Jazz | https://what-is-practice.de/tag/jazz/ BLOG Mon, 29 Apr 2024 07:39:44 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.2 https://what-is-practice.de/wp-content/uploads/2020/06/cropped-logo-wip-bunt-32x32.png Jazz | https://what-is-practice.de/tag/jazz/ 32 32 Wie übt man effektiv, Benny Greb? https://what-is-practice.de/effektiv-ueben-benny-greb/ https://what-is-practice.de/effektiv-ueben-benny-greb/#respond Mon, 29 Apr 2024 07:37:58 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6504 Benny Greb gehört sicher zu den renommiertesten Drummern weltweit. Ob als Sideman - von zum Beispiel Mark Forster und Thomas D. Auch als Experte für Schlagzeug-Technik und Effektives Üben hat er sich inzwischen einen Namen gemacht. Genau darüber habe ich mit ihm gesprochen.

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Effektiv Üben – Tipps & Methoden

Benny Greb gehört sicher zu den renommiertesten Drummern weltweit. Ob als Sideman – von zum Beispiel Mark Forster und Thomas D. oder mit seinen eigenen Projekten ist er ein gern gesehener Gast auf Bühnen und Festivals rund um den Globus. Gerade bereitet er sich wieder auf Konzerte mit der Buddy Rich Bigband in London vor. 

Auch als Experte für Schlagzeug-Technik und Effektives Üben hat er sich inzwischen einen Namen gemacht. Genau darüber habe ich mit ihm gesprochen. Wir haben wichtige Voraussetzungen für gutes Üben diskutiert und Benny hat Tools und Methoden verraten, wie er an den Drums arbeitet. Die Inhalte sind aber natürlich auf allen Instrumenten anwendbar – also keine Angst, liebe Nicht-Schlagzeuger!

Mehr Infos über Benny Greb

Benny Greb (Foto © Gerhard Kühne)

Literatur Tipps

Effective Practicing for Musicians

Benny Buch gibt einen umfassenden Blick in das Thema „effektiv Üben“. Dabei lässt er so gut wie keine Frage unbeantwortet. Ob von der Gestaltung eurer Übe-Umgebung bis hin zur Erstellung eines 3-Monats Übe-Plan werdet ihr in diesem Buch viele spannende Aspekte entdecken. Sowohl als Profi als auch als Laie ein wichtiges Buch, um beim Üben wertvolle Zeit zu sparen und effektiv arbeiten zu können. Natürlich richtet sich das Buch an alle Instrumentalist:innen und nicht nur an Schlagzeuger:innen.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Benny Greb lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Benny Greb

Inhalt

Die erste Frage, mit der es immer losgeht, lautet: Vervollständige folgenden Satz. Üben heißt für dich?

Üben heißt für mich, meinen Output anzugucken, zu bewerten und anschließend Veränderungen vorzunehmen. Hoffentlich basierend auf meiner Realisation, was da so passiert ist und dann diese Kurskorrektur hoffentlich in meinem Spiel und in zukünftigen Sessions zu manifestieren.

Es wird oft gesagt, dass Fortschritt von viel Erfahrung kommt. Das ist meiner Ansicht nach ein Irrglaube. Er kommt von vielen Realisationen und von vielen Kurskorrekturen.

Das waren jetzt sehr viele interessante Aspekte, die wir im Laufe des Gesprächs nochmal tiefer besprechen werden. Gibt es aktuell eine Musik, ein Album oder einen Künstler, der bei dir in Dauerschleife läuft?

Ich wurde wieder eingeladen mit der Buddy Rich Big Band in London zu spielen und deswegen höre ich mir gerade oft diese Songs an. Aber das ist eher Vorbereitung.

Gibt es auf deine musikalische Karriere bezogen ein Spieler oder auch eine Spielerin, die dich sehr geprägt hat?

Ja, da gibt es natürlich viele. Aber ich würde jetzt einfach mal Steve Gadd oder Dave Weckl erwähnen.

Entweder-Oder-Fragen

Zum Warmwerden habe ich mir ein paar Entweder-oder-Fragen überlegt, um dich den Zuhörerinnen und Zuhörern vorzustellen, die dich noch nicht so gut kennen: Ghostbusters, das Original, Ghostbusters Frozen Empire?

Natürlich das Original von 1984.

Bayern oder Hamburg?

Beides. In Bayern leben meine Eltern und es ist meine Heimat sozusagen. Hamburg, weil ich hier schon seit über 25 Jahren lebe und das mein Zuhause ist.

Ist das dein Joker bei den Entweder-oder-Fragen?

Ich bin immer völlig outlaw-mäßig bei diesen Fragen. Ich muss dich vorwarnen.

Wir lassen das mal so stehen. Spielen oder Üben im Sinne von „Playing“ oder „Practicing“, wie du es in deinem Buch beschrieben hast.

Beides. Hauptsache man trennt es und lässt es sich nicht gegenseitig kaputt machen.

Clinics halten oder selbst Konzerte spielen?

Ich bin kein guter Kandidat für diese Entweder-oder-Fragen. Ich liebe beides und könnte mich da nicht entscheiden. Ich habe immer wieder Zeiten, in denen ich das eine mehr mache als das andere. Es ist wie bei einem Pendel, das hin und her geht.

Es sind auch schwierige Fragen. Kommen wir zur Letzten: Struktur oder Chaos?

Auch beides. Das Chaos hat eine enorme schöpferische Qualität. Struktur ist wichtig, um das zu bündeln. Das wäre, wie wenn man sagen würde „Ein Wildbach oder Laserkater“. Es ist eben beides toll und es kommt darauf an, was man damit machen will.

Das Problem ist, wenn Leute eins dem anderen vorziehen wollen und sagen, sie müssten sich entscheiden und dann die Qualitäten von dem einen in dem anderen haben wollen. Das geht nicht. Das eine ist das eine, das andere ist das andere. Und beides ist wunderschön – wenn man es richtig einsetzt.

„Aber was gleich bleibt ist, dass ich mein Üben immer in Spielen und Üben aufteile.“

Benny Greb

Bennys Übe-Alltag

Wir wollen heute vor allen Dingen übers Üben sprechen und uns anschauen, wie sich deine Übe-Karriere über die Jahre entwickelt hat. Kannst du uns mal in einen typischen Übe-Alltag mitnehmen?

Die Zeiten, wie lang ich am Tag oder in der Woche übe, müssen leider variieren, je nachdem, was ich mache und je nachdem, was familiär los ist (oder ob ich auf Tour bin oder ob ich gerade ein Seminar halte). Aber was gleich bleibt ist, dass ich mein Üben immer in Spielen und Üben aufteile. Dass ich, wenn ich übe, immer ein paar Tools dabei habe, die mir ganz wichtig sind und, die mir helfen.

Was sind das für Tools?

Also zum Beispiel ein Timer oder mein Journal. Ich führe wirklich Buch. Das klingt unromantischer als es ist. Und ich brauche auf jeden Fall entweder mein Handy oder einen Zoom Recorder. Irgendwas, um ein Vorher-Nachher Recording aufzunehmen.

Daneben nutze ich auch ein paar interne Tools. Egal ob ich jetzt am Pad spiele oder mir im Bus etwas überlege, mental übe oder, ob ich wirklich an meinem Instrument bin. Das sind Mechanismen, die mir gut dienen. Insofern ist es gar nicht so wichtig, wie lange ich übe. Ich habe gemerkt, dass es für mich wichtiger ist, wie ich übe. Und das macht dann das Üben effektiv, egal wo und wie lange.

Du hast am Anfang, auf die erste Frage, schon viele von diesen Punkten angeschnitten. Ich habe das für mich unter „Reflexion“ und „Veränderung“ zusammengefasst. Ist das eine Art und Weise zu üben, die dir so einfach naheliegt und immer schon so war oder ist das etwas, was du dir über die Jahre hart erarbeiten musstest?

Nein, das war definitiv anders am Anfang. Ich habe als Autodidakt angefangen und es war sehr chaotisch. Ich musste eigentlich die Struktur später mit reinnehmen, weil ich gemerkt habe, dass mir sonst ein paar gute Sachen verloren gehen. Ich habe gemerkt, dass ich ganz oft etwas anderes geübt habe und dadurch diesen Aufbaueffekt nicht hatte. Ich hatte dadurch keinen Überblick.

Ich wollte dann zum Beispiel etwas ausprobieren und wusste gar nicht, ob es in meinem Repertoire überhaupt drin ist. Ich wusste zwar, es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber es hatte immer so ein „schauen wir mal“- Gefühl. Und das hat mich ganz schön frustriert, weil es zu etwas noch Schlimmerem führt: nämlich, dass man immer vorsichtiger wird und immer konservativer spielt.

Wenn man nicht aufpasst, kommt man dann nicht mehr raus. Und ich habe gemerkt, desto weniger Zeit ich zum Üben hatte, desto effizienter musste ich üben, wenn ich weiterkommen wollte. Man könnte auch sagen, dass vielleicht auch die Themen komplexer wurden. Aber ich glaube, das ist ein kleinerer Faktor.

Ich hätte mir früher niemals Sachen aufgeschrieben, mich gefilmt oder mich aufgenommen und dann angeguckt und danach kritisiert. Mir kam das zu spießig und zu unromantisch vor. Und ich habe gedacht, ich bin Künstler, ich brauche doch Chaos und den Zufall. Allerdings habe ich irgendwann gemerkt, dass wenn ich keine Struktur habe, ich nicht der Künstler werden kann, der ich gerne sein würde.

Später habe ich dann gemerkt, dass es mir eigentlich Druck nimmt und, dass es mir Überblick schenkt.

„Ich hätte mir früher niemals Sachen aufgeschrieben, mich gefilmt oder mich aufgenommen und dann angeguckt und danach kritisiert. Mir kam das zu spießig und zu unromantisch vor. Allerdings habe ich irgendwann gemerkt, dass wenn ich keine Struktur habe, ich nicht der Künstler werden kann, der ich gerne sein würde.“

Benny Greb

Tipps zum effektiven Üben

Bestandsaufnahme – sich selbst beim Üben aufnehmen

Du hast vor ein paar Jahren ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht: „Effective practicing for musicians“ – auch für alle Nicht-Schlagzeuger:innen sehr empfehlenswert. Ich habe mich in der Vorbereitung gefragt, was zuerst da war. Frustration, Methoden, das Journal? Hast du von außen Methoden an die Hand bekommen, die dir geholfen haben, das für dich so zu ordnen? Das Problem ist ja, dass wahrscheinlich viele insgeheim spüren, dass Fortschritt ausbleibt. Aber es ja eine Sache, dies unterbewusst zu merken oder durch Aufschreiben sich wirklich bewusst vor Augen zu führen und einzugestehen.

Aus schierer Frustration. Aus tiefer, pechschwarzer Frustration. Und ich kann das teilweise so witzig formulieren, aber es war wirklich ernst. Ich war wirklich richtig frustriert und habe mich auch gefragt, warum das denn so schwer ist. Oder warum es andere gibt, bei denen man den Eindruck hat, dass es ihnen total leicht von der Hand geht. Und wenn man diese Gefühle eine Zeit lang köcheln lässt, geht es meistens noch tiefer. Man stellt sich Fragen, ob man nicht talentiert genug ist oder man vielleicht hätte früher anfangen sollen.

Schon bevor ich studiert habe, bestand kein Mangel daran, neue Sachen zum Üben zu entdecken. Da hatte ich ganz viel Input. Bei der Frage wie ich üben soll, war teilweise wirklich Brachland. Es wurde erwartet, dass man das irgendwie umsetzt. Aber ehrlich gesagt, wie man das machen soll, im Detail, das hat mir wirklich gefehlt. Und das war einer der Gründe, weshalb ich selbst auf die Suche gegangen bin. Als ich damit angefangen habe, wurde das Thema immer so behandelt, als wäre das eine sehr individuelle Sache. Aber wie ich herausgefunden habe, ist das nicht unbedingt richtig. Es gibt ein paar Sachen, bei denen sind wir individuell. Manche Leute üben morgens besser, manche Leute üben abends besser usw. Aber wenn es dann wirklich mal ums Üben geht, dann gibt es ein paar Sachen, die immer funktionieren. Und es gibt auch ein paar Sachen, die definitiv nie funktionieren. Die wären natürlich cool zu wissen.

Ein Schlüsselmoment war, dass ich einmal aus Versehen eine komplette Session von mir aufgenommen habe und sie mir dann, nicht aus Versehen, angehört habe. Komplett. Das hatte ich vorher nie gemacht. Viele schaffen das fast gar nicht, weil da viel Scham und viel Selbstkritik dabei ist. Allerdings kann ich das nur empfehlen. Das ist für mich der Ground Zero, der Startpunkt für jeden, wenn man sich noch nie mit Übe-Technik beschäftigt hat. Während man sich das anschließend anhört, kann man sich einfach ein paar Notizen machen und sich fragen „Hey, was nervt mich da denn eigentlich?“. Der Witz ist, in dieser Beobachterrolle sind wir meist recht gut darin herauszufinden, was Quatsch ist und was vielleicht zielführend ist.

Die erste Sache, die mir auffiel, war, dass ich immer so ein Starten und Stoppen hatte. Ich nenne es „Starting Stopping Syndrome“. Also sich zu viel aufhalsen, es versuchen und dann bricht es zusammen und muss man wieder von vorne anfangen. Dabei kann man wahnsinnig viel Zeit und viel Kraft verschwenden. Aber es gab natürlich noch ein paar andere Sachen. Aber das umreißt es ein bisschen, was der der Ausgangspunkt war.

Rastergrafik
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Die größte Herausforderung beim Üben ist es, sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Diese sinnvoll auszuwählen ist nicht immer leicht. Genau dabei hilft dir die what is practice Übeplan-Vorlage.

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Effektive Übe-Methoden

Checklist-Cycle und Startzeit verkürzen

Wenn man diesen Gedanken ein bisschen weiter fortspinnen würde, dann hätten wir mit so einer Aufnahme unser Was gefunden. Wir wüssten, wenn wir uns selbst mal in einer Session aufnehmen, wo unsere Schwachpunkte sind. Du hast vorhin die Frage nach dem Wie bereits angedeutet. Was sind denn Methoden, die dir im Laufe der Zeit unter die Finger gekommen sind, die für dich den Zugang zum Üben verändert haben und damit auch den Fortschritt möglich gemacht haben?

Also ich würde natürlich mein Buch empfehlen, um alle Methoden mitzubekommen, aber eine, die ich rauspicken würde, wäre die Startzeit zu verkürzen. Wenn man vom letzten Üben den Ist-Stand dokumentiert hat und sich das am Anfang einer neuen Session anguckt und anschließend direkt dort loslegt, kann man wirklich schon mal 10-20 Minuten sparen. Am liebsten ist mir tatsächlich eine Aufnahme zu haben. Und wer zum Beispiel in den Proberaum fahren muss, und das immer verteufelt hat, ist dann wirklich im Vorteil, weil man auf dem Weg dorthin sich die Aufnahme nochmal anhören kann.

Eine andere Methode heißt der Checkliste Cycle. Das ist eine rein mentale Sache, wo man seine Aufmerksamkeit hinrichtet. Wenn ich zum Beispiel eine Übung habe, gehe ich in meinem Kopf die Checkliste durch. Ähnlich wie ein Bildhauer, der auch nicht eine Stelle zur Perfektion bohrt und dann zur nächsten geht und diese zur Perfektion bohrt, sondern ein kleines Stück hier wegnimmt, dann seine Position verändert, ein kleines Stück dort wegnimmt, sich das Gesamtbild anguckt und dann wieder ein bisschen was abschlägt. So kommt er seiner idealen Form immer ein Stück näher.

Die Checkliste startet zum Beispiel physisch: Kann ich noch aufrechter und entspannter sitzen? Kann ich meine Schultern entspannen? Atme ich noch regelmäßig? Wie würde es aussehen, wenn es einfach wäre? Das ist eine magische Frage, die echt bei vielen Leuten eine ergonomischere und natürlichere Technik in Erscheinung bringt, ohne dass man das man etwas bewusst korrigiert.

Und dann geht es weiter in Timing und Accuracy. Also wie ist die Subdivision? Wie ist der Puls? Kann ich mir den Puls dazu denken oder singen? Und der Witz ist: ich verbringe nicht ewig bei jedem Punkt, sondern nur kurz. Wenn die Liste dann am Ende ist, dann fange ich wieder von oben an und so geht das ständig weiter. So wird es immer ein bisschen besser. In kleinen Schritten eben. Und es beschäftigt auch den Kopf sowie das analytische Hören und Fühlen.

„Ähnlich wie ein Bildhauer, der auch nicht eine Stelle zur Perfektion bohrt und dann zur nächsten geht und diese zur Perfektion bohrt, sondern ein kleines Stück hier wegnimmt, dann seine Position verändert, ein kleines Stück dort wegnimmt, sich das Gesamtbild anguckt und dann wieder ein bisschen was abschlägt. So kommt er seiner idealen Form immer ein Stück näher.“

Benny Greb

Wann ist es gut?

Das erinnert ein bisschen an das „Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit“ von Gerhard Mantel, der das in einer ähnlichen Form aufgeschrieben hat. Der entscheidende Punkt bei dieser Übe-Technik ist dann, im richtigen Moment weiterzugehen. Also wann höre ich auf und wann weiß ich, wann ich zur nächsten Sache weiter gehe? Wie ist deine Herangehensweise?

Fürs Erste gibt es mehrere Möglichkeiten. Ganz wichtig: das „Gut“ muss natürlich vorher definiert sein. Man hat oft die Tendenz, währenddessen sein Ziel zu verschieben. Und das kann frustrierend sein, weil das ein sicherer Weg ist, nie anzukommen. Es gibt zunächst die zeitliche Begrenzung, ganz einfach. Also meistens übe ich einfach, bis der Timer klingelt und dann ist Schluss. Selbst wenn mir dann noch was einfällt. Das einfach eine Limitierung, die ich mittlerweile respektiere. Und das hat mir sehr viel gebracht. Früher ging es sonst immer in diese mega Sessions, in denen ich dann den ganzen Samstag von früh morgens bis spät nachts irgendwas gemacht habe.

Der andere Aspekt ist natürlich vorher zu definieren, was ist für heute das Ziel ist. Oder was für diese nächsten drei Monate das Ziel ist. Manche Sachen sind dabei leichter zu messen und zu erreichen als andere. Also zum Beispiel eine gewisse Entspannung oder eine gewisse Mastery von etwas, spürt man schon. Man kann das fast tagebuchmäßig festhalten.

Wenn ich das dann erreicht habe und damit entspannt bin, ist dieses eine Thema erst mal erreicht und dann kann ich mir auch auf die Schultern klopfen. Natürlich kann man dann den Sound noch verbessern etc. Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, auch Zwischenstationen zu feiern. Weil die meisten Sachen, die wir an unserem Instrument oder an unseren Instrumenten machen, sind keine Sachen, die man innerhalb von zehn Minuten abhaken kann. Und wer dann frustriert davon ist, dass er noch nicht ganz fertig ist, der hat eine schwierige Zeit vor sich.

Ich empfehle gerne eine Vorher-Nachher Aufnahme. Es ist vielleicht noch nicht perfekt, es ist vielleicht noch nicht so, wie ich es haben möchte, aber ich habe eindeutig den Beweis, dass sich diese 20 Minuten oder diese zwei Stunden, was auch immer das sein mag, gelohnt haben. Und wenn ich dieses Gefühl behalte, behalte ich auch ein sehr positives Gefühl zum Üben eigentlich.

Ja, das finde ich auch selbst ein unglaublich mächtiges Tool. Einfach sich aufzuschreiben oder noch besser sogar aufzunehmen, um seinen Fortschritt für sich sichtbar zu machen.

Und wir sind eigentlich nicht gut darin, uns selbst zu bewerten, wenn man es nicht festhält. Man ist eigentlich härter zu sich selbst.

Manche Sachen sieht man aus einem anderen Blickwinkel besser, als aus dem Spieler Blickwinkel. Also bei Schlagzeugern ist es zum Beispiel ein Klassiker: Da spielt mir jemand etwas mit beiden Händen vor und fragt, warum das so ungleich klingt? Und es klingt gut, aber beide Hände sehen komplett anders aus. Beim Spielen sind wir oft so mit anderen Sachen beschäftigt, dass wir darauf weniger Acht geben können.

Vom Was und Warum?

Was und warum sollte ich üben?

Absolut. Ich finde auch, dass die Musik sich zum Glück dies vom Sport mehr und mehr abgeguckt und auch hier und da Methoden versucht zu adaptieren. Filmen ist ein gutes Beispiel.

Was ich an deinem Buch so unglaublich gut finde, ist, dass es geschafft hat, wirklich einen „Rundumschlag“ im besten Sinne des Wortes zu kreieren: von äußeren Umgebungen bis zu dem eben angesprochenen Dreimonatsplan. Im Großen und Ganzen geht es um den Prozess, aber auch um das Was und das Warum. Weißt du noch, was dein erstes, was und warum damals war, also als du dir die Fragen selbst gestellt hast?

Wenn man einen Gig spielt oder einen Auftritt hat, und es gibt eine Aufnahme: hört man sich die gerne an? Und wenn nein, gibt es da irgendeinen Punkt gibt, den man verbessern möchte. Das wäre doch der schon mal erste Grund. Jedes Mal, wenn ich eine Aufnahme von mir höre, habe ich irgendwas, von dem ich motiviert bin zu sagen „das könnte ich aber noch besser gestalten“.

Was man manchmal vergisst, ist, dass es nicht ein angsterfülltes Ding sein muss. Das machen viele Lehrer, glaube ich, falsch. „Du bekommst keine Jobs oder wirst nicht bei der Audition genommen“ – das mag für Professionelle alles zutreffen. Aber der wirklichste und der schönste Grund ist, wenn man etwas richtig auscheckt und wenn man gut das Instrument spielen kann. Das macht unglaublich Spaß. Also das ist einfach ein unglaubliches Gefühl, was ich so oft wie möglich haben möchte.

Absolut. Jetzt leben wir allerdings aber nicht alle in „lonely bubbles“, sondern sind soziale Wesen und interagieren ständig (auch durch Social Media) oder sind anderen Einflüssen ausgesetzt. Du beschreibst das in deinem Buch sehr schön, wie man zu den Sachen findet, die man selbst gerne machen möchte: Spieltechniken, Arten zu spielen, die man selbst gut findet.

Wie hast du es denn geschafft, dich selbst von diesen Einflüssen freizumachen? Weil theoretisch, wenn ich Instagram aufmache, und mir andere Musikerinnen und Musiker angucke, sehe ich ja jeden Tag sehr viele neue Sachen, die ich auch noch üben könnte. Also wie schaffst du es, deinen eigenen Zielen treu zu bleiben und dich nicht zu verunsichern zu lassen, dass der Weg, den man jetzt eingeschlagen hat, dann doch vielleicht nicht so der Richtige ist?

Eine schlechte Nachricht und eine gute. Die schlechte Nachricht ist, man kann nicht alles gleichzeitig machen und man kann nicht mal alles machen, selbst wenn man es eins nach dem anderen macht. Man wird nicht bei allem fertig, bis man stirbt.

Die gute Nachricht ist aber, dass wir das nicht (und das wurde sogar mittlerweile wissenschaftlich untersucht) brauchen, um glücklich zu sein. Man denkt immer, das, was jetzt auf mich einprasselt, das würde ich auch gerne habe. Es gibt nur so ein paar Dinge, die für einen wirklich sehr wichtig sind. Und wenn man an denen wirklich arbeitet und spürt, dass man da ein Fortschritt macht, ständig, dann ist das also üblicherweise mehr als genug.

Und der Grund ist eher, wenn wir unseren eigenen Scheiß schon nicht machen, ist es schwer zu ertragen, wenn von außen weiterer Input auf uns kommt. Und das macht natürlich Social Media schwieriger. Wenn man sich selbst schon ein bisschen faul fühlt und dann auch noch andere einem ins Gesicht reiben, was sie alles am Start haben. Das ist schwer auszuhalten.

Man braucht drei Punkte. Der eine Punkt ist ein Ziel. Der andere Punkt ist das Wie ist es denn jetzt gerade? Das ist etwas, dass sehr vielen fehlt. Sie wissen manchmal, wo sie hinwollen, aber wissen nicht, wo sie gerade wirklich stehen. Und der dritte Punkt ist: Was ist denn jetzt der nächste Schritt (die nächste Übung), den ich machen muss? Und wenn ich den nächsten Schritt nicht weiß, dann kann ich auch nicht loslegen. Dann bin ich auch nicht motiviert.

Wenn das wirklich alles in Place ist, dann kann man auch viel entspannter mit anderen feiern, dass sie etwas ausgecheckt haben. Es ist oft eher ein Neid-Ding. Also Entschuldigung, das ist jetzt ein bisschen tough love – aber so ist meine Erfahrung zumindest. Ich bin auch nicht frei davon. Es gab auch Phasen in meinem Leben, wo ich definitiv diese Gefühle hatte. Aber ich meine, die Kehrseite der Medaille ist, dass man sich überlegen muss, wie viel Input man überhaupt zulassen möchte und, ob man ständig neuen Input überhaupt braucht.

Ich glaube, es liegt auch ganz viel Tolles in unfinished business und in Büchern (oder Übungen), die man mal gemacht hat und dann brach hat liegen lassen. Wir verwechseln manchmal neu und besser. Manchmal ist auch „The old shit the best shit“.

„Aber ich glaube, es ist sehr wichtig, auch Zwischenstationen zu feiern.“

Benny Greb

Aber ich finde, das schließt den Kreis irgendwie ganz schön zu dem, was du am Anfang gesagt hast. Wir sind zwar alle Künstler:innen und in Choas kann auch viel Kraft stecken, allerdings funktioniert es ganz ohne Struktur eben nicht. Eine philosophische Frage für das Ende: Wann bist du denn nach dem Üben zufrieden?

Es gibt mehrere Disziplinen diesbezüglich. Also zufrieden bin ich allein schon, wenn ich die Rahmenbedingungen gut gemacht habe. Also wenn ich wirklich allein geübt habe. Das ist schon ein Win für mich. Wenn ich überhaupt diesen in diesen Übe-Modus komme, ist das wie eine Meditation. Zudem hat es den schönen Nebeneffekt, dass ich mich auf ganz viele andere blöde Sachen nicht konzentrieren kann. Und das ist das macht mich enorm zufrieden.

Ich bin jetzt Mitte 40 und beschäftige mich seit 30 Jahren damit, auf einem Gummipfad die Schläge gleich laut zu spielen. Das ist eigentlich total abgefahren und abstrus. Aber in dieser Einfachheit liegt ein ganzes Universum.

Und langfristig gesehen bin ich zufrieden, wenn ich einfach über Monate hinweg eine Sache tief Brett gebohrt habe und ich echt meinen Fortschritt merke. Für mich ist es der beste Vergleich: Ich bin früher mit meinem Vater Bergwandern gegangen und dieses Gefühl, wenn man nach einiger Zeit wandern sich umdreht und die Hütte, von der wir aus gestartet sind, nur noch so groß wie ein Monopoly Haus in der Ferne ist. Das ist einfach ein abgefahrenes Gefühl.

Das ist auch was, dass man aufs Leben übertragen kann. Wir könnten, glaube ich, noch so viel uns über das Üben unterhalten. Es ist sehr spannend dir zuzuhören. An dieser Stelle aber, mit Blick auf die Uhr, kommen wir zu den letzten beiden Fragen: Was übst oder lernst du gerade, was du noch nicht so gut kannst?

Mich mit meinem Sohn nicht in ewig lange Gespräche verwickeln zu lassen, wenn er ins Bett gehen soll. Das versuche ich gerade zu lernen. Er ist da mittlerweile gut drin sich die spannenden Fragen, die vielleicht auch Papa ein bisschen interessieren, aufzuheben bis zur Schlafenszeit. Vielleicht muss ich da auch wieder einen Timer, wie beim Üben, nutzen.

Außerdem versuche gerade wieder mehr auf gesunde Ernährung und mehr Sport zu schauen. Ich habe das früher sehr vernachlässigt. Es gibt so vieles. Wieder öfter meditieren. Das sind oft Sachen, die ich nicht neu entdecke oder neu anfange, sondern an denen ich dranbleiben und wieder anknüpfen möchte.

Da wären wir wieder bei den Open Books, die du zwischendurch mal angesprochen hast. Wenn du jetzt auf deine eigene Studienzeit zurückblickst, gibt es einen Tipp, um den du damals froh gewesen wärst, hättest du ihn schon vorher gehabt?

Ja, eigentlich dieses „Effective Practice“ Buch. Jeden Tipp davon, zum Beispiel der Timer hätte mir viel gebracht. Oder auch der Checkliste Cycle hätte mir viel geholfen. Udo Dahmen, mein Lehrer, hatte eine ähnliche Übung mit mir mal gemacht und die hatte mir wahnsinnig viel gebracht.

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Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff? https://what-is-practice.de/wie-hat-das-mutter-sein-dein-ueben-veraendert-lisa-wulff/ https://what-is-practice.de/wie-hat-das-mutter-sein-dein-ueben-veraendert-lisa-wulff/#respond Mon, 16 Oct 2023 07:39:00 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6044 Lisa Wulff: Die preisgekrönte Jazzmusikerin und Kontrabass-Virtuosin Lisa Wulff studierte zunächst Musikerziehung in Bremen und anschließend Jazz-Kontrabass und E-Bass in Hamburg. Im April diesen Jahres gewann sie den Deutschen Jazz Preis. Bis zu seinem Tod im August 2022 war sie Teil der letzten Besetzung von Rolf Kühn. Natürlich wollte ich wissen, wie die Zusammenarbeit mit… Weiterlesen »Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff?

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Lisa Wulff: Die preisgekrönte Jazzmusikerin und Kontrabass-Virtuosin

Lisa Wulff studierte zunächst Musikerziehung in Bremen und anschließend Jazz-Kontrabass und E-Bass in Hamburg. Im April diesen Jahres gewann sie den Deutschen Jazz Preis. Bis zu seinem Tod im August 2022 war sie Teil der letzten Besetzung von Rolf Kühn. Natürlich wollte ich wissen, wie die Zusammenarbeit mit dieser Jazz-Legende so lief – besonders abseits der Bühne. Musikalisch ist Lisa aber nicht nur im Jazz Zuhause, sondern genauso auch in der Popmusik. Was dieser Spagat für ihr eigenes Üben bedeutet, haben wir im Podcast besprochen.

Doch das ist noch nicht alles, was Lisa Wulff auszeichnet. Vor zwei Jahren trat sie in eine völlig neue Rolle – die der Mutter. Wie sie die Herausforderungen des Mutterseins und des Musikerinnenlebens meistert, und wie sie es geschafft hat, ihren Übealltag zu optimieren, haben wir im Podcast besprochen. Lisa Wulff gewährte einen Einblick in ihr Leben als Mutter, Musikerin und in die Veränderungen, die diese neue Rolle in ihrem musikalischen Schaffen mit sich gebracht hat.

Lisa Wulff

Mehr Informationen zu Lisa Wulff

Webseite: www.lisawulff.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Lisa Wulff lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Lisa Wulff

INHALT

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Mich mit mir selbst und meinem Instrument zu beschäftigen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Im Moment höre ich ganz unterschiedliche Sachen – je nach Stimmung.

Aber gab es in den letzten Wochen mal einen „Dauerbrenner“ in deiner Playliste?

Ich muss gestehen, dass ich in letzter Zeit wieder viel Klassik gehört habe. Und da ist natürlich Johann Sebastian Bach ein „Dauerbrenner“.

Gibt es einen Musiker oder eine Musikerin, die dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt hat?

Zahlreiche. Es gibt eine Person, die mich zum Instrument Kontrabass gebracht hat – nämlich Detlev Beier. Je weiter ich mich entwickle, merke ich immer mehr, wie sehr mein Spiel von ihm geprägt ist. Obwohl er leider bereits vor inzwischen sieben Jahren verstorben ist und mir das damals nie wirklich so bewusst war.

Natürlich haben mich aber auch großen Namen wie Ron Carter und Charlie Haden sehr beeinflusst. Es ist immer schwierig, wenn man sich auf ein paar wenige Künstler*innen beschränken muss. Vor einiger Zeit habe ich mir mal eine Liste mit Namen gemacht, um niemanden zu vergessen. Aber, wenn ich ganz ehrlich bin, könnte ich mich noch nicht einmal auf 10 Namen beschränken. (lacht)

„Ich unterscheide Üben in zwei Arten: Das eine ist die Beschäftigung mit dem Instrument und mit mir selbst. […] Das „andere“ Üben ist ein konkretes Programm oder Konzert vorzubereiten.“

(Lisa Wulff)

Dein Übe-Alltag

Du hast zunächst Musikerziehung in Bremen und dann anschließend Jazz Kontrabass und E-Bass als Hauptfach in Hamburg studiert. In der Vorbereitung ist mir vor allem deine musikalische Vielseitigkeit aufgefallen: von Musicals und Pop-Gigs, du bist Dozentin im Hamburger Popkurs, bis zu Big Band (NDR Bigband) und Jazz Gigs mit deiner eigenen Band oder als Sidewoman. Kannst du uns mal mitnehmen in deinen Übe-Alltag?

Ich unterscheide Üben in zwei Arten: Das eine ist die Beschäftigung mit dem Instrument und mit mir selbst. Gerade das „mit mir selbst“, weil die Verbindung beim Kontrabass so eng ist. Der Kern des Übens ist für mich, genau diese Verbindung aufrecht zu erhalten.

Das „andere“ Üben ist ein konkretes Programm oder Konzert vorzubereiten. Hier übe ich dann ganz konkret Stücke für die verschiedenen Projekte ein. Auch um fit für die unterschiedlichen Herausforderungen zu bleiben. Am Ende ist es dabei sogar egal, ob ich Kontrabass oder E-Bass übe.

Ich kann auch für mich die Frage „Bin ich Kontra- oder E-Bassistin?“ nicht mehr beantworten. Ich habe hier keinen Fokus auf das ein oder andere Instrument. Für mich ist es einfach Bass spielen in dem jeweils ein oder anderen Kontext.

Wenn du diese beiden Arten des Übens unterscheidest, heißt „mit dir selbst üben“ dann trotzdem immer am Instrument? Oder übst du inzwischen auch viel mental?

Inzwischen mache ich immer mehr auch mental, da ich zeitlich in den ein bis zwei Stunden, die ich meist pro Tag habe, nicht alle Themen abdecken kann. Gerade jedoch beim Kontrabass ist die Verbindung zum Instrument aber auch eine sehr körperliche – vor allem im Unterschied zum E-Bass.

Gerade auf Bahn-Fahrten übe ich sehr viel mental. Zeitweise habe ich mir dort auch ganz bewusst bestimmte Themen vorgenommen. Inzwischen übe ich dort auch immer öfter Stücke und Programme ein.

Üben am Instrument geht bei mir, nach einem kurzem Warmspielen, mit einem freien Improvisieren los. Ich nehme mir dann bewusst kein Stück vor, um zu erspüren was gerade (musikalisch) bei mir los ist. Meist entdecke ich dann etwas, das ich gerne verbessern würde.

Wie eine Art „Realitätscheck“ also? Du schaust also welche Elemente in deinem Spiel heute besonders gut funktionieren und daher weniger Aufmerksamkeit benötigen – und welche anderen Elemente dafür mehr?

Ja, aber gar nicht nur auf Technik beschränkt, sondern auch musikalisch inhaltlich. Für den technischen Fokus habe ich inzwischen eine sehr gute Übe-Routine entwickelt. Diese hilft mir fit zu bleiben.

Beim freien Spielen achte ich besonders darauf, was „mit mir los“ ist. Hier spiegelt sich natürlich viel das wider, was ich in den letzten Wochen gehört habe. Das Schöne ist allerdings, dass sich die unterschiedlichen Höreindrücke im Spiel vermischen und man sie gar nicht mehr genau zuordnen kann.

„Üben am Instrument geht bei mir, nach einem kurzem Warmspielen, mit einem freien Improvisieren los.“

(Lisa Wulff)

Als du eben das mentale Üben in den Bahnfahrten angesprochen hast, meintest du, dass du sowohl Stücke aber auch ganz konkret Themen vorbereitest. Hast du hierzu ein Beispiel aus der Vergangenheit?

Es ist zwar schon eine Weile her, aber eine Zeit lang habe ich Schlagzeugschulen unterwegs geübt. Snare-Etüde zum Beispiel. Dies passt auch ganz gut zu meiner Funktion irgendwo zwischen Harmonie- und Rhythmusinstrument. Ich habe noch ein ganz altes Heft von meinem Lehrer mit wirklichen alten „Rhythmusschulungen“ für Schlagzeuger (lacht). Das nehme ich gerne mit. Es hilft mir auch, wenn ich lange nicht mehr Vom-Blatt-lesen musste.

Man erwischt dich jetzt aber nicht klatschend und stampfend in Zugabteilen?

Kopf-nickend und Fuß-wippend (lacht). Aber nicht klatschen im besten Fall. Vor allem auch die anderen Mitreisenden nicht störend.

In einem Interview hast du mal erzählt, dass der Grund für diese vielen unterschiedlichen Projekte ist, dass du nicht diesen einen Stempel „Jazzbassistin“ / „Schlagerbassistin“ haben möchtest. Ist es dir immer noch wichtig, weiter aus diesem Schubladendenken auszubrechen?

Nein. Ich würde sagen, dass sich dies so eingespielt hat. Inzwischen bekomme ich Anfragen für die Projekte, die ich gerne machen. Das Schubladendenken war dabei weniger wichtig. Tatsächlich ist meine letzte Schlager-Tour auch schon zehn Jahre her. Aber auch da: Ich habe dort gemerkt, dass während meiner Studienzeit sofort den Stempel „Schlagerbassistin“ hatte. Obwohl ich Erfahrungen sammeln konnte, die ich bis dahin mit Jazz-Bands noch nicht sammeln konnte – mit In-Ear-Monitoring auf großen Bühnen, große Touren spielen.

Ich bin damals noch regelmäßig zwischen Bremen und Hamburg gependelt. In der einen Stadt war ich die Jazz-Kontrabassistin, die immer nur freie Musik spielt. Und in der anderen Stadt war ich die E-Bassistin, die Pop-Musik spielt. Für mich habe ich irgendwann festgestellt, dass ich einfach Musik – besonders ganz unterschiedliche Arten von Musik – mag. Daraus haben sich diese vielen unterschiedlichen Projekte entwickelt.

Wäre dies nicht aber typischerweise der entgegengesetzte Rat, den man jungen Musiker*innen heutzutage mitgibt? „Finde deine Nische“?

Ich glaube das kommt vor allem darauf an, was man für sich möchte: Möchte ich hauptsächlich Sidewoman/ Sideman sein, oder möchte ich gern als Leader arbeiten. Für die künstlerische Entwicklung würde ich schon sagen, dass man sich das aussuchen sollte, worin man am besten ist.

Wenn man sich eher als Begleitmusiker*in versteht, würde ich sagen, dass sich breit aufzustellen durchaus Sinn macht. Gerade mit E- und Kontrabass ist man mit ganz unterschiedlichen Besetzungen kompatibel.

Die Zeit mit Rolf Kühn

Die Liste an Musikerinnen und Musikern mit denen du bereits zusammengearbeitet hast ist sehr lang. Von Nils Landgren über Wolfgang Haffner, Al Jarreau und natürlich mit Rolf Kühn. Ergeben sich da manchmal Gelegenheit diese sehr erfahrenen Kollegen nach Tipps auch abseits der Bühne zu fragen?

Ja, auf jeden Fall. Gerade bei Rolf Kühn war die Zeit abseits der Bühne mindestens genauso wertvoll, wie die Zeit auf der Bühne. Er hatte die unfassbarsten Geschichten zu erzählen. Einfach, weil er während seiner Zeit in New York so nah an diesen großen Namen dran war: Taxifahrten mit Stan Getz, Rolf hatte neben Billy Holiday gewohnt. Natürlich habe ich da ganz viel nachgefragt. Allerdings waren das, gerade bei ihm, auch ganz andere Zeiten.

Auch was das Üben betrifft, ist Rolf eines meiner größten Vorbilder. Bis zu seinem Tod hat er täglich die Zeit mit seinem Instrument gelebt und genossen und auch immer wieder neue Stücke geschrieben. Das ist für mich wirklich nachhaltig inspirierend und ich bin dankbar, Teil seiner letzten Besetzung gewesen zu sein.

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Könnte man sagen, Rolf Kühn war eine Art Mentor für dich?

Am Instrument ist und bleibt es Detlef Beier. Aber natürlich war auch Rolf ein Mentor für mich. Genauso aber auch Nils Landgren, dessen Werdegang und Stilistik sich nochmal stark von Rolfs unterscheidet. Hier lerne ich immer noch so viel. Sowohl menschlich, als auch musikalisch.

Gibt es eine Learning, von diesen Personen, das dich wirklich nachhaltig geprägt hat?

Ja. Diese Begeisterung beim Üben. Dass man nicht denkt, dass man es nur macht, um fit auf dem Instrument zu bleiben. Natürlich gibt es auch mal solche Tage. Das war besonders bei Rolf Kühn sehr beeindruckend zu sehen.

Beim Üben befasst man sich durchgehend mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten. Das kann, hin und wieder, ja auch anstrengend werden. Ich sehe es inzwischen als großes Geschenk an, dass ich diesen Beruf machen kann. Diese Zeit mit mir und dem Instrument wird mir auch immer wertvoller.

„Natürlich war am Anfang der komplette Tagesablauf, von heute auf morgen, anders. Anderseits ist es auch spannend zu sehen, wie effektiv man dabei wird.“

(Lisa Wulff)

Schließen sich Musikerin und Mutter sein aus?

Aus der Vorbereitung weiß ich, dass du auch Mutter bist. Herzlichen Glückwunsch nochmal an dieser Stelle! Wie hat sich seitdem dein Üben bzw. dein Leben als Musikerin verändert?

Meine Tochter wird im November zwei Jahre alt. Das heißt, dass sich mein Üben inzwischen nochmals verändert hat.

Natürlich war am Anfang der komplette Tagesablauf, von heute auf morgen, anders. Anderseits ist es auch spannend zu sehen, wie effektiv man dabei wird. Das hätte ich mir selbst gar nicht zugetraut. Es gibt allerdings nicht diese glasklare Trennung zwischen: Jetzt bin ich Musikerin und jetzt bin ich Mutter. Aber wie schon anfangs gesagt verändert sich dies durchgehend.

„Für mich war dann auch eines der größten Komplimente, als eine weibliche Kollegin nach einem Konzert auf mich zukam und sagte: Ach, du hast ein Kind? Das habe ich gar nicht mitbekommen.“

(Lisa Wulff)

Ist dieses „effektiv sein“ dem Zeitdruck geschuldet, dass du weißt: Ok, ich habe nur diese 1-2 Stunden am Tag? Du hast eben ja bereits die Unzulänglichkeiten angesprochen, denen man sich beim Üben aussetzt. Da stelle ich mir durchaus auch einen gewissen Leistungsdruck vor, oder?

Ich habe gemerkt, dass ich viel strukturierter geworden bin. Inzwischen weiß ich, was ich machen muss, wenn ich eine Stunde Zeit habe. Gerade auch dann, wenn ich mal einen Tag nicht gespielt habe. Am Anfang empfand ich dies schon als stressig, aber inzwischen glaube ich, dass ich hier eine gute Routine entwickelt habe.

Jetzt weiß ich, dass ich in dieser Stunde sehr viel schaffen kann. Den Rest erledige ich dann leise, wenn sie schläft bzw. mental auf Bahnfahrten. Das ist das Schöne: Musik passt überall rein.

Das find ich sehr schön zu hören. Gerade weil man diese positiven Geschichten nicht allzu oft hört in der Öffentlichkeit.

Natürlich habe ich mir am Anfang vorgestellt, wie das alles wird. Und dann kam doch alles ganz anders. Man muss dann einige Sachen einfach ausprobieren und schauen, was funktioniert. Nach den sieben Wochen Pause nach der Geburt, rief mich ein befreundeter Musiker für eine Studioproduktion an. Ich habe dann viel früher wieder angefangen, als ich dies ursprünglich geplant hatte.

Für mich war dann auch eines der größten Komplimente, als eine weibliche Kollegin nach einem Konzert auf mich zukam und sagte: Ach, du hast ein Kind? Das habe ich gar nicht mitbekommen. (lacht). Da war meine Tochter schon älter als ein Jahr.

Gibt es inzwischen dann einen Bass-freien Tag in der Woche?

Ja, den gibt es. Früher dachte ich immer, dass dies nicht möglich ist. Allerdings spätestens nachdem man die Tage nach der Geburt nicht spielen konnte, wusste ich, dass es nicht so schlimm ist.

„Ich lerne geduldig zu sein. Vor allem mit mir selbst. Das lernt man mit einem Kind natürlich nochmal ganz anders.“

(Lisa Wulff)

Outro

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ?

Ich lerne geduldig zu sein. Vor allem mit mir selbst. Das lernt man mit einem Kind natürlich nochmal ganz anders.

Ich lerne aber auch vor allem die richtigen Sachen weiterzuverfolgen. Kürzlich habe ich wieder eine neue Platte aufgenommen (erscheint am 08.03.2024). In der Vorbereitung habe ich immer wieder gezweifelt, ob ich das Programm in der kurzen Zeit fertigstellen kann und selbst genügend Übe-Zeit zur Vorbereitung haben werde. Gerade heute aber habe ich wieder neue Mixe davon bekommen. Wenn ich sie anhöre, denke ich nicht wie großartig ich die ganze Zeit spiele, sondern wie toll die anderen Musiker*innen über meine Kompositionen spielen.

Das ist der Grund, weshalb ich beschlossen habe – obwohl es mir am Anfang gar nicht leicht fiel Bandleaderin zu sein– es durchzuziehen. Ich habe darauf vertraut, dass mir diese Aufgabe irgendwann leichter fällt. Vor allem aber, dass man in diese Roll hineinwächst. So wie man in viele Rollen hineinwachsen kann. Das Gefühl, dass sich das immer lohnt, habe ich nun fast täglich.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst?

Ich fühlte mich auf manche Dinge nicht so wirklich vorbereitet – abseits des Bass-Spielens.

Hast du ein Beispiel hierfür?

Von der ersten Rechnung, die ich noch im Studium geschrieben habe, über KSK, GEMA und GVL bis hin zur Bandorganisation. Alles, was nicht das reine Bass spielen ist. Dies vor allem auch als Arbeitszeit zu sehen. Manchmal dachte ich, ich kann meine Zeit nicht auf diese administrativen Aufgaben verwenden, weil ich doch üben muss. Am Ende ist allerdings beides wichtig und gehört zu unserem Job.

Der Beitrag Wie hat das Muttersein dein Üben verändert, Lisa Wulff? erschien zuerst auf what is practice.

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Wie geht Jazz-affines Unterrichten, Corinna Danzer? https://what-is-practice.de/wie-geht-jazz-affines-unterrichten-corinna-danzer/ https://what-is-practice.de/wie-geht-jazz-affines-unterrichten-corinna-danzer/#comments Wed, 30 Aug 2023 09:41:25 +0000 https://what-is-practice.de/?p=6019 Corinna Danzer hat 2023 den Hessischen Jazz Preis gewonnen. Im Podcast habe ich mit ihr über Jazz-affines Unterrichten, Music Learning Theory von Edwin Gordon und Motivation an schlechten Tagen gesprochen.

Der Beitrag Wie geht Jazz-affines Unterrichten, Corinna Danzer? erschien zuerst auf what is practice.

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Corinna Danzer ist Musikerin, Pädagogin und Musikvermittlerin, die gerade mit dem Hessischen Jazzpreis 2023 ausgezeichnet wurde. Nachdem sie erst mit 21 Jahren zur Musik kam ging sie – wie sie selbst sagt – die Jazz-Geschichte einmal rückwärts durch. Während des Studiums hat sie dann natürlich versucht ihre geringe Spiel- und Übe-Praxis möglichst schnell aufzuholen und entwickelte dabei ein paar interessante Strategien. 

Auch in ihrem Unterricht verfolgt sie eine sehr besondere Methode, angelehnt an die Music Learning Theory von Edwin Gordon. Dazu habe ich auf dem Blog bereits einen Artikel veröffentlicht. So lernen ihre Schülerinnen und Schüler ganz spielerisch Melodien nach Gehör und wagen bereits sehr früh erste Improvisationsversuche. Jazz-affines Unterrichten eben. Heute fällt ihr manchmal der Einstieg ins eigene Üben schwer – wer kennt es nicht. Aber auch hierfür hat sie ein paar gute Tipps parat, um sich selbst zu überlisten. Seid also gespannt.

Corinna Danzer mit Saxofon
Corinna Danzer (Foto: Katrin Schander)

Mehr Informationen zu Corinna Danzer

Webseite: www.corinnadanzer.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Corinna Danzer lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

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Das Interview mit Corinna Danzer

Inhalt

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Das ist ein sehr komplexes Thema -aber vielleicht in drei Stichwörtern: meine Ruhe haben; Zeit haben; nur das Instrument und ich.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Nein, aktuell nicht. Das war früher eher so. Allerdings gibt es ein paar Musiker, auf die ich immer wieder zurückkomme: Wayne Shorter, Miles Davis. Vor allem Shorter – besonders die Platten aus den 1960er Jahren, gemeinsam mit Herbie Hancock und Tony Williams.

Im Moment höre ich gerade für ein Swing-Projekt ein Stück von einer Frau heraus: Irene Higginbotham „The Bottle is empty“. Inzwischen versuche ich bei meinen Projekten vermehrt darauf zu achten, auch die weiblichen Anteile in der Jazz-Geschichte sichtbar zu machen.

Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges, und auch populäres, Thema. Ich nenne hier immer gerne Melba Liston als Beispiel, die unter anderem viel für Count Basie geschrieben hat. Du hattest eben bereits Wayne Shorter angesprochen – würdest du sagen, dass er zu den Künstlern gehört, die dich auf dein Spiel bezogen am meisten geprägt haben?

Ich wünschte man würde diesen Einfluss noch mehr hören (lacht).

Gibt es möglicherweise einen anderen Hero, den du früher häufig transkribiert hast?

Transkribieren und Licks üben ist tatsächlich ein wunder Punkt bei mir. Ich habe damals in den 1980er mit 21 Jahren, also sehr spät, mit dem Saxofon spielen angefangen. Damals war in der Göttinger Szene, wo ich herkomme, die Ansicht sehr verbreitet gewesen, dass man niemals andere Musiker kopieren sollte. Diese Haltung hat sich bei mir sehr stark eingeprägt. Im Nachhinein bereue ich dies allerdings, da ich diese Zeit natürlich nicht wieder aufholen kann und daher viel zu wenig transkribiert und Licks geübt habe.

Ich habe in einem Interview mit dir gehört, dass dein erster Berührungspunkt mit dem Jazz ein Free Jazz Konzert war. Ist diese Einstellung auch dadurch geprägt gewesen?

Nein, tatsächlich nicht. Ich bin letztlich die Jazz-Geschichte rückwärts gegangen.

Du sprichst gerade das „Gunter Hampel“-Meeting in Göttingen an. Das war wirklich ein krasser Zufall. Er lief mir in der Fußgängerzone entgegen und ich fand ihn einfach schön. Ein langer, schlaksiger Mann mit grauen Locken. Als ich dann ein paar Meter weitergelaufen bin, sah ich ein Plakat von ihm, dass er dort wohl gerade angebracht hatte. Ich bin anschließend in den nächsten Plattenladen und hörte mir eine seiner Alben („Birth records“) an. Ich fand es allerdings schrecklich. Trotzdem bin ich auf sein Konzert gegangen und war geflashed von ihm und seiner Band. Mir war dann relativ schnell bewusst, dass die Musiker dort das Konzert komplett frei improvisierten. Daraufhin bin ich auf jedes Jazz Konzert in der Region.

„Erst durchs Selbstspielen habe ich dann später begriffen, dass es im Jazz eine Liedform gibt, die sich wiederholt. Und, dass die Melodie mit der Harmonie zusammenhängt. Erst dann konnte ich das auch hören.“

Corinna Danzer

Nach drei Jahren wollte ich dann wissen, was in den Köpfen der Musiker vorgeht, während sie spielen. Das war der Grund, warum ich mit dem Saxofon spielen angefangen habe.

Erst durchs Selbstspielen habe ich dann später begriffen, dass es im Jazz eine Liedform gibt, die sich wiederholt. Und, dass die Melodie mit der Harmonie zusammenhängt. Erst dann konnte ich das auch hören.

Das möchte ich heute früher an meine Schülerinnen und Schüler vermitteln. Um ihnen diese Liedform (und das dazugehörige Akkordschema) verständlich zu machen, mache ich immer ein einfaches Experiment: Wir singen dazu „Alle meine Entchen“ und ich sage ihnen, dass sie automatisch Akkorde zur Melodie hören. Natürlich glauben sie mir das nicht. Wir singen daraufhin das Stück und ich begleite mit falschen Akkorden am Klavier die Melodie. Alle stellen natürlich sofort fest, dass das nicht passt. Wenn ich dann die „richtigen“ Akkorde spielen, merken sie, dass sie genau diese Harmonien im Ohr hatten.

Dein Übe-Alltag

Du bist Musikerin, Pädagogin, Musikvermittlerin – auf diesen Teil möchte ich gern später noch genauer eingehen. Kannst du uns zuerst mal mitnehmen in einen typischen Übe-Alltag von dir?

Ehrlich oder unehrlich? (lacht)

Gerne ehrlich.

Möglicherweise bin ich die Erste in deinem Podcast, die nicht mehr gut und strukturiert übt. Ein typischer Alltag ist, dass ich meist zu wenig übe und oft Schwierigkeiten habe, meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Allerdings gelingt es mir ihn zu besiegen, in dem ich mir selbst sage, dass ich nur mal eben spielen gehe. Meist lege ich mir dann ein Aebersold-Playalong auf und improvisiere dazu.

Nach ein paar Minuten merke ich dann, wo es klemmt und welche Dinge ich gern vertiefen möchte: z.B. Sound, Timing oder ein Pattern, dass ich mir gefallen hat und, das ich in andere Tonarten transponiere. Sehr schnell überlege ich dann, welche Gigs demnächst anstehen und ich versuche die Inhalte zu kombinieren. Dann bin ich im Üben angekommen. Also eine Mischung aus lustgeleitetem und planvollem Üben.

Früher hatte ich dagegen einen sehr strukturierten Übe-Plan.

„Nachdem ich ein paar Jahre wenig effizient geübt habe, habe ich eine Mindmap erstellt, auf der ich aufgeschrieben habe, was alles zum guten Saxofon spielen dazugehört. Dort habe ich alles notiert, was mir eingefallen ist.“

Corinna Danzer

Wie hat dieser Plan früher ausgesehen? Hast du zum Beispiel Übe-Tagebuch geschrieben?

Ja, ich habe Zettel geschrieben, sie dann allerdings meist wieder verworfen. Dennoch war es wichtig diese Zettel geschrieben zu haben.

Nachdem ich ein paar Jahre wenig effizient geübt habe, habe ich eine Mindmap erstellt, auf der ich aufgeschrieben habe, was alles zum guten Saxofon spielen dazugehört. Dort habe ich alles notiert, was mir eingefallen ist: Artikulation, Atmung, Zunge, Griffe, Stücke…

Mind Map zu gutem Instrumentalspiel
Auch ich habe mich mal an einer Mind Map versucht. Alle Punkte lassen sich natürlich noch beliebig ergänzen. Was fällt euch noch ein?

Ich habe diese Punkte in drei Felder gegliedert: eine mentale und eine motorische Seite.

Zur mentalen Seite gehören die Felder Gehörbildung, Harmonielehre, Rhythmik, etwas erfinden können.

Die motorische Seite bildet dann Geläufigkeit, Ideen umsetzen können, Atmung, Zunge etc.

Die dritte Säule war dann „the real stuff“ wie Repertoire, wie trete ich auf, wie baue ich ein Solo auf, wie baue ich ein Set auf.

Für alle diese Punkte habe ich mir anschließend überlegt, wo ich dort aktuell stehe und was ich machen muss. Daraus habe ich dann Übe-Pläne geschrieben, die natürlich viel zu lang waren. Dennoch war es extrem wichtig sie als Leitplanke im Kopf zu haben. Dadurch konnte ich effektiver üben.

Ich habe mir beim Üben ein zeitliches Limit vorgegeben, in denen ich bestimmte Dinge gemacht habe. Zum Beispiel 2 Minuten (ohne Ablenkung) Töne aushalten, oder 10 Minuten alle Major-Arpeggios. Anstatt zu sagen „ich übe jetzt mal Major-Akkorde“ hat mir diese Herangehensweise sehr geholfen.

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Jazz-affines Unterrichten

Das kommt dir sicher ja heute bei deinem eigenen Unterrichten sehr gute, weil du weißt, wie kleinteilig du mit Schüler*innen werden musst. Du hast in dem oben bereits angesprochenen Interview beim HR zum „Welt-Jazz-Tag“ deinen pädagogischen Stil als „jazzafines Unterrichten“ bezeichnet hast? Wie kann man sich das vorstellen?

Oftmals ist das Ziel von „klassischem“ Musikunterricht einen „reproduzierenden Musiker“ auszubilden. Das bedeutet, dass man gleichzeitig zum Instrument auch die Notation lernt. Natürlich ist das nur wenig Jazz förderlich.

Das führt uns zu Edwin Gordon und Music Learning Theory (MLT) und Audiation. Also die Leitplanke, dass Musiklernen wie das Lernen unserer Muttersprache erfolgen kann. Hier gibt es sehr viele Parallelen. Gerade für den Jazz ist es sehr viel naheliegender und förderlicher auf diese Art und Weise die Musik zu lernen: Hören, experimentieren und imitieren.

Was ebenfalls dazugehört ist, von Anfang an zu improvisieren (mithilfe von kleinen Pattern-Stücken) und Synkopen zu spielen. Im klassischen Unterricht werden besonders Synkopen erst spät eingeführt, da sie schwer zu lesen sind. Daraus folgt, dass man lange Zeit Melodie spielt, die wenig animierend für die Schüler*innen sind und auch weit weg von ihren Hörgewohnheiten. Alle Kinder hören Synkopen. Dadurch, dass ich ohne Noten am Anfang arbeite, kann ich gleich von Beginn an Synkopen in meinen Unterricht integrieren.

Also was macht Jazz förderlichen Unterricht aus? Keine Noten im ersten Jahr (natürlich gibt es auch Ausnahmen), swingig, Synkopen und improvisieren. Und ganz wichtig: singen first – und zwar alles. Auch Akkorde.

Jetzt sind wir ja mittendrin in der Music Learning Theory von Gordon. Das heißt du verfolgst dieses Konzept „sound before sign“ sehr stringent und gibst deinen Schüler*innen im gesamten ersten Jahr keine Noten?

Ähm, ja. (lacht)

Ich setze die Lehre nicht so streng um, wie sie damals von Gordon erdacht wurde. Bei mir läuft vieles parallel. Das bedeutet, dass die Kinder bereits Stücke lernen, die sie noch nicht audiieren können. Dennoch zieht sich der rote Faden von Gordon durch meinen gesamten Unterricht. Besonders durch die Pattern-Arbeit, sowohl tonal als auch rhythmisch.

Was die Arbeit mit Noten angeht, nutze ich oftmals Gedächtnisstützen und notiere meinen Schüler*innen die Tonnamen. Bei älteren Schüler*innen kann man alternativ auch sehr gut mit Playalongs arbeiten.

„Hören, experimentieren und imitieren.“

Corinna Danzer

Nutz du Audiation auch selbst für dein eigenes Üben? Du hast am Anfang ja erwähnt, dass dein Üben oft mit Improvisation beginnt und du dann Pattern, die dir gefallen in andere Tonarten überträgst. Audiierst du diese dann jeweils?

Vielleicht sollten wir zunächst mal klären, was audiieren genau meint. Audiieren ist ja mehr als nur Voraushören, sondern schließt gleichzeitig auch das Verstehen mit ein. Was die MLT damit meint, ist den Kontext der Musik zu begreifen.

Ein Beispiel: Du erkennst (hörend) und kannst benennen in welcher Tonalität wir uns befinden (Dur oder Moll oder phrygisch, lokrisch etc.) und du erkennst, auf welcher Stufe die Melodie anfängt, z.B. auf der 5. Stufe (so) der Tonleiter. Rhythmisches verstehen meint dann, dass man immer weiß, wo die 1 ist und in welcher Taktart wir uns befinden.

Ein guter Test hierzu ist, „Happy Birthday to you“ in Moll zu singen. Kann man das, ist das Musik-Verstehen nach Gordon.

„Also was macht Jazz förderlichen Unterricht aus? Keine Noten im ersten Jahr (natürlich gibt es auch Ausnahmen), swingig, Synkopen und improvisieren. Und ganz wichtig: singen first – und zwar alles. Auch Akkorde.“

Corinna Danzer

Nutzt du diese Techniken dann für dein eigenes Üben?

Ja, natürlich.

Du singst dir dann alles vor?

Das ist eine meiner liebsten Übungen. Und auch nicht nur Melodien, sondern auch Akkorde. Das ist auch etwas, das ich bereits vor meinem Studium verstanden habe.

Während meines Schulmusik-Studiums in Oldenburg hatte ich einen langen Weg zur Hochschule. In dieser halben Stude Fußweg habe ich geübt, Walking-Bass-mäßig, Stücke auswendig zu lernen durch singen. Wenn ich mir dann an einer Stelle unsicher war, habe ich mich an der Hochschule dann direkt ans Klavier gesetzt und diese Stelle geübt.

Ich kam hierauf, als ich feststellte, dass besonders die Rhythmusgruppen-Kollegen viel seltener aus der Form geflogen sind, als wir Bläser. Das ist natürlich logisch, wenn man sich überlegt, dass sie die Form nicht nur 2–3-mal spielen sondern 20-mal. Also wusste ich, dass ich auch 20-mal die Form durchgehen musste. Am Saxofon später dann auch.

In meinem Unterricht mache ich das meinen Schüler*innen bereits sehr früh klar.

Hessischer Jazz Preis & Musikvermittlung

Du hast im März diesen Jahres den Hessischen Jazz Preis erhalten – dazu nochmal ganz herzlichen Glückwunsch. Und du hast diesen Preis nicht nur als Instrumentalistin erhalten, sondern auch für deine Rolle als Musik- und natürlich besonders als Jazz-Musikvermittlerin – in dem du dich bereits seit mehr als 20 Jahren engagierst. Woher kommt die Leidenschaft dich gerade hier so einzubringen? Die Musikvermittlung – gerade im Jazz – ist noch ein sehr wenig bekanntes Feld und eher junges Feld oder?

Ich glaube, du täuschst dich. Es gibt schon seit einger Zeit, auch im Jazz, Musikvermittlungsprojekte. Allerdings nur sehr wenige. Ich war auf sehr vielen dieser Kinderkonzerte – und auch in der Klassik sind sie immer nach dem gleichen Muster aufgebaut. Damit war ich nie ganz zufrieden.

Oft funktionieren sie so, dass eine Geschichte erzählt wird, die als roter Faden durch das Konzert führt. Danach richten sich die ausgewählten Stücke. Im Wechsel hören die Kinder dann die Geschichte mit der Musik. Gerade bei den Kinder-Jazzkonzerten fand ich oft die Geschichte sehr ablenkend. Ich als Kind hätte viel lieber gewusst, wie die Geschichte nun weiter geht, als der Musik zu lauschen. Dazu kommt, dass die Musik die dort gespielt wurde, meist kein Jazz war (Sting, Stevie Wonder). Das hat mir nicht gereicht.

Daraufhin habe ich mit einer Freundin und Kollegin, Ulrike Schwarz, gemeinsam überlegt, was wir gern anders machen würden und folgende vier Punkte festgelegt: „echte“ Jazz-Stücke; keine ablenkende Kinder-Geschichte, sondern wenn eine Geschichte erzählt wird, dann sollte sie um die Musik sich drehen; Bildungsauftrag. Und der vierte Punkt war, dass die Kinder Teil des Konzerts sein sollten. Das war besonders Ulrike Schwarz wichtig. So kam es zu unserem Projekt „Jump into Jazz“.

Das zweite Vermittlungsprojekt heißt „Harlem am Main“. Dort geht es um die Swing Jugend in Frankfurt während der Nazi-Zeit.

Dazu gibt es auf deiner Homepage auch ein spannendes Video, in dem ein paar Ausschnitte daraus gezeigt werden. Lass uns zu den letzten beiden Fragen kommen: Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst?

Im Moment lerne ich gerade freies spielen. Meine neue Einspielübung ist „einfach reinblasen und schauen, was kommt“. Auch mit Klappengeräuschen etc. und damit versuchen einen Spannungsbogen von 2-3 Minuten zu erzeugen.

Das andere sind Odd-Meter und Polyrhythmen. Besonders 7er oder 11er Rhythmen mit ihren ungewöhnlichen Aufteilungen. Davor habe ich mich lange Zeit gedrückt.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Transkribieren und Licks üben. Keine Angst davor haben, dass wir alle gleich klingen. Darauf kam ich viel zu spät. Es ist völlig in Ordnung zu kopieren und zu imitieren.

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Wie übt eigentlich Mareike Wiening? https://what-is-practice.de/wie-ubt-eigentlich-mareike-wiening/ https://what-is-practice.de/wie-ubt-eigentlich-mareike-wiening/#respond Tue, 26 Apr 2022 17:34:06 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4534 Die Schlagzeugerin Mareike Wiening studierte in Mannheim und New York. Im Interview verrät sie wie sie übt und komponiert.

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Alle tun es, doch es scheint, als möchte niemand allzu gerne darüber sprechen. Üben. Musiker*innen verschiedenster Genres verbringen im Laufe ihrer Karriere Tausende von Stunden mit ihrem Instrument, ohne dabei wirklich regelmäßig den Austausch zu anderen zu suchen und zu erfragen, was er oder sie denn gerade so übe. Der Prozess musikalischer Weiterentwicklung versteckt sich hinter einer großen Portion Mystik, deren Schleier niemand recht lüften möchte. Sei es aus Scham, Konkurrenzdenken oder schlicht weil man nie so recht auf dieses Thema zu sprechen kommt.

Doch wäre es nicht gerade interessant zu wissen, was der Kommilitone, der Mitspieler*in oder Freund*in in Verein und Band gerade so an seinem Instrument erarbeitet? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man eventuell selbst gerade das Gleiche übt und gegenseitig von Tipps und Ratschlägen profitieren könnte? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein erfahrener Spieler einem selbst neue Inspiration und Impulse für die nächste Übesession geben kann, einem ein neues Stück zeigt oder man durch das Gespräch einen neuen Spieler kennenlernt?

All diese Fragen, die sonst viel zu selten gestellt werden möchte ich in Zukunft regelmäßig in der Reihe „Wie übt eigentlich…?“ versuchen zu beantworten. Denn von anderen lernen heißt auch immer über sich selbst etwas zu erfahren.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Mareike Wiening lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Diesen Monat: Mareike Wiening

Mareike Wiening gehört zu der Sorte Mensch, deren Glas immer eher halb voll als halb leer ist. Kein Wunder also, dass sie nach ihrem Studium hier in Deutschland den Schritt gewagt hat es auch in New York zu versuchen. Wir haben viel darüber gesprochen, wie es ist in der Stadt des Jazz zu studieren, Gigs zu spielen und als Musikerin zu arbeiten. Und, warum sie dann doch wieder nach Deutschland wollte.


Mareike gab Einblicke in ihre besondere Methode zu Komponieren. Eine Technik die sie während ihres Studiums an der New York University bei Stefon Harris gelernt hat. Ganz aktuell – quasi heute, wenn ihre die Folge direkt am Mittwoch hört – ist Mareike mit ihrer Band auch unter den Nomminierten für den Deutschen Jazzpreis. Wir drücken die Daumen von hier aus. 

Mareike Wiening
Mareike Wiening (Foto-Copyright: Lukas Diller)

Mehr Informationen zu Mareike Wiening findet ihr unter: https://mareikewiening.com

Das Interview

Übersicht

New York veränderte meine Kompositionen

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Training und Inspiration.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife?

Bei mir läuft eigentlich generell Brad Mehldau in Dauerschleife. Er hat ja auch erst kürzlich wieder ein paar neue, spannende Sache herausgebracht, die ich gerade am auschecken bin.

Ansonsten höre ich gerade viel das neue Album von Immanuel Wilkins.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt?

Ich glaube das war tatsächlich auch Brad Mehldau. Ich habe ihn zum ersten Mal in Burghausen gehört, als ich gerade mit dem Studium begonnen hatte. Das war so 2007/8.

Mehldau war auf Europa-Tour mit Jeff Ballard am Schlagzeug. Für mich war das wirklich ein total krasses Erlebnis, welches mir noch immer in Erinnerung ist. Danach habe ich fast für ein Jahr nur Brad Mehldau gehört und dadurch auch sehr viele Standards kennengelernt. Von dort an habe ich begonnen andere Piano-Trios auszuchecken, z.B. Bill Evans. 

Für mich war es vor allem spannend die Unterschiede zwischen Jeff Ballard und Jorge Rossy (der zuvor in Mehldaus Trio gespielt hat) herauszuhören.

Das ist mir auch in der Vorbereitung in deinen Stücken aufgefallen. Das Klavier spielt in deinen Kompositionen immer eine sehr wichtige Rolle. Würdest du auch sagen, dass dich Brad Mehldau auch auf deine Art & Weise zu komponieren sehr inspiriert hat?

Definitiv. Ich komme ursprünglich vom Klavier und komponiere auch alle Stücke dort. Deshalb ist das Klavier auch so präsent. Ich glaube, ich könnte auch keine Band ohne machen. 

„Gerade auch als Anfänger, wenn man beginnt zu improvisieren, ist diese Methode hervorragend. Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad des Stücks, kann man mithilfe dieser vier Töne erste Versuche wagen und es wird immer gut klingen.“

(Mareike Wiening)

Du bist mit deiner Band aktuell nominiert für den Deutschen Jazzpreis (Kategorie Band of the Year). Herzlichen Glückwunsch erstmal hierfür! In einem Interview hast du mal erzählt, dass du dir als Schlagzeugerin lange mit dem Komponieren schwergetan hast – bis du in New York bei Stefon Harris Unterricht genommen hast. Der verfolgt ein ganzheitliches Konzept beim Komponieren, was auch Gehörbildung einschließt. Kannst du das kurz beschreiben?

Kurz ist schwierig (lacht), weil es ein umfassendes Konzept ist, was ich mit ihm fast zwei Jahre erarbeitet habe.

Das Konzept nennt sich „Melodic Progression“ und inzwischen gibt es auch eine App („Harmony Cloud“) dazu, mit der man gut trainieren kann. 

Das Grundgerüst ist, dass man in der linken Hand am Klavier Grundton, Terz und Septime drückt. Damit definiert man, was für ein Akkord es ist. Die rechte Hand ergänzt hierzu immer einen Upper-Structure Dreiklang. Wie man diese aufbaut bzw. sie erhält, dazu gibt es nochmals gesonderte Regeln. 

Am Beispiel von C7 (linke Hand: C, E und Bb) hätte ich in der rechten Hand den Upper-Structure-Dreiklang von der zweiten Stufe, also: D, F# und A. Daraus ergibt sich dann: C7,9,13(#11). Anschließend entwickelt man im Kurs gemeinsam Gesten um alle Akkorde dieser Qualität (V13(#11)) darzustellen.

Melodic Progression nach Stefon Harris
Notenbeispiel für das Konzept „Melodie Progression“ von Stefon Harris

Das Spannende dabei ist, dass sowohl Musiker*innen als auch Nicht-Musiker*innen oftmals die gleichen Assoziationen und Bilder mit den Klängen verbinden. Man geht also weniger vom theoretischen Aspekt an die Bewertung heran, sondern eher vom Gefühl und Emotionen. 

Daher war es für mich auch gleich ein AHA-Moment, da ich mich als Schlagzeugerin nicht täglich der Theorie beschäftige. 

In der Gehörbildung ist es dann ganz witzig: Es wird vorne ein Akkord gespielt und alle machen sofort die entsprechende Geste. Stefon Harris spielt und improvisiert auch nach dieser Methode, die im Grunde alles vom Gehör ableitet.

Aber zurück zu unserem V13(#11)-Beispiel. Als nächstes entwickelt man hierzu auch eine passende Skala, die sogenannte conglomarte scale.  

Man schaut also, erneut ohne theoretischen Hintergrund, welche Töne zu diesem Akkord gut klingen und gibt diesen Schulnoten. Die Töne, die am besten klingen, sind auf jeden Fall diese Upper-Structure-Triad. Anschließend ergänzt man noch einen Ton, der ebenfalls gut klingt. Daraus ergibt sich ein Vierklang, den man Quadrat nennt.

In unserem Beispiel wäre es der D-Dur Dreiklang, also ein Dreiklang auf der 2. Stufe des Akkords. Der 4. Ton der dazu kommt ist das e und der dazugehörige Quadrat heißt Q2, weil eben der 2. Ton unseres D-Dur Dreiklangs dazukommt. 

Mit diesen vier Tönen beginnt man dann eine Melodie zu komponieren. Das Besondere bei dieser Methode ist, dass man in Grunde jeden Akkord verwenden kann, den man möchte. Es wird also keine Funktionsharmonik (II-V-Verbindungen etc.) benutzt, sondern die Musik, die entsteht ist immer atonal. Sie wird lediglich über diese vier Töne zusammengehalten. Das Stück wird immer dann gut klingen, wenn diese Upper-Structure sich möglichst wenig bewegt.

Fast alle meiner Stücke sind eigentlich nach diesem Muster entstanden und demensprechend atonal. Klar, lässt sich hin und wieder ein Tonzentrum herausfinden. Die Methodik dahinter waren jedoch immer die Quadrats.

Gerade auch als Anfänger, wenn man beginnt zu improvisieren, ist diese Methode hervorragend. Unabhängig vom Schwierigkeitsgrad des Stücks, kann man mithilfe dieser vier Töne erste Versuche wagen und es wird immer gut klingen.

Dein Übe-Alltag

Wie bringst du dieses Konzept dann ganz konkret in deinen Übealltag ein? Ich könnte mir gut vorstellen, dass man, ähnlich wie bei einem Instrument, hier auch im Training bleiben muss, wenn man regelmäßig komponiert.

Auf jeden Fall. Klar, hat man es irgendwann in den Fingern drin (daher komponiere ich auch nur am Klavier). Dennoch muss man ständig üben.

Bei mir ist es daher so, dass ich in der ersten Hälfte immer Schlagzeug übe und dann Komposition. Für mich ist Komponieren eigentlich wie das Üben am Instrument. Selbst wenn am Ende dann nur ein kurzer Vamp oder eine Idee dabei herauskommen.

Wie sieht bei dir dann ein typischer Arbeitsalltag aus?

Ich versuch morgens meistens direkt Schlagzeug zu üben, weil es für mich einfach die beste Uhrzeit ist. Wenn es dann die Zeit zulässt, versuche ich dann am Nachmittag zu komponieren. Natürlich gelingt es mir nicht immer beides zu schaffen.

Und du unterrichtest auch noch, habe ich gehört?

Genau, ich unterrichte noch an zwei Nachmittagen in der Woche. Und ich bin natürlich inzwischen wieder etwas mehr unterwegs. Also je nach Woche ist meine Überoutine etwas unterbrochen. Allerdings kennt das sicher jede Profi-Musiker*in.

„Für mich ist Komponieren eigentlich wie das Üben am Instrument.“

(Mareike Wiening)

Würdest du sagen, dass sich durch das Unterrichten dein Üben verändert hat? Oder warst du immer schon eine strukturierte Person?

Ich bin insgesamt eher eine strukturierte Person. Aber durch das Unterrichten hat sich mein Üben definitiv nochmal verändert. Ich musste feststellen, dass Dinge, die ich für selbstverständlich erachte, gar nicht so selbstverständlich sind.

Durch das Vermitteln an andere beginnt man darüber nachzudenken, warum man etwas so spielt. Nach dem Motto: Ich spiele das schon immer so, aber warum eigentlich? Ich könnte das ja auch anders machen.

Durch das Unterrichten reflektiert man nochmal selbst, wieso man etwas so spielt oder übt.

Du meintest gerade ja, dass du vom Typ her eher strukturiert bist. Wie schaffst du es bzw. wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren?

Einerseits gibt es die Situation, dass man etwas für ein Konzert, oder eine Aufnahme-Session vorbereiten muss. Das nimmt oft schon sehr viel Zeit in Anspruch. Gerade während Corona ist es bei mir so, dass ich viele Sub-Gigs spiele.

Dann gibt es natürlich die langfristigen Sachen, für die ich hauptsächlich an den Basics arbeite. Vor allem Sound, aber auch Dinge, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie, wenn man täglich spielt, ein bisschen vernachlässigt werden. Hauptsächlich Basics oder Koordinationsübungen, bei denen man versucht Bewegungen zu optimieren. Ähnlich wie beim Sport. Eigentlich so wie Frühjahrsputz (lacht).

Nur eben jeden Tag.

Genau (lacht). Das ist auch das interessante, darüber habe ich mich mit vielen Kolleg*innen, wie z.B. Gregory Hutchinson, unterhalten. Er macht es ähnlich: Wenn er nicht gerade Sachen vorbereiten muss, dann übt er Basics. Diese braucht man einfach immer.

Machst du, um am Schlagzeug fit zu bleiben, spezielle sportliche Übungen?

Ich mache insgesamt schon sehr viel Sport. Einfach um auch die Ausdauer zu haben. 

Für den Rücken mache ich Yoga und Pilates. Auch ein wenig Bauchmuskeltraining, damit man im Oberkörper stabil ist.

„Durch das Unterrichten reflektiert man nochmal selbst, wieso man etwas so spielt oder übt.“

(Mareike Wiening)

Die Komfortzone

In der Vorbereitung ein Interview gefunden, in dem du erzählt hast, dass du in New York dich musikalisch immer aus deiner Komfortzone herausbewegen musstest. Das ist natürlich ein Satz, der gerne etwas floskelhaft genutzt wird, aber bei dem ich finde, dass er in der konkreten Situation sehr viel Mut erfordert. Woher hast du diesen genommen?

In dem ich vor allem sehr viel mit Kolleg*innen gesprochen habe, die im gleichen Boot waren. Das Studium war dabei die eine Sache. Man war schließlich immer noch im „gewohnten“ Haus. Hier war es noch sehr angenehm.

Die Komfortzone verlassen habe ich erst so richtig nach dem Studium, als ich freiberuflich in New York geblieben bin. Es hat sich schnell dann gezeigt: Wenn man selbst nicht dahinter ist, passiert auch nichts. In den Gesprächen mit Kolleg*innen kam dann immer wieder der Satz: Wenn man zu Hause bleiben möchte, dann kann man das machen. Dafür muss man aber nicht in New York sein. 

Für mich hat es sich wie ein Privileg angefühlt in New York zu sein und diese Stadt zu erleben. Daher war es auch mein eigener Anspruch, dass ich hieraus das Beste machen wollte. Dies ging jedoch nur, indem man raus gegangen ist und sich seinen Ängsten gestellt hat. Natürlich war das auch oft ein Kampf. Aber das Schöne an New York ist, dass man mit vielen Kolleg*innen im gleichen Boot ist. 

Wenn man es dann geschafft hat rauszugehen oder bei einer Jam-Session einzusteigen, hat man oft anschließend ein positives Erlebnis gehabt. Man hat gemerkt, dass es so schlimm gar nicht war, oder man hat neue Leute kennengelernt, sich für eine Session verabredet oder einen Gig bekommen.

Schön, wenn es dir ja scheinbar so leicht gefallen ist. Ich stelle es mir immer noch schwer vor.

Natürlich. In der Theorie ist es immer leichter.

Allerdings durfte ich es ja auch einige Jahre lang üben und dann wurde es von Mal zu Mal leichter. Am Anfang war es jedoch schon ein harter Kampf und ich hätte auch fast aufgegeben. Nach dem Studium wäre ich fast zurück nach Deutschland gegangen Allerdings war es mein eigener Anspruch es wenigstens zu probieren. 

„Wenn man selbst nicht dahinter ist, passiert auch nichts.“

(Mareike Wiening)

Was war letztlich der ausschlaggebende Punkt, dass du nach Deutschland zurück gegangen bist?

Ich hatte tatsächlich nie geplant so lange zu bleiben. Ursprünglich war mein Ziel nach dem Studium noch 1-2 Jahre dort zu leben und es, für mich persönlich, dort zu schaffen. Allerdings vergehen in New York die Jahre doch deutlich schneller, als anderswo (lacht). 

Da ich, wie gesagt, nie vorhatte so lange dort zu bleiben, habe ich die Kontakte nach Deutschland immer versucht zu halten. Nach ungefähr sechs Jahren begannen mich viele Kleinigkeiten sehr zu nerven: Die Lebensumstände, die Kosten, der Dreck, die nicht vorhandene Qualität der Häuser, Straßen und der Subway.

Man hat sich immer ein bisschen aufgeopfert gefühlt. Irgendwann habe ich dann für mich gemerkt, dass wenn ich jetzt den „Absprung“ nicht schaffe, dass es dann immer schwieriger werden würde.

Zufällig hatte sich gleichzeitig ein Unterrichtsangebot in Deutschland ergeben. Diese Chance habe ich gleich ergriffen. Letztlich war dies auch das perfekte Timing. Ich hatte dann noch ein Jahr bevor Corona kam.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast?

Ich beschäftige mich tatsächlich wieder mehr mit Transkriptionen. Das ist etwas, was ich zu Studienzeiten sehr viel gemacht habe – allerdings dann lange nicht mehr.

„Für mich hat es sich wie ein Privileg angefühlt in New York zu sein und diese Stadt zu erleben. Daher war es auch mein eigener Anspruch, dass ich hieraus das Beste machen wollte.“

(Mareike Wiening)

Jetzt habe ich wieder gemerkt, dass es noch viele Sachen, vor allem im traditionellen Bereich (Tony Williams, Elvin Jones) gibt, die ich noch nicht kannte. 

Das macht mir gerade große Freude, da ich immer schon ein großer Transkriptionsfan war und, ich das die letzten Jahre etwas vermisst habe.

Das finde ich auch. Und am Ende ist es eine sehr musikalische Art und Weise zu üben.

Genau. Und weil es immer noch am besten hängen bleibt, weil man sich so intensiv damit beschäftig. Ich finde es wirklich sehr inspirierend. 

Gerade, wenn man anfängt aus den Transkriptionen seine eigenen Übungen zu entwickeln.

Wie gehst du beim Transkribieren konkret vor?

Ich spiele sie zunächst komplett nach, so wie sie ist und schreibe sie anschließend auch auf. 

Danach gehe ich phrasenweise vor und versuche einzelne Passagen mit meinen eigenen Ideen weiterzuentwickeln. Das heißt dann auch, dass ich mich gut und gerne ein halbes Jahr mit einer Transkription beschäftigen kann.

Was liegt gerade bei dir auf dem Pult?

Philly Joe Jones – Billy Boy/Miles Davis

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Wie übt eigentlich Christian Pabst? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-christian-pabst/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-christian-pabst/#respond Tue, 22 Mar 2022 20:51:13 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4434 Wie wird man musikalisch selbstbewusst, Christian Pabst? Darüber haben wir in der neuesten Folge gesprochen.

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Alle tun es, doch es scheint, als möchte niemand allzu gerne darüber sprechen. Üben. Musiker*innen verschiedenster Genres verbringen im Laufe ihrer Karriere Tausende von Stunden mit ihrem Instrument, ohne dabei wirklich regelmäßig den Austausch zu anderen zu suchen und zu erfragen, was er oder sie denn gerade so übe. Der Prozess musikalischer Weiterentwicklung versteckt sich hinter einer großen Portion Mystik, deren Schleier niemand recht lüften möchte. Sei es aus Scham, Konkurrenzdenken oder schlicht weil man nie so recht auf dieses Thema zu sprechen kommt.

Doch wäre es nicht gerade interessant zu wissen, was der Kommilitone, der Mitspieler*in oder Freund*in in Verein und Band gerade so an seinem Instrument erarbeitet? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man eventuell selbst gerade das Gleiche übt und gegenseitig von Tipps und Ratschlägen profitieren könnte? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein erfahrener Spieler einem selbst neue Inspiration und Impulse für die nächste Übesession geben kann, einem ein neues Stück zeigt oder man durch das Gespräch einen neuen Spieler kennenlernt?

All diese Fragen, die sonst viel zu selten gestellt werden möchte ich in Zukunft regelmäßig in der Reihe „Wie übt eigentlich…?“ versuchen zu beantworten. Denn von anderen lernen heißt auch immer über sich selbst etwas zu erfahren.

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Christian Pabst lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

Diesen Monat: Christian Pabst

This beauty comes from within, from the depth of the music, and leaves space for always new associations“ schrieb das Jazzpodium mal über die Musik von Christian Pabst. Und nach dem Gespräch mit kann ich dem nur zu 100% zustimmen.

Zweifellos gehört Christian Pabst zu einem der gefragtesten Jazzpianisten in Europa. Aber nicht nur als Instrumentalist hat er sich inzwischen einen Namen erworben. Als Dozent unterrichtet er mittlerweile an der Hochschule für Musik Saar und als Gastdozent am Conservatorium in Amsterdam.

Wenn man Christian Pabst im Gespräch zuhört, kann man schon mal den Eindruck gewinnen, dass sein Tag mehr als 24 Stunden hat. Leben in Italien, unterrichten in Deutschland und den Niederlanden – dazu internationale Reisen für Konzerte. Dazwischen Zeit für die Familie, Üben und während der Pandemie blieb sogar noch etwas Muße zum Lesen übrig.
Wie er es schafft, das alles unter einen Hut zu bekommen und wie er es vor allen Dingen geschafft hat musikalisches Selbstbewusstsein zu entwickeln und seine eigene Sprache zu finden, darüber haben wir im Podcast gesprochen.

Mehr Infos zu Christian Pabst: www.christianpabst.com

Das Interview: Wie übt eigentlich Christian Pabst?

Übersicht

Wie hast du deine eigene Stimme gefunden?

Vervollständige folgenden Satz: Übten heißt für dich…

Spaß und Freiheit.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Bei mir läuft gerade Gonzalo Rubalcaba in Dauerschleife. Ein kubanischer Pianist, der mich gerade sehr inspiriert.

Er hat ein tolles Duo-Album („Tokyo Adagio“) mit Charlie Haden aufgenommen. Ich konnte ihn letztes Jahr auch live sehen.

Bei mir ist es so, dass ich immer einen bestimmten Künstler für einen Monat im Fokus habe und ihn besonders viel höre. Also aktuell bin ich in meiner Gonzalo Rubalcaba-Phase.

Welcher Künstler war in deiner Phase davor?

Gustav Mahler (lacht). Vor allem die zweite und dritte Symphonie.

Das heißt, dass diese „Phasen“ gar nicht nur Jazz-spezifisch sind, sondern ganz breit gestreut?

Ja, auf jeden Fall. Ich versuche eigentlich Musik so universell wie möglich aufzufassen. Ich komme natürlich aus dem Jazz, und habe hier viele Projekte, allerdings versuche ich diese Genre-Zuschreibungen zu vermeiden und es einfach als Musik zu bezeichnen. Dadurch hält man sich viel mehr Türen offen für Neues. Und meistens inspiriert mich auch einfach alles. 

Wenn du sagst, dass du phasenweise verschiedene Künstler sehr fokussiert hörst, verbindest du das dann auch mit dem Erstellen von Transkriptionen oder ist es eher ein Hören, um Inspirationen zu sammeln?

Es gibt zwei verschiedene Arten von Hören bei mir: Das eine ist nur zur Inspiration, zum Spaß und natürlich zum Genießen. Das andere Hören ist ganz klar für meine Arbeit. 

Wenn ich beispielsweise eine CD-Aufnahme vorbereite, und die Musik ist in einem bestimmten Stil, dann versuche ich mir zu Hause eine musikalische Umgebung zu schaffen, die diesen Stil mit Ideen nährt. 

Mit den Transkriptionen ist es bei mir so eine Sache. Ich habe früher sehr viel transkribiert. Inzwischen ist es aber so, dass wenn ich etwas höre, das mir sehr gut gefällt, ich es zwar aufschreibe– allerdings sind das meistens nur kleine Phrasen. Also ein bis zwei Takte, oder mal ein Akkord.

„Ich finde, wenn man – wie in meinem Fall ein Jazz-Pianist sein möchte, dann sollte man auch verstehen, was die Leute vor einem gemacht haben. Denn, die Künstler*innen, die ihre eigene Stimme gefunden haben, haben sie dadurch gefunden, dass sie sich wirklich intensiv mit der Musik auseinandergesetzt haben.“

(Christian Pabst)

Könntest du einen der Künstler, die du mal phasenweise sehr stark gehört hast, herausgreifen und sagen, dass der dich (auf dein Spiel bezogen) am meisten geprägt hat?

Mittlerweile nicht mehr. Hoffe ich (lacht).

Früher waren diese Phasen, in denen ich von einer Person inspiriert war, viel länger. Ich hatte mal eine ganz lange Herbie Hancock-Phase oder eine lange Oscar Peterson Phase, die man anschließend auch immer in meinem Spiel gehört hat. Soweit, dass es anderen Leute sogar aufgefallen ist und mich es selbst gestört hat.

Gerade in der Jazz-Erziehung gibt es ja diese Polemik, ob man versuchen sollte andere Künstler*innen zu kopieren oder, ob man das gar nicht versuchen sollte – um seine eigene Stimme zu finden. Ich positioniere mich hier ziemlich in der Mitte.

Ich finde, wenn man – wie in meinem Fall ein Jazz-Pianist sein möchte – dann sollte man auch verstehen, was die Leute vor einem gemacht haben. Denn, die Künstler*innen, die ihre eigene Stimme gefunden haben, haben sie dadurch gefunden, dass sie sich wirklich intensiv mit der Musik auseinandergesetzt haben.
Von daher war das bei mir, während des Studiums, eine natürliche Entwicklung. Ich wollte verstehen, wie das alles funktioniert. Und jetzt glaube ich, dass ich mich davon immer mehr emanzipiert habe und immer mehr verstanden habe, wie ich kreativer und mit mehr Freiheit mit dem Material umgehen kann.

Ich denke, es ist ein wichtiger Prozess, wenn man Improvisation lernen möchte, dass es nicht darum geht, das was man gehört hat genau zu kopieren. Sondern das sollte immer nur eine Startrampe zur eigenen Kreativität sein. Das jedoch für einen selbst wirklich zu verinnerlichen, benötigt Zeit. 

Kannst du beschreiben, wie du das geschafft hast? 

Gute Frage. Ich glaube, es hat viel mit musikalischer Reife und Erfahrung zu tun. 

Wenn man über die Jahre mit vielen verschiedenen Musiker*innen aus unterschiedlichen Stilrichtungen zusammenspielt, oder auch selbst komponiert, hat es sich für mich so angefühlt, als ob dies immer zwingender beginnt mein eigener Stil zu werden. 

Eigentlich ist es aber eine Kombination aus musikalischer Erfahrung sammeln sowie mentaler und künstlerischer Reife, die mir das Selbstbewusstsein vermittelt hat, Sachen nicht zu machen, um mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ich würde es daher ein künstlerisches Selbstbewusstsein nennen, welches aus der konstanten Arbeit mit Musik wächst. 

Wenn ich es jetzt aber auf eine konkrete Übung in meinem Alltag übertragen müsste, dann wäre dies jede musikalische Idee auf ihren kleinsten gemeinsamen Nenner herunterzubrechen. Um davon ausgehend so viele Varianten wie möglich heraus zu filtern. 

Das heißt, wenn ich eine Phrase von einem anderen Musiker höre und möchte verstehen, was er dort macht, dann würde ich diese nie 1:1 so spielen. Klar, am Anfang möchte ich begreifen, was er dort gemacht hat. Aber dann würde ich schauen, was die melodische, die rhythmische oder die harmonische Struktur ist. Ich würde die Phrase rückwärts spielen, sie in einer anderen Taktart spielen, in eine andere Tonart transponieren oder sie über einen anderen Akkord spielen.

Auf diese Weise findet man stetig neue Ideen, die einem gefallen, da einem bereits das Ausgangsmaterial gut gefallen hat. Die aber trotz allem immer eigen klingen werden, weil es nicht die exakte Kopie des Originals ist – also nicht dieses typische Spielen von Licks & Pattern. 

„Eigentlich ist es aber eine Kombination aus musikalischer Erfahrung sammeln sowie mentaler und künstlerischer Reife, die mir das Selbstbewusstsein vermittelt hat, Sachen nicht zu machen, um mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ich würde es daher ein künstlerisches Selbstbewusstsein nennen, welches aus der konstanten Arbeit mit Musik wächst.“

(Christian Pabst)

Das heißt, dass du beim Üben auch immer sehr analytisch vorgehst? Dass du dir sehr genau überlegst, welche Möglichkeiten diese Phrase hat und dir daraus einen Übeplan für die nächste Stunde bzw. die nächsten Wochen machst?

Genau, ich versuche mir dann daraus einen eigenen Übeplan zu erstellen. Aber was du gerade ansprichst ist sehr wichtig beim Üben: Auf der einen Seite versuche ich so detailversessen, konkret und diszipliniert wie möglich zu arbeiten. Gleichzeitig versuche ich aber auch immer genügend Platz zum Spielen zu lassen.

Ich hatte mal eine Phase, in der ich meine Technik verbessern wollte. Damals habe ich den ganzen Tag lang Klassik und alle möglichen Skalen geübt. Das hat sich natürlich anschließend auch auf mein Spiel ausgewirkt. Bei den Soli hatte ich immer das Gefühl, dass ich aus diesen Skalen nicht mehr herauskomme. Deshalb finde ich es so wichtig in improvisierter Musik, dass man immer Platz für Phasen lässt, in denen man einfach nur spielt. 

Damit ich ein besseres Monitoring hierüber habe, führe ich ein Übetagebuch. Wenn ich dann sehe, ich habe gleich eine Übesession über ein paar Stunden zu Verfügung und habe am Vortag viele Sachen geübt, die eher auf Handwerk aus sind, dann würde ich in der anstehenden Session eher ein paar Standards spielen oder über ein Stück solieren, welches ich demnächst aufnehme. Auf jeden Fall sehr frei und ohne viel Nachdenken. Einfach um diesen Flow zu üben, den man bei Konzerten haben muss. Ich finde es wichtig, dass man Musik machen auch zu Hause übt. 

Ich sehe bei ein paar Studierenden, dass es eine Art Trennwand gibt, zwischen Übezimmer und der Hochschule, wo man alles sehr genau übt und dem Loslassen, wenn dann ein Konzert ansteht. Diese Brücke sollte man versuchen immer zu bauen. Daher habe ich eingangs auch gesagt „Üben ist Spaß und Freiheit“, weil es am Ende immer eine Suche nach musikalischer Schönheit und Dinge, die einen berühren ist. 

Das kenne ich ebenfalls noch aus meiner eigenen Zeit im Studium. Man sieht sich anfangs mit einem Berg von Input konfrontiert und vergisst oftmals – so ging es mir zumindest- dabei das eigentliche Musik machen etwas. Sobald man dann aber wieder anfängt den eigenen Ideen beim Üben mehr Raum zu geben, und quasi seinem inneren Ohr folgt, werden auch Soli wieder spannender.

Ja, total. Ich glaube in der Sache sind zwei Dinge wichtig: Zum einen glaube ich ist es, während eines Musik-Studiums, ein ganz natürlicher Prozess, dass man sich die Frage stellt, wie man diese ganzen Informationen verarbeiten soll. In dieser Phase bleiben viele Studierende stecken. Hier geht dann oftmals auch ein wenig der Spaß an der Musik verloren. Andererseits muss man als professioneller Musiker auch einfach abliefern können. Man sollte versuchen zu akzeptieren, dass dies Hand in Hand geht. 

Bei mir ist es beispielsweise so, wenn ich auf die Bühne gehe und merke es fließt, weil ich genug Zeit ins Üben investiert habe, habe ich auch viel mehr Spaß. 

Ab und zu muss man dann vielleicht durch solche Phasen durch, in denen es hart ist und man diesen Spaß gerade nicht sieht. Dann sollte man sich aber ins Gedächtnis rufen, dass wenn man auf der Bühne steht, und man loslassen kann, dieser Spaß wieder da ist. 

Die zweite Sache habe ich leider vergessen.

Musikalisches Selbstbewusstsein

Kommt sicher noch… Um vielleicht gerade den Bogen zu spannen, bevor ich hierauf konkret eingehen möchte. Wenn man dein Tourplan online verfolgt, sieht man, dass du wieder etwas mehr unterwegs warst seit Anfang des Jahres. Zusätzlich unterrichtest du ja noch als Gastdozent am Conservatorium in Amsterdam und als Dozent an der Hochschule in Saarbrücken. Lebst allerdings gerade in Italien. Das bedeutet natürlich auch viel Reisen. Kannst du schildern, wie du dein Üben aktuell planst und über den Tag einteilst?

Ich muss gestehen, dass ich aktuell sehr wenig Zeit zum Üben habe, auch weil ich gerade Vater von Zwillingen geworden bin. Mein Schlafpensum ist entsprechend sehr gering und mein Übepensum ebenso. Das ist für mich als Musiker natürlich eine schwierige Situation: Weil, wenn ich nicht üben kann, bin ich schlechter gelaunt. Ich brauche diese Beschäftigung mit Musik auf der einen Seite, um das Gefühl zu haben, dass ich mein Handwerk unter Kontrolle habe. Und auf der anderen Seite, um das Gefühl zu haben, dass es weiter geht. 

Wenn dazu noch internationale Reise kommen, versuche ich so zielsicher wie ich kann zu üben. Wenn ich weiß, ich habe heute nur eine oder zwei Stunden Zeit, dann habe ich nicht diesen Luxus einfach drauf los zu spielen. Das ist einerseits schade, aber auch gut, weil es mich dazu zwingt sehr effektiv zu sein.

Hierzu habe ich dann auch mein „gefürchtetes“ Übetagebuch. Meistens ist so, dass ich dieses in verschiedene Felder versuche zu strukturieren: Technik, Harmonie, Komposition, Repertoire, Rhythmus. Diese groben Felder versuche ich dann mit konkreten Übungen zu füllen. 

Dadurch, dass ich gerade weniger Zeit zum Üben habe, versuche ich all diese Felder immer auch an Stücken zu üben, die ich demnächst live spielen werde. Klar, bei Technik ist es noch so, dass ich trotzdem auch klassische Etuden übe, die ich nicht live spiele. Das ist aber dann meistens eher zum Aufwärmen.

Das, was man auch live spielt, sollte beim Üben immer an erster Stelle stehen.

Würdest du sagen, dass diese Effizienz nur dem „Zeitmangel“ geschuldet ist. Oder ist das etwas, dass sich über die letzten Jahre, beispielsweise auch durch das Unterrichten, entwickelt hat?

Auf jeden Fall kommt das auch daher. Ich unterrichte sehr genau, auch weil ich dadurch das Gefühl habe, dass ich selbst noch als Musiker wachse. Wenn ich Studierenden Dinge erkläre, erkläre ich sie mir gleichzeitig auch selbst. 

Ich muss aber ehrlich sagen, wenn ich die Zeit hätte, würde ich immer noch alles anhand aller Standards üben. Oder weitere Themenfelder für mich entdecken. Aber der Tag hat halt leider nur 24 Stunden. 

Aber das ist ja das Schöne an der Musik, die wir machen (zumindest fühle ich das so): Das Material und die Inspiration wird uns nie ausgehen.

„Vor allem diese mentale Seite am Musik machen wird zu sehr unterschätzt. Ich glaube, dass man eigentlich viel mehr kann, als man sich selbst zugesteht, weil man sich konstant blockiert. Und weil wir in einer Welt leben, die es einem nicht leichter macht, sich als Mensch zu öffnen.“

(Christian Pabst)

Du erwähnst es gerade bereits: Der Tag hat nur 24 Stunden. Das heißt, wenn dann mal zwei Stunden Übezeit abfallen, sollte man im besten Fall auch gleich bereit sein durchzustarten. Wie kommst du dabei in den Fokus? Einfach direkt starten oder hast du eine Art Ritual, um in eine Art „Flow“ zu kommen?

Das ist auf jeden Fall ein Aspekt, mit dem ich früher viel zu tun hatte. Aber inzwischen hilft mir hier vor allem meine Konzerterfahrung. 

Vor allem vor Corona habe ich extrem viel gespielt. Da gab es manchmal Projekte, mit denen wir 40 Konzerte innerhalb weniger Wochen gespielt haben. Anfangs ist man bei den ersten Konzerten vielleicht noch etwas nervös. Irgendwann kommt man jedoch in einen Flow hinein, bei dem Musik machen nichts anderes mehr ist als Zähne putzen. Die mentale Trennwand, dass man denkt, man müsse nun performen und den Leuten etwas präsentieren, die gibt es dann nicht mehr. 

Ich habe mal eine tolle Rede von Keith Jarrett gelesen, der für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Normalerweise geht er auf solche Events nicht hin, aber scheinbar hat er bei diesem Mal eine Ausnahme gemacht. Seine Rede ist mir sehr im Kopf hängen geblieben. Er meinte: Vielen Dank für den Preis, aber eigentlich interessieren mich Preise nicht. Was mich interessiert ist Musik. Preise inspirieren mich nicht, Musik inspiriert mich.

Er hat dann über Musik geredet und meinte, Musik sei immer da. Musik ist wie ein Fluss, der immer fließt und in den man nur hineinspringen und sich treiben lassen muss. Das hört man natürlich in seinem Spiel. 

Dass man sich der Idee öffnet, dass Musik etwas Allgegenwärtiges ist. Eine Welt, die man einfach nur betreten muss. Aber, dass man diesen Schritt eben ganz bewusst machen muss. 

Rede Keith Jarrett „Music is in the air and you find it, or it’s in the air and you don’t find it.“

Ich finde was, hier auffällt, auch in der Art und Weise wie du über Musik sprichst, dass das viel mit Selbstreflexion zu tun hat. Dass man immer als Musik*in, und vielleicht als improvisierender mehr als klassische Musiker*innen, in sich hinein horchen muss und sollte, um zu wissen wo man steht, welche Künstlerpersönlichkeit bin und wo ist die Musik, zu der ich mich hingezogen fühle.

Total. Vor allem diese mentale Seite am Musik machen wird zu sehr unterschätzt. Ich glaube, dass man eigentlich viel mehr kann, als man sich selbst zugesteht, weil man sich konstant blockiert. Und weil wir in einer Welt leben, die es einem nicht leichter macht, sich als Mensch zu öffnen.

Ich versuche mal ein Beispiel zu machen: Mir macht es großen Spaß mit Musiker*innen zu spielen, die sich überhaupt nicht für Fehler interessieren. Denn das gibt einer Band viel mehr Power einfach drauf loszuspielen. Das finden wir alle am besten und, wenn wir auf der Bühne Spaß haben, überträgt sich das am Ende auch auf das Publikum. 

Das fällt umso schwerer, wenn alles genau festgelegt ist oder, wenn jemand etwas zu schnell spielt und es anschließend heißt „du solltest mal wieder mit Metronom üben“. Dadurch geht die ganze Seele der Musik verloren. Natürlich mit dem Disclaimer, dass wir alle üben. Bei guten Musiker*innen setzt man dies aber eigentlich voraus. 

Bei Aufnahmen ist es das Gleiche. Das, was man gerade spielt, ist eben das, was man gerade aufnimmt. Und, dass man dies nicht mehr ändern kann. Genauso wie man nicht mehr ändern kann, wie viele Jahre man bereits geübt hat. Sondern, dass man sich in dem Moment einfach selbst akzeptiert – vor allem auch das Level, das man aktuell hat, akzeptiert. Egal, ob das Amateur, Hobby-Musiker oder jemand, der in der Carnegie Hall spielt, ist. Ich glaube, dass geht alles auf einen bestimmten mentalen Prozess zurück, in dem man sich einfach akzeptiert. Wenn man sich dessen bewusst ist, und beginnt daran zu arbeiten, dann fällt einem Musik machen einfacher und man spielt besser.

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Könntest du bei dir beschreiben, wie du dieses Selbstbewusstsein gefunden hast?

Ich bin eigentlich extrem kritisch mit mir selbst und hatte lange Zeit Probleme mich in der Musik einfach fallen zu lassen. Gerade um auch auf das Studium zurückzukommen, weil dort eben alles bewertet wird. Oder die klassische Situation bei einem Gig, dass man im Publikum eine Person entdeckt, auf dessen Meinung man viel Wert legt und man das Gefühl hat, es dieser Person nun zeigen zu müssen.

Ich glaube, was mir vor allem viel geholfen hat war, dass ich zu allem immer ja gesagt habe, obwohl ich für manches noch nicht bereit gewesen bin. Dass heißt, wenn ich für Gigs mit schwierigem Material gefragt wurde, habe ich diese meistens alle angenommen. 

Das hat mir auf jeden Fall geholfen in den verrücktesten Situationen Musik zu machen und diese Momente zu akzeptieren.

Also im Grunde sich selbst immer ins kalte Wasser zu werfen?

Genau. Vor allem auch dann Prüfungen (in der Hochschule) nicht als Prüfung wahrzunehmen, sondern als Konzert. Das ist auch genau das, was Keith Jarrett meinte. Das Publikum ist nicht da, du bist nicht da – das Einzige was da ist, ist die Musik. Das ist natürlich leicht gesagt jetzt.

Ich möchte jetzt keinen historischen Monolog präsentieren (lacht).

„Ich brauche diese Beschäftigung mit Musik auf der einen Seite, um das Gefühl zu haben, dass ich mein Handwerk unter Kontrolle habe. Und auf der anderen Seite, um das Gefühl zu haben, dass es weiter geht.“

(Christian Pabst)

Doch, gerne. Das hier wäre genau der richtige Zeitpunkt dafür.

Ich glaube da müsste man eher mal ein Sequel machen. Aber im Ernst. Mir macht es auch Spaß viel Über Jazz und Jazz-Geschichte zu lesen. Ich glaube, Jazz ist eine der Musikrichtungen, die am meisten missverstanden werden – sogar von vielen Musiker*innen.

Ich bin immer erschrocken, wie wenig Leute wissen, wo diese Musik genau herkommt und wie sie gewachsen ist. Eine Sache, die mir dabei die Augen geöffnet hat, habe ich in einem Buch über die afrikanischen Ursprünge des Jazz gelesen. Darin hieß es, Musik sei nicht da, um ein Konzert zu spielen, sondern um die Gemeinschaft zu stärken. 

Das heißt, wenn die Leute anfangen zu singen, ist dies nicht dafür da, um etwas vorzuführen, sondern um die Gemeinschaft emotional zusammen zu schweißen. Ich finde, so müsste man eigentlich an jedes Konzert heran gehen.

Je mehr ich mich mit diesen Hintergründen der Musik beschäftige, umso leichter fällt es mir zu improvisieren und mit Lust und Laune zu spielen. Weil ich das Gefühl habe, dass es um mehr geht, als um die #11 über C7. (lacht)

Es nimmt vor allem den Druck aus der Musik heraus. Man bekommt nicht mehr Panik, wenn man im Publikum Keith Jarrett entdeckt und denkt, dass man ihm zeigen muss, was man die letzten 20 Jahre alles geübt hat. Sondern, dass es darum geht die Zeit mit den Leuten auf der Bühne, aber auch im Publikum, zu genießen.
Ich finde im besten Fall passiert dies auch bei Konzerten. Allerdings ist das Setting nie dafür ausgelegt, sondern der Zweck eines Konzertes ist ja meistens ein kommerzieller. 

Ja, aber ich glaube die richtig großen Künstler*innen schaffen das. Bei den Musiker*innen, die ich bewundere sehe ich diese Offenheit, um mit dem Publikum, aber vor allen auch mit den Mitmusiker*innen etwas kreieren zu wollen.

Ich habe vor unserem Gespräch noch ein Video mit Chick Corea gesehen. Wenn er spielt, schaut er die ganze Zeit seine Mitmusiker an und gar nicht so sehr auf die Tasten. Sie halten dadurch durchgehend die Konversation am Laufen. Man merkt, dass es darum geht, die Menschen auf der Bühne zusammen zu schweißen, um etwas (musikalisch) Neues entstehen zu lassen. Diese Attitude fasziniert mich. Und wenn ich an die besten Konzerte denke, die ich je hatte, dann waren das genau solche.

Balbec – Das neue Album von Christian Pabst

Szenen vertonen – Inspiration für neue Musik

Was ich bei dir in der Vorbereitung spannend fand – und das bestätigst du gerade auch im Gespräch: Gerade kürzlich erschien dein inzwischen viertes Album „Balbec“ als Leader. „Balbec“ ist ja fiktive Badeort in Proust „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Hat dich in diesem Fall also konkret der Roman inspiriert?

Dank der Pandemie hatte ich plötzlich ganz viel Zeit und konnte endlich mal ein paar Bücher von meiner Leseliste abarbeiten. Und es hat sich so unfassbar gelohnt. Dadurch sind die ganzen Ideen für das neue Album gekommen. 

Suchst du für dein künstlerisches Schaffen bewusst auch in anderen Sparten (bildende Kunst, Literatur) nach Inspiration?

Es ist nicht so, dass ich das bewusst mache. Dass ich bewusst sage „mal sehen was Marcel Proust so geschrieben hat, um daraus ein Stück zu machen“. 

Meine Ideen für Stücke kommen tatsächlich nie von Musik. Das heißt, ich muss immer ein Bild vor Augen haben, oder eine bestimmte Szene, eine Stimmung um ein Stück zu kreieren. Ich versuche so intuitiv wie möglich zu komponieren. Bei dem letzten Album war das ganz schön, da ich die ganzen Szenen aus dem Buch in meinem Kopf hatte. Und vieles wurde zu einem Spiegelbild aus meinem privaten Leben.

Wenn ich dann eine musikalische Idee zu einer Szene im Kopf habe, schreibe ich sie meistens noch gar nicht direkt auf, sondern warte ein paar Tage. Wenn ich es dann immer noch höre, weiß ich, dass ich etwas gefunden habe. Erst dann schreibe ich es auf. Dann beginnt auch diese ganze musikalische Detailarbeit. 

Das ist auch etwas, was man in der Musik hört. Sie kommt im besten Sinne des Wortes „einfach“ daher. Die Stücke sind sehr melodiös, aber gleichzeitig auch komplex. Aber diese Komplexität steht nie im Vordergrund. Und vor allen Dingen, dass es darum auch niemals geht finde ich sehr schön.

Dankeschön. Ich versuche anspruchsvolle Musik zu komponieren und zu spielen, die aber nie so wirkt.

Ich möchte Musik machen, bei der ich das Gefühl habe, dass jemand, der von Musik nichts versteht sie trotzdem genießen kann und in diesen musikalischen Sog gezogