Musikerin | https://what-is-practice.de/tag/musikerin/ BLOG Wed, 27 Mar 2024 16:03:40 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png Musikerin | https://what-is-practice.de/tag/musikerin/ 32 32 Erfolgreiche Probespiel-Vorbereitung: Tipps für den Weg ins Orchester https://what-is-practice.de/erfolgreiche-probespiel-vorbereitung-tipps-fuer-den-weg-ins-orchester/ https://what-is-practice.de/erfolgreiche-probespiel-vorbereitung-tipps-fuer-den-weg-ins-orchester/#respond Mon, 30 Oct 2023 11:54:38 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6078 Dein Ziel ist es, Teil eines renommierten Orchesters zu werden? Ein Probespiel ist oft der erste und entscheidende Schritt auf diesem Weg. Dabei kann die richtige Vorbereitung den Unterschied zwischen Erfolg und Enttäuschung ausmachen. Denn, was so süß klingt ist für die meisten Musikerinnen und Musiker eine echte Qual. In drei Runden prüfen dich deine… Weiterlesen »Erfolgreiche Probespiel-Vorbereitung: Tipps für den Weg ins Orchester

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Dein Ziel ist es, Teil eines renommierten Orchesters zu werden? Ein Probespiel ist oft der erste und entscheidende Schritt auf diesem Weg. Dabei kann die richtige Vorbereitung den Unterschied zwischen Erfolg und Enttäuschung ausmachen. Denn, was so süß klingt ist für die meisten Musikerinnen und Musiker eine echte Qual. In drei Runden prüfen dich deine potentiellen Kollegen auf Herz und Nieren. In meinem Podcast „Wie übt eigentlich..?“ habe ich mit der Violinistin Annemarie Gäbler über ihren Weg ins MDR Sinfonieorchester gesprochen. Ein paar ihrer Tipps habe ich in diesem Artikel für dich zusammengefasst. Hier erfährst du, wie du dich optimal auf dein Probespiel vorbereiten kannst. Neben ihren Tipps findest du auch ein paar hilfreiche Links zu Probespiel-Vorbereitungskursen und Mentalen Trainingsangeboten.

Warum ist die Probespiel-Vorbereitung so wichtig?

Bevor wir in die Details eintauchen, werfen wir einen Blick darauf, warum eine gezielte Probespiel-Vorbereitung von entscheidender Bedeutung ist. Ein Orchester ist ein Ort, an dem musikalische Exzellenz gefordert ist. Die Konkurrenz ist groß. Jährliches verlassen mehr Studierende die Hochschulen als es mögliche Orchesterstellen gibt. Dein Probespiel ist also die Gelegenheit, dein Können zu zeigen und die Jury zu beeindrucken. Eine sorgfältige Vorbereitung ist also das A und O.

Tipp 1: Orchesterstellen

Natürlich üben wir das, was am meisten Spaß macht. In Annemaries Fall waren dies Violinkonzerte. Dabei vergisst man schnell, dass in der dritten und letzten Runde nochmal Orchesterstellen dran sind. Das heißt, der letzte Eindruck, mit dem man sich von der Jury verabschiedet sind nicht die virtuosen Klänge eines Mozart Violinkonzerts, sondern möglicherweise ein paar Takte aus einem Werk von Richard Strauss.

Viele Hochschulen bieten dazu extra Fächer an, in denen Mitglieder des Orchesters Orchesterstellen mit Studierenden üben. Am besten man fragt an seiner Hochschule hier einfach mal nach. Daneben finden sich natürlich auch zahlreiche Publikationen mit entsprechender Literatur. Eine kleine Auswahl habe ich hier mal zusammengestellt.

Literatur-Tipps

*Bei den Links handelt es sich um Affiliate-Links. Im Fall eines Kaufes erhalte ich eine kleine Provision. Für euch bleibt der Preis unverändert. Ihr hilft mir damit die Arbeit des Blogs und des Podcasts weiter kostenlos für alle aufrecht zu halten. Dankeschön!

Tipp 2: Sich selbst aufnehmen

Hand aufs Herz: Es ist schwer beim Spielen eines Werks, sich auch gleichzeitig voll auf Klang, Intonation, Artikulation und Dynamik zu konzentrieren. Gleichzeitig. Bereits der berühmte Musikpädagoge Gerhard Mantel hat sich daher das Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit erdacht. In jedem Durchgang fokussiert man sich auf ein anderes Detail. Das hilft auch konkret im nächsten Durchgang etwas zu verändern und zu verbessern.

Unschlagbar war für Annemarie (und auch für mich – wenn ich mich auf wichtige Konzerte vorbereite) das eigene Aufnehmen. Die Aufnahme ist ein ehrlicher Spielgel dessen, was man gerade gespielt hat. Jeder, der sich selbst mal aufgenommen hat weiß, dass selbst hier der Puls kurz ansteigt. Man trainiert also gleich auch ein wenig den Stressfaktor mit. Zudem kann man mit den Aufnahmen ein Archiv anlegen und so seinen Fortschritt über einen längeren Zeitraum dokumentieren. Das stärkt zudem auch die Motivation!

Auch wenn die meisten Smartphones bereits sehr gute integrierte Mikrofone haben, lohnt es sich möglicherweise hier einmalig zu investieren. Mit guten Mikrofonen lassen sich auch beispielsweise Proben und Konzerte mitschneiden. Zudem kann man sie als selbstständiger Musiker von der Steuer absetzen 😉 Ein paar Equipment-Tipps habe ich hier zusammengestellt:

Equipment-Vorschläge

Tipp 3: Intonationstraining

Eine gute Intonation ist wichtig. Gerade im Zusammenspiel im Satz – und natürlich im Orchester. Mithilfe von Drone Tones (langen Tönen, meist von einer App generiert, die die Funktion des Grundtons oder eines beliebigen anderen Tons übernehmen) kann man gut die eigene Intonation trainieren. Viele Stimmgerät-Apps bieten eine solche Zusatzfunktion inzwischen an.

Natürlich kann man sich auch selbst aufnehmen und diese Stimme endlos loopen. Oder man bastelt sich in Garage Band (oder Audacity) einen eigenen kleinen Backing-Track.

Ich nutze aktuell TE TUNER.

Literatur-Tipps

Tipp 4: Vorspielen, vorspielen, vorspielen

„Jedes Vorspiel, das man absolviert, hilft“, sagte Annemarie im Podcast. Also am besten man schnappt sich Freunde, Eltern, Großeltern oder Nachbarn und veranstaltet regelmäßig Vorspiele. Natürlich ist der Stressfaktor nicht mit dem des tatsächlichen Probespiels zu vergleich. Dennoch erhält man eine Idee, wie der eigene Körper unter Stress reagiert.

Tipp 5: Gemeinsam üben

Noch besser als nur ein Vorspiel zu organisieren ist es gleich gemeinsam zu üben. Wahrscheinlich üben Kommilitonen gerade ähnliche Passagen für ihr Probespiel und zusammen könnt ihr euch Tipps geben und unterstützen. Annemarie hat sich damals ein paar bessere Fingersätze abgucken können. Aber selbst, wenn das nicht drin ist, profitiert ihr vom Austausch und dem Feedback eurer Mitstudierenden.

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Mental Fit ins Probespiel

Während man bei Auftritten möglicherweise noch gelassen einem Fehler entgegen sieht, weiß man, dass in der Probespiel-Jury ebenfalls nur Musiker*innen sitzen, die alle Verspielen sofort hören werden. Das erzeugt selbstverständlich zusätzlichen Druck. Daher sollte man in jedem Fall sein Repertoire auch mit etwaigen Störungen fehlerfrei vorbereiten. Damit vermeidet man den sogenannten „Rumpelstielzchen-Effekt“.

Der Rumpelstielzchen-Effekt meint, dass man ein Stück nur im bestmöglichen Fall (man hat gut geschlafen, auf der Anfahrt kein Stau gehabt und die Jury ist einem wohl gesonnen) fehlerfrei vortragen kann.

Auch besondere Techniken der mentalen Vorbereitung (z.B. „Ich-Stärkung“) können helfen gestärkt und mit einem guten Gefühl ins Probespiel zu gehen. Techniken des mentalen Übens helfen, die Situation am Probespieltag uns bereits im Vorfeld gut vorzubereiten. Dies muss natürlich niemand alleine bewältigen. Viele Hochschulen bieten während des Studiums hierzu Kurse und Veranstaltungen an. Aber auch mithilfe von Coaches können solche Situationen gemeistert werden. Mein Gast Peter Laib ist beispielsweise ebenfalls studierter Mentalcoach und weiß mit besonderen Techniken Musiker*innen zu helfen.

Literatur-Tipps

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Wie gelingt das Probespiel? https://what-is-practice.de/wie-gelingt-das-probespiel/ https://what-is-practice.de/wie-gelingt-das-probespiel/#respond Sun, 29 Oct 2023 18:16:23 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6065 Annemarie Gäbler ist seit 2017 fest im MDR Sinfonieorchester angestellt. Seit langem wollte ich schon eine ganze Folge rund um das Thema Probespiel-Vorbereitung machen. Umso mehr freut es mich, dass Annemarie mir Rede und Antwort gestanden hat und von ihren ganz persönlichen Erfahrungen erzählt. Denn, was so süß klingt, ist für die meisten Musikerinnen und… Weiterlesen »Wie gelingt das Probespiel?

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Annemarie Gäbler ist seit 2017 fest im MDR Sinfonieorchester angestellt. Seit langem wollte ich schon eine ganze Folge rund um das Thema Probespiel-Vorbereitung machen. Umso mehr freut es mich, dass Annemarie mir Rede und Antwort gestanden hat und von ihren ganz persönlichen Erfahrungen erzählt. Denn, was so süß klingt, ist für die meisten Musikerinnen und Musiker eine echte Qual. Wie sich Annemarie auf dieses, für ihre Karriere so wichtige Vorspiel, vorbereitet hat, und welche Tipps sie jungen Musikern mitgeben würde, erfahrt ihr in dieser Folge.

Annemarie Gäbler schwarz-weiß Portrait mit ihrer Geige
Annemarie Gäbler

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Die Folge mit Annemarie Gäbler lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Annemarie Gäbler

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Mich sehr konzentriert auf eine Sache vorbereiten.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Aktuell gibt es keine Musik, die in Dauerschleife läuft. Ich höre sehr viele unterschiedliche Genres – vor allen Dingen 80er Jahre Musik. Klassische Musik höre ich besonders gerne im Konzert. Nur selten lege ich zu Hause mal eine Sinfonie auf. Wenn dann doch eher mal Jazz.

Gehst du in der Vorbereitung auf anstehende Konzerte auch dann eher in ein Konzert oder bereitest du dich eher mit CD vor?

Nein, da nutze ich auf jeden Fall CDs und Spotify. Ich finde, dass ist auch eine der wichtigsten Vorbereitungen als Orchestermusiker.

Gibt es einen Musiker, eine Musikerin, die dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich glaube, da kann ich schon meine Eltern nennen. Ich bin in einer Musikerfamilie groß geworden und meine beiden Eltern sind auch Geiger. Von klein auf habe ich miterlebt, wie zu Hause Konzerte vorbereitet wurden. Auch ganz unterschiedlicher Musikgenres. Ohne es wahrscheinlich bewusst wahrzunehmen, habe ich da sicher bereits ganz viel mitgenommen.

„Ich habe während des Studiums Einiges unterschätzt, was zum Beruf und zum Probespiel dazu gehört.“

Annemarie Gäbler

Die Vorbereitung auf das Probespiel

Du hast in Weimar Geige studiert. War für dich schon während dieser Zeit klar, dass dein Weg mal in Orchester führen soll?

Eigentlich schon viel früher. Wenn mich jemand mit 16 Jahren gefragt hat, was ich später werden möchte, war meine Antwort immer: „Ich studiere Musik und gehe ins Orchester“.

Ich frage mich auch heute, was aus mir geworden wäre, hätte ich nicht von klein auf mein Hobby gehabt.

Hattest du jemals einen Plan B, für den Fall, dass es mit der Orchesterstelle nicht klappt?

Unterrichten fand ich ebenfalls sehr spannend. Meine Mutter war auch Geigenlehrerin, sodass ich auch hier viel miterleben konnte. Ich fand es immer faszinierend, wie man die speziellen Fertigkeiten des Musikmachens anderen Menschen beibringen kann.

Aber auch Klassenunterricht an einer Schule wäre ein möglicher Plan B für mich gewesen. Zum Glück kam dieser Plan B aber nie zum Tragen, da Plan A funktioniert hat.

Unser Thema heute soll das Probespiel sein. Sowohl die Vorbereitung als auch der Tag selbst und natürlich der Umgang damit, wenn es mal doch nicht klappt. Hast du das Gefühl, dass man während des Studiums gut auf diesen Berufswunsch vorbereitet wird, oder sind Praktika und Akademien eigentlich fast schon unerlässlich?

Jein, ja. Ich glaube, ich habe während des Studiums Einiges unterschätzt, was zum Beruf und zum Probespiel dazu gehört.

Ich finde, man ist während des Studiums sehr stark in diesem „Einzelüben“ drin: also perfekt seine Einzelstimme spielen können und Violinkonzerte vorbereiten. Letztendlich ist das allerdings nur ein Teil des Probespiels – aber es gibt ja auch noch den Teil der Orchesterstellen. Diesen habe ich nicht nur im Studium, sondern wahrscheinlich bis zum Probespiel hin unterschätzt.

Erst jetzt, wo ich auf der anderen Seite auch Probespiele abnehme, realisiere ich mehr und mehr deren Relevanz. Obwohl uns die Wichtigkeit der Orchesterstellen von unseren Lehrern regelmäßig eingebläut wurde.

Hast du in der Vorbereitung Praktika absolviert, um ein Gefühl für die Probespiele und das Orchesterspiel zu bekommen?

Die Probespiele für Akademien und Praktika waren ein kleiner Teil davon. Während der Akademie-Zeiten hat man aber vor allen Dingen gelernt, wie man innerhalb des Orchesters funktioniert. Man findet sich in den Klang seiner Gruppe, in meinem Fall den der 2. Violinen ein. Es zählt nicht, wie toll man alleine klingt. Das ist ein ganz anderes spielen, als während des Probespiels finde ich.

„Ich finde, man ist während des Studiums sehr stark in diesem „Einzelüben“ drin: also perfekt seine Einzelstimme spielen können und Violinkonzerte vorbereiten. Letztendlich ist das allerdings nur ein Teil des Probespiels – aber es gibt ja auch noch den Teil der Orchesterstellen.“

Annemarie Gäbler

Aus dem Vorgespräch weiß ich, dass du bereits in deiner Jugend ein paar „Mini“-Probespiele durchlaufen hast. Gewinnt man dadurch zumindest einen kleinen Eindruck oder lässt sich das mit dem tatsächlichen Probespiel gar nicht vergleichen?

Ich glaube, jedes Vorspiel, das man absolviert, bereitet auf die Probespielsituation vor.

Natürlich ist das Probespiel nochmal ein Härtefall. Anders als bei einem Wettbewerb, wo man in der ersten Runde die Chance hat sich zwanzig Minuten zu präsentieren, sind es im Probespiel (wenn man Glück hat) maximal fünf Minuten.

Es ähnelt etwas dem 100-Meter Sprint. Dort muss alles von Beginn an funktionieren. Man hat nicht die Chance, wie beim Marathon, später nochmal etwas herauszuholen. Jedes Probespiel trainiert dafür natürlich. Man muss vor allen Dingen wissen, wie der eigene Körper in Stresssituationen reagiert.

Das bedeutet aber auch, dass man sehr genau seinem eigenen Körper zuhören muss, oder? Diese Fähigkeit trainiert man ja nicht automatisch in seiner Musiker*innen-Ausbildung?

Ich hatte Glück, dass wir in unserer Geigen-Klasse jede Woche ein Vorspiel hatten. Dieses regelmäßige Training hat mich unglaublich gestärkt.

Wenn ich mir dann Aufnahmen aus diesen Vorspielen angehört habe, merkte ich, dass ich meist sehr hastig war. Daraus habe ich für mich das „Mantra: Zeitlupe“ formuliert. Angefangen vom Gang auf die Probespielbühne oder zum Auftritt, habe ich versucht meine Bewegungen langsam auszuführen, da sich sonst diese Hektik auch auf mein Spiel ausgewirkt hat. Was am Ende jedem einzelnen gegen diese Aufregung hilft, muss man allerdings selbst herausfinden.

Hat sich dein Üben in dieser Zeit deutlich von deinem „normalen“ Üben unterschieden?

Ein großer Punkt in meiner Vorbereitung, war dass ich in den Wochen vor dem Probespiel jeden Tag das Programm einmal durchgespielt und mich dabei aufgenommen habe. Die Aufnahmen waren dann jeweils die Grundlage für mein Üben. Ich habe mir angehört, was gut klang und an welchen Stellen es noch etwas zu tun gab. Das habe ich dann am nächsten Tag geübt.

Alleine zu wissen, dass man sich selbst aufnimmt, bringt schon Stress. Ich war in der Vorbereitungszeit sehr viel genauer als sonst. Und am Ende ist es diese Perfektion, die es beim Probespiel ausmacht.

Könntest du 2-3 Übe-Möglichkeiten aus dieser Zeit nennen, um genau diese Perfektion zu trainieren – abseits der Aufnahmen?

Also Orchesterstellen üben waren natürlich ein sehr großer Punkt. In einer Bruckner-Sinfonie gibt es eine Stelle, die intonatorisch für die 2. Geigen sehr schwierig ist. Hierzu habe ich mir damals Referenztöne aufgenommen, die zur Harmonie passen, um anschließend dazu üben zu können.

Natürlich habe ich auch versucht so viel wie möglich anderen vorzuspielen. Während meiner Akademiezeit haben wir uns häufig getroffen und uns gegenseitig vorgespielt. Man kann dadurch auch schauen, wie die anderen schwierige Stellen meistern. Alleine das Zuhören kann einen schon sehr viel weiterbringen.

Hast du dann auch manchmal Ideen deiner Kolleg*innen „geklaut“?

Vielleicht habe ich mir den ein oder anderen Fingersatz abgeguckt (lacht).

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Hast du dir bewusst in dieser Zeit vorgenommen, weniger Konzerte zu spielen, um dich perfekt auf die unterschiedlichen Vorspiele vorzubereiten?

Während meiner Akademie-Zeit hatte ich verschiedene Orchester-Dienste. Ich war sehr froh darum, dass diese mir etwas Struktur über den Tag gegeben haben und ich nicht „nur“ Zeit zur Vorbereitung auf die Probespiele hatte.

Was in dieser Zeit allerdings gelitten hat, waren private Aktivitäten mit Freunden. Wenn ich wusste, dass ich am kommenden Vormittag üben musste, konnte ich den Abend davor nicht noch mit in eine Kneipe gehen.

Der Tag des Probespiels

Wenn wir uns vorstellen, der Tag X ist gekommen. Wie sieht dein Tag aus? Hast du spezielle Rituale am Morgen oder vielleicht noch sogar am Abend davor?

Ich hatte natürlich unglaubliches Glück, dass ich in der Stadt gelebt habe, in der auch mein Probespiel stattfand. Wenn wir uns diesen Fall einmal vorstellen, hat es mir immer gutgetan, nochmal an die frische Luft zu gehen. Ich bin also sehr sicher mit dem Fahrrad zum Probespiel gefahren. Davor habe ich mir zu Hause circa 30-45 Minuten eingespielt. Allerdings nur langsam und keine schnellen Läufe mehr.

Als ich damals beim MDR angekommen bin, hat man schon aus allen Räumen Geigentöne gehört. Ich habe es immer vermieden mich dort nochmal in einem Raum, gemeinsam mit anderen, einzuspielen. Das hat mich eher verrückt gemacht. Ich habe mich dann versucht zurückzuziehen und in Ruhe Noten auf der Geige ohne Ton zu greifen.

Nach dem Einruf des Orchesterinspektors in den Vorspielsaal, werden jedem Kandidaten zufällig Nummern zugelost. Diese legen dann die Reihenfolge der ersten Runde fest. Meistens findet sie hinter einem Vorhang statt. So weiß niemand aus der Jury, wer wann spielt. Die erste Runde dauert auch am längsten. Es ist also sehr viel mit Warten verbunden.

Sind alle Kandiat*innen durch, stimmt das Orchester ab, wer es in die zweite Runde geschafft hat. Dort spielt man ein romantisches Konzert mit Klavierbegleitung. Nach einer erneuten Beratung stimmt das Orchester ab, wer es in die dritte Runde geschafft hat. Dort sind dann die Orchesterstellen an der Reihe.

Wie ich vorhin schon gesagt habe, sind Orchesterstellen wirklich etwas, das ich unterschätzt habe. Man bereitet sich so intensiv auf die Violinkonzerte vor – natürlich machen diese auch mehr Spaß zu spielen. Losgelöst vom eigentlichen Werk sind die Orcherstellen auch nochmal um einiges schwieriger. Das Orchester hört in der dritten Runde dann ganz genau hin, ob du alles Informationen beachtest, die in den Noten stehen: Dynamik, Artikulation, Strichart, Intonation.

Wenn ich dir so zuhören, klingt das vor allem nach ganz viel Warten. Wie bereitet man sich dann kurz bevor man an der Reihe ist, nochmal auf sein Vorspiel vor? Spielt man sich jedes Mal nochmal ein?

Man rechnet auf jeden Fall durch, wann man ungefähr dran ist. Kurz bevor es soweit ist, nimmt man schon die Geige nochmal in die Hand.

