auch wieder als Musiker weiterarbeiten. Für mich ist es keine Option mein ganzes Leben umzukrempeln.

Obwohl du ja ein „sicheres Backup“ in der Hand hättest. Auf deiner Homepage habe ich gesehen, dass du eine Ausbildung als IT-Systemelektroniker mal gemacht hast.

Ja, richtig. Aber ganz ehrlich – da will ich eigentlich nicht mehr hin. Das war damals (2004/2005) so. Erst einmal, ganz schwäbisch, eine Ausbildung machen Aber ich habe hierzu keinen Bezug mehr.

Ich glaube, ich würde dann heute eher etwas in Richtung Mentaltraining machen. Hier möchte ich auch Gas geben, weil es macht mir mega Spaß mit Leuten zusammen zu arbeiten, deren Probleme herauszufinden, um dann die richtigen Interventionen zu erarbeiten.

Vor allem auch in der Kombination mit anderen Musiker*innen stelle ich mir das sehr gewinnbringend vor?

Absolut. Ich kann es auch nur jedem empfehlen.

Das Mentaltraining, so wie ich es jetzt gelernt habe, kratzt ja nicht nur an der Oberfläche, sondern man schaut schon ein wenig genauer hin. Was sind die eigentlichen Themen und die Ursachen? Meistens haben die gar nichts damit zu tun, warum man auf der Bühne steht und plötzlich nervös ist. Die Ursachen liegen dann manchmal im Privaten, oder anderswo und die Intervention gehen dahin.
Ganz viele melden anschließend zurück „Wow, hätte ich das dann schon vor zehn Jahren gewusst.“

Leider wird dieses Thema in der Musikszene noch viel zu sehr unterschätzt. Die Sportler haben hier bereits ein ganz anderes Verhältnis. Unter Musiker*innen traut man sich das noch gar nicht so recht zu sagen. Aus Angst zugeben zu müssen, das andere denken, man hätte hier vielleicht ein Problem.

Dieses Schubladendenken aufzulockern, das ist meine Mission in den nächsten Jahren.

„Und – eine ganz andere Motivation ist, es einfach zu schaffen. Ich will durch die Krise durch als Musiker und danach auch wieder als Musiker weiterarbeiten. Für mich ist es keine Option mein ganzes Leben umzukrempeln.“

(Peter Laib)

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Halt dir alle Optionen offen und stelle dich auf alles ein. Übe so viel, wie es geht im Studium – danach hat man die Zeit nicht mehr. Wenn man es von Herzen macht, wird es so oder so gut.

Und generell als Tipp: Kümmert Euch ein wenig um das Selbstmanagement – genau das, was man an der Hochschule nicht lernt. Rechnungen schreiben beispielsweise. Das macht am Ende viel aus.

„Dieses Schubladendenken aufzulockern, das ist meine Mission in den nächsten Jahren.“

(Peter Laib)

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Wie übt eigentlich Barbara Barth? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/#respond Tue, 16 Nov 2021 14:17:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3965 Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie. Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer… Weiterlesen »Wie übt eigentlich Barbara Barth?

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Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie.

Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer Praxis und bietet ein spezielles Resilienztraining für Musiker*innen an.

Was der Begriff genau meint, was man sich von ihrem Training erhoffen darf und warum aktuell das Thema mentale Gesundheit in der Musikbranche so präsent ist, darüber haben wir im Podcast gesprochen. 

Barbara Barth
Barbara Barth
(Foto-Copyright: pgwiazda Photographie)

Dieses Interview ist besonders, denn es steht auch noch ganz im Zeichen einer neuen Rubrik, die es seit Oktober hier auf dem Blog gibt. Nämlich dem Format „In der Sprechstunde“. 

Darin beantworten Expert*innen Eure Fragen zu einem halbjährlich, wechselnden Thema. Den Anfang machte der große Themenkomplex „Mentale Gesundheit“. An dieser Stelle nochmal ein herzliches  Dankeschön an die Psychologin Nathalie Mong, die als Expertin die ersten Fragen beantwortete.

Wenn ihr euch nun noch fragt, was mentale Gesundheit mit Eurem Übe-Alltag zu tun hat, dann seid auf das Gespräch gespannt.

Mehr Informationen zu Barbara Barth findet Ihr unter: www.barbarabarth.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Barbara Barth lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Ein Ziel haben und verfolgen. Also vorher zu wissen was möchte ich eigentlich lernen und wie komme ich dahin. Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben. Das habe ich im Studium ganz viel gebraucht und ist auch das, was ich heute den Studierenden vermittle. 

Deshalb bedeutet Üben für mich erst einmal klar haben was, wie, wann und auch wie lange. Es braucht für mich immer auch einen guten Rahmen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Ich höre nach wie vor, quasi eine Art Dauerbrenner seit ich angefangen habe Jazz zu singen, die Sängerin Tierney Sutton. Ich mochte sie von Anfang an und habe sie mit der Zeit immer mehr schätzen gelernt, da ich mich immer mehr reinhören konnte was sie und ihre Band da eigentlich macht.

Würdest du sagen, dass sie dann auch die Musikerin ist, die dich für dein Spiel am meisten geprägt hat?

Nein, am meisten nicht. Aber sicherlich stark – vor allem was das Komponieren und Arrangieren betrifft. Ich merke das auch, wenn ich Studierenden jetzt Beispiele geben möchte, dann lande ich oft bei Arrangements ihrer Band. 

Man kann dann schön zeigen: das war der Standard, das hat die Band daraus gemacht und warum klingt der auf einmal so anders.

Wen ich auf jeden Fall ganz speziell nennen kann sind Maria Pia De Vito, Theo Bleckmann, Sidsel Endresen oder ganz traditionell Fay Claassen und Al Jarreau.

Aktuell bist du Teil von zwei Trios, einem Duo mit dem Pianisten Manuel Krass, deinem Quintett, dem JassLabb de Cologne und singst im Blue Art Orchestra. Daneben hast du einen Lehrauftrag in Saarbrücken und an der Hochschule Osnabrück und bist Teil des PENG Kollektivs. Wie kann man sich Deinen typischen Übe-Alltag vorstellen ?

Die Zeit, in der ich am meisten geübt habe in meinem Leben ist wirklich das Studium und die Zeit davor gewesen. Da hatte man jeden Tag Zeit und es ist ja auch sozusagen deine „Aufgabe“. Wenn man dann mit beiden Beinen im Berufsleben steht – und du hast ja gerade schon ein paar Projekte aufgezählt – ist schon viel, viel Zeit ausgefüllt. Das heißt, man muss sich dann schon hier und da die Zeit „abzwacken“. 

Natürlich ist das auch immer sehr davon abhängig, was gerade ansteht. In der vergangenen Woche habe ich beim Fuchsthone Orchester mitgesungen, wofür ich ein riesen Programm lernen musste. Da alle Stück neu für mich waren, habe ich mir natürlich in der Vorbereitung sehr viel mehr Zeit zum Üben genommen.

„Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben.“

(Barbara Barth)

Ich übe also meistens auf Konzerte hin. Wenn ich dann mal mehr Zeit habe, merke ich, dass auch wieder Raum da ist um Dinge zu üben, die mich interessieren. Dann transkribiere ich gerne ein Solo oder nehme ein transkribiertes Solo wieder aus dem Regal.

An meiner Stimmtechnik arbeite ich dagegen aber weiter regelmäßig. Einmal im Monat bin ich hierfür bei meiner Technik-Lehrerin. Die Stunde nehme ich dann meistens auf und versuche sie dann im Anschluss nochmals nachzuvollziehen.

Ich kann dir also gar keinen genauen Übe-Alltag sagen, der dann immer auf eine bestimmte Art und Weise ist. Ich kann nur sagen, dass zum Üben auch immer Pausen dazu gehören. Und Üben ist auch alles, was du bewusst aufnimmst und reflektierst. Gerade bei Stimmtechnik geht es auch viel darum physiologische Prozesse zu verstehen, oder zu empfinden was passiert, wenn ich dies oder jenes denke. Wie reagiert mein Körper ? Wie reagiert meine Stimme? Dies ist dann auch viel mentales Üben.

Übst du dann auch bewusst mental, wenn du beispielsweise unterwegs bist ?

Nein, wenn ich jetzt konkrete Stücke übe, dann übe ich diese schon immer am Instrument. Aber zur Frage „Wie funktioniert eigentlich mein Instrument und wie bringe ich es zum Klingen?“ – hier passiert viel mehr vor dem eigentlichen Singen. Beispielsweise mit der Einstellung zum Instrument, wie fühlen sich meine Muskeln an – bin ich frei oder macht etwas die Stimme eng? Diese Fragen haben auf jeden Fall sehr viel mit dem Kopf zu tun. 

Meine Technik-Lehrerin sagt beispielsweise, sie übe nur noch denkend. Sie hat vor einer Weile aufgehört zu singen beim Üben. Sie denkt nur noch die Töne und die Vokale und hat eine ganz starke Empfindung, was dabei an den Stimmlippen und im Kehlkopf passiert. Sie trainiert quasi nur noch Ruhe zu bewahren. Sie ist klassische Sängerin und daher ist es hier auch nochmal etwas anderes.

Aber ich kann ja auch eine Stunde am Tag meine Tonleitern auf und ab singen und dabei nichts geübt haben. Oder ich denke ein paar Mal das Richtige und programmiere auf diese Weise meinen Körper und habe dann viel mehr erreicht im Vergleich.

Spannenderweise habe ich gerade vor zwei Wochen das Buch von Renate Klöppel „Mentales Training als Musiker“ entdeckt und mich in dem Zusammenhang erstmals mit mentalem Üben auf meinem Instrument beschäftigt. Es ist super spannend sich in dieses Mindset zu bringen und sich vorzustellen „Wie fühlen sich meine Muskeln an, wenn ich spiele“. Also in jedem Fall ein super interessantes Thema, welches aber vielleicht zu ausufernd für diesen Rahmen nun wird.

Aber weil du nun gerade zur Konzertvorbereitung gefragt hast. Das eine sind die Töne lernen. Die Stücke lernen. Habe ich eine Stelle, an der ich improvisiere? Dann übe ich diese Stelle.
Aber das andere ist sich darauf einzustellen, was habe ich zum Beispiel für Befürchtungen, Zweifel und Ängste – und was macht das dann wieder mit meiner Stimme und meiner Musikalität. Das ist mindestens genauso wichtig, wie die richtigen Töne zu üben.

„Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.“

(Barbara Barth)

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Puh, das ist eine sehr allumfassende Frage (lacht). Ich habe mir dann immer Übungen gebaut. Für mich stand immer im Vordergrund, dass ich improvisieren lernen möchte. Es fließt ja letzten Endes so viel zusammen bei dem was und wie man etwas übt und was man dabei lernt. 

Wenn ich jetzt improvisieren übe, dann lerne ich etwas über Harmonielehre, ich muss mich am Klavier begleiten – ich übe also Klavier-Spielen – ich lerne Gehörbildung und lerne Intervalle und Skalen hören. Man übt ja zumeist ganz vieles miteinander und schaut dann auf dem Weg, wo einen das Ganze hinbringt.
Wichtig ist dabei auch, dass man in der Lage sein sollte sein Ziel von Zeit zu Zeit anzupassen. Man kann jetzt nicht sagen „ich möchte in zwei Jahren dies und jenes erreichen“ und merkt dann auf dem Weg, dass sich möglicherweise das Interesse verändert hat. Große Ziele sind daher auf jeden Fall wichtig. Aber noch wichtiger, bezogen auf das Üben und vor allem zum Durchhalten, sind die kleinen Ziele. Das man zum Beispiel sagt, dass man ein eigenes Stück schreiben möchte, ein bestimmtes Stück gerne mal lernen will oder auch mehr Chromatik in der Improvisation nutzen möchte.

Hast du das dann damals auch in einer Art Übetagebuch festgehalten?

Ja, ich habe mir immer die Übungen ganz konkret aufgeschrieben, um Anhaltspunkte zu haben und auch dann Schritt für Schritt voran zu kommen. Man sieht dann „jetzt kann ich das schon und kann dann einen Schritt weiter gehen“.

Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig sich eine Struktur zu geben.

Zum Beispiel, wenn ich nun mit einer bestimmten Skala über ein Stück improvisieren lernen möchte, dann reicht es unter Umständen nicht, sich nur den Akkord hinzulegen und dann zu singen und zu schauen, was passiert. Besser ist wirklich konkret die Töne zu üben und mir eine Struktur zu schaffen, wie ich das machen kann. 

Ich glaube, dann muss man auch akzeptieren, dass Üben nicht unbedingt bedeutet sich kreativ am Instrument ausleben zu können. Sondern vielleicht erst einmal etwas herunter zu brechen und einmal das Gefühl zu haben, kurzzeitig auch schlechter zu werden. Das kennt man ja sicher: Wenn man sich mit etwas intensiv beschäftigt, fallen einem plötzlich die ganzen Dinge auf, die man noch nicht kann. Oder man ist so fokussiert darauf es richtig machen zu wollen, dass man das Gefühl hat, sich zu verschlechtern. Aber ich glaube, dass gehört fest zum Üben dazu. Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.

Ich glaube Üben – oder besser werden – ist etwas, dass nicht einfach so passiert, sondern, dass ich mir wirklich erarbeiten muss.

Barbara Barth
Barbara Barth (Copyright © Juliane Guder)

Das hat ja auch ganz viel mit Wahrnehmung zu tun. Wie nehme ich mich selbst wahr beim Üben? Habe ich überhaupt eine gute Selbstwahrnehmung?

Genau, mache ich mir das eigentlich bewusst, was ich da singe. So ist es zumindest für den Prozess „Ich kann etwas noch nicht und möchte es üben“. Natürlich gibt es auch ganz viel, dass sich entwickelt, wenn man mit anderen Musiker*innen zusammen spielt, wenn man Musik hört oder auf Konzerte geht.

Aber wenn man eine bestimmte Sache übt, dann bin ich der Meinung, dass dies auf jeden Fall bewusst und strukturiert passieren sollte.

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Du hattest eben ja bereits angesprochen, dass du einen Tag in der Woche noch als Psychologin arbeitest. Würdest du sagen, dass dieses Studium dir als Musikerin geholfen hat eine besser Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung zu entwickeln?

Es ist natürlich eine total persönliche und individuelle Sache, wie jemand in ein Studium geht und damit letztlich zurechtkommt. Und warum es bei mir so war, hat natürlich bestimmt auch mit dem Psychologie-Studium zu tun. Mir hat es auch geholfen, bereits vorher mal einen Studiengang gemacht zu haben. Daher war ich auch jemand, die immer recht strukturiert gewesen ist.

Das andere, was du vielleicht meinst, ob ich dadurch nun reflektierter war, oder schon besser mit mentalen Dingen umgehen konnte, weiß ich gar nicht. Ich glaube, das hängt auch immer stark an der persönlichen „Ausstattung“ und wie sich jemand damit auseinander setzten möchte. 
Ich fand es für mich total bereichernd dieses Studium gemacht zu haben. Man lernt in einem Psychologie-Studium ja immer auch die Dinge von verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Und dann realisiert man, dass immer viele Faktoren zusammen eine Rolle spielen und wir alle verschieden sind. Das war in jedem Fall grundsätzlich sehr bereichernd. 

Inzwischen verbindest du nun diese beiden Fachgebiete in einem speziellen Resilienztraining für Musiker*innen. Kannst du ganz kurz erklären was der Begriff meint und uns einen kurzen Einblick in das Seminar geben?

Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.

Gut umgehen bedeutet nicht, dass man keinen Stress hat oder nie Rückschläge erlebt. Sondern eher, dass man – über Rückgriff auf seine eigenen Ressourcen – mit Krisen und ganz alltäglichem Stress so umgehen kann, dass man gesund bleibt und dazulernt oder möglicherweise sogar gestärkt daraus hervorgeht.

„Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.“

(Barbara Barth)

Natürlich ist dies für alle Menschen wichtig. Warum es aber gerade für Musik-Studierende (oder Studierende allgemein) wichtig ist? 
Das Studium ist eine ganz besondere Lebensphase. Zum ersten Mal kommt man aus dem Elternhaus heraus, hat gerade Abitur gemacht und fängt allmählich an auf eigenen Beinen zu stehen. Alleine daher macht man bereits ganz viele Veränderungen mit und muss sich erstmal neu finden.

Dann kommt man in einen Pool von anderen Mitmusiker*innen und merkt plötzlich, dass man sich anfängt zu vergleichen. Man bekommt sehr viele Aufgaben von den unterschiedlichen Dozierenden mit und möchte diese natürlich auch gut erfüllen. Möglicherweise möchte man genauso gut sein, wie jemand bestimmtes und beginnt sich dann zu fragen, wieso man die Aufgabe noch nicht kann. Oder man etwa für ein Projekt nicht gefragt wird. Damit lernen so umzugehen, dass man psychisch gesund und motiviert bleibt ist in jedem Fall eine Herausforderung. Aber gleichzeitig auch total wichtig, weil es sonst sein kann, dass man seinen Beruf nicht weiter ausüben kann.

Geht es in dem Kurs dann auch darum, konkrete Übungen zu vermitteln oder hauptsächlich erst einmal ein Bewusstsein hierfür zu schaffen?

Beides. Ein Bewusstsein zu schaffen ist ja bereits eine Übung. Zum Beispiel geht es schon damit los, ein Bewusstsein zu schaffen, welche Ressourcen und Strategien (also Resilienzfaktoren) wir bereits alle haben. Wenn man sich hier im Kurs umhört, gibt es immer eine große Sammlung an Dingen, die die Studierenden machen, wenn es ihnen nicht gut geht. An Wegen, wie sie sich motivieren und wie sie mit Rückschlägen umgehen. Eigentlich alle haben hier bereits Erfahrungen und somit auch Fähigkeiten „im Gepäck“, über die sie sich gar nicht bewusst sind. Vor allem, weil sie oftmals denken, dass diese Strategien ja selbstverständlich seien. 

Andere, konkrete Übungen, die im Kurs vermittelt werden, sind Entspannungs- oder Atemtechniken. Meistens wirkt sich Stress oder Leistungsdruck ja auch körperlich aus. Darüber hinaus sind generell Pausen machen, Sport, gesunde Ernährung wichtig.

Auf der mentalen Ebene schauen wir uns dann an, welche Glaubenssätze und Annahmen (über mich und andere) stecken hinter meinem Verhalten. Dieses Zusammenspiel von Gedanken, Gefühlen und Verhalten – also, dass meine Gedanken Gefühle auslösen können. Dies wiederum beeinflusst, wie ich mich in bestimmten Situationen dann verhalte werde und bestätigt unter Umständen wieder meine Gedanken.

Würdest du sagen, dass man als Musiker*in hier mehr gefährdet ist, da man sich ja quasi immer am Vergleichen ist? Sowohl mit seinen Mitstudierenden, als auch mit seinen Idolen.

Ich glaube, es ist immer auch eine Persönlichkeits- und Kontextfrage. Auch in anderen Berufen gibt es diese Vergleiche.

Allerdings scheint unter Musiker*innen immer noch mehr dieses „Einzelkämpfertum“ zu existieren – komischerweise. Eigentlich sollte man sich viel mehr zusammentun. Zwar spielt man mal in einer Band zusammen, aber ansonsten bleibt jeder meistens für sich. In anderen Berufen gibt es sicher mehr ein „Nebeneinander“ – wohingegen in der Musik weiter gilt: entweder du oder ich. Entweder werde ich gefragt, oder jemand anderes. Selbst wenn man das gar nicht möchte und wir alle Kolleg*innen sind. 

Dazukommt, dass man in andern Berufen abends nach Hause kommt und dort eine ganz andere, private Person ist. Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.

„Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig, sich eine Struktur zu geben.“

(Barbara Barth)

Was in diesem Zusammenhang jedoch ganz schön festzustellen ist, dass spätestens seit Corona hier ein größeres Bewusstsein geschaffen wurde. Inzwischen gibt es ja auch den Mental-Health in Music (MiM) Verband und auch unter Musiker*innen stelle ich eine andere Wahrnehmung bei diesem Thema fest.

Ich glaube auch, dass nur wir alle zusammen das verändern können indem wir offen damit umgehen und aufhören uns gegenseitig etwas vorzumachen. Es nützt ja niemandem, wenn man versucht ständig eine „Hackordnung“ einzuführen.

Du hattest eben selbst Sport für dich als einen Resilieztipp angeführt. Was hilft dir nach einem anstrengenden Probe- oder Gigtag um abschalten und „runterkommen“ zu können?

Für mich ist immer super wichtig, dass ich genügend Schlaf habe und ausreichend Pausen mache. Einfach, dass ich mir den Tag nicht so voll packe. Wenn ich beispielsweise weiß, dass ich abends spät nach Hause komme, schaue ich, dass ich den nächsten Vormittag frei habe. Mir ist wichtig, dass ich gut für mich sorge. Dazu zählt natürlich auch gutes Essen irgendwohin mitzunehmen, wenn ich länger unterwegs bin. Überhaupt mir vorher zu überlegen, wann ich essen kann.

Für mich ist das Regenerative eher die Entspannung. Das heißt also auch in die Sauna gehen, oder in Ruhe auf der Couch zu liegen, oder etwas zu kochen.

„Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.“

(Barbara Barth)

Also Freiräume schaffen, das wäre dein Tipp?

Ja, auch für Freunde. 

Wenn ich merke, dass ich nicht gut drauf bin und beim Üben feststelle, dass es nicht besser wird, dann weiß ich, dass ich besser aufhören sollte. Vielleicht höre ich dann sogar für die nächsten drei Tage auf. Und schaue dann nochmal, wenn ich in einer besseren Stimmung bin und netter mit mir umgehe, was dann herauskommt.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Vor kurzem neu entdeckt kann ich nicht sagen, aber was ich immer super gerne mache ist transkribieren und Transkriptionen singen. Dabei möchte ich diese so verinnerlichen, dass ich sie nicht einfach nur einmal zur Aufnahme mitsingen kann, sondern Ton für Ton wirklich so „reingehen“, dass ich verstehe was der/ die Komponist*in hier gemacht hat. Natürlich auch Licks herausnehmen. Es macht richtig Spaß, wenn man merkt, dass die Dinge dann in sein eigenes Improvisieren übergehen.

Was mich inzwischen schon seit sechs Jahren beschäftigt (daher auch nicht unbedingt mehr neu), ist die Funktionale Stimmtechnik. Sie hat mir so viel über mein Instrument, die Stimme, erst einmal beigebracht. Ich kann hier ganz in mir ruhend und mit ganz viel Aufmerksamkeit drei Mal „A“ singen und habe dabei so viel gelernt, wie ich mein Instrument benutzen sollte. Das ist für mich immer noch „neu“ und faszinierend.

Was ich vor allem während Corona schätzen gelernt habe, ist die Fülle an Übe-Material bei Youtube oder tolle Apps, wie von deinem letzten Interview Gast Steffen Weber. Dass es hier so viel gutes Material gibt, mit dem es Spaß macht zu üben. Vor allem, wenn man durch ausbleibende Konzerte nicht so viel Routine hat. 

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir, guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Ich versuche schon zu schauen, dass es insgesamt ausgeglichen ist. Das heißt ich achte schon darauf, dass ich frei habe und vor allem Freiräume für mich habe, um meine Sachen zu machen. Also um mich mit meinen Projekten zu beschäftigen, um in Ruhe üben zu können, um meine Technik-Übungen machen zu können. Das ist bei mir zum Beispiel immer der Freitag. Mittwochs habe ich ähnliches Zeitfenster für mich. Aber, dass muss ich mir dann auch bewusst in den Kalender schreiben.

Bei Terminen, beispielsweise zur Organisation des PENG-Festivals, versuche ich dann dafür konsequent zu sein und zu sagen „Sonntag geht nicht“.

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ?

Das kommt total auf die Tagesform an. Wenn ich viele andere Sachen erst einmal anfange, fällt es mir schwer nochmal ins Üben zu kommen.

Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein. Anschließend kann man dann den anderen Kram machen.

„Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein.“

(Barbara Barth)

Allerdings geht es mir manchmal so, wenn die Sonne schon untergegangen ist, dass ich dann nochmal Lust bekomme von 20h bis 22h Üben zu gehen. Und dann läuft es voll. Manchmal ist es einfach unberechenbar. Ich glaube was für mich gut ist ist, aufmerksam zu sein, für das, was gerade in mir passiert und was mir gut tut. Besonders rechtzeitig zu merken, wann ich aufhören sollte. Das ist auch unabhängig von der Tageszeit. 


Ich hab hierauf schon wieder keine pauschale Antwort, wie du merkst (lacht).

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (auch gerne nicht-musikalisch)

Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann. Dann zu sagen: „Ok, es ist trotzdem gut.“ Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.

Ich glaube das Wichtigste ist zu lernen zufrieden zu sein, auch wenn man ganz viele Dinge noch nicht kann. Davon sich nicht grundsätzlich demotivieren zu lassen – sondern mit den Dingen, die man bereits gelernt hat zu sagen: „Damit kann ich doch jetzt schon mal gut weitermachen.“

Das schließt ja nun auch den Kreis zur Selbstwahrnehmung und dem vorhin angesprochenen Resilienztraining.

Ja. Für mich hat sich die Frage „was ist üben?“ wirklich dahingehend verändert. Im Studium habe ich es immer durchgezogen. Jeden Tag. Das ist auch total gut gewesen, weil ich dadurch auch eine gute Basis mitnehmen konnte. 

Aber ich merke inzwischen immer mehr, dass es total wichtig ist, mit mir gut umzugehen und auch Abstand vom Üben nehmen zu können. 

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Eigentlich habe ich immer davon profitiert im Studium, dass ich so strukturiert geübt habe. Aber was ich gebraucht hätte, wäre ein Person gewesen, die sich eher den mentalen Themen mit mir gewidmet hätte und mich da besser aufgefangen hätte.

„Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann.  Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.“

(Barbara Barth)
Bildnachweis:

Titelbild von pgwiazda Photographie

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Mental Health mit Dipl. Psych. Nathalie Mong

Die Expertin

Die Expertin für die erste Sprechstunde zum Thema Mentale Gesundheit („Mental Health“) ist Nathalie Mong.

Rock- und Popmusik spielte im Leben von Nathalie schon immer eine bedeutende Rolle. In ihrer Jugend war sie Sängerin in Popbands. Beeinflusst von dem, was MTV zu der Zeit zu bieten hatte. Auch ihre Praktika beim Radiosender Fritz in Potsdam-Babelsberg brachten sie stärker mit der Welt der Musik in Kontakt. Bis heute singt sie leidenschaftlich gern und arbeitet an ihrer Stimme.

Dipl. Psych. Nathalie Mong
Dipl. Psych. Nathalie Mong

Nathalies zweites großes Interesse ist die Psychologie. Nach ihrem Diplomstudium in diesem Fach und einer Ausbildung zur Psychotherapeutin wollte sie diese beiden für sie wichtigen Felder zusammenbringen. Bei ihrer Suche nach neuen Ansätzen hierzu stieß sie auf die Musikermedizin, die sich mit speziellen körperlichen und psychischen Erkrankungen dieser Berufsgruppe befasst und bildete sich darin weiter.

Die Forschung auf diesem Gebiet interessiert sie ebenfalls sehr. Als Autorin für Fachzeitschriften setzt sie sich mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen aktiv auseinander. Bis 2020 bot Nathalie eine Spezialsprechstunde für Berufsmusiker*innen am Psychotherapeutischen Gesundheitszentrum in München an, wo sie parallel als stellvertretende Leitung tätig war.

Aktuell bietet Nathalie private Psychotherapie und Coaching speziell für Rock-/Pop-Musiker*innen an und gibt Workshops zum Thema mentale Gesundheit. 

Mehr zu Nathalie auf Instagram: musicandsoul_nathalie

Die Sprechstunde

Das Thema mentale Gesundheit ist in der Musik-Branche  aktuell sehr präsent. Wie kommt es, dass gerade (selbstständige) Musiker*innen so oft mit psychischen Problemen zu tun haben?

Es gibt eine Kombination von Risikofaktoren, die speziell in der Musikbranche auftreten. Diese führen nicht zwangsläufig zu Beschwerden, da jeder Mensch anders reagiert. Sie kann aber, ohne das Bewusstsein dafür und geeignete Coping Strategien im Umgang damit, die Wahrscheinlichkeit von psychischen Problemen erhöhen.

Zu diesen Faktoren gehören u.a.:

  • extremes Arbeitspensum und Arbeitszeiten
  • unregelmäßige Schlafenszeiten oder zu wenig Schlaf,
  • schlechte Ernährung und andere Folgen von vielem (low Budget) Reisen
  • hoher Druck auf den Punkt zu performen
  • mangelnde finanzielle Sicherheit- und Planbarkeit
  • niedrige Gagen, leichte Verfügbarkeit und hohe Akzeptanz von Alkohol sowie Drogen
  • in der Regel hohe Identifikation mit der eigenen Arbeit
  • Erwartung der ständigen Verfügbarkeit
  • weniger Grenzen zwischen Privatem und Arbeit, evtl. komplett gleicher Freundeskreis
  • wenig Verständnis und Unterstützung von Menschen außerhalb der Branche 

Selbstwirksamkeit und Resilienz sind uns als Stichworte spätestens seit der Corona-Pandemie sehr vertraut. Gibt es hier spezielle Strategien und Techniken für Musiker*innen, die auch der Tatsache Rechnung tragen, dass musikalische Resultate meist langfristige Prozesse sind?

Ich kenne ehrlich gesagt, zu den beiden Bereichen keine Strategien, die nur für Musiker*innen anwendbar wären. Eine hohe Selbswirksamkeitserwartung (=Die subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungen souverän bewältigen zu können) ist u.a. ein wichtiger Bestandteil von Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit einer Person).

Zur Verbesserung der Selbstwirksamkeit, ist es wichtig, sich gut zu kennen, damit man sich (Übungs-) Ziele setzt, die zwar eine Herausforderung, aber keine Überforderung sind. Umgib dich mit unterstützenden Menschen, die an dich glauben. Es hilft auch, sich Mentor*innen zu suchen, die schon das erreicht haben, was du möchtest (oder lies Bücher von ihnen/höre Podcasts). Positive Modelle, in Bezug auf sein Ziel im Leben zu haben, hilft.  

Für den Bereich Resilienz finde ich persönlich wichtig, sich Humor und Optimismus zu erhalten. Man kann sich in einer schwierigen Situation gezielt fragen, wie diese aussehen würde, wenn man sie mit Humor betrachtet. Investiere in ein positives, ehrliches und unterstützendes Umfeld und lerne Achtsamkeit.   

Wie gehst du mit negativen Gedanken während des Übens um?  (Typisches „Heute klappt gar nichts.“)

Ich mache mir klar, dass ich kein Roboter bin. Es ist ok, dass meine Leistungen daher in Abhängigkeit der Tagesform schwanken können. Da ich achtsam bin, versuche ich den Gedanken „Heute klappt gar nichts“ und den Frust darüber nur zu registrieren. Mit einem Fokus auf die Gegenwart versuche ich nicht in diese Abwärts-Grübel-Selbstabwertungsspirale zu geraten.

Praktisch würde ich mir eine Pause gönnen und etwas machen, was mir einfach „nur“ Freude und Spaß bringt z.B. Tanzen und mich voll darauf konzentrieren. Danach probiere ich es nochmal mit dem Üben. 

Barbara Barth

Sind Musiker*innen gefährdeter für psychische Probleme, Barbara Barth?

“Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.”

Hat sich der Druck auf junge Musiker*innen durch die sozialen Netzwerke erhöht oder überwiegen weiter die Vorteile?

Es gibt Risiken, die mit der übermäßigen und unreflektierten Nutzung von sozialen Medien zusammenhängen. Die Stimmung sinkt bis hin zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Depressionen. Durch die ständigen (unrealistischen) Vergleiche sinkt der Selbstwert. Sogar die Beziehung zum eigenen Körper kann sich verändern.

Auf der anderen Seite sind soziale Medien momentan das unmittelbarste Marketing Tool von Musiker*innen. Bei einem bewussten Umgang (z.B. Limitierung der Zeit in sozialen Medien, Erhalt eines sozialen Netzwerks im realen Leben / klare Social Media Strategie / Wie will ich mit Hasskommentaren umgehen?) überwiegen aus meiner Sicht aktuell die Vorteile. 

„Positive Modelle, im Bezug auf sein Ziel im Leben zu haben, hilft.“

(Nathalie Mong)

Was wäre dein Rat gegen zu viel Perfektionismus?

Sich zuerst bewusstmachen, was genau meine Erwartung an mich selber ist und warum ich das ändern will. Ist die Erwartung z.B. ich muss immer 120% geben, dann würde ich mir gezielt Situationen in meinem Alltag suchen, wo ich mich traue mal „nur“ 100% zu geben und achtsam die Folgen beobachten. Passiert das, was ich befürchte (andere mögen mich nicht mehr, halten mich für schlampig etc.)? Diese Experimente sehr oft wiederholen, am besten aufschreiben und evtl. das Ganze sogar auch mit 80% probieren.

Kann starkes Lampenfieber vor Auftritten schon ein Indiz für ein psychisches Problem sein?

Lampenfieber und Auftrittsangst bilden ein Kontinuum bei dem Aufrittsangst eine sehr extreme Ausprägung ist (mit massiven körperlichen Symptomen, Vermeidungsverhalten etc.). Das alleinige Auftreten von Lampenfieber führt nicht zwangsläufig zu einer Auftrittsangst – es kommt aber darauf an, wie mit dem Lampenfieber umgegangen wird.

Wird das Lampenfieber zunehmend als negativ bewertet und führt es zu tatsächlichen negativen Auftrittserfahrungen, kann sich mit der Zeit schon eine Auftrittsangst aufbauen. Allerdings kann man einen guten Umgang mit Lampenfieber – auch mit starken Lampenfieber – lernen, so dass es sich nicht zu Auftrittsangst entwickelt.

Die letzte Frage wurde durch Melissa Salinas beantwortet (https://www.melissa-salinas.de/).

food for thoughts – Empfehlungen

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