Ich empfand es vor allen Dingen als Herausforderung, dass die Räume klimatisch so anders waren. Im Orchestersaal war es oftmals viel kühler als den Räumen, in denen man sich zuvor aufgehalten hat. Das ist auch ganz praktisch für die Frage „Was ziehe ich an?“ ein Problem.

Wie ist das Gefühl hinter einem Vorhang zu spielen?

Natürlich beeinflusst der Vorhang klanglich das Ergebnis. Aber so geht es ja jedem Kandidaten. Ich fand es sogar ganz charmant, in der ersten Runde für mich zu sein.

Warst du weniger aufgeregt?

Ich war gelöster. Ob ich weniger aufgeregter war, kann ich gar nicht sagen.

Du hast am Anfang gesagt, dass für dich mit 16 Jahren bereits klar war, dass du ins Orchester möchtest. Am Ende hängt die gesamte Karriere unter Umständen von diesem einen Vorspiel ab. Das ist natürlich ein unglaublicher mentaler Druck. Wie gehst du in diesen Situationen mit Fehlern um? Hast du dir darüber im Vorfeld Gedanken gemacht und das möglicherweise sogar trainiert, indem du dich bewusst hast ablenken lassen?

Jetzt, wo du es so sagst, wäre das sicher eine tolle Vorbereitung gewesen (lacht). Aber, dass ich bewusst Fehler eingebaut habe, habe ich nicht trainiert.

Für mich war immer die Schwierigkeit, dass wenn ich mich verspielt habe, ich noch länger über diesen Fehler nachgedacht habe. Obwohl es weiterging. Dann ist natürlich sofort der nächste Fehler passiert. Von daher hätte sich dein Vorschlag gut in meiner Vorbereitung gemacht.

Hast du dir dann zumindest Gedanken gemacht, wie du reagierst, wenn du dich verspielen solltest? Also dein Mantra ist nicht nur „Zeitlupe“ sondern auch „Weiterspielen“.

Ich glaube, ich habe das auch vor allen Dingen durch die vielen Aufnahmen trainiert, die ich in dieser Zeit gemacht habe. Dadurch, dass ich die Stellen am nächsten Tag geübt habe, an denen ich mich tags zuvor verspielt hatte, war ich gut vorbereitet. Ich glaube, das Probespiel-Programm ist mit Abstand das Programm, dass ich bisher am meisten geübt habe.

„Letztlich ist das Probespiel auch eine mentale Herausforderung.“

Annemarie Gäbler

Nach dem Probespiel

Wie geht man am besten mit Absagen um? Du hast das selbst ja auch ein paar Mal erleben müssen? Wie schwer ist es sich immer wieder erneut auf diese Prüfungssituation einzulassen?

In meine aller ersten Probespiele bin ich nicht mit der Vorstellung gegangen, diese zu gewinnen. Sondern ich wollte anfangen diese Situation zu trainieren. Daher war ich sehr locker und konnte schauen, was passiert. Wenn es dann für mich in eine zweite Runde ging, habe ich mich unglaublich gefreut.

Probespiele muss man trainieren. Daher würde ich auch jedem empfehlen, auf Probespiele für Stellen zu gehen, die man vielleicht nicht so sehr möchte. Aber das Training zahlt sich spätestens dann für Stellen aus, bei denen es darauf ankommt.

Natürlich gab es allerdings auch bei mir mehrmals Probespiele, bei denen ich in der letzten Runde war und es am Ende nicht geklappt hat. Besonders wenn dann niemand genommen wurde, sitzt man abends zu Hause da und ärgert sich.

Hattest du jemals den Gedanken, dass wenn es nach dem nächsten Probespiel nicht klappt, dass du dir Gedanken für einen möglichen Plan B machst?

Nein, eigentlich nicht. Eher, dass ich gesagt habe, dass ich mich nochmal an anderen Häusern bewerbe. Aber dass ich den Kopf in den Sand stecke, das gabs für mich.

Ich hatte aber auch, im Vergleich zu Erfahrungen von Freundinnen und Freunden, sehr viel Glück. Andere sind nicht daran zerbrochen, aber haben gewiss begonnen etwas an sich zu zweifeln.

Jetzt auf der anderen Seite

Seit 2017 bist du jetzt fest im MDR Sinfonieorchester. Hättest du einen Wunsch, wie man die Probespiele aus Kandidat:innen-Sicht angenehmer gestalten könnte?

Ich glaube, es gibt in allen Orchestern immer Debatten über Probespiele. Vor allem, wie man sie so gestalten kann, dass man am Ende sich nicht ein Solist ins Orchester holt, sondern jemand der teamfähig ist. Dafür ist natürlich auch das Probejahr da.

Letztlich ist das Probespiel auch eine mentale Herausforderung. Aber auch die Zeit danach, im Orchester, ist mental herausfordernd. Es gibt Dirigenten, die einen fordern, herausgehobene Positionen (Konzertmeister, Solo-Stellen) die anspruchsvoll sind. Ich glaube, daher wirst du immer mit mentalen Herausforderungen zu tun haben. Wenn man das Probespiel geschafft hat, hat man bereits einen Baustein, auf dem man in Zukunft weiter aufbauen kann. Weißt du, was ich meine?

Ja, absolut. Wie schaut dein Übe-Alltag heute aus?

Wir haben ja bereits am Anfang kurz darüber gesprochen, dass ich mir gerne Musik in der Vorbereitung auf Konzerte anhöre.

Kürzlich haben wir „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss gespielt. In der Vorbereitung setze ich mich dann hin und gehe das Stück mit den Noten und der Musik durch. Ich überlege mir, wo die Herausforderungen des Stücks für meine Stimme sind. Gerade bei Strauss merkt man gar nicht immer direkt, wo die Schwierigkeit liegt, wenn man nur in die Noten schaut.

Auf die erste Frage hast du geantwortet, dass Üben für dich heißt, eine Sache sehr konzentriert zu machen. Wie gehst du denn in der Auswahl der zu übenden Stellen vor? Machst du dir während des Hörens kleine Zeichen in die Noten, an Stellen, die du später üben möchtest?

Ja, tatsächlich. Meist greife ich dann direkt nach dem Hören zur Geige, um die Stelle mit dem frischen Eindruck zu spielen.

Natürlich macht man aber auch sehr viel über das Optische. Man sieht irgendwann Stellen, die schwer sind. Man übersieht aber auch manchmal Stellen, die schwer sind (lacht). Das Anhören ist daher für mich eine Absicherung, weil man so viel weniger schwierige Stellen übersieht.

Outro

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst? Darf auch gerne nicht musikalisch sein.

Ich hab seit einem Jahr ein sehr cooles, neues Hobby: Hula Hoop. Viele haben ja die Vorstellung, dass man nur dasteht und den Reifen kreisen lässt. Allerdings ist es unfassbar, was man alles mit einem Hula Hoop machen kann, was teilweise wie Zauberei aussieht.

Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass ich dadurch Bewegungen mache, die ich im Alltag mit meiner Geige verliere.

Also ein kleiner sportlicher und gesundheitlicher Ausgleich?

Ja, genau. Aber ein kreativer sportlicher, gesundheitlicher Ausgleich (lacht).

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Orchesterstellen nicht unterschätzen. Auch Orchesterstellen vorspielen. Am Ende ist das die dritte Runde im Probespiel und damit der letzte Eindruck, den man der Jury gibt.

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Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff? https://what-is-practice.de/wie-hat-das-mutter-sein-dein-ueben-veraendert-lisa-wulff/ https://what-is-practice.de/wie-hat-das-mutter-sein-dein-ueben-veraendert-lisa-wulff/#respond Mon, 16 Oct 2023 07:39:00 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6044 Lisa Wulff: Die preisgekrönte Jazzmusikerin und Kontrabass-Virtuosin Lisa Wulff studierte zunächst Musikerziehung in Bremen und anschließend Jazz-Kontrabass und E-Bass in Hamburg. Im April diesen Jahres gewann sie den Deutschen Jazz Preis. Bis zu seinem Tod im August 2022 war sie Teil der letzten Besetzung von Rolf Kühn. Natürlich wollte ich wissen, wie die Zusammenarbeit mit… Weiterlesen »Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff?

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Lisa Wulff: Die preisgekrönte Jazzmusikerin und Kontrabass-Virtuosin

Lisa Wulff studierte zunächst Musikerziehung in Bremen und anschließend Jazz-Kontrabass und E-Bass in Hamburg. Im April diesen Jahres gewann sie den Deutschen Jazz Preis. Bis zu seinem Tod im August 2022 war sie Teil der letzten Besetzung von Rolf Kühn. Natürlich wollte ich wissen, wie die Zusammenarbeit mit dieser Jazz-Legende so lief – besonders abseits der Bühne. Musikalisch ist Lisa aber nicht nur im Jazz Zuhause, sondern genauso auch in der Popmusik. Was dieser Spagat für ihr eigenes Üben bedeutet, haben wir im Podcast besprochen.

Doch das ist noch nicht alles, was Lisa Wulff auszeichnet. Vor zwei Jahren trat sie in eine völlig neue Rolle – die der Mutter. Wie sie die Herausforderungen des Mutterseins und des Musikerinnenlebens meistert, und wie sie es geschafft hat, ihren Übealltag zu optimieren, haben wir im Podcast besprochen. Lisa Wulff gewährte einen Einblick in ihr Leben als Mutter, Musikerin und in die Veränderungen, die diese neue Rolle in ihrem musikalischen Schaffen mit sich gebracht hat.

Lisa Wulff

Mehr Informationen zu Lisa Wulff

Webseite: www.lisawulff.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Lisa Wulff lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Lisa Wulff

INHALT

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Mich mit mir selbst und meinem Instrument zu beschäftigen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Im Moment höre ich ganz unterschiedliche Sachen – je nach Stimmung.

Aber gab es in den letzten Wochen mal einen „Dauerbrenner“ in deiner Playliste?

Ich muss gestehen, dass ich in letzter Zeit wieder viel Klassik gehört habe. Und da ist natürlich Johann Sebastian Bach ein „Dauerbrenner“.

Gibt es einen Musiker oder eine Musikerin, die dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt hat?

Zahlreiche. Es gibt eine Person, die mich zum Instrument Kontrabass gebracht hat – nämlich Detlev Beier. Je weiter ich mich entwickle, merke ich immer mehr, wie sehr mein Spiel von ihm geprägt ist. Obwohl er leider bereits vor inzwischen sieben Jahren verstorben ist und mir das damals nie wirklich so bewusst war.

Natürlich haben mich aber auch großen Namen wie Ron Carter und Charlie Haden sehr beeinflusst. Es ist immer schwierig, wenn man sich auf ein paar wenige Künstler*innen beschränken muss. Vor einiger Zeit habe ich mir mal eine Liste mit Namen gemacht, um niemanden zu vergessen. Aber, wenn ich ganz ehrlich bin, könnte ich mich noch nicht einmal auf 10 Namen beschränken. (lacht)

„Ich unterscheide Üben in zwei Arten: Das eine ist die Beschäftigung mit dem Instrument und mit mir selbst. […] Das „andere“ Üben ist ein konkretes Programm oder Konzert vorzubereiten.“

(Lisa Wulff)

Dein Übe-Alltag

Du hast zunächst Musikerziehung in Bremen und dann anschließend Jazz Kontrabass und E-Bass als Hauptfach in Hamburg studiert. In der Vorbereitung ist mir vor allem deine musikalische Vielseitigkeit aufgefallen: von Musicals und Pop-Gigs, du bist Dozentin im Hamburger Popkurs, bis zu Big Band (NDR Bigband) und Jazz Gigs mit deiner eigenen Band oder als Sidewoman. Kannst du uns mal mitnehmen in deinen Übe-Alltag?

Ich unterscheide Üben in zwei Arten: Das eine ist die Beschäftigung mit dem Instrument und mit mir selbst. Gerade das „mit mir selbst“, weil die Verbindung beim Kontrabass so eng ist. Der Kern des Übens ist für mich, genau diese Verbindung aufrecht zu erhalten.

Das „andere“ Üben ist ein konkretes Programm oder Konzert vorzubereiten. Hier übe ich dann ganz konkret Stücke für die verschiedenen Projekte ein. Auch um fit für die unterschiedlichen Herausforderungen zu bleiben. Am Ende ist es dabei sogar egal, ob ich Kontrabass oder E-Bass übe.

Ich kann auch für mich die Frage „Bin ich Kontra- oder E-Bassistin?“ nicht mehr beantworten. Ich habe hier keinen Fokus auf das ein oder andere Instrument. Für mich ist es einfach Bass spielen in dem jeweils ein oder anderen Kontext.

Wenn du diese beiden Arten des Übens unterscheidest, heißt „mit dir selbst üben“ dann trotzdem immer am Instrument? Oder übst du inzwischen auch viel mental?

Inzwischen mache ich immer mehr auch mental, da ich zeitlich in den ein bis zwei Stunden, die ich meist pro Tag habe, nicht alle Themen abdecken kann. Gerade jedoch beim Kontrabass ist die Verbindung zum Instrument aber auch eine sehr körperliche – vor allem im Unterschied zum E-Bass.

Gerade auf Bahn-Fahrten übe ich sehr viel mental. Zeitweise habe ich mir dort auch ganz bewusst bestimmte Themen vorgenommen. Inzwischen übe ich dort auch immer öfter Stücke und Programme ein.

Üben am Instrument geht bei mir, nach einem kurzem Warmspielen, mit einem freien Improvisieren los. Ich nehme mir dann bewusst kein Stück vor, um zu erspüren was gerade (musikalisch) bei mir los ist. Meist entdecke ich dann etwas, das ich gerne verbessern würde.

Wie eine Art „Realitätscheck“ also? Du schaust also welche Elemente in deinem Spiel heute besonders gut funktionieren und daher weniger Aufmerksamkeit benötigen – und welche anderen Elemente dafür mehr?

Ja, aber gar nicht nur auf Technik beschränkt, sondern auch musikalisch inhaltlich. Für den technischen Fokus habe ich inzwischen eine sehr gute Übe-Routine entwickelt. Diese hilft mir fit zu bleiben.

Beim freien Spielen achte ich besonders darauf, was „mit mir los“ ist. Hier spiegelt sich natürlich viel das wider, was ich in den letzten Wochen gehört habe. Das Schöne ist allerdings, dass sich die unterschiedlichen Höreindrücke im Spiel vermischen und man sie gar nicht mehr genau zuordnen kann.

„Üben am Instrument geht bei mir, nach einem kurzem Warmspielen, mit einem freien Improvisieren los.“

(Lisa Wulff)

Als du eben das mentale Üben in den Bahnfahrten angesprochen hast, meintest du, dass du sowohl Stücke aber auch ganz konkret Themen vorbereitest. Hast du hierzu ein Beispiel aus der Vergangenheit?

Es ist zwar schon eine Weile her, aber eine Zeit lang habe ich Schlagzeugschulen unterwegs geübt. Snare-Etüde zum Beispiel. Dies passt auch ganz gut zu meiner Funktion irgendwo zwischen Harmonie- und Rhythmusinstrument. Ich habe noch ein ganz altes Heft von meinem Lehrer mit wirklichen alten „Rhythmusschulungen“ für Schlagzeuger (lacht). Das nehme ich gerne mit. Es hilft mir auch, wenn ich lange nicht mehr Vom-Blatt-lesen musste.

Man erwischt dich jetzt aber nicht klatschend und stampfend in Zugabteilen?

Kopf-nickend und Fuß-wippend (lacht). Aber nicht klatschen im besten Fall. Vor allem auch die anderen Mitreisenden nicht störend.

In einem Interview hast du mal erzählt, dass der Grund für diese vielen unterschiedlichen Projekte ist, dass du nicht diesen einen Stempel „Jazzbassistin“ / „Schlagerbassistin“ haben möchtest. Ist es dir immer noch wichtig, weiter aus diesem Schubladendenken auszubrechen?

Nein. Ich würde sagen, dass sich dies so eingespielt hat. Inzwischen bekomme ich Anfragen für die Projekte, die ich gerne machen. Das Schubladendenken war dabei weniger wichtig. Tatsächlich ist meine letzte Schlager-Tour auch schon zehn Jahre her. Aber auch da: Ich habe dort gemerkt, dass während meiner Studienzeit sofort den Stempel „Schlagerbassistin“ hatte. Obwohl ich Erfahrungen sammeln konnte, die ich bis dahin mit Jazz-Bands noch nicht sammeln konnte – mit In-Ear-Monitoring auf großen Bühnen, große Touren spielen.

Ich bin damals noch regelmäßig zwischen Bremen und Hamburg gependelt. In der einen Stadt war ich die Jazz-Kontrabassistin, die immer nur freie Musik spielt. Und in der anderen Stadt war ich die E-Bassistin, die Pop-Musik spielt. Für mich habe ich irgendwann festgestellt, dass ich einfach Musik – besonders ganz unterschiedliche Arten von Musik – mag. Daraus haben sich diese vielen unterschiedlichen Projekte entwickelt.

Wäre dies nicht aber typischerweise der entgegengesetzte Rat, den man jungen Musiker*innen heutzutage mitgibt? „Finde deine Nische“?

Ich glaube das kommt vor allem darauf an, was man für sich möchte: Möchte ich hauptsächlich Sidewoman/ Sideman sein, oder möchte ich gern als Leader arbeiten. Für die künstlerische Entwicklung würde ich schon sagen, dass man sich das aussuchen sollte, worin man am besten ist.

Wenn man sich eher als Begleitmusiker*in versteht, würde ich sagen, dass sich breit aufzustellen durchaus Sinn macht. Gerade mit E- und Kontrabass ist man mit ganz unterschiedlichen Besetzungen kompatibel.

Die Zeit mit Rolf Kühn

Die Liste an Musikerinnen und Musikern mit denen du bereits zusammengearbeitet hast ist sehr lang. Von Nils Landgren über Wolfgang Haffner, Al Jarreau und natürlich mit Rolf Kühn. Ergeben sich da manchmal Gelegenheit diese sehr erfahrenen Kollegen nach Tipps auch abseits der Bühne zu fragen?

Ja, auf jeden Fall. Gerade bei Rolf Kühn war die Zeit abseits der Bühne mindestens genauso wertvoll, wie die Zeit auf der Bühne. Er hatte die unfassbarsten Geschichten zu erzählen. Einfach, weil er während seiner Zeit in New York so nah an diesen großen Namen dran war: Taxifahrten mit Stan Getz, Rolf hatte neben Billy Holiday gewohnt. Natürlich habe ich da ganz viel nachgefragt. Allerdings waren das, gerade bei ihm, auch ganz andere Zeiten.

Auch was das Üben betrifft, ist Rolf eines meiner größten Vorbilder. Bis zu seinem Tod hat er täglich die Zeit mit seinem Instrument gelebt und genossen und auch immer wieder neue Stücke geschrieben. Das ist für mich wirklich nachhaltig inspirierend und ich bin dankbar, Teil seiner letzten Besetzung gewesen zu sein.

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Könnte man sagen, Rolf Kühn war eine Art Mentor für dich?

Am Instrument ist und bleibt es Detlef Beier. Aber natürlich war auch Rolf ein Mentor für mich. Genauso aber auch Nils Landgren, dessen Werdegang und Stilistik sich nochmal stark von Rolfs unterscheidet. Hier lerne ich immer noch so viel. Sowohl menschlich, als auch musikalisch.

Gibt es eine Learning, von diesen Personen, das dich wirklich nachhaltig geprägt hat?

Ja. Diese Begeisterung beim Üben. Dass man nicht denkt, dass man es nur macht, um fit auf dem Instrument zu bleiben. Natürlich gibt es auch mal solche Tage. Das war besonders bei Rolf Kühn sehr beeindruckend zu sehen.

Beim Üben befasst man sich durchgehend mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten. Das kann, hin und wieder, ja auch anstrengend werden. Ich sehe es inzwischen als großes Geschenk an, dass ich diesen Beruf machen kann. Diese Zeit mit mir und dem Instrument wird mir auch immer wertvoller.

„Natürlich war am Anfang der komplette Tagesablauf, von heute auf morgen, anders. Anderseits ist es auch spannend zu sehen, wie effektiv man dabei wird.“

(Lisa Wulff)

Schließen sich Musikerin und Mutter sein aus?

Aus der Vorbereitung weiß ich, dass du auch Mutter bist. Herzlichen Glückwunsch nochmal an dieser Stelle! Wie hat sich seitdem dein Üben bzw. dein Leben als Musikerin verändert?

Meine Tochter wird im November zwei Jahre alt. Das heißt, dass sich mein Üben inzwischen nochmals verändert hat.

Natürlich war am Anfang der komplette Tagesablauf, von heute auf morgen, anders. Anderseits ist es auch spannend zu sehen, wie effektiv man dabei wird. Das hätte ich mir selbst gar nicht zugetraut. Es gibt allerdings nicht diese glasklare Trennung zwischen: Jetzt bin ich Musikerin und jetzt bin ich Mutter. Aber wie schon anfangs gesagt verändert sich dies durchgehend.

„Für mich war dann auch eines der größten Komplimente, als eine weibliche Kollegin nach einem Konzert auf mich zukam und sagte: Ach, du hast ein Kind? Das habe ich gar nicht mitbekommen.“

(Lisa Wulff)

Ist dieses „effektiv sein“ dem Zeitdruck geschuldet, dass du weißt: Ok, ich habe nur diese 1-2 Stunden am Tag? Du hast eben ja bereits die Unzulänglichkeiten angesprochen, denen man sich beim Üben aussetzt. Da stelle ich mir durchaus auch einen gewissen Leistungsdruck vor, oder?

Ich habe gemerkt, dass ich viel strukturierter geworden bin. Inzwischen weiß ich, was ich machen muss, wenn ich eine Stunde Zeit habe. Gerade auch dann, wenn ich mal einen Tag nicht gespielt habe. Am Anfang empfand ich dies schon als stressig, aber inzwischen glaube ich, dass ich hier eine gute Routine entwickelt habe.

Jetzt weiß ich, dass ich in dieser Stunde sehr viel schaffen kann. Den Rest erledige ich dann leise, wenn sie schläft bzw. mental auf Bahnfahrten. Das ist das Schöne: Musik passt überall rein.

Das find ich sehr schön zu hören. Gerade weil man diese positiven Geschichten nicht allzu oft hört in der Öffentlichkeit.

Natürlich habe ich mir am Anfang vorgestellt, wie das alles wird. Und dann kam doch alles ganz anders. Man muss dann einige Sachen einfach ausprobieren und schauen, was funktioniert. Nach den sieben Wochen Pause nach der Geburt, rief mich ein befreundeter Musiker für eine Studioproduktion an. Ich habe dann viel früher wieder angefangen, als ich dies ursprünglich geplant hatte.

Für mich war dann auch eines der größten Komplimente, als eine weibliche Kollegin nach einem Konzert auf mich zukam und sagte: Ach, du hast ein Kind? Das habe ich gar nicht mitbekommen. (lacht). Da war meine Tochter schon älter als ein Jahr.

Gibt es inzwischen dann einen Bass-freien Tag in der Woche?

Ja, den gibt es. Früher dachte ich immer, dass dies nicht möglich ist. Allerdings spätestens nachdem man die Tage nach der Geburt nicht spielen konnte, wusste ich, dass es nicht so schlimm ist.

„Ich lerne geduldig zu sein. Vor allem mit mir selbst. Das lernt man mit einem Kind natürlich nochmal ganz anders.“

(Lisa Wulff)

Outro

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ?

Ich lerne geduldig zu sein. Vor allem mit mir selbst. Das lernt man mit einem Kind natürlich nochmal ganz anders.

Ich lerne aber auch vor allem die richtigen Sachen weiterzuverfolgen. Kürzlich habe ich wieder eine neue Platte aufgenommen (erscheint am 08.03.2024). In der Vorbereitung habe ich immer wieder gezweifelt, ob ich das Programm in der kurzen Zeit fertigstellen kann und selbst genügend Übe-Zeit zur Vorbereitung haben werde. Gerade heute aber habe ich wieder neue Mixe davon bekommen. Wenn ich sie anhöre, denke ich nicht wie großartig ich die ganze Zeit spiele, sondern wie toll die anderen Musiker*innen über meine Kompositionen spielen.

Das ist der Grund, weshalb ich beschlossen habe – obwohl es mir am Anfang gar nicht leicht fiel Bandleaderin zu sein– es durchzuziehen. Ich habe darauf vertraut, dass mir diese Aufgabe irgendwann leichter fällt. Vor allem aber, dass man in diese Roll hineinwächst. So wie man in viele Rollen hineinwachsen kann. Das Gefühl, dass sich das immer lohnt, habe ich nun fast täglich.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Ich fühlte mich auf manche Dinge nicht so wirklich vorbereitet – abseits des Bass-Spielens.

Hast du ein Beispiel hierfür?

Von der ersten Rechnung, die ich noch im Studium geschrieben habe, über KSK, GEMA und GVL bis hin zur Bandorganisation. Alles, was nicht das reine Bass spielen ist. Dies vor allem auch als Arbeitszeit zu sehen. Manchmal dachte ich, ich kann meine Zeit nicht auf diese administrativen Aufgaben verwenden, weil ich doch üben muss. Am Ende ist allerdings beides wichtig und gehört zu unserem Job.

Der Beitrag Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff? erschien zuerst auf what is practice.

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Wie geht Jazz-affines Unterrichten, Corinna Danzer? https://what-is-practice.de/wie-geht-jazz-affines-unterrichten-corinna-danzer/ https://what-is-practice.de/wie-geht-jazz-affines-unterrichten-corinna-danzer/#comments Wed, 30 Aug 2023 09:41:25 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6019 Corinna Danzer hat 2023 den Hessischen Jazz Preis gewonnen. Im Podcast habe ich mit ihr über Jazz-affines Unterrichten, Music Learning Theory von Edwin Gordon und Motivation an schlechten Tagen gesprochen.

Der Beitrag Wie geht Jazz-affines Unterrichten, Corinna Danzer? erschien zuerst auf what is practice.

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Corinna Danzer ist Musikerin, Pädagogin und Musikvermittlerin, die gerade mit dem Hessischen Jazzpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Nachdem sie erst mit 21 Jahren zur Musik kam ging sie – wie sie selbst sagt – die Jazz-Geschichte einmal rückwärts durch. Während des Studiums hat sie dann natürlich versucht ihre geringe Spiel- und Übe-Praxis möglichst schnell aufzuholen und entwickelte dabei ein paar interessante Strategien. 

Auch in ihrem Unterricht verfolgt sie eine sehr besondere Methode, angelehnt an die Music Learning Theory von Edwin Gordon. Dazu habe ich auf dem Blog bereits einen Artikel veröffentlicht. So lernen ihre Schülerinnen und Schüler ganz spielerisch Melodien nach Gehör und wagen bereits sehr früh erste Improvisationsversuche. Jazz-affines Unterrichten eben. Heute fällt ihr manchmal der Einstieg ins eigene Üben schwer – wer kennt es nicht. Aber auch hierfür hat sie ein paar gute Tipps parat, um sich selbst zu überlisten. Seid also gespannt.

Corinna Danzer mit Saxofon
Corinna Danzer (Foto: Katrin Schander)

Mehr Informationen zu Corinna Danzer

Webseite: www.corinnadanzer.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Corinna Danzer lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Corinna Danzer

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Das ist ein sehr komplexes Thema -aber vielleicht in drei Stichwörtern: meine Ruhe haben; Zeit haben; nur das Instrument und ich.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Nein, aktuell nicht. Das war früher eher so. Allerdings gibt es ein paar Musiker, auf die ich immer wieder zurückkomme: Wayne Shorter, Miles Davis. Vor allem Shorter – besonders die Platten aus den 1960er Jahren, gemeinsam mit Herbie Hancock und Tony Williams.

Im Moment höre ich gerade für ein Swing-Projekt ein Stück von einer Frau heraus: Irene Higginbotham „The Bottle is empty“. Inzwischen versuche ich bei meinen Projekten vermehrt darauf zu achten, auch die weiblichen Anteile in der Jazz-Geschichte sichtbar zu machen.

Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges, und auch populäres, Thema. Ich nenne hier immer gerne Melba Liston als Beispiel, die unter anderem viel für Count Basie geschrieben hat. Du hattest eben bereits Wayne Shorter angesprochen – würdest du sagen, dass er zu den Künstlern gehört, die dich auf dein Spiel bezogen am meisten geprägt haben?

Ich wünschte man würde diesen Einfluss noch mehr hören (lacht).

Gibt es möglicherweise einen anderen Hero, den du früher häufig transkribiert hast?

Transkribieren und Licks üben ist tatsächlich ein wunder Punkt bei mir. Ich habe damals in den 1980er mit 21 Jahren, also sehr spät, mit dem Saxofon spielen angefangen. Damals war in der Göttinger Szene, wo ich herkomme, die Ansicht sehr verbreitet gewesen, dass man niemals andere Musiker kopieren sollte. Diese Haltung hat sich bei mir sehr stark eingeprägt. Im Nachhinein bereue ich dies allerdings, da ich diese Zeit natürlich nicht wieder aufholen kann und daher viel zu wenig transkribiert und Licks geübt habe.

Ich habe in einem Interview mit dir gehört, dass dein erster Berührungspunkt mit dem Jazz ein Free Jazz Konzert war. Ist diese Einstellung auch dadurch geprägt gewesen?

Nein, tatsächlich nicht. Ich bin letztlich die Jazz-Geschichte rückwärts gegangen.

Du sprichst gerade das „Gunter Hampel“-Meeting in Göttingen an. Das war wirklich ein krasser Zufall. Er lief mir in der Fußgängerzone entgegen und ich fand ihn einfach schön. Ein langer, schlaksiger Mann mit grauen Locken. Als ich dann ein paar Meter weitergelaufen bin, sah ich ein Plakat von ihm, dass er dort wohl gerade angebracht hatte. Ich bin anschließend in den nächsten Plattenladen und hörte mir eine seiner Alben („Birth records“) an. Ich fand es allerdings schrecklich. Trotzdem bin ich auf sein Konzert gegangen und war geflashed von ihm und seiner Band. Mir war dann relativ schnell bewusst, dass die Musiker dort das Konzert komplett frei improvisierten. Daraufhin bin ich auf jedes Jazz Konzert in der Region.

„Erst durchs Selbstspielen habe ich dann später begriffen, dass es im Jazz eine Liedform gibt, die sich wiederholt. Und, dass die Melodie mit der Harmonie zusammenhängt. Erst dann konnte ich das auch hören.“

Corinna Danzer

Nach drei Jahren wollte ich dann wissen, was in den Köpfen der Musiker vorgeht, während sie spielen. Das war der Grund, warum ich mit dem Saxofon spielen angefangen habe.

Erst durchs Selbstspielen habe ich dann später begriffen, dass es im Jazz eine Liedform gibt, die sich wiederholt. Und, dass die Melodie mit der Harmonie zusammenhängt. Erst dann konnte ich das auch hören.

Das möchte ich heute früher an meine Schülerinnen und Schüler vermitteln. Um ihnen diese Liedform (und das dazugehörige Akkordschema) verständlich zu machen, mache ich immer ein einfaches Experiment: Wir singen dazu „Alle meine Entchen“ und ich sage ihnen, dass sie automatisch Akkorde zur Melodie hören. Natürlich glauben sie mir das nicht. Wir singen daraufhin das Stück und ich begleite mit falschen Akkorden am Klavier die Melodie. Alle stellen natürlich sofort fest, dass das nicht passt. Wenn ich dann die „richtigen“ Akkorde spielen, merken sie, dass sie genau diese Harmonien im Ohr hatten.

Dein Übe-Alltag

Du bist Musikerin, Pädagogin, Musikvermittlerin – auf diesen Teil möchte ich gern später noch genauer eingehen. Kannst du uns zuerst mal mitnehmen in einen typischen Übe-Alltag von dir?

Ehrlich oder unehrlich? (lacht)

Gerne ehrlich.

Möglicherweise bin ich die Erste in deinem Podcast, die nicht mehr gut und strukturiert übt. Ein typischer Alltag ist, dass ich meist zu wenig übe und oft Schwierigkeiten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Allerdings gelingt es mir ihn zu besiegen, in dem ich mir selbst sage, dass ich nur mal eben spielen gehe. Meist lege ich mir dann ein Aebersold-Playalong auf und improvisiere dazu.

Nach ein paar Minuten merke ich dann, wo es klemmt und welche Dinge ich gern vertiefen möchte: z.B. Sound, Timing oder ein Pattern, dass ich mir gefallen hat und, das ich in andere Tonarten transponiere. Sehr schnell überlege ich dann, welche Gigs demnächst anstehen und ich versuche die Inhalte zu kombinieren. Dann bin ich im Üben angekommen. Also eine Mischung aus lustgeleitetem und planvollem Üben.

Früher hatte ich dagegen einen sehr strukturierten Übe-Plan.

„Nachdem ich ein paar Jahre wenig effizient geübt habe, habe ich eine Mindmap erstellt, auf der ich aufgeschrieben habe, was alles zum guten Saxofon spielen dazugehört. Dort habe ich alles notiert, was mir eingefallen ist.“

Corinna Danzer

Wie hat dieser Plan früher ausgesehen? Hast du zum Beispiel Übe-Tagebuch geschrieben?

Ja, ich habe Zettel geschrieben, sie dann allerdings meist wieder verworfen. Dennoch war es wichtig diese Zettel geschrieben zu haben.

Nachdem ich ein paar Jahre wenig effizient geübt habe, habe ich eine Mindmap erstellt, auf der ich aufgeschrieben habe, was alles zum guten Saxofon spielen dazugehört. Dort habe ich alles notiert, was mir eingefallen ist: Artikulation, Atmung, Zunge, Griffe, Stücke…

Mind Map zu gutem Instrumentalspiel
Auch ich habe mich mal an einer Mind Map versucht. Alle Punkte lassen sich natürlich noch beliebig ergänzen. Was fällt euch noch ein?

Ich habe diese Punkte in drei Felder gegliedert: eine mentale und eine motorische Seite.

Zur mentalen Seite gehören die Felder Gehörbildung, Harmonielehre, Rhythmik, etwas erfinden können.

Die motorische Seite bildet dann Geläufigkeit, Ideen umsetzen können, Atmung, Zunge etc.

Die dritte Säule war dann „the real stuff“ wie Repertoire, wie trete ich auf, wie baue ich ein Solo auf, wie baue ich ein Set auf.

Für alle diese Punkte habe ich mir anschließend überlegt, wo ich dort aktuell stehe und was ich machen muss. Daraus habe ich dann Übe-Pläne geschrieben, die natürlich viel zu lang waren. Dennoch war es extrem wichtig sie als Leitplanke im Kopf zu haben. Dadurch konnte ich effektiver üben.

Ich habe mir beim Üben ein zeitliches Limit vorgegeben, in denen ich bestimmte Dinge gemacht habe. Zum Beispiel 2 Minuten (ohne Ablenkung) Töne aushalten, oder 10 Minuten alle Major-Arpeggios. Anstatt zu sagen „ich übe jetzt mal Major-Akkorde“ hat mir diese Herangehensweise sehr geholfen.

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Jazz-affines Unterrichten

Das kommt dir sicher ja heute bei deinem eigenen Unterrichten sehr gute, weil du weißt, wie kleinteilig du mit Schüler*innen werden musst. Du hast in dem oben bereits angesprochenen Interview beim HR zum „Welt-Jazz-Tag“ deinen pädagogischen Stil als „jazzafines Unterrichten“ bezeichnet hast? Wie kann man sich das vorstellen?

Oftmals ist das Ziel von „klassischem“ Musikunterricht einen „reproduzierenden Musiker“ auszubilden. Das bedeutet, dass man gleichzeitig zum Instrument auch die Notation lernt. Natürlich ist das nur wenig Jazz förderlich.

Das führt uns zu Edwin Gordon und Music Learning Theory (MLT) und Audiation. Also die Leitplanke, dass Musiklernen wie das Lernen unserer Muttersprache erfolgen kann. Hier gibt es sehr viele Parallelen. Gerade für den Jazz ist es sehr viel naheliegender und förderlicher auf diese Art und Weise die Musik zu lernen: Hören, experimentieren und imitieren.

Was ebenfalls dazugehört ist, von Anfang an zu improvisieren (mithilfe von kleinen Pattern-Stücken) und Synkopen zu spielen. Im klassischen Unterricht werden besonders Synkopen erst spät eingeführt, da sie schwer zu lesen sind. Daraus folgt, dass man lange Zeit Melodie spielt, die wenig animierend für die Schüler*innen sind und auch weit weg von ihren Hörgewohnheiten. Alle Kinder hören Synkopen. Dadurch, dass ich ohne Noten am Anfang arbeite, kann ich gleich von Beginn an Synkopen in meinen Unterricht integrieren.

Also was macht Jazz förderlichen Unterricht aus? Keine Noten im ersten Jahr (natürlich gibt es auch Ausnahmen), swingig, Synkopen und improvisieren. Und ganz wichtig: singen first – und zwar alles. Auch Akkorde.

Jetzt sind wir ja mittendrin in der Music Learning Theory von Gordon. Das heißt du verfolgst dieses Konzept „sound before sign“ sehr stringent und gibst deinen Schüler*innen im gesamten ersten Jahr keine Noten?

Ähm, ja. (lacht)

Ich setze die Lehre nicht so streng um, wie sie damals von Gordon erdacht wurde. Bei mir läuft vieles parallel. Das bedeutet, dass die Kinder bereits Stücke lernen, die sie noch nicht audiieren können. Dennoch zieht sich der rote Faden von Gordon durch meinen gesamten Unterricht. Besonders durch die Pattern-Arbeit, sowohl tonal als auch rhythmisch.

Was die Arbeit mit Noten angeht, nutze ich oftmals Gedächtnisstützen und notiere meinen Schüler*innen die Tonnamen. Bei älteren Schüler*innen kann man alternativ auch sehr gut mit Playalongs arbeiten.

„Hören, experimentieren und imitieren.“

Corinna Danzer

Nutz du Audiation auch selbst für dein eigenes Üben? Du hast am Anfang ja erwähnt, dass dein Üben oft mit Improvisation beginnt und du dann Pattern, die dir gefallen in andere Tonarten überträgst. Audiierst du diese dann jeweils?

Vielleicht sollten wir zunächst mal klären, was audiieren genau meint. Audiieren ist ja mehr als nur Voraushören, sondern schließt gleichzeitig auch das Verstehen mit ein. Was die MLT damit meint, ist den Kontext der Musik zu begreifen.

Ein Beispiel: Du erkennst (hörend) und kannst benennen in welcher Tonalität wir uns befinden (Dur oder Moll oder phrygisch, lokrisch etc.) und du erkennst, auf welcher Stufe die Melodie anfängt, z.B. auf der 5. Stufe (so) der Tonleiter. Rhythmisches verstehen meint dann, dass man immer weiß, wo die 1 ist und in welcher Taktart wir uns befinden.

Ein guter Test hierzu ist, „Happy Birthday to you“ in Moll zu singen. Kann man das, ist das Musik-Verstehen nach Gordon.

„Also was macht Jazz förderlichen Unterricht aus? Keine Noten im ersten Jahr (natürlich gibt es auch Ausnahmen), swingig, Synkopen und improvisieren. Und ganz wichtig: singen first – und zwar alles. Auch Akkorde.“

Corinna Danzer

Nutzt du diese Techniken dann für dein eigenes Üben?

Ja, natürlich.

Du singst dir dann alles vor?

Das ist eine meiner liebsten Übungen. Und auch nicht nur Melodien, sondern auch Akkorde. Das ist auch etwas, das ich bereits vor meinem Studium verstanden habe.

Während meines Schulmusik-Studiums in Oldenburg hatte ich einen langen Weg zur Hochschule. In dieser halben Stude Fußweg habe ich geübt, Walking-Bass-mäßig, Stücke auswendig zu lernen durch singen. Wenn ich mir dann an einer Stelle unsicher war, habe ich mich an der Hochschule dann direkt ans Klavier gesetzt und diese Stelle geübt.

Ich kam hierauf, als ich feststellte, dass besonders die Rhythmusgruppen-Kollegen viel seltener aus der Form geflogen sind, als wir Bläser. Das ist natürlich logisch, wenn man sich überlegt, dass sie die Form nicht nur 2–3-mal spielen sondern 20-mal. Also wusste ich, dass ich auch 20-mal die Form durchgehen musste. Am Saxofon später dann auch.

In meinem Unterricht mache ich das meinen Schüler*innen bereits sehr früh klar.

Hessischer Jazz Preis & Musikvermittlung

Du hast im März diesen Jahres den Hessischen Jazz Preis erhalten – dazu nochmal ganz herzlichen Glückwunsch. Und du hast diesen Preis nicht nur als Instrumentalistin erhalten, sondern auch für deine Rolle als Musik- und natürlich besonders als Jazz-Musikvermittlerin – in dem du dich bereits seit mehr als 20 Jahren engagierst. Woher kommt die Leidenschaft dich gerade hier so einzubringen? Die Musikvermittlung – gerade im Jazz – ist noch ein sehr wenig bekanntes Feld und eher junges Feld oder?

Ich glaube, du täuschst dich. Es gibt schon seit einger Zeit, auch im Jazz, Musikvermittlungsprojekte. Allerdings nur sehr wenige. Ich war auf sehr vielen dieser Kinderkonzerte – und auch in der Klassik sind sie immer nach dem gleichen Muster aufgebaut. Damit war ich nie ganz zufrieden.

Oft funktionieren sie so, dass eine Geschichte erzählt wird, die als roter Faden durch das Konzert führt. Danach richten sich die ausgewählten Stücke. Im Wechsel hören die Kinder dann die Geschichte mit der Musik. Gerade bei den Kinder-Jazzkonzerten fand ich oft die Geschichte sehr ablenkend. Ich als Kind hätte viel lieber gewusst, wie die Geschichte nun weiter geht, als der Musik zu lauschen. Dazu kommt, dass die Musik die dort gespielt wurde, meist kein Jazz war (Sting, Stevie Wonder). Das hat mir nicht gereicht.

Daraufhin habe ich mit einer Freundin und Kollegin, Ulrike Schwarz, gemeinsam überlegt, was wir gern anders machen würden und folgende vier Punkte festgelegt: „echte“ Jazz-Stücke; keine ablenkende Kinder-Geschichte, sondern wenn eine Geschichte erzählt wird, dann sollte sie um die Musik sich drehen; Bildungsauftrag. Und der vierte Punkt war, dass die Kinder Teil des Konzerts sein sollten. Das war besonders Ulrike Schwarz wichtig. So kam es zu unserem Projekt „Jump into Jazz“.

Das zweite Vermittlungsprojekt heißt „Harlem am Main“. Dort geht es um die Swing Jugend in Frankfurt während der Nazi-Zeit.

Dazu gibt es auf deiner Homepage auch ein spannendes Video, in dem ein paar Ausschnitte daraus gezeigt werden. Lass uns zu den letzten beiden Fragen kommen: Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst?

Im Moment lerne ich gerade freies spielen. Meine neue Einspielübung ist „einfach reinblasen und schauen, was kommt“. Auch mit Klappengeräuschen etc. und damit versuchen einen Spannungsbogen von 2-3 Minuten zu erzeugen.

Das andere sind Odd-Meter und Polyrhythmen. Besonders 7er oder 11er Rhythmen mit ihren ungewöhnlichen Aufteilungen. Davor habe ich mich lange Zeit gedrückt.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Transkribieren und Licks üben. Keine Angst davor haben, dass wir alle gleich klingen. Darauf kam ich viel zu spät. Es ist völlig in Ordnung zu kopieren und zu imitieren.

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Aussteigen in der Musik https://what-is-practice.de/josephine-bastian-aussteigen-in-der-musik/ https://what-is-practice.de/josephine-bastian-aussteigen-in-der-musik/#respond Mon, 08 May 2023 11:58:43 +0000 https://what-is-practice.de/?p=5888 Josephine Bastian war auf dem besten Weg eine erfolgreiche Cellistin zu werden bis ein folgenschwerer Unfall ihr Leben verändern sollte. Aufgrund der starken Schmerzen war an eine normale Karriere nicht mehr zu denken und zum ersten Mal sah sich Josephine mit der Möglichkeit konfrontiert, ihren Traumberuf nicht mehr ausüben zu können. Was heißt es in der Musik auszusteigen?

Der Beitrag Aussteigen in der Musik erschien zuerst auf what is practice.

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Und was bin ich noch, Josephine Bastian?

Josephine Bastian studierte Cello in Berlin, Frankfurt und an der Indiana Universitiy in den USA. Sie gewann Stipendien und gleich nach ihren Master-Abschluss auch eine der begehrten Akademiestellen im Frankfurter Opern- und Museumsorchester – bis ein folgenschwerer Unfall ihr Leben von einem auf den anderen Tag verändern sollte. Ein gemauerter Schornstein stürzte auf sie. Wie durch ein Wunder überlebte sie diesen Unfall und kämpfte sich zurück ins Leben – sowohl privat als auch beruflich. Allerdings war aufgrund der starken Schmerzen an eine normale Karriere nicht mehr zu denken. Zum ersten Mal sah sich Josephine mit der Möglichkeit konfrontiert, ihren Traumberuf nicht mehr ausüben zu können. 

Als ich das erste Mal von Josephines Geschichte hörte war ich tief bewegt und beeindruckt. Natürlich von ihrer Willensstärke nach den langen Krankenhausaufenthalten, den zahlreichen Operationen und der Reha-Maßnahme sich nicht aufzugeben und den Weg zurück ins Leben und ans Instrument zu finden. Aber mindestens genauso beeindruckt war ich von ihrem Prozess der Selbstfindung. Als Musikerin und Musiker verknüpfen wir oft unseren Selbstwert mit unserer Künstler*innen Persönlichkeit – doch was ist, wenn wir diese nicht mehr ausfüllen. Wer sind wir dann noch?

Mit Josephine habe ich über das Aufhören in der Musik, das Finden von Alternativen und über unsere Künstler*innen Persönlichkeit gesprochen.

Josephine Bastian (Quelle: privat)

Mehr Informationen zu Josephine Bastian

Webseite: www.josephine-bastian.jimdosite.com

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Josephine Bastian lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Josephine Bastian

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Üben ist für mich ein wichtiger Baustein in meiner Tagesroutine – unabhängig davon, ob ich mich gerade für ein Konzert oder eine Probe vorbereite. Das ist für mich inzwischen der Schlüssel für einen guten Start in den Tag. Und, um mich mit meiner künstlerischen Energie zu verbinden. Obwohl das vielleicht ein bisschen esoterisch klingen mag (lacht).

Das greift direkt einer Frage vor, die ich für später vorgesehen hatte. Daher würde ich meine Nachfrage an dieser Stelle noch hintenanstellen. Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Das ist tatsächlich kein Album, sondern ein Künstler, den ich seit zwei Jahren sehr intensiv höre: Marc Rebillet.

Er ist vor allem durch seine Improvisationsstreams bekannt geworden. Sein Stil ist für mich wirklich sehr einzigartig und geprägt von viel Humor und Ironie. Möglicherweise würden Menschen, die ihn nicht kennen, ihn als den Künstler beschreiben, der immer in Bademantel und Unterhose auftritt.

Für mich verkörpert er besonders stark die Idee eines neuen freigeistigen Musiker*innen-Seins und ist hier ein Vorreiter.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich finde es sehr schwer hier nur eine Person zu nennen. Natürlich haben mich, was mein Spiel angeht, alle meine Lehrer sehr stark geprägt. Insgesamt hatte ich vier. Wahrscheinlich würde ich rückblickend sagen, dass mich mein zweiter Lehrer Stefan Giglberger am meisten geprägt hat. Er hat immer mit so viel positiver Energie unterrichtet. Dadurch hat er meinem Spiel, was Spielfreude und Körperbewegung am Instrument betrifft, Dinge mitgegeben, die es von anderen Cellist*innen abhebt.

Wenn man allerdings rein vom Hören ausgeht, würde ich auf jeden Fall auch die Lehrer nennen, bei denen ich studiert habe. Das war bei mir in den ersten Semestern Michael Sanderling, dessen Dvorak-Konzert ich schon als Kind unendlich viele Male gehört habe.

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Du hast an der Hanns Eisler in Berlin und in Frankfurt deinen Bachelor gemacht und bist dann für deinen Master in die USA, hattest Stipendien und schließlich eine Akademiestelle für das Frankfurter Opern- und Museumsorchester gewonnen. Man könnte also durchaus sagen, dass du auf dem besten Weg warst eine sehr erfolgreiche Cellistin zu werden. Bis du vor zwei Jahren einen sehr schweren Unfall hattest. Möchtest du einmal kurz berichten, was damals passiert ist?

Ich hatte einen Probentag mit meiner besten Freundin in Berlin. Gemeinsam haben wir bei ihr Duo-Stücke für Violine und Cello geprobt. Danach bin aufgebrochen, um mit zwei Freunden den Abend noch auf einer Dachterrasse ausklingen zu lassen. Dort haben wir auf zwei Hängematten gesessen, bis plötzlich der gemauerte Schornstein an dem meine Hängematte befestigt war, an der Basis abbrach und auf mich fiel. Meine beiden Freunde hatten wahnsinniges Glück und wurden nicht getroffen. So konnten sie direkt erste Hilfe leisten.

Ich erlitt sehr schwere Knochenverletzungen, verletzte mir 4 Wirbel in der Wirbelsäule (an verschiedenen Stellen) und brach mir mein Brustbein sowie mein linkes Schulterblatt und Schlüsselbein. Durch die Position des Einsturzes kam es zudem noch zu einer Lungenquetschung und einem Schädelhirntrauma.

Das alles war natürlich ein sehr starker Einschnitt. Ich war damals 26 und topfit – sowohl auf dem Cello als auch körperlich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, nicht morgens aus dem Bett zu springen und sofort Cello spielen zu können. Nach dem Unfall war ich dann allerdings zunächst ein Pflegefall und konnte nicht einmal selbstständig zur Toilette gehen. Nach einigen Monaten konnte ich mich dann zumindest selbst mit dem Nötigsten versorgen. Der Einschnitt war jedoch trotz allem sehr groß.

Wenn man deine Geschichte so hört, fällt es schwer sich vorzustellen, dass man so etwas überhaupt überlebt. Es grenzt fast schon an ein Wunder, finde ich. Allerdings möchte ich hier heute gar nicht so sehr nochmals auf Details zum Unfall eingehen. Du hast hier ein bewegendes Interview im Van Magazin gegeben, was ich sehr empfehlen kann. Ich würde mehr darüber sprechen wollen, wie es für dich nach dieser Zeit weiterging.

Es folgte ein langer Krankenhausaufenthalt, mehrere OPs sowie ein Reha-Aufenthalt. Stück für Stück hast du dich dann zurück ans Instrument gewagt. Hattest du dich nach dem Unfall jemals hinterfragt, ob du wieder zurück ans Cello kommst?

Ich habe darüber viel gegrübelt. Natürlich auch, weil ich hierfür zunächst sehr viel Zeit hatte. In den ersten Stunden direkt nach dem Unfall erfüllte mich einfach nur eine seltsame Dankbarkeit, überlebt zu haben. Das war sowohl ein Gefühl von Unsterblichkeit als auch ein Gefühl großer Verletzlichkeit.

Die Ärzt*innen hatten dann sehr schnell die Information von meiner Mutter erhalten, dass ich Profi-Musikerin bin. Meine ersten beiden Fragen waren dann, ob ich in meinem zukünftigen Leben Kinder bekommen könnte und, ob ich jemals wieder Cello spielen kann. Es sagt viel über mich aus, dass ausgerechnet diese Informationen so essentiell für mich waren in dieser Situation.

In den Tagen danach ging es mir körperlich so schlecht, dass ich allerdings zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass es egal sei, ob ich jemals wieder spielen können würde. Dies hielt an bis zur Reha.

Um an dieser Stelle nochmals einen kleinen Zeitsprung zu machen. Du hast dich dann nach der Reha wieder ans Cello herangetraut und dich fit für deine Akademie-Stelle geübt und diese auch tatsächlich angetreten. In einem Essay, dass du kürzlich veröffentlicht hast, beschreibst du dann einen Schlüsselmoment:

Während einer Vorstellung der Oper Tosca lösen zwei Pistolen-Schüsse eine Panik-Attacke bei dir aus. Du schaffst es dann unter Tränen die Vorstellung zu Ende zu spielen. Danach suchst du Hilfe bei deiner Traumatherapeutin, die dir rät nochmal abzuwarten, da der Mensch in der Regel 66 Tage benötigt, um sich an einen neuen Umstand zu gewöhnen. Du beschließt es nochmal zu versuchen und sprichst mit deiner Diensteinteilerin, die auch zufälligerweise eine deiner Lehrerinnen an der Hochschule war und dich daher bereits lange kennt. Sie ist die erste, die dich fragt, ob du auch einen Plan B hast. In deinem Essay erzählst du diese emotionale Szene so bewegend, dass man deine Erleichterung wahrlich mitfühlen kann. Kannst du beschreiben, wie sich diese Situation damals angefühlt hat?

Ich kann es eigentlich gar nicht glauben, dass das der erste Moment nach so langer Zeit war, in dem ich mich als Person gesehen gefühlt habe, besonders von einer Person aus dem professionellen Umfeld, in dem ich spezialisiert bin. Einer Person, die um mein Können weiß, jedoch trotzdem akzeptiert, dass es sein könnte, dass ich diesen Beruf nicht weiter ausüben möchte. Das war tatsächlich nochmal ein sehr großer Einschnitt.

Ich weiß nicht, ob es etwas Besonderes ist, dass diese Frage bei uns in der (Musiker)-Familie kein Thema war. Ich möchte meinen Eltern und meinem Umfeld auch hier überhaupt kein Vorwurf machen. Diese große Identifikation mit dem Musiker*innen-Dasein musste bei uns überhaupt nicht groß reflektiert werden, da meine Vorfahren immer das Glück einer (relativ) reibungslosen Karriere hatten. Man beschäftigt sich ja meist erst mit etwas, wenn es nicht mehr klappt. Von daher war ich seit dem Unfall bereits auf einer längeren Selbstfindungsreise. Das war in Teilen natürlich sehr schmerzhaft, da ich festgestellt habe, dass ich gar nicht genau wusste, was ich außer Cellistin sein, noch alles bin. Meine Persönlichkeit in mehreren Facetten zu sehen ist daher definitiv etwas, das ich weiterhin lerne.

„Das war in Teilen natürlich sehr schmerzhaft, da ich festgestellt habe, dass ich gar nicht genau wusste, was ich außer Cellistin sein, noch alles bin. Meine Persönlichkeit in mehreren Facetten zu sehen ist daher definitiv etwas, das ich weiterhin lerne.“

(Josephine Bastian)

Würdest du sagen, dass du ohne dieses Gespräch eine andere Entscheidung getroffen hättest? Schließlich hast du dich kurz vor Ende der Kündigungsfrist dazu entschlossen deine Akademiestelle zu kündigen.

Darauf gibt’s eine ganz klare Antwort: Ich hätte diese Entscheidung auch ohne dieses Gespräch so gefällt. Mein Körper hat mir das sehr deutlich signalisiert und die Schmerzen waren so groß, dass die Antwort eindeutig war. Auch wenn es dazwischen immer wieder Tage der Hoffnung gab, an denen es ein wenig besser ging.

Natürlich ist es eine ganz große menschliche Wertschätzung, die mir da entgegengebracht wurde. Auch, wenn es selbstverständlich sein sollte. Ich hatte allerdings immer wieder das Gefühl gegen große Widerstände anzukämpfen.

Bei dir waren am Ende die Schmerzen ausschlaggebend, dass du deine Karriere nicht weiterführen konntest. Allerdings können Gründe mannigfaltig sein, warum man mit einer musikalischen Karriere aufhört. Öffentliche Beispiele fehlen hier allerdings weiter.

Blickt man allerdings über den Tellerrand hinaus stellt man fest, dass Karriereenden im Sport oder in anderen Hochleistungsbereichen sehr alltäglich sind. Der Körper ist eben nur bis zu einem bestimmten Alter in der Lage auf einem bestimmten Niveau Leistung zu erbringen. In der Musik kenne ich kaum Fälle, in denen Musiker*innen ihre Karriere beendet haben. Es hat hier immer noch etwas von „gescheitert“ sein. Du hast in deinem Essay die versunkene Kostenfalle als eine mögliche Erklärung herangezogen. Wie ist das gemeint?

Die Sunk-Cost-Fallacy (Versunkene Kostenfalle) ist einer diesen großen Denkfehler, dem die Menschen aufgesessen sind. Dabei geht es darum, dass wenn wir schon lange Zeit in etwas investiert haben, es uns ab einem gewissen Punkt immer schwerer fällt, damit aufzuhören. Natürlich ist das ein riesiger Trugschluss – nicht nur im persönlichen, sondern auch im Geschäftsbereich. Jeder Zeitpunkt ist ein guter Punkt, um aufzuhören. Die investierte Zeit ist dabei überhaupt keine valide Messgröße, um zu entscheiden, ob wir aufhören sollten. Allerdings haben wir das automatisch in unser Handeln und Denken implementiert– besonders dann, wenn man bereits, wie in meinem Fall, seit frühester Kind so viel Schweiß und Zeit in das Instrument investiert hat.

Auch die Eltern verstärken ein solches Verhalten oft, wenn sie sagen, dass es „schade“ wäre nun damit aufzuhören. Allerdings vergisst man damit, dass Aufhören auch bedeutet Platz für Neues zu schaffen.

„Jeder Zeitpunkt ist ein guter Punkt, um aufzuhören. Die investierte Zeit ist dabei überhaupt keine valide Messgröße, um zu entscheiden, ob wir aufhören sollten.“

(Josephine Bastian)

Ich höre heraus, dass auch du dem Irrtum der Versunkenen Kostenfalle aufgesessen bist. Wie hast du es geschafft dich davon zu lösen und eine Vogelperspektive zu entwickeln?

Gute Frage – auf die es überhaupt keine einfache Antwort gibt. Das ist ein Prozess, der viel Zeit kostet, mit dem man sich allerdings trotzdem auseinandersetzen muss. Was mir jedoch geholfen hat war, dass ich finanziell in einer extrem prekären Lage war, sodass ich mich zwangsläufig nach Alternativen umsehen musste. Die Unausweichlichkeit der Situation hat mir also keine Wahl gelassen.

In den letzten Monaten habe ich mich dann wieder verstärkt damit beschäftigt, was meine Stärken sind und auf was ich generell Lust habe. Dabei bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich unbedingt wieder etwas lernen möchte.

Ich kenne mein ganzes Leben lang einen Perfektionismus, der mich extrem auf die vielfältigsten Details hat achten lassen. Diese Skills aus meiner Musikerinnen-Ausbildung sind ja nicht einfach verloren. Im Gegenteil, sie sind sogar sehr übertragbar auf andere Berufe. Das ist mir besonders in einem Coaching mit Markus Fischer bewusst geworden.

Absolut. Wahrscheinlich vergisst man diese Softskills in seiner persönlichen Aufzählung viel zu häufig. Mir würde spontan hier direkt noch Disziplin einfallen. Diese Eigenschaft verlernt man nicht automatisch, nur weil man aufhört Musiker*in zu sein. Wir hatten eben bereits die Künstler*innen-Persönlichkeit kurz angesprochen. Kannst du uns mitnehmen, wie du deine „neue“ Identität gefunden hast?

Ich glaube ich habe mich davon noch nicht gelöst und weiß auch nicht, ob das je passieren wird. Aber ich würde sagen, dass ich eine breitere Idee von mir selbst geschaffen habe. (überlegt kurz)

Ich mache jetzt einen seltsamen Vergleich: Ich habe mal ein Bild aus der Trauerarbeit gesehen. Dort war auf weißem Hintergrund ein kleiner schwarzer Kreis, in dem „Trauer“ stand. Es wurde beschrieben, dass dieser mit der Zeit nicht kleiner wird. Allerdings wird der Kreis außen herum (das Leben) wieder größer. Im Verhältnis dazu wirkt der schwarze Kreis dann immer kleiner, obwohl er gleich groß bleibt. Ich habe versucht durch verschiedene Ressourcen das „Drum herum“ zu vergrößern. Das waren vor allem Gespräche mit Freund*innen oder das Herausfinden persönlicher Leidenschaften und Stärken. So ähnlich verhielt es sich auch bei mir. Meine Künstlerinnen-Persönlichkeit ist nicht geschrumpft – ich denke, das geht auch gar nicht.

„Diese Skills aus meiner Musikerinnen-Ausbildung sind ja nicht einfach verloren. Im Gegenteil, sie sind sogar sehr übertragbar auf andere Berufe.“

(Josephine Bastian)

Was schreibst du beim Ausfüllen von Formularen in das Berufsfeld?

Das ist tatsächlich zur Zeit der größte Struggle. Ich bin (bezogen auf das Cello aber auch sonst) körperlich aktuell nicht in der Lage auch nur halbtags zu arbeiten. Das absolute Maximum, was ich derzeit leisten kann, sind 1-2 Stunden. Manchmal, wenn ich viel freie Zeit drum herum habe, kann ich auch mal an einem Tag 3-4 Stunden arbeiten. Allerdings nicht auf täglicher Basis. Daher ist mein aktueller Status arbeitslos. Das ist jedoch nur mein Status im System und nicht das, was ich noch alles bin. Ich bin Cellistin, Cello-Lehrerin, Journalistin – ich mache von allem ein ganz kleines bisschen.

Der Podcast hier wurde kürzlich 2 Jahre alt und ich habe versucht meine größten Learnings aus den insgesamt 17 Interviews zusammenzutragen. Dabei kam mir ein Zitat von Prof. Eckart Altenmüller wieder in Sinn, der meinte, dass man jungen Menschen an den Hochschulen mitgeben muss, dass ein Leben außerhalb des Orchesters gut und wichtig sei.

Was müsste sich deiner Meinung (und deiner eigenen Erfahrung nach) im Hochschulbetrieb ändern, damit junge Menschen weniger Stress empfinden, eine Alternative zu ihrer musikalischen Karriere zu finden?

Dafür bin ich glaube ich nicht eng genug mit den Strukturen im Hintergrund der Hochschulen vertraut. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass gut beworbene Informationsveranstaltungen zum Berufsbild (in und außerhalb des Musikbereichs) und zum Karriere-Aufbau helfen. Besonders die großen Hochschulen versuchen dies mit Career Centern zu erfüllen. Aus meiner Sicht ist das fast die wichtigste Institution.

Wie sieht dein (Übe)-Alltag heute aus? Die äußere Struktur (durch Üben, Proben etc.) gibt es bei dir so in dieser Form wie früher ja nicht mehr.

Inzwischen funktioniert das oft in Energieschüben. Wenn gerade keine Proben und Konzerte anstehen, fällt es mir allerdings auch deutlich schwerer. Ich habe jedoch gemerkt, dass für mich das Instrument in die Hand zu nehmen – und sei es nur für 20 Minuten –  ebenso wichtig ist wie meine morgendliche Yoga-Praxis. Mir fehlt dann richtig was, wenn ich mal 1-2 Wochen nicht üben kann.

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst?

Geduld zu haben. Daran arbeite ich eigentlich schon seit einer ganzen Weile. Gar nicht nur in Bezug auf den Fortschritt am Instrument, sondern auch in Beziehungen zu meinen Mitmenschen.

„Geduld zu haben. Daran arbeite ich eigentlich schon seit einer ganzen Weile. Gar nicht nur in Bezug auf den Fortschritt am Instrument, sondern auch in Beziehungen zu meinen Mitmenschen.“

(Josephine Bastian)

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Es geht nicht um Leben und Tod. Es geht darum jeden Tag zu genießen, auch wenn es wie ein Kalenderspruch klingt. Eine Wertschätzung für die eigene Gesundheit zu haben und sich daran zu erinnern, dass diese nicht selbstverständlich ist, finde ich extrem wichtig.

Allerdings muss ich mir auch Credits dafür geben, dass ich mein Studium schon ziemlich mutig und vielseitig gestaltet habe. Vor allem bin ich froh, dass ich den Schritt gewagt habe und für den Master nach Amerika gegangen bin. Das kann ich jedem nur empfehlen – und vielleicht meinem Erstsemester-Ich bereits etwas früher, als erst im Master.

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Wie übt eigentlich Kristin Thielemann? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-kristin-thielemann/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-kristin-thielemann/#comments Wed, 10 Aug 2022 09:19:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4902 Kristin Thielemann studierte Orchestermusik und Musikpädagogik an der Musikhochschule in Lübeck. Sie ist inzwischen erfolgreich Autorin zahlreicher musikpädagogischer Publikationen.

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Kristin Thielemann studierte Orchestermusik und Musikpädagogik an der Musikhochschule in Lübeck und stand bereits während dieser Zeit als Trompeterin für die Deutsche Oper Berlin unter Vertrag. Inzwischen ist sie allerdings ebenso erfolgreich als Autorin für verschiedene Musikverlage aktiv. Seit 2009 schreibt sie beispielsweise für den Verlag Schott Music zahlreiche Beiträge für die Fachzeitschrift üben & musizieren und veröffentlicht eigenständige musikpädagogische Publikationen. Über diese Tätigkeit haben auch wir uns kennengelernt. 

Kristin Thielemann mit Trompete
Kristin Thielemann (Foto Copyright: Bach Artist)

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Kristin Thielemann lässt sich auf allen bekannten Streaming-Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Übersicht

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Eigentlich heißt Üben für mich, meine Grenzen entdecken und überwinden. Genauso heißt es an manchen Tagen aber auch einen Wohlfühlzustand zwischen mir und meinem Instrument herzustellen. Das kommt immer auch ein wenig darauf an, mit welchem Ziel ich übe. Oder, ob ich sogar ganz ohne Ziel übe.

Das klingt sehr interessant. Lass uns darauf gleich nochmal eingehen. Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Diese eine Album, welches bei mir in Dauerschleife läuft, das gibt es im Augenblick gar nicht. Früher im Studium habe ich viele CDs von Reinhold Friedrich, Håkan Hardenberger, Niklas Eklund, Maurice André, Wynton Marsalis, Miles Davis und James Morrison gehört – so lange bis ich wirklich jeden Tag in und auswendig kannte. Um ihre Sounds, Phrasierung und Gestaltung zu kopieren, hatte ich mir damals viel Zeit genommen. Das hat mich auch unglaublich weitergebracht. 
Mittlerweile habe ich viele Probespiele gewonnen, hab in Opern- und Symphonieorchestern gespielt und bin mit dem, was ich auf der Trompete kann, sehr im reinen mit mir. Ich höre momentan weniger zum Lernen aber dafür mehr aus Faszination.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Nein, einen kann ich da nicht wirklich ausmachen. Von einem fand ich den Anstoß besonders toll, ein anderer hatte wiederum eine Tonqualität, die meinem Ideal entsprach. Ich habe versucht, von jedem ein bisschen was mitzunehmen. 

Üben mit und ohne Ziel?

Du hast auf die erste Frage bereits ein paar sehr spannende Dinge geantwortet. Zum einen fand ich den Aspekt des „Grenzen überwinden“ sehr interessant. Zum anderen aber auch den Aspekt mal „ohne Ziel“ zu üben. Wie schaut es denn aktuell bei dir aus? Was übst du gerade und ist es mit oder ohne Ziel?

Die Zuhörer*innen wissen ja nicht, dass wir hier in der Schweiz bereits in den Sommerferien sind. Das heißt ich bin bereits voll im Ferien-Modus und übe gerade nichts. 
Jedoch habe ich mir für die kommenden Wochen vorgenommen wieder Charlier-Etuden aufzufrischen. Während des Studiums hatten wir unter uns Kommiliton*innen eine Challenge, alle Etuden auswendig zu spielen. Daran möchte ich gerne wieder anknüpfen und schauen, wie weit ich komme.

Ich genieße es allerdings auch bewusst, dass in den nächsten Wochen kein Konzert ansteht. Das habe ich auch versucht so zu planen.

Fällt das Üben der Charlier-Etuden dann für dich unter Üben mit oder ohne Ziel?

Konzert heißt für mich immer, dass es ernst wird. Das bedeutet, dass alles perfekt vorbereitet sein muss. Bei den Charlier-Etuden spiele ich ja mehr gegen mich selbst und meinen inneren Schweinehund. Ich könnte dieses Ziel morgen ad acta legen und die Welt wäre immer noch in Ordnung. 

Neben deiner Tätigkeit als Instrumentalistin arbeitest du vor allen Dingen viel als Autorin für verschiedene Magazine und Verlage und natürlich als Pädagogin. Wie organisierst du da dein eigenes persönliches Üben?

Seit ich Kinder habe, hat sich das wirklich verändert. Das klang ja bereits in deinem Gespräch mit Christian Pabst an. Ich habe das damals schon bei Kolleg*innen im Orchester gesehen: Sobald du Kinder hast, wird dein Üben weniger. Das ist natürlich sehr schade, weil es sich unmittelbar auch auf die Spielqualität auswirkt. Diesen Fehler wollte ich eigentlich nicht machen – so ganz durchgehalten habe ich das allerdings nicht. 

Allerdings sind nicht nur die Kinder daran schuld. Ich halte im Schnitt 80 Fortbildungen pro Jahr, die ebenfalls gut vorbereitet werden wollen. Zu einigen kommt dann nochmals die Reisezeit hinzu. Meine Überoutine fällt hier dann meist aus.

An Tagen, an denen ich zu Hause bin und beispielsweise Artikel für Übemagazine schreibe, versuche ich dann meine Überoutine durchzuziehen. Das bedeutet dann zwei Mal pro Tag ein wirklich schönes Zeitfenster, in denen ich meine Basics mache, meine Technik pflege und Stücke für Konzerte vorbereite.

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Struktur: Der eigene Lehrer sein

Zwei konkrete Zeitfenster pro Tag sind ambitioniert. Das kann, je nach Umfang dieser Fenster, auch bereits sehr tagesfüllend sein. Bist du jemand, der sein Üben dann in größeren Blöcken (z.B. einen Technik-Block am Morgen und einen Stücke-Üben-Block am Abend) unterteilt, oder wählst du hier kleine Zeiteinheiten aus?

Schwierige Frage. Einem Studierenden würde ich wahrscheinlich jetzt antworten, sich große Zeitblöcke zu nehmen, in die man sich natürlich auch Entspannungsphasen einbauen sollte. Vor allem auf einem Blechblasinstrument ist dies grob fahrlässig.

Allerdings hört man als junger Mensch, wenn man neu in die Hochschule kommt, genau das. Oft denkt man dann „Mist, ich mache viel zu wenig“. Wichtig ist es jedoch hier sein eigenes Pensum zu finden. Mir hat das damals Christian Lampert verraten. Seine Ideen zum Üben und vor allem zur mentalen Vorbereitung haben mir damals sehr geholfen. 

Ich habe mich daraufhin anders strukturiert und geschaut, was zu mir passen könnte. In dieser Zeit habe ich dann vermehrt Musikbücher und Literatur aus der Sportpsychologie gelesen. Dazwischen auch mal mit Klavierauszügen und Partituren geübt und mich sogar mal an Jazz Improvisation und dem Komponieren versucht. 

Diese Kleinen Methodenwechsel braucht unser Gehirn aber einfach, um gut arbeiten und, um Dinge gut abspeichern zu können. Man muss sich, und seinem Gehirn, es ja auch einfach machen. Wiederhole ich stupide die gleiche Übung über mehrere Stunden, wird mein Gehirn zu machen. Diese Methodenwechsel, wie Yoga oder andere Sportarten zwischendurch, finde ich sehr wertvoll. 

Im Studium waren wir beispielsweise mit einigen Kommiliton*innen pro Tag 2000m schwimmen. Bis ich diese Distanz endlich durchhalten konnte hat eine ganze Weile gedauert. Aber nach diesen Grundsätzen versuche ich das auch heute in meinen Alltag einfließen zu lassen. 

Ich habe ein Routine-Programm, welches ich auch an Tagen, an denen ich viel unterwegs bin, versuche einzuhalten. Zur Not mit Übedämpfer im Hotelzimmer. In meinem regulären Alltag versuche ich dann Atmen- und Bewegungsübungen auch ins Unterrichten einzubauen. Ich kann also nicht dogmatisch sagen, dass ich immer morgens mit einer bestimmten Übung starte. Meinen Schüler*innen möchte ich schließlich auch zeigen können, wovon ich selbst profitiere und nicht jede Woche eine neue Lektion im Unterrichtsbuch aufschlagen.

Allerdings steht mir inzwischen mit Kind, Job und Familie nicht mehr der ganze Tag zum Üben zur Verfügung. Ich muss also mit meiner Übezeit viel achtsamer umgehen. Eine Sache bewahre ich mir jedoch seit meiner Studienzeit: An manchen Tagen stehe ich extrem früh auf, um einen tollen Saal zum Üben zu nutzen. Hier, wo ich wohne, ist es meist ein kleiner Konzertsaal, in dem ich morgens eine Stunde übe.  

Während des Studiums war ich dann immer zur Türöffnung an der Hochschule, um – wenn auch nur für eine halbe Stunde – mich im großen Saal oder der Probebühne einzuschreiben und dort zu spielen. In meiner Zeit an der Deutschen Oper habe ich dann oft nachts auf der großen Bühne geübt. Ich finde es wichtig, sich solche großen Säle zum Üben auszusuchen, da man oft unterschätzt, wie anders man spielen muss, wenn man im Konzertsaal steht.

„Ich habe ein Routine-Programm, welches ich auch an Tagen, an denen ich viel unterwegs bin, versuche einzuhalten. Zur Not mit Übedämpfer im Hotelzimmer.“

(Kristin Thielemann)

Das klingt so, als seist du dir selbst eine gute Pädagogin? 

Das kann ich gar nicht sagen. Ich glaube jeder spürt das, wenn er eine Leidenschaft für Pädagogik entwickelt. Bei mir ist diese dann sehr früh von meiner Klavierlehrerin gefördert worden. Unter ihrer Anleitung durfte ich einige ihrer Schüler*innen für 30 Minuten in der Woche unterrichten. Ich hatte damals sogar kurz überlegt Klavier zu studieren, aber meine Leidenschaft für Trompete war doch größer.

Was ich bemerkenswert finde, ist deine Disziplin, die man hier heraushören kann. Aus meiner eigenen Unterrichtserfahrung kenne ich nämlich nur zu gut die Situation, in der ich einer Schüler*in einen Tipp gebe, bei dem mir einfällt, dass ich ihn selbst schon sehr lange nicht mehr beherzigt habe. Denn, was du beschreibst ist ja wirklich der „Idealzustand“ im Unterricht: Wenn wir es schaffen, unsere Schüler*innen intrinsisch zu motivieren. Das finde ich jedoch mit am schwersten. Wie geht es dir damit?

Natürlich, ich habe auch meine Aufs und Abs. Es wäre schließlich auch schwierig, wenn die Motivation immer auf 100% wäre. Gerade als junger Mensch finde ich es wichtig, diesen Zustand auch mal aushalten zu können, um herauszufinden, wie man wieder zu seiner Motivation kommt.

Du hattest in deiner Antwort davor bereits kurz deinen Mentor, Christian Lampert, angesprochen. Sind seine Grundlagen auch immer noch die, die du heute an deine Schüler*innen weitergibst?

Ich kann natürlich nur das weitergeben, was ich selbst erlebt und erfahren habe. Mir hat diese Strategie damals sehr geholfen und ich habe mit meinen Schüler*innen über die Jahre die ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich glaube auch, dass nicht jede Schüler*in zu jeder Lehrer*in passt.

Lampenfieber & Auftrittsangst

Anfang des Jahres habe ich ein Symposium des Zentrums für Berufsmusiker besucht. Dabei ging es um mentale Stärke im Leistungssport und in der Leistungsmusik. Der Posaunist Jan Donner beschriebe damals das, was du eben als Methodenwechsel beschrieben hast, mit Musterdurchbrechung. Ich glaube im Sport ist diese Strategie auch bereits viel länger gebräuchlich, als bei uns Musiker*innen. Gibst du hier deinen Schüler*innen konkrete Tipps (bspw. aus Sport, oder anderen musischen Disziplinen) an die Hand, um ihre Muster zu durchbrechen?

Abgucken bei der Musik ist sowieso das Beste. Aber ich weiß, was du meinst. Ich mache nie einen Unterschied zwischen Schüler*innen, die die Musik gerne zum Beruf machen möchten und denen, die dies nicht wollen. Das heißt ich versuche auch allen, diese mentale Stärke mitzugeben. Schließlich ist die Fähigkeit sich auf den Punkt vorbereiten zu können, für alle wertvoll. Ich versuche dann auch oft den Übertrag zu schaffen und zu sagen, dass sie das erlernte Wissen bei ihrem nächsten Vortrag anwenden sollen. Stichwort Lampenfieber und Auftrittsängste.

Hast du hier ein konkretes Beispiel?

In „Voll motiviert“ gibt es ein ganzes Kapitel über Lampenfieber. Wobei ich an dieser Stelle gerne mal eine Lanze für Lampenfieber brechen möchte. Allerdings gibt zwischen Lampenfieber und Auftrittsangst einen großen Unterschied. Letzteres übt man sich vor allem dann ein, wenn man als Schüler*in auf der Bühne etwas spielen muss, dass zu schwer ist. Man bekommt dann Angst vor der Angst und das muss nicht sein. Hier haben wir als Lehrer*innen auch eine große Verantwortung. 

„Es wäre schließlich auch schwierig, wenn die Motivation immer auf 100% wäre. Gerade als junger Mensch finde ich es wichtig, diesen Zustand auch mal aushalten zu können, um herauszufinden, wie man wieder zu seiner Motivation kommt.“

(Kristin Thielemann)

Dein Tipp wäre also das Thema in diesem Fall nicht zu tabuisieren und offen darüber zu sprechen?

Ja, aber natürlich musst du auch gut vorbereitet sein. Das Kribbeln im Bauch (Lampenfieber, Anm. d. Red.) ist jedoch ganz normal. Nimm es eher als deine Energie, die du übertragen möchtest.

Wenn du dann immer noch das Gefühl hast, dass es ein kniffliger Auftritt werden könnte, würde ich diesen versuchen zu visualisieren. Sich also ganz bewusst vorstellen, wie man in diesen Auftritt reingeht, welche Kleidung man trägt, wie sich die Lampen im Saal anfühlen und er riecht. Vielleicht hat man sogar die Gelegenheit sich den Raum vorab anzusehen. Diese Art Training kann man bereits mit einem sechs-jährigen machen. 

Du hast eben bereits kurz erwähnt, dass ein möglicher Grund für Auftrittsangst bei Schüler*innen auch ein zu schweres Musikstück sein kann. Hier sind wir als Pädagog*innen besonders gefordert. Gleichzeitig empfinde ich diesen Teil mitunter auch als den schwierigsten Wie schaffst du es Schüler*innen in genau diesen Sweetspot zwischen Fordern und Überfordern zu bringen?

Ich glaube mit der Zeit entwickelt man hier ganz automatisch ein Gefühl. Schließlich wird man von Jahr zu Jahr kompetenter in dem, was man macht. Vielleicht gibt es ja so etwas wie „pädagogisches Bauchgefühl“.

Andererseits sollte man als Lehrer*in auch sich eingestehen können, wenn ein Stück zu schwer gewählt war und sich dann dafür entschuldigen – anstatt aus Stolz darauf zu beharren. 

Kommunikation im Unterricht

Das setzt auf jeden Fall eine offene Kommunikation im Unterricht voraus. Machst du dir viele Gedanken über die Art deines Feedbacks?

Absolut. Ich finde es wird total unterschätzt, was wir einerseits mit Worten bewirken aber auch anrichten können. Natürlich sollten bei einem Konzert keine Fehler passieren. Das heißt: es sollte spielerisch, technisch, musikalisch und mental gut vorbereitet sein.

Allerdings sollte man, wenn dann doch mal ein Fehler passieren sollte, entspannt darüber stehen. Das geht jedoch nur, wenn man zu Fehlern generell ein entspanntes Verhältnis hat. Daher bin ich überzeugt davon, dass es viel entscheidender ist ein gutes Fehlermanagement zu haben, als komplett fehlerfrei zu sein. Nur wenn man weiß, wie man aus einem falschen Ton heraus wieder zurück ins Stück findet, kann man das auch auf der Bühne umsetzen. Gerade bei uns Blechbläsern kiekst es ab und zu ja mal. Daher versuche ich besonders meine Schüler*innen hierauf zu sensibilisieren. 

Angenommen die Schüler*in hat einen Fehler gerade gespielt, wäre eine mögliche Übung die Schüler*in aufzufordern genau den gleichen Fehler nochmals zu spielen. In den meisten Fällen passiert dann direkt der nächste Fehler. Sobald sie dann versuchen beide Fehler zu reproduzieren, unterläuft ihnen in den meisten Fällen ein weiterer Fehler. Dieses Spiel kann man eine Zeit lang machen, bis man die Schüler*in auffordert die Stelle nun ganz ohne Fehler zu spielen. Meistens funktioniert dies dann auch direkt. 

Die Kunst im Unterricht ist es genau diese schwierigen Stellen („Schlaglöcher“) ausfindig zu machen und hierfür Übestrategien zu finden. Wenn man sie dann kennt, kann man sie „reparieren“. Unter der Lupe im „Rollator-Tempo“ (für viele Stellen ist dieses in Zeitlupe spielen ein wirklicher Gewinn).

„Die Kunst im Unterricht ist es genau diese schwierigen Stellen („Schlaglöcher“) ausfindig zu machen und hierfür Übestrategien zu finden. Wenn man sie dann kennt, kann man sie „reparieren“.“

(Kristin Thielemann)

Das klingt so, als hättest du einen sehr entspannten Umgang mit eigenen Fehlern und würdest dich nicht noch eine halbe Seite später für einen „Verspieler“ ärgern?

Ja, das ist genau der Punkt. Sobald man sich anfängt zu ärgern, ist man mit seiner Aufmerksamkeit immer noch beim Fehler. Meistens passiert dann der nächste Fehler.

Als ich das erste Mal in einem Profi-Orchester gespielt habe, saß ich mit meinen 19 Jahren neben einem sehr erfahrenen Trompeten-Kollegen. Da wir in diesem Projekt viel zu warten hatten, versorgte er mich immer wieder mit kleinen Tipps von der Seite. Als sich in den Holzbläser jemand verspielte, beugte er sich zu mir und sagte: „Pass auf, jetzt dauert es nicht lange und dann verspielt sich der Nächste. Und wenn das kommt, dann der dritte und so weiter einmal durchs Orchester. Und weißt du warum das so ist? Weil alle mit den Ohren bei dem ersten sind, der den Fehler gemacht hat und sich insgeheim noch freuen.“

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Nur einen Tipp? Es gäbe so viele…Aber wenn es einer sein müsste, dann wäre es wohl: „Alles wird gut. Hab ein bisschen mehr Selbstvertrauen, aber werde niemals überheblich. Begegne allen Menschen mit Offenheit und Respekt.“

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Wie übt eigentlich Theresia Philipp? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-theresia-philipp/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-theresia-philipp/#respond Tue, 07 Jun 2022 19:42:42 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4771 Theresia Philipp zählt zu den gefragtesten Musiker*innen in der deutschen Jazz-Szene. Gerade letzten Monat war sie als Instrumentalistin des Jahres für den Deutschen Jazz-Preis nominiert und hat ihn mit Sebastian Gramms Hard Boiled Wonderland dann auch gewonnen. Scheinbar ganz nebenbei komponiert sie noch und gewinnt auch hier Preise und Stipendien. Im Jahr 2021 lud sie… Weiterlesen »Wie übt eigentlich Theresia Philipp?

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Theresia Philipp zählt zu den gefragtesten Musiker*innen in der deutschen Jazz-Szene. Gerade letzten Monat war sie als Instrumentalistin des Jahres für den Deutschen Jazz-Preis nominiert und hat ihn mit Sebastian Gramms Hard Boiled Wonderland dann auch gewonnen. Scheinbar ganz nebenbei komponiert sie noch und gewinnt auch hier Preise und Stipendien. Im Jahr 2021 lud sie die HR Big Band als musikalische Leiterin für ein Projekt ein.


In der Corona-Zeit erkrankte Theresia allerdings an Covid und leidet seither an den Folgen. Das sogenannte Long-Covid Syndrom betrifft schätzungsweise 10% aller Infizierten. Besonders das chronische Fatigue Syndrom macht den Betroffenen dabei am meisten zu schaffen. Es äußert sich nicht nur in annhaltender Erschöpfung, sondern auch in Konzentrationsschwierigkeiten und Muskelschmerzen. Wie man damit übt geschweigedenn seinen Alltag als freiberufliche Musiker*in bewältigt, darüber haben wir gesprochen.

Theresia Philipp
Theresia Philipp (© Lukas Diller)

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Theresia Philipp lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Übersicht

Musik heißt Verbundenheit

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

In Beziehung zu meinem Instrument zu bleiben. Oder besser gesagt: in Verbindung zum Instrument zu bleiben. Und vor allen Dingen dranzubleiben.

Also zeitlich dranzubleiben, meinst du?

Ja. Üben ist für mich wie eine Beziehung. Dieser sollte man das geben, was sie gerade benötigt. Mal kann das ja auch eine Pause sein. 

Bei mir ist es so, dass ich in unterschiedlichen Phasen übe. Und in diesen Phasen braucht es, für die Beziehung zu meinem Instrument, oder zur Musik allgemein, unterschiedliche Dinge. Dem versuche ich dann jeweils gerecht zu werden.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Tatsächlich höre ich seit drei Wochen das neue Album von Samora Pinderhughes Grief. Ich habe es bestimmt schon 100 Mal gehört und es berührt mich jedes Mal.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Mir fällt es immer super schwer diese Frage zu beantworten und lediglich eine Künstler*in zu nennen, weil auch das bei mir immer in Phasen stattgefunden hat. 

Der erste Saxophonist, der mich so richtig geprägt hat, war Cannonball Adderley. Allerdings ist das inzwischen gar nicht mehr das, was ich hauptsächlich höre oder mich inspiriert. Dann hatte ich eine sehr intensive Ornette Coleman Phase. Später dann Chris Speed, Meredith Monk, Unsuk Chinund und Brian Blade.

Interessant. Bei Brian Blade, als Schlagzeuger, ist es die Rhythmik, die dich so an ihm fasziniert?

Nein, die Energie eher. Brian Blade fasziniert mich allerdings ebenso sehr als Erscheinung. Ich durfte ihn mal bei einer Workshop-Woche in Kopenhagen kennenlernen. Er ist wie eine „Sonne“, die Energie strahlt. 

Wir hatten dann auch die Möglichkeit mit ihm in einer Combo zu spielen. Das war auf jeden Fall ein krasses Erlebnis.

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Das kann ich mir vorstellen. Es gibt dieses Brian Blade Konzert mit der HR Bigband (für die du ja auch kürzlich Musik komponieren durftest), das könnte ich ununterbrochen hören. Tatsächlich ist das aber auch ein gutes Stichwort: Mir ist in der Vorbereitung aufgefallen, dass du einerseits als Instrumentalistin sehr aktiv bist (und hier auch kürzlich den Deutschen Jazzpreis mit Hard Boiled Wonderland bekommen hast). Gleichzeitig aber auch als Komponistin sehr umtriebig bist, und auch hier dieses Jahr den WDR Jazz Preis in der Kategorie Komposition gewonnen hast. Wie findest du hier in deinem Übe-Alltag Zeit für beides?

Gar nicht? (lacht) Wer hier eine gute Methode hat, darf sich gern bei mir melden.

Für mich sind Komponieren und Üben am Instrument unterschiedliche Themenfelder. Natürlich überschneidet sich beides gelegentlich, wenn ich beispielsweise Saxophon spiele und Ideen habe.

Bei der Bezeichnung mache ich allerdings keinen Unterschied. Für mich gehört beides zu meiner Musikerinnenpersönlichkeit dazu. 

In meinem Übe-Alltag fällt es mir jedoch schwer beide Themen gleichberechtigt unter einen Hut zu bekommen. Es gibt Phasen, in denen ich mehr spiele und daher entsprechend mehr übe. Hier komponiere ich dann fast gar nicht. 

Dann gibt es allerdings Phasen, in denen ich ausschließlich schreibe und das instrumentale Üben viel zu kurz kommt. Ich versuche zu akzeptieren, dass dies so ist. Für mich habe ich festgestellt, dass es nicht funktioniert, wenn ich beides an einem Tag machen möchte. Da werde ich eher unproduktiv.

Mir hilft das Standbein Komponieren auch gerade seitdem ich an Long Covid erkrankt bin, da ich hier mit meiner Energie gehen kann. Wenn es hier dann mal einen Tag nicht geht, ist es in Ordnung. Habe ich hingegen viele Termine und viele Konzerte, gestaltet sich das eher schwierig.

Theresia Philipp und Patrick Hinsbeger im Video Interview
Theresia Philipp und Patrick Hinsbeger im Video Interview

Um an dieser Stelle die Leser*innen abzuholen: Wir hatten im Vorgespräch darüber gesprochen, dass du an Long Covid erkrankt bist und, dass das dich immer noch sehr in deinem Übe-Alltag einschränkt. Bevor wir darauf gleich noch einmal näher eingehen, würde ich gerne zurück auf deine Beziehung zum Komponieren kommen. Wie drückt sich diese Trennung zwischen Üben und Komponieren in deinem Alltag aus?

Für mich geht es immer um Verbundenheit. Also möglichst nah und intensiv mit der Musik, die ich mache, verbunden zu sein. Da das Instrument nicht Teil meines Körpers ist, muss ich es trainieren und pflegen. 

Das Komponieren hingegen teile ich in verschiedene Phasen ein. Es gibt den kreativen Output, die Ideen und Schnipsel. Wenn mir hier unterwegs etwas einfällt, singe ich es mir meistens direkt als Sprachaufnahme in mein Handy ein. Anschließend sammle ich diese dann in einer Liste in meinem Notizbuch. Diesen Teil plane ich allerdings nicht aktiv, sondern das passiert einfach so parallel.

Das handwerkliche Komponieren ist dann nochmal etwas anderes. Weniger intim als das Saxophon üben. Es fühlt sich eher wie eine „Abarbeit“ an.

„Meine Krankheit bedeutet für meinen Alltag, dass ich manchmal gar nicht und an anderen Tagen nur sehr wenig üben kann.“

(Theresia Philipp)

Üben mit Long Covid

Wenn du jetzt vor dem Hintergrund deiner Erkrankung auf deinen Übe-Alltag schaust, sagst du dir dann: Wenn Saxophon üben nicht geht, dann komponiere ich einfach. Oder wie muss man sich das bei dir vorstellen?

Ich würde davor gerne kurz zum Komponieren etwas ergänzen: Natürlich hat dies etwas „schreibtischmäßiges“ und eine handwerkliche Komponente. Es ist im Optimalfall allerdings schon so, dass ich hier in einen kreativen Flow komme. Allerdings werden bei mir hier andere Areale im Gehirn angesprochen. Üben ist für mich körperlicher. 

Nun aber zu deiner Frage: Es gibt Tage, das kennt vielleicht der ein oder die andere, da habe ich das Fatigue-Syndrom. Da bin ich so erschöpft, dass gar nichts geht. An anderen Tag ist die Müdigkeit nicht das Hauptproblem, sondern andere körperliche Symptome. Beispielsweise Schmerzen in den Gelenken oder in der Lunge, aber auch Konzentrationsschwierigkeiten. Die Krankheit äußert sich bei mir sehr vielschichtig. Es ist daher sehr schwierig nicht zu verzweifeln. Das sage ich auch ganz ehrlich. 

Meine Krankheit bedeutet für meinen Alltag, dass ich manchmal gar nicht und an anderen Tagen nur sehr wenig üben kann. In der letzten Woche war es besonders heftig und ich konnte fast gar nicht ohne Schmerzen spielen. Aktuell habe ich ein paar Projekte zu spielen, was die Situation nur weiter verschlimmert. Es geht dabei gar nicht so sehr darum, mich instrumentaltechnisch weiterzuentwickeln, sondern schlicht darum, nicht schlechter zu werden. Manchmal heißt das dann lediglich 10 Minuten üben zu können. Diese Tatsache fordert von mir noch mehr Disziplin als früher. Schließlich möchte man die begrenzte Zeit auch möglichst effektiv nutzen. Ich sehe das allerdings auch als Chance Prioritäten zu setzen. 

Das stelle ich mir in der Tat sehr schwierig vor. Du arbeitest als freischaffende Musikerin – wie gehst du mit solchen Situationen um, an Tagen, an denen du ein Konzert spielst?

Ich versuche natürlich nicht so kurzfristig abzusagen, da dies ohnehin ein großes Problem in unserem Beruf ist. 

In den letzten 1,5 Jahre habe ich gelernt besser zu planen und, dass ich nicht mehr als 3-4 Tage pro Woche arbeiten kann. Wenn ich dann an einem Gig-Tag doch mal einen schlechten Tag habe (hatte ich bisher zum Glück noch nicht), weiß ich, dass es mich anschließend zurückwirft. Die Folgewoche ist dann im Grunde nicht zu gebrauchen. 

Woher nimmst du die Energie dann trotzdem immer wieder aufs Neue anzufangen und vor allen Dingen auch dranzubleiben?

Uff, das ist auf jeden Fall sehr viel mentale Arbeit, die ich auch versuche mit professioneller Hilfe zu bewältigen. Das kann ich jedem/jeder in einer solchen Situation nur empfehlen. 

Ich versuche den Aufwinden, der guten Phasen, mitzunehmen und dann nicht zu viel zu machen. Die Motivation, die ich daraus gewinne, helfen mir dann die schlechten Phasen zu überstehen. Darüber hinaus helfen mir auch Achtsamkeits- und Meditationsübungen. Auch wenn das gerade etwas kalenderspruchmäßig klingt. 

Um im Bild der „Beziehung“ zu bleiben, heißt das auch manchmal, dass es in den weniger guten Phasen nicht um mein Instrument geht, sondern um meine Gesundheit.

Da es als Musiker*in, und Mensch, Entwicklung und Wachstum im Vordergrund steht, denke ich mir, profitiert die Musik am Ende auch davon. 

„Ich versuche den Aufwinden, der guten Phasen, mitzunehmen und dann nicht zu viel zu machen. Die Motivation, die ich daraus gewinne, helfen mir dann die schlechten Phasen zu überstehen.“

(Theresia Philipp)

Würdest du, abschließend zu diesem Thema, sagen, dass deine Erkrankung die Beziehung zu deinem Instrument verstärkt hat?

Es hat die Beziehung zu meinem Instrument auf alle Fälle verändert. Vor allem das Vertrauen ist stärker geworden. Denn ich habe schon gemerkt, dass auch wenn ich mal ein paar Tage nicht spiele, es schon anschließend noch funktioniert und ich musikalisch etwas zu sagen habe. 

Die Sachen, die ich die letzten 15-20 Jahre geübt habe, sind nun ja nicht plötzlich alle weg. Und auch, wenn ich aktuell gerade nicht die Kraft und Ausdauer wie noch vor 2 Jahren habe, habe ich vielleicht in den musikalischen Phrasen eine Art Tiefe erlangt, die ich zuvor nicht hatte. Zumindest würde ich mir das wünschen. 

Das Üben & Spielen im Flow

In der Vorbereitung habe ich ein Zitat von dir gefunden, in dem du sagst „Jazz und improvisierte Musik fordert einen dazu auf, immer im Moment zu sein“ Wie gelingt dir das, sowohl bei Konzerten als auch beim Üben? Hast du hier eine Strategie?

Ich versuche beim Üben immer ins Detail zu schauen. Das ist für mich ein sehr gutes Tool um „im Moment“ anzukommen. 

Also zum Beispiel bei langen Tönen versuchen genau hinzuhören, wie der Ton klingt und sich Soundcharakteristik und Dynamik anfühlen. Bei Einspiel- oder Technikübungen kann es dann sein, dass ich genau auf meinen Ansatz, meine Lippen oder darauf achte, wie oft ich Luft hole.

An Tagen, an denen es mir nicht so gut geht, improvisiere ich dann auch einfach nur. Das ist dann technisch nicht besonders anspruchsvoll, aber ich versuche damit meine Verbundenheit zum Instrument aufrecht zu erhalten. 

„Ich versuche beim Üben immer ins Detail zu schauen. Das ist für mich ein sehr gutes Tool um „im Moment“ anzukommen.“

(Theresia Philipp)

Wie wählst du aus, auf welche Dinge du dich besonders konzentrierst? Führst du ein Übetagebuch, um hier deinen Fortschritt zu dokumentieren?

Nein, ich führe kein Übetagebuch. Allerdings bin ich grundsätzlich eine sehr strukturierte Person und habe früher immer sehr genau geplant und danach geübt. Davon bin ich jedoch seit ein paar Jahren abgekommen. Ich habe für mich gemerkt, dass das stetige Kontrollieren des eigenen Fortschritts mich eher stresst. 

Das bedeutet aber nicht, dass ich aufgehört habe mein Üben zu planen. Ich fange meistens mit einer freien Improvisation oder langen Tönen an. Dann habe ich meine Fingertechnik-Übung, die über die gesamte Range des Instruments geht. Danach schaue ich meistens für welche Projekte in der Zukunft ich Noten üben muss. Falls hier gerade nichts ansteht, mache ich Übungen fürs Gehör.

Also ganz klassisch Gehörbildung?

Nein, meistens spiele ich zu Aufnahmen mit oder ich transkribiere etwas. Wobei das meistens kein ganzes Solo ist, sondern eher kleinere Melodien. Ich versuche mir Übungen zu überlegen, die einfach mein Gehör schulen.

Das finde ich sehr schön. Ich habe für mich festgestellt, dass vor allen Dingen Transkribieren etwas ist, wofür ich seit dem Ende des Studiums immer weniger Zeit finde.

Ja, aber bei mir auch. Die Zeit, die ich während des Studiums in Transkriptionen investieren konnte, habe ich heute schlicht nicht mehr. Allerdings gehen Leute auch ganz unterschiedlich an diese Aufgabe heran, habe ich in den letzten Jahren festgestellt. 

Früher habe ich Stücke, fast schon etüdenhaft, ganz schnell geübt. Inzwischen nehme ich mir kleinere Schnipsel und Melodien, die ich recht schnell mitspielen kann. Hier dann ganz genau an Details wie Artikulation oder Dynamik zu arbeiten, macht mir großen Spaß. Dadurch habe ich das Gefühl der Musik wirklich nahe zu kommen.

Ich finde das ist auch eine gute Methode um in den Flow zu kommen. Das Zitat von eben ging weiter und du hattest ergänzt „dass Jazz einen auch immer aus seiner eigenen Komfortzone bringt“. Wie definierst du deine Komfortzone und was bringt dich dann aus dieser heraus?

Mutig sein und Vertrauen entwickeln. Vor allen Dingen sich immer wieder ins Unbekannte stürzen und dabei seinen Kolleg*innen vertrauen. 

Es gibt verschiedene Situationen: Zum einen die persönlichen Entscheidungen, wie die Wahl des Wohnorts oder welche Engagements man annimmt und welche nicht. In manchen von diesen Situationen lässt „mutig sein“ dich aus seiner eigenen Komfortzone hinauswachsen und man entwickelt sich weiter. 

Die andere Situation ist die ganz alltägliche Situation auf der Bühne. Ich langweile mich manchmal selbst, wenn ich alte Aufnahmen höre und mich dabei ertappe, dass ich oftmals das Gleiche spiele. Das kennt sicher jeder. Meistens liegt es jedoch nicht daran, dass ich nicht hätte etwas anderes spielen können sondern, dass ich in der konkreten Situation nicht mutig genug war mich auf den Moment und die anderen einzulassen.

Ein gutes Gegenbeispiel für mich sind die Aufnahmen mit meinem Trio Pollon, die wir im Deutschlandfunk gemacht haben. Hier konnte ich, auch aufgrund meiner Krankheit, nur ganz wenig spielen. Das war meine Komfortzone, die ich verlassen musste: vom energetischen Spiel hin zu etwas ganz Ruhigem. Dadurch ist aber auch etwas ganz Besonderes entstanden, da wir aller auf „einer Welle“ geschwommen sind. Dieser Raum kann jedoch nur entstehen, wenn sich alle darauf einlassen.

„Ich habe für mich gemerkt, dass das stetige Kontrollieren des eigenen Fortschritts mich eher stresst. Das bedeutet aber nicht, dass ich aufgehört habe mein Üben zu planen.“

(Theresia Philipp)

Der Wert der Musiker*in: sein Üben?

Wie hat sich das Üben im Laufe Deiner Musiker-Karriere verändert?

Das Üben ist weniger diszipliniert geworden, in dem Sinne, dass es für jeden Tag eine feste Übestruktur gibt. Diese gibt es inzwischen nicht mehr. 

Bereust du, dass du diese Struktur hast aufgeben müssen?

Nein, das war auch eine bewusste Entscheidung. Ich habe mich damals auch sehr stark darüber identifiziert. Für mich war es daher auch wichtig hier auszubrechen und andere Dinge zu entdecken. In der Musik funktionieren für mich bestimmte Dinge einfach nicht so strukturiert. Es braucht hierfür Zeit und ich muss den Kopf frei haben. Auch, und vor allem, für das Komponieren. 

Wie meinst du das mit dem „Üben Identifizieren“?

Ich war sehr streng mit meinem Zeitmanagement früher und der Tag war durchgetaktet (30 Minuten Klavier, 30 Minuten Klarinette, 15 Minuten Pause, dann eine Stunde etwas anderes usw.). Also die komplette Palette des Übens in eine Struktur gepackt und diese dann täglich wiederholt. 

Inzwischen finde ich es schwierig, wenn man seinen kompletten Wert als Menschen daraus schöpft. Ab einem gewissen Punkt war es für mich wichtig, mich davon wieder zu emanzipieren. 

Der Musik tut das am Ende auch gut. Sie speist sich aus so vielen verschiedenen Dingen: persönlichen Erlebnissen, anderen Kunstformen. Da ist es wichtig diesen Dingen Raum zu geben. 

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst?

Ich übe gerade auf dem Saxophon den Altissimo-Bereich mehr in mein Spiel zu integrieren. 

Für den nicht-musikalischen Teil: Ich male gerade ganz viel. Das wurde zu meinem Corona-Hobby während der letzten Monate. Für mich schult Malen auch sehr stark die Fähigkeit in den Flow zu kommen und dem Moment zu vertrauen. 

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Das klingt wieder sehr kalenderspruchmäßig, aber: Vertraue dir, du bist auf jeden Fall richtig so!

„Vertraue dir, du bist auf jeden Fall richtig so!“

(Theresia Philipp)

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Wie übt eigentlich Mareike Wiening? https://what-is-practice.de/wie-ubt-eigentlich-mareike-wiening/ https://what-is-practice.de/wie-ubt-eigentlich-mareike-wiening/#respond Tue, 26 Apr 2022 17:34:06 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4534 Die Schlagzeugerin Mareike Wiening studierte in Mannheim und New York. Im Interview verrät sie wie sie übt und komponiert.

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Alle tun es, doch es scheint, als möchte niemand allzu gerne darüber sprechen. Üben. Musiker*innen verschiedenster Genres verbringen im Laufe ihrer Karriere Tausende von Stunden mit ihrem Instrument, ohne dabei wirklich regelmäßig den Austausch zu anderen zu suchen und zu erfragen, was er oder sie denn gerade so übe. Der Prozess musikalischer Weiterentwicklung versteckt sich hinter einer großen Portion Mystik, deren Schleier niemand recht lüften möchte. Sei es aus Scham, Konkurrenzdenken oder schlicht weil man nie so recht auf dieses Thema zu sprechen kommt.

Doch wäre es nicht gerade interessant zu wissen, was der Kommilitone, der Mitspieler*in oder Freund*in in Verein und Band gerade so an seinem Instrument erarbeitet? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man eventuell selbst gerade das Gleiche übt und gegenseitig von Tipps und Ratschlägen profitieren könnte? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein erfahrener Spieler einem selbst neue Inspiration und Impulse für die nächste Übesession geben kann, einem ein neues Stück zeigt oder man durch das Gespräch einen neuen Spieler kennenlernt?

All diese Fragen, die sonst viel zu selten gestellt werden möchte ich in Zukunft regelmäßig in der Reihe „Wie übt eigentlich…?“ versuchen zu beantworten. Denn von anderen lernen heißt auch immer über sich selbst etwas zu erfahren.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Mareike Wiening lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Diesen Monat: Mareike Wiening

Mareike Wiening gehört zu der Sorte Mensch, deren Glas immer eher halb voll als halb leer ist. Kein Wunder also, dass sie nach ihrem Studium hier in Deutschland den Schritt gewagt hat es auch in New York zu versuchen. Wir haben viel darüber gesprochen, wie es ist in der Stadt des Jazz zu studieren, Gigs zu spielen und als Musikerin zu arbeiten. Und, warum sie dann doch wieder nach Deutschland wollte.


Mareike gab Einblicke in ihre besondere Methode zu Komponieren. Eine Technik die sie während ihres Studiums an der New York University bei Stefon Harris gelernt hat. Ganz aktuell – quasi heute, wenn ihre die Folge direkt am Mittwoch hört – ist Mareike mit ihrer Band auch unter den Nomminierten für den Deutschen Jazzpreis. Wir drücken die Daumen von hier aus. 

Mareike Wiening
Mareike Wiening (Foto-Copyright: Lukas Diller)

Mehr Informationen zu Mareike Wiening findet ihr unter: https://mareikewiening.com

Das Interview

Übersicht

New York veränderte meine Kompositionen

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Training und Inspiration.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Bei mir läuft eigentlich generell Brad Mehldau in Dauerschleife. Er hat ja auch erst kürzlich wieder ein paar neue, spannende Sache herausgebracht, die ich gerade am auschecken bin.

Ansonsten höre ich gerade viel das neue Album von Immanuel Wilkins.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich glaube das war tatsächlich auch Brad Mehldau. Ich habe ihn zum ersten Mal in Burghausen gehört, als ich gerade mit dem Studium begonnen hatte. Das war so 2007/8.

Mehldau war auf Europa-Tour mit Jeff Ballard am Schlagzeug. Für mich war das wirklich ein total krasses Erlebnis, welches mir noch immer in Erinnerung ist. Danach habe ich fast für ein Jahr nur Brad Mehldau gehört und dadurch auch sehr viele Standards kennengelernt. Von dort an habe ich begonnen andere Piano-Trios auszuchecken, z.B. Bill Evans. 

Für mich war es vor allem spannend die Unterschiede zwischen Jeff Ballard und Jorge Rossy (der zuvor in Mehldaus Trio gespielt hat) herauszuhören.

Das ist mir auch in der Vorbereitung in deinen Stücken aufgefallen. Das Klavier spielt in deinen Kompositionen immer eine sehr wichtige Rolle. Würdest du auch sagen, dass dich Brad Mehldau auch auf deine Art & Weise zu komponieren sehr inspiriert hat?

Definitiv. Ich komme ursprünglich vom Klavier und komponiere auch alle Stücke dort. Deshalb ist das Klavier auch so präsent. Ich glaube, ich könnte auch keine Band ohne machen. 

„Gerade auch als Anfänger, wenn man beginnt zu improvisieren, ist diese Methode hervorragend. Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad des Stücks, kann man mithilfe dieser vier Töne erste Versuche wagen und es wird immer gut klingen.“

(Mareike Wiening)

Du bist mit deiner Band aktuell nominiert für den Deutschen Jazzpreis (Kategorie Band of the Year). Herzlichen Glückwunsch erstmal hierfür! In einem Interview hast du mal erzählt, dass du dir als Schlagzeugerin lange mit dem Komponieren schwergetan hast – bis du in New York bei Stefon Harris Unterricht genommen hast. Der verfolgt ein ganzheitliches Konzept beim Komponieren, was auch Gehörbildung einschließt. Kannst du das kurz beschreiben?

Kurz ist schwierig (lacht), weil es ein umfassendes Konzept ist, was ich mit ihm fast zwei Jahre erarbeitet habe.

Das Konzept nennt sich „Melodic Progression“ und inzwischen gibt es auch eine App („Harmony Cloud“) dazu, mit der man gut trainieren kann. 

Das Grundgerüst ist, dass man in der linken Hand am Klavier Grundton, Terz und Septime drückt. Damit definiert man, was für ein Akkord es ist. Die rechte Hand ergänzt hierzu immer einen Upper-Structure Dreiklang. Wie man diese aufbaut bzw. sie erhält, dazu gibt es nochmals gesonderte Regeln. 

Am Beispiel von C7 (linke Hand: C, E und Bb) hätte ich in der rechten Hand den Upper-Structure-Dreiklang von der zweiten Stufe, also: D, F# und A. Daraus ergibt sich dann: C7,9,13(#11). Anschließend entwickelt man im Kurs gemeinsam Gesten um alle Akkorde dieser Qualität (V13(#11)) darzustellen.

Melodic Progression nach Stefon Harris
Notenbeispiel für das Konzept „Melodie Progression“ von Stefon Harris

Das Spannende dabei ist, dass sowohl Musiker*innen als auch Nicht-Musiker*innen oftmals die gleichen Assoziationen und Bilder mit den Klängen verbinden. Man geht also weniger vom theoretischen Aspekt an die Bewertung heran, sondern eher vom Gefühl und Emotionen. 

Daher war es für mich auch gleich ein AHA-Moment, da ich mich als Schlagzeugerin nicht täglich der Theorie beschäftige. 

In der Gehörbildung ist es dann ganz witzig: Es wird vorne ein Akkord gespielt und alle machen sofort die entsprechende Geste. Stefon Harris spielt und improvisiert auch nach dieser Methode, die im Grunde alles vom Gehör ableitet.

Aber zurück zu unserem V13(#11)-Beispiel. Als nächstes entwickelt man hierzu auch eine passende Skala, die sogenannte conglomarte scale.  

Man schaut also, erneut ohne theoretischen Hintergrund, welche Töne zu diesem Akkord gut klingen und gibt diesen Schulnoten. Die Töne, die am besten klingen, sind auf jeden Fall diese Upper-Structure-Triad. Anschließend ergänzt man noch einen Ton, der ebenfalls gut klingt. Daraus ergibt sich ein Vierklang, den man Quadrat nennt.

In unserem Beispiel wäre es der D-Dur Dreiklang, also ein Dreiklang auf der 2. Stufe des Akkords. Der 4. Ton der dazu kommt ist das e und der dazugehörige Quadrat heißt Q2, weil eben der 2. Ton unseres D-Dur Dreiklangs dazukommt. 

Mit diesen vier Tönen beginnt man dann eine Melodie zu komponieren. Das Besondere bei dieser Methode ist, dass man in Grunde jeden Akkord verwenden kann, den man möchte. Es wird also keine Funktionsharmonik (II-V-Verbindungen etc.) benutzt, sondern die Musik, die entsteht ist immer atonal. Sie wird lediglich über diese vier Töne zusammengehalten. Das Stück wird immer dann gut klingen, wenn diese Upper-Structure sich möglichst wenig bewegt.

Fast alle meiner Stücke sind eigentlich nach diesem Muster entstanden und demensprechend atonal. Klar, lässt sich hin und wieder ein Tonzentrum herausfinden. Die Methodik dahinter waren jedoch immer die Quadrats.

Gerade auch als Anfänger, wenn man beginnt zu improvisieren, ist diese Methode hervorragend. Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad des Stücks, kann man mithilfe dieser vier Töne erste Versuche wagen und es wird immer gut klingen.

Dein Übe-Alltag

Wie bringst du dieses Konzept dann ganz konkret in deinen Übealltag ein? Ich könnte mir gut vorstellen, dass man, ähnlich wie bei einem Instrument, hier auch im Training bleiben muss, wenn man regelmäßig komponiert.

Auf jeden Fall. Klar, hat man es irgendwann in den Fingern drin (daher komponiere ich auch nur am Klavier). Dennoch muss man ständig üben.

Bei mir ist es daher so, dass ich in der ersten Hälfte immer Schlagzeug übe und dann Komposition. Für mich ist Komponieren eigentlich wie das Üben am Instrument. Selbst wenn am Ende dann nur ein kurzer Vamp oder eine Idee dabei herauskommen.

Wie sieht bei dir dann ein typischer Arbeitsalltag aus?

Ich versuch morgens meistens direkt Schlagzeug zu üben, weil es für mich einfach die beste Uhrzeit ist. Wenn es dann die Zeit zulässt, versuche ich dann am Nachmittag zu komponieren. Natürlich gelingt es mir nicht immer beides zu schaffen.

Und du unterrichtest auch noch, habe ich gehört?

Genau, ich unterrichte noch an zwei Nachmittagen in der Woche. Und ich bin natürlich inzwischen wieder etwas mehr unterwegs. Also je nach Woche ist meine Überoutine etwas unterbrochen. Allerdings kennt das sicher jede Profi-Musiker*in.

„Für mich ist Komponieren eigentlich wie das Üben am Instrument.“

(Mareike Wiening)

Würdest du sagen, dass sich durch das Unterrichten dein Üben verändert hat? Oder warst du immer schon eine strukturierte Person?

Ich bin insgesamt eher eine strukturierte Person. Aber durch das Unterrichten hat sich mein Üben definitiv nochmal verändert. Ich musste feststellen, dass Dinge, die ich für selbstverständlich erachte, gar nicht so selbstverständlich sind.

Durch das Vermitteln an andere beginnt man darüber nachzudenken, warum man etwas so spielt. Nach dem Motto: Ich spiele das schon immer so, aber warum eigentlich? Ich könnte das ja auch anders machen.

Durch das Unterrichten reflektiert man nochmal selbst, wieso man etwas so spielt oder übt.

Du meintest gerade ja, dass du vom Typ her eher strukturiert bist. Wie schaffst du es bzw. wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren?

Einerseits gibt es die Situation, dass man etwas für ein Konzert, oder eine Aufnahme-Session vorbereiten muss. Das nimmt oft schon sehr viel Zeit in Anspruch. Gerade während Corona ist es bei mir so, dass ich viele Sub-Gigs spiele.

Dann gibt es natürlich die langfristigen Sachen, für die ich hauptsächlich an den Basics arbeite. Vor allem Sound, aber auch Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie, wenn man täglich spielt, ein bisschen vernachlässigt werden. Hauptsächlich Basics oder Koordinationsübungen, bei denen man versucht Bewegungen zu optimieren. Ähnlich wie beim Sport. Eigentlich so wie Frühjahrsputz (lacht).

Nur eben jeden Tag.

Genau (lacht). Das ist auch das interessante, darüber habe ich mich mit vielen Kolleg*innen, wie z.B. Gregory Hutchinson, unterhalten. Er macht es ähnlich: Wenn er nicht gerade Sachen vorbereiten muss, dann übt er Basics. Diese braucht man einfach immer.

Machst du, um am Schlagzeug fit zu bleiben, spezielle sportliche Übungen?

Ich mache insgesamt schon sehr viel Sport. Einfach um auch die Ausdauer zu haben. 

Für den Rücken mache ich Yoga und Pilates. Auch ein wenig Bauchmuskeltraining, damit man im Oberkörper stabil ist.

„Durch das Unterrichten reflektiert man nochmal selbst, wieso man etwas so spielt oder übt.“

(Mareike Wiening)

Die Komfortzone

In der Vorbereitung ein Interview gefunden, in dem du erzählt hast, dass du in New York dich musikalisch immer aus deiner Komfortzone herausbewegen musstest. Das ist natürlich ein Satz, der gerne etwas floskelhaft genutzt wird, aber bei dem ich finde, dass er in der konkreten Situation sehr viel Mut erfordert. Woher hast du diesen genommen?

In dem ich vor allem sehr viel mit Kolleg*innen gesprochen habe, die im gleichen Boot waren. Das Studium war dabei die eine Sache. Man war schließlich immer noch im „gewohnten“ Haus. Hier war es noch sehr angenehm.

Die Komfortzone verlassen habe ich erst so richtig nach dem Studium, als ich freiberuflich in New York geblieben bin. Es hat sich schnell dann gezeigt: Wenn man selbst nicht dahinter ist, passiert auch nichts. In den Gesprächen mit Kolleg*innen kam dann immer wieder der Satz: Wenn man zu Hause bleiben möchte, dann kann man das machen. Dafür muss man aber nicht in New York sein. 

Für mich hat es sich wie ein Privileg angefühlt in New York zu sein und diese Stadt zu erleben. Daher war es auch mein eigener Anspruch, dass ich hieraus das Beste machen wollte. Dies ging jedoch nur, indem man raus gegangen ist und sich seinen Ängsten gestellt hat. Natürlich war das auch oft ein Kampf. Aber das Schöne an New York ist, dass man mit vielen Kolleg*innen im gleichen Boot ist. 

Wenn man es dann geschafft hat rauszugehen oder bei einer Jam-Session einzusteigen, hat man oft anschließend ein positives Erlebnis gehabt. Man hat gemerkt, dass es so schlimm gar nicht war, oder man hat neue Leute kennengelernt, sich für eine Session verabredet oder einen Gig bekommen.

Schön, wenn es dir ja scheinbar so leicht gefallen ist. Ich stelle es mir immer noch schwer vor.

Natürlich. In der Theorie ist es immer leichter.

Allerdings durfte ich es ja auch einige Jahre lang üben und dann wurde es von Mal zu Mal leichter. Am Anfang war es jedoch schon ein harter Kampf und ich hätte auch fast aufgegeben. Nach dem Studium wäre ich fast zurück nach Deutschland gegangen Allerdings war es mein eigener Anspruch es wenigstens zu probieren. 

„Wenn man selbst nicht dahinter ist, passiert auch nichts.“

(Mareike Wiening)

Was war letztlich der ausschlaggebende Punkt, dass du nach Deutschland zurück gegangen bist?

Ich hatte tatsächlich nie geplant so lange zu bleiben. Ursprünglich war mein Ziel nach dem Studium noch 1-2 Jahre dort zu leben und es, für mich persönlich, dort zu schaffen. Allerdings vergehen in New York die Jahre doch deutlich schneller, als anderswo (lacht). 

Da ich, wie gesagt, nie vorhatte so lange dort zu bleiben, habe ich die Kontakte nach Deutschland immer versucht zu halten. Nach ungefähr sechs Jahren begannen mich viele Kleinigkeiten sehr zu nerven: Die Lebensumstände, die Kosten, der Dreck, die nicht vorhandene Qualität der Häuser, Straßen und der Subway.

Man hat sich immer ein bisschen aufgeopfert gefühlt. Irgendwann habe ich dann für mich gemerkt, dass wenn ich jetzt den „Absprung“ nicht schaffe, dass es dann immer schwieriger werden würde.

Zufällig hatte sich gleichzeitig ein Unterrichtsangebot in Deutschland ergeben. Diese Chance habe ich gleich ergriffen. Letztlich war dies auch das perfekte Timing. Ich hatte dann noch ein Jahr bevor Corona kam.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast?

Ich beschäftige mich tatsächlich wieder mehr mit Transkriptionen. Das ist etwas, was ich zu Studienzeiten sehr viel gemacht habe – allerdings dann lange nicht mehr.

„Für mich hat es sich wie ein Privileg angefühlt in New York zu sein und diese Stadt zu erleben. Daher war es auch mein eigener Anspruch, dass ich hieraus das Beste machen wollte.“

(Mareike Wiening)

Jetzt habe ich wieder gemerkt, dass es noch viele Sachen, vor allem im traditionellen Bereich (Tony Williams, Elvin Jones) gibt, die ich noch nicht kannte. 

Das macht mir gerade große Freude, da ich immer schon ein großer Transkriptionsfan war und, ich das die letzten Jahre etwas vermisst habe.

Das finde ich auch. Und am Ende ist es eine sehr musikalische Art und Weise zu üben.

Genau. Und weil es immer noch am besten hängen bleibt, weil man sich so intensiv damit beschäftig. Ich finde es wirklich sehr inspirierend. 

Gerade, wenn man anfängt aus den Transkriptionen seine eigenen Übungen zu entwickeln.

Wie gehst du beim Transkribieren konkret vor?

Ich spiele sie zunächst komplett nach, so wie sie ist und schreibe sie anschließend auch auf. 

Danach gehe ich phrasenweise vor und versuche einzelne Passagen mit meinen eigenen Ideen weiterzuentwickeln. Das heißt dann auch, dass ich mich gut und gerne ein halbes Jahr mit einer Transkription beschäftigen kann.

Was liegt gerade bei dir auf dem Pult?

Philly Joe Jones – Billy Boy/Miles Davis

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Wie übt eigentlich Franziska Kuba? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-franziska-kuba/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-franziska-kuba/#respond Sun, 23 Jan 2022 17:23:19 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4141 Wie übt eigentlich die Dirigentin Franziska Kuba? Eigentlich wollte sie zuerst Medizin studieren. Über die Schulmusik kam sie zum Dirigieren.

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Auf Franziska Kuba bin ich im letzten November aufmerksam geworden. Da stand sie, gemeinsam mit zwei anderen Dirigent*innen im Finale des Chordirigent*innen-Preises – und gewann den Publikumspreis. Im MDR erschien daraufhin ein Interview mit ihr, welches ich fasziniert las.

Denn sind wir ehrlich, die Frage wie sich ein*e Dirigent*in auf Proben und Konzerte vorbereitet dürfte sich gewiss ein jeder von uns bereits mal gestellt haben. Grund genug um dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Dass unser Gespräch schnell noch viele weitere Dimensionen ihres Berufsalltags öffnete, lag sicher an der unglaublich offenen und neugierigen Art von Franziska. Kein Wunder also, dass sie gerade auch eine Promotion anstrebt.

Besonders schön fand ich, mit welcher Offenheit Franziska über ihre Schwächen sprechen kann – ohne dabei schwach zu wirken. Im Gegenteil sogar. Sie scheint daraus Kraft und Energie zu schöpfen noch mehr an ihrer Passion, dem Chor-Dirigieren, zu arbeiten.

Zum ersten Mal habe ich mit einer Gästin nach dem „offiziellen“ Teil beinahe noch einmal genauso lange gesprochen, wie davor. Teile dieser Unterhaltung könnt ihr im Podcast nachhören.

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Die Folge mit Franziska Kuba lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

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Das Interview

Übersicht

Wie übt eine Dirigentin?

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich…. 

Mir kommen da gleich zwei Dingen in den Sinn: Zum einen „Üben heißt für mich Stress“ und „Üben heißt für mich Entspannung“.

Wie löst du diesen Gegensatz auf ?

Der wird sich, glaube ich, niemals auflösen. In Zeiten des Lockdowns ist Üben für mich Entspannung. Wohingegen in Zeiten von „ich renne von einem Termin zum nächsten“ Üben für mich Stress bedeutet.

Das heißt, du meinst damit also zeitlichen Stress und nicht Stress auf Grund eines unüberwältigbaren Bergs an Arbeit?

Naja, vielleicht werden wir darauf später noch eingehen. Aber ich finde, wenn ich mit Zeit und Entspannung ans Üben herangehen kann, dann ist es eben die absolute Entspannung. Dann bereite ich meine Sachen vor und es macht mir Spaß. Das ist genau das, was ich gerne mache. Ich freue mich dann darauf, ein Stück auf diese Art kennenzulernen. 

Wenn ich aber weiß, ich muss verschiedene Partituren lernen und zwar zu ganz bestimmten Zeiten, dann bedeutet das, dass ich in der begrenzten Zeit, die ich habe, alles unter einen Hut bekommen muss. Und dann kann dies eben auch zu Stress werden. 

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ? 

In der Adventszeit lief die ganze Zeit das Weihnachtsoratorium. In einer Aufnahme des Monteverdi-Chors, die ich sogar auf CD habe. 

Ansonsten höre ich gar nicht so viel Musik. Wenn, dann nur ganz gezielt – und meistens dann Sachen, die ich gerne kennenlernen möchte. 

Wenn ich etwas anmache, um gute Laune zu haben, dann höre ich mir „Deine Freunde“ an.

„Üben heißt für mich Stress“ und „Üben heißt für mich Entspannung“.

(Franziska Kuba)

Aber heißt das dann, dass du dir Musik immer unter einem „beruflichen“ Aspekt anhörst und gar nicht so sehr „zum Genießen“?

Es gibt in der Tat ganz wenige Stücke, die ich mir anhöre, um sie zu genießen. Und ich glaube nicht, dass ich meine Ohren ausschalten kann. Ich habe schon lange nicht mehr Stücke zur Entspannung gehört, oder weil ich sie besonders schön finde.

Hörst du absolut, dass es dir schwerfällt die Ohren „auszuschalten“?

Nein, ich höre nicht absolut.

Interessant. Das ist zum ersten Mal, dass ich eine Musiker*in höre, die Musik eher unter professionellen Aspekten hört und weniger aus genießerischen Gründen.

Ich finde, dass muss man ein wenig differenzieren. Ich habe noch nie in meinem Leben viel Musik gehört. Als Teenagerin habe ich viel Heavy Metal gehört, sonst allerdings nur wenig. 

Auf Autofahrten haben wir früher viel Helge Schneider gehört. Aber da habe ich immer nur zugehört, weil die anderen es angemacht haben. 

Ich habe Musik immer aktiv gemacht. Und wenn ich das mache, ist es jedes Mal ein Genuss. Es ist zwar meine Profession, aber es ist trotzdem jedes Mal für mich etwas Beseelendes. 

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ? 

Das ist von Cantus Cölln, eine Alte Musik Gruppe, eine Aufnahme von Membra Jesu Nostri von Dietrich Buxtehude.

Die habe ich eine Zeitlang sehr viel gehört und immer angefangen zu weinen. Ich habe auch eine tolle Anlage, um Alte Musik zu hören. Wenn ich dann diese Aufnahme höre, kommt einfach alles in Wallungen, weil sie so fantastisch, so traurig und so berührend ist.

Die Vorbereitung einer Dirigentin

In der Vorbereitung gesehen, dass du vor allem viele Konzerte mit deinen regelmäßigen Projekten wie dem Vocalconsort Leipzig (VCL) oder dem Chorbeau hattest. Daneben hattest du bis letztes Jahr auch noch eine Lehrtätigkeit an der Hochschule in Freiburg. Kannst du uns erzählen, wie dein typischer Arbeitsalltag aussieht und wie du dich auf diese Konzerte vorbereitest?

Dadurch, dass die Pandemie inzwischen bereits seit zwei Jahren läuft, ist es schwierig für mich einen Alltag zu rekonstruieren. Und wenn ich nun an das letzte halbe Jahr denke, also Juni bis November (gerade im November durfte ich sehr viel arbeiten), dann gab es eigentlich keinen Alltag. 

Ich bin dann aufgestanden und wusste: ich gehe zwei Tage in die Probe. Dazu muss ich folgendes vorbereiten (wie ich dies eben schon beschrieben habe). Ich habe immer geschaut, was als nächstes anstand und dies dann abgearbeitet.

Als Dirigent*in ist dein Instrument ja das Orchester. Wie sieht dann im Vergleich dazu die Vorbereitung auf Projekte mit Chören aus, die die gar nicht kennst? 

Hier gibt es auf jeden Fall einen Unterschied, ganz klar. Wenn ich beispielsweise etwas für das VCL vorbereite, dann weiß ich ganz genau, was sie gut können und was nicht. Daher weiß ich dann in der Vorbereitung schon sehr gut, wo sie meine Hilfe benötigen.

Wenn ich hingegen mit einem Chor arbeite, den ich nicht kenne, dann weiß ich nicht wie gut sie sind. Weiß nicht, wie gut sie vorbereitet sind und weiß auch nicht, wie ihre Probearbeit aussieht. Das heißt, dass ich mich deutlich umfangreicher vorbereiten muss.

Ich kenne auch die Dynamiken innerhalb des Ensembles noch gar nicht und weiß nicht, worauf sie in der Probe reagieren: also beispielsweise eher technisches oder eher emotionaleres Proben. Oder sogar darauf, dass ich Anekdoten erzähle und sie damit „emotional gecatched“ sind. Ob ich viel am Klavier sitze oder viel vorsingen muss. Diese Aufzählung macht deutlich, dass die Vorbereitung deutlich umfangreicher ist. 

„Wenn ich hingegen mit einem Chor arbeite, den ich nicht kenne, dann weiß ich nicht wie gut die sind. Weiß nicht, wie gut sie vorbereitet sind und weiß auch nicht wie ihre Probearbeit aussieht. Das heißt, dass ich mich deutlich umfangreicher vorbereiten muss.“

(Franziska Kuba)

Vom Stethoskop zum Taktstock

Zu Anfangs hast du ja Geschichte und Gesang auch auf Lehramt studiert. Heißt das, das Dirigieren war gar nicht der Plan „A“ von Beginn an?

Nein, der Plan „A“ war es Medizin zu studieren. Als das nicht geklappt hat, habe ich mich kurzerhand für Schulmusik beworben, weil das damals auch ganz viele von meinen Bekannten gemacht haben. Damals hatte ich mich zunächst noch auf Biologie und Musik beworben und wurde dafür auch angenommen. Allerdings habe ich mich sehr kurzfristig dann doch für Geschichten eingeschrieben, da der Plan ja immer noch war, Medizin zu studieren und ich dann dachte, dann kann ich auch zunächst noch Geschichte lernen.

Und dann ging das Studium los. Chorleitung war dabei immer für mich etwas, von dem ich dachte, das schaffe ich sowieso nicht. Ich habe sehr gerne und sehr viel in Chören gesungen, aber mein Eindruck war immer, dass man für Chorleitung genial sein muss. Und, dass ich das nicht bin. Im Schulmusikstudium hatte ich dann meine ersten Berührungspunkte mit Chorleitung. Nach meiner ersten Choreinstudierung meinte dann meine Dozentin zu mir im Vorbeilaufen: „Du bist schweinebegabt.“

Daraufhin dachte ich dann, dass ich es ja dann doch mal versuchen könnte. Ich habe mich dann ein Jahr später, auch mit ihrer Hilfe, für Dirigieren beworben. Auch weil ich zu dieser Zeit bereits so enttäuscht vom pädagogischen Anteil in der Schulmusik war. Ich wurde dann an einer Musikhochschule angenommen und begann das Studium.

Ist der Traum vom Medizin-Studium damit endgültig verworfen?

Ich glaube, das ist nie endgültig verworfen. Ich habe immer mal wieder darüber nachgedacht, ob ich noch ein Zweitstudium mache – nachdem ich dann auch noch Gesang studiert habe. (lacht) Aber ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass ich die Musik aufgeben könnte.

Du hast eben erzählt, dass du im November viel unterwegs sein durftest und viel gearbeitet hast. Was hilft Dir nach solchen anstrengenden Tagen, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen? 

Ich lebe hier in einem familiären Kontext mit zwei elfjährigen Mädchen und meinem Freund. Hier spielen wir sehr gerne. Das hilft mir auf jeden Fall sehr. Bevor ich im letzten Jahr an Corona erkrankt bin, war ich sehr oft joggen. Das kann ich nun leider nicht mehr.

„Chorleitung war dabei immer für mich etwas, von dem ich dachte, das schaffe ich sowieso nicht. Ich habe sehr gerne und sehr viel in Chören gesungen, aber mein Eindruck war immer, dass man für hierfür genial sein muss. Und, dass ich das nicht bin.“

(Franziska Kuba)

Bist du an Long-Covid erkrankt?

Ja, wahrscheinlich habe ich das. Zumindest kann ich seitdem nicht mehr richtig joggen gehen. Im Moment fange ich langsam wieder an und das hilft mir auch sehr. Was mir allerdings wirklich hilft ist, wenn ich selbst singe – also mit mir selbst musiziere. Und natürlich auch Spaziergänge.

Um ganz kurz an dieser Stelle auf die Vorbereitung zurückzukommen: Heißt das, dass du in den Probe-/ Konzertvorbereitungen gar nicht immer selbst aktiv singst? Ich habe auf deinem Blog „Innere Winterreise“ gelesen, dass du in der Vorbereitung dir einzelne Stelle herausnimmst und mit sie am Klavier übst, sie harmonisierst, singst, etc. Heißt das, dass das aktive Singen gar nicht zwangsläufig Teil deiner Vorbereitung ist?

Wenn ich mich auf Konzerte vorbereite, sitze ich eigentlich immer an meinem Flügel. Dort spiele ich dann die Sachen und singe auch dazu. Aber es ist nicht das gleiche Singen, wenn ich das Notenpult aufstelle und mich dahinter stelle. Es ist eher ein „vor mich hinsingen“ und ein Töne üben.

Alltag als freiberufliche Dirigentin

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten? 

Nein, ich arbeite jeden Tag. Ich glaube das hat nicht nur konstruktives im Leben, sondern auch etwas destruktives.

Wie schaffst du es dann die Waage zu halten?

Wenn du meine Familie fragen würdest, würden sie antworten: das schaffe ich nicht. (lacht)

Aktuell schaffen es die Lockdowns. Dadurch, dass wir aktuell gefühlt ein halbes Jahr nur arbeiten dürfen und die andere Hälfte nicht, schaffe ich es in dieser Zeit zur Ruhe zu kommen.

Darüber hinaus habe ich mir angewöhnt zwei Wochen Urlaub am Stück im Sommer zu machen – ohne zu arbeiten. 

Es gibt Zeiten, da merke ich, dass ich innerlich aufgerieben bin und dann sehr schnell wütend werde. Dann merke ich schon, dass da jemand hämmert und sagt „mach mal Pause“. Dann schaffe ich es meistens schon mich abzugrenzen und mal einen Tag auf dem Sofa zu verbringen. Oder mich mit meinem besten Freund Philip Frischkorn zu treffen, mit dem ich die Innere Winterreise gemacht habe, und der selbst auch Jazzpianist ist. Wir musizieren dann beiden zusammen.

Franziska Kuba
Franziska Kuba (Copyright © Jörg Singer)

Ja, ich glaube es ist insgesamt als Selbständige*r schwierig seinen Alltag zu strukturieren und vor allen Dingen früh genug die Signale des Körpers zu bemerken. Wie du gerade beschreibst, ist man ja durch die Pandemie und den Lockdown gezwungen einen bestimmten Rhythmus einzuhalten. In dem Fall bestimmt aber ein äußerer Einfluss ihn und nicht man selbst. Hier einen eigenen Ablauf zu finden ist sicher eine Aufgabe, die sehr viel Zeit benötigt. Mir selbst geht es da ähnlich.

Ja, das ist schwierig eine Struktur zu finden, die andere ja automatisch durch Bürozeiten zum Beispiel bekommen. Ich habe in den Jahren, seit denen ich mit dieser Freiheit konfrontiert bin, festgestellt, dass ich das gar nicht so sehr brauche. Ich merke richtig, wie ich mich total daran gewöhnt habe inzwischen. 

Natürlich ist es auch eine Frage der Selbstdisziplin. Aber ich habe mich so daran gewöhnt beispielsweise spontane Verabredungen zum Joggen zu machen und dann danach wieder zu arbeiten. Ich finde es wunderbar, dass ich das so kurzfristig fügen und regeln kann. Und, dass ich immer zu Sachen ja sagen kann.

Absolut. Ich mag diese Freiheit auch. Andererseits bedeutet Freiheit natürlich auch eine große Selbstdisziplin, wie du gerade auch schon gesagt hast. Vielleicht fehlt es mir davon in schlechten Wochen einfach ein bisschen.

Ja, aber diese schlechten Wochen gehören ja auch einfach dazu. Am Ende üben wir ja einen kreativen Beruf aus und wenn wir uns nicht den Raum geben würden für die schlechten Phasen, wie sollte das dann funktionieren? Man braucht die Freiheit zum Denken und zum Entfalten.

„Ja, das ist schwierig eine Struktur zu finden, die andere ja automatisch durch Bürozeiten zum Beispiel bekommen. Ich habe in den Jahren, seit denen ich mit dieser Freiheit konfrontiert bin, festgestellt, dass ich das gar nicht so sehr brauche.“

(Franziska Kuba)

Vom Gefühl der Unzulänglichkeit

Das ist doch dann eine schöne Überleitung, die du mir hier gerade bereitest. Du hattest eben bereits deinen besten Freund Philip Frischkorn angesprochen, mit dem du die Innere Wintereise gemacht hast. In eurem Blog habe ich ein wunderschönes Zitat gefunden: „Erwäge die Möglichkeit, dass die Vollkommenheit in der Unvollkommenheit liegt.“ Das spiegelt ja genau das wider, wovon wir es gerade hatten, nämlich diesen Umgang mit schlechten Wochen. Du schreibst dann weiter, dass du manchmal „das schlechte Gefühl von Unzulänglichkeit“ hast. Hast du inzwischen einen Weg gefunden mit dieser Unsicherheit umzugehen?

Das ist eine sehr persönliche Frage (lacht). Ich hatte ganz vergessen, dass ich diesen Spruch darin geschrieben hatte – vielleicht sollte ich die Innere Winterreise mal wieder lesen. 

Ich habe das Gefühl, dass ich den ganzen Tag daran arbeite meine Unzulänglichkeiten auszubügeln. Ganz offensichtlich kann ich diese Unvollkommenheit für mich noch nicht ganz annehmen. Ich denke aber auch, dass dies eine Lebensaufgabe ist. Und ich glaube, es ist auch eine Lebensaufgabe, für ganz viele Menschen, sich mit den Dingen zu beschäftigen, die man noch nicht kann – um dann, hoffentlich, immer mehr daran zu wachsen.

Ich merze meine Unzulänglichkeiten vor allem darüber aus, dass ich sehr viel lese, mich informiere und musikalische Phänomene oder Komponist*innen erforsche. Auf eine Art und Weise, dass ich für mich merke: das gibt mir Sicherheit.

Ich hatte mal eine Situation, da hatte ein sehr erfolgreicher Dirigent (circa Anfang 60 – toller Musiker und toller Probemensch) mit mir angefangen über Johann Sebastian Bach zu diskutieren. Gerade kurz vor meiner Menstruation, in der ich immer unzulänglicher als sonst bin. Er fing dann mit mir zu reden und ich verstand damals gar nicht so genau, wieso er meine Interpretation so misslungen fand. Mehr und mehr wandelte sich das Gespräch in einen Monolog und der Dialog fiel komplett aus. 

Er hatte mir dann, anhand mehrerer Kompositionen von Bach deutlich gemacht, dass meine Ansicht nicht durchdacht ist. Dass sie nur gefühlt sei. Ich fing daraufhin an zu weinen – vor einem Rundfunkchor (lacht). Im Nachgang tat es mir allerdings gut, dass er mir so deutlich vor Augen geführt hatte, dass ich so wenig weiß. Es gab mir letztlich den Impuls sehr viel mehr wissen zu wollen. Und es gab mir den Impuls – wenn ich Interpretationen habe – diese immer begründen zu können. Nicht nur durch das Lesen, sondern natürlich auch emotional.

Gleichzeitig hat es mir auch gezeigt, dass ich noch einen sehr langen Weg gehen werde. Einen Weg, auf dem ich mir diese Unzulänglichkeiten auch verzeihen möchte. Und damals, ich glaube ich war etwa 27, eben noch nicht Dinge so wissen kann, wie ich sie (hoffentlich) mit 60 Jahren weiß. Einfach weil ich bisher nur eine begrenzte Zeit hatte, in der ich mich habe informieren könne. Ich glaube, mit 60 Jahren möchte ich auch so informiert sein. (lacht)

„Erwäge die Möglichkeit, dass die Vollkommenheit in der Unvollkommenheit liegt.“

(über dem Badezimmerspiegel von Franziska Kuba)

Das ist auf jeden Fall ein schönes Ziel mit 60 Jahre die „weiße Greisin“ zu sein, die den Leuten etwas über Bach zu erzählen hat. Hast du manchmal auch dieses typische „Hochstapler-Syndrom“ oder ist diese Phase inzwischen vorüber?

Es hat sich innerlich bei mir schon gesetzt. Ich weiß, dass ich sehr viel kann und auch auf sehr viel zurückgreifen kann. Also an: Knowhow, an gewissen Fertigkeiten und immer an ein bestimmtes Level von „ich kann Dinge höre“. Aber, dass mir irgendjemand mal dabei ertappt, dass ich nichts kann, davor habe ich immer Angst.

Als ich angefangen habe zu dirigieren hatte ich allerdings viel öfter dieses Gefühl. Zum Glück wurde das weniger. 

Wie bist du in dieser Zeit, im Vergleich zu heute, mit Fehlern umgegangen?

Also ich erinnere mich an sehr viele, sehr lange Gespräche mit Freund*innen, die bei mir z.B. im Chor gesungen haben. Mit denen habe ich mich dann, nach einer solchen Probe, bis nachts zwei Uhr, draußen in der Kälte unterhalten. Ich habe vor allen Dingen versucht mir viel Feedback einzuholen.

„Ich merze meine Unzulänglichkeiten vor allem darüber aus, dass ich sehr viel lese, mich informiere und musikalische Phänomene oder Komponist*innen erforsche. Auf eine Art und Weise, dass ich für mich merke: das gibt mir Sicherheit.“

(Franziska Kuba)

„Die Frau am Pult“

Du hattest eben den Dirigenten angesprochen – und ohne darauf weiter groß eingehen zu wollen ist dies ein schönes Stichwort. 

In der Vorbereitung habe ich ein Interview mit der australischen Dirigentin Simone Young gehört, die meinte bzgl. Ihrer Rolle als Frau und Dirigentin, dass sie, wenn junge Frauen mit der Fragestellung „wie setzte ich mich durch“ zu ihr kommen, sie wieder zur Tür bittet. Hast du das Gefühl, dass die Rolle der Frau in der Musikwelt inzwischen so gleichberechtigt ist oder würdest du dir mehr Support von Protagonistinnen wie Simone Young wünschen?

Ja, ich glaube so setzt sie sich durch. (lacht) Natürlich höre ich immer wieder solche Beispiele, allerdings merke ich das selbst gar nicht so. In der Vergangenheit habe ich schon öfters gemerkt, dass ich aus diesem Frau-Mann Prinzip scheinbar herausgenommen werde. 

Kannst du erklären, warum das so ist?

Vielleicht liegt es an den kurzen Haaren? Ganz ehrlich, ich weiß nicht, woran es liegt. 

Obwohl ich es nicht in den Proben habe, würde ich allerdings schon sagen, dass ich strukturell benachteiligt bin als Frau. Und ich höre natürlich auch immer wieder von solchen Vorfällen. Vor kurzem war ich mit einem Sänger aus einem Rundfunkchor spazieren, der mir eine solche Situation schilderte:

Zu Gast war eine Dirigentin, die mein Bekannter einfach großartig fand. Er beschrieb dann, wie einige seiner älteren Kollegen ihr nicht zuhörten. Oder wie sie sich zwischendurch unterhielten. Die Dirigentin meinte dann wohl, im Anschluss an das Projekt, dass sie zu diesem Chor nie wieder gehe. 

Leider kann ich mir das richtig gut vorstellen. Es gibt leider solche Menschen. Man kann nicht über Gleichberechtigung reden und solche Sätze fallen bei professionellen, akademischen Rundfunkeinrichtungen. Einrichtungen, die am Ende auch von uns allen gezahlt werden. Das hat mich wirklich traurig gemacht. 

Nochmal: Ich selbst bekomme das, Gott sei Dank, gar nicht mit. Aber ich glaube das passiert.

Würdest du dann sagen, dass dies ein Generationenproblem ist?

Ist es eine Generationsfrage? Ja, ich denke schon. Mein Bekannter aus dem Rundfunk berichtete auch, dass seine jüngeren Kollegen, die gerade aus der Hochschule kommen, so etwas nie sagen würden. Und ich glaube schon, dass die Generation, die gerade heranwächst, sich gar nicht trauen würde so etwas zu sagen. Und, dass diese Dreistigkeit eher etwas ist, dass sich in älteren Generationen finden lässt. Natürlich auch nicht bei allen! Das weiß ich ja, ich kenne super viele Gegenbeispiele.

Aber es sich nicht trauen zu sagen, heißt ja noch nicht, dass man sich nicht auch im stillen Kämmerchen wünscht, dass vorne am Pult besser ein Mann stehen würde?

Ich möchte hier gar nicht so negativ drauf blicken. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es immer Leute gibt, die überhaupt nicht so denken und es wirklich anders sehen. 

Ich persönlich merke in meiner Arbeit, dass ich mich in den Ensembles in dieser Richtung gar nicht diskriminiert fühle. Also in dem Moment, wo ich schon vorne am Pult stehe und die strukturelle Diskriminierung bereits übergangen habe.

Ja, wohlmöglich findet hier gerade wirklich ein Generationenwechsel statt.

Ja, vielleicht. Es braucht auf jeden Fall Vorbilder. Und das ist ein ganz schöner Ansporn dran zu bleiben.

Hast du selbst dann auch speziell weiblich gewählte Vorbilder?

(Überlegt) Ich habe nicht so viele Vorbilder. Ich habe ganz viele Frauen, die ich fantastisch finde.

Aber das ist ja auch auf eine Art ein Vorbild. Möglicherweise schreckt das Wort etwas stark ab? Vielleicht bist auch selbst für einige junge Dirigent*innen bereits ein Vorbild?

Genau (lacht). Ich scheue mich immer davor das zu sagen. Weil, ich kenne so viele richtig gute weibliche Dirigent*innen, aber ich kenne auch genauso richtig viele gute männliche Dirigent*innen – und vielleicht auch non-binäre. Aber das mit den Vorbildern schreckt mich ab, weil ich bei niemandem sagen würde „genauso will ich sein“.

Ich glaube wir meinen das Gleiche – drücken es allerdings gerade unterschiedlich aus. 

„Es kochen alle mit Wasser.“

(Franziska Kuba)

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst? (auch gerne nicht musikalisch)

Singen (lacht). Und Klavier spielen.

Also etwas Berufliches in beiden Fällen?

Ja, weil du fragst, was du übst.

Ok, oder gerne auch lernst. Ich dachte nur, weil gerade Lockdown ist, dass du beispielsweise gerade eine Sprach lernst oder Ähnliches?

Ja, insofern. Ich sitze gerade an einer Dissertation und das kann ich noch nicht so gut.

Worüber promovierst du?

Ich bin in noch keinem Promotionsverfahren aufgenommen worden. Aber ich sitze in einem Kolloquium in Freiburg. Dort sitze ich gerade an dem Antrag, dass ich in ein Verfahren aufgenommen werde zum Thema „Fachmethodik Chordirigieren“. Das wäre dann eine qualitative, empirische Forschungsarbeit. Das kann ich noch nicht so gut – aber ich übe.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ? 

Es kochen alle mit Wasser. Und man sollte sich nicht so fertig machen lassen.

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10 Tipps zum Üben

Ein Leitfaden zur bestmöglichen Verbesserung im Übe-Zimmer (für alle Instrumente)

Ein Gastbeitrag von Alex Knutrud.

Alex Knutrud (Tromboneguide)

Seit längerer Zeit bitten mich meine Student*innen, meine Lehrphilosophie in kleine Aufzählungspunkte und individuelle Ideen zu zusammenzufassen, die sie dann direkt mit in den Übungsraum nehmen können. Ich bin mir sehr sicher, dass Unterrichtsanweisungen einer Lehrer*in motivierend sein können. Allerdings wenn Schüler*innen diese nicht im eigenen Alltag praktisch anwenden, sind sie nicht besonders wertvoll.

Jeder sagt, man sei sein eigener, bester Lehrer. Auch ich glaube das. Aber als seine eigene Lehrer*in besteht die Aufgabe darin, sich ständig zu hinterfragen und zu analysieren, wie man sich selbst am besten unterrichten könnte.

Das ist das Schöne an diesen 10 Punkten. Sie sind die komprimierte Essenz, die ich versuche, jedem meiner Schüler*innen ständig zu vermitteln.

Nicht jeder Punkt kommt bei jedem gleich gut an. Aber das sind die 10 Punkte, die mir am meisten geholfen haben. Ich habe sie im Laufe der Jahre geändert, aber in der Analyse meiner derzeitigen Praxis war dies das Hilfreichste.

(Photo von Toby Oft)

Tipp #1 – Der Unterschied zwischen Motivation, Inspiration & Disziplin

Motivation ist weniger wichtig, als wir denken. Sie vergeht bei jedem von uns von Zeit zu Zeit. Versuche besser inspiriert (bspw. durch andere, durch Musik o.ä.) zu bleiben und strebe nach Verbesserung. Nutze die Macht (Disziplin) der Gewohnheit als eine ernstzunehmende Energiequelle, während du jeden Tag dir kleine Erfolge erarbeitest.

Tipp #2 – Der Wert einer fixen Planungszeit

Wähle eine bestimmte Uhrzeit während der Woche, die nur deiner Planung dienen soll. Meine ist jeden Sonntag Abend – für etwa dreißig Minuten. Genieße einen heißen Tee, und viel Ruhe, während du deine Woche planst. Schreibe die Dinge nieder und sei dabei genau. Stell dir vor, dies sei eine Mischung aus Tagebuch und Checkliste. Wenn du dies jede Woche tust, wird deine Zeit in der Übe-Kabine fokussierter sein.

Tipp #3 – Die 4er-Regel

Jedes Mal, wenn du etwas übst, und sei es nur eine einzelne Note, spiele sie vier Mal.

Das erste Mal, um zu sehen, wo du stehst. Das zweite Mal um zu experimentieren / Dinge zum besseren zu ändern. Die anderen beide Male um das gerade Erlernte zu verfestigen. Diese Vorgehensweise wird dir helfen dich schnell zu verbessern.

Tipp #4 – Das richtige Werkzeug

Werkzeuge sind wichtig, wenn man sie richtig einsetzt. Ein Hammer nützt wenig, wenn man eine Schraube in der Hand hält. Übertragen auf die Übe-Kabine heißt das:

Ein Metronom oder ein Stimmgerät nützen wenig, solange du sie nicht aktiv zum Üben nutzt. Auch andere Hilfsmittel können von Vorteil sein. Aber auch hier gilt: Nutze sie in Maßen und mit Bedacht.

Tipp #5 – Die 67-Tage-Regel

Man sagt, es brauche 67 Tage um eine neue Gewohnheit zu formen. Davor kämpft dein Körper noch mit der Umstellung.

Egal wie bewusst und gewissenhaft du vorgehst, dein Körper braucht Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen. Wissenschaftler gehen von circa 67 Tagen aus.1,2 Sei am Anfang geduldig mit dir selbst und schau mal, welche äußeren Reize (Personen, Dinge etc.) dir bei deiner neuen Gewohnheit helfen können.

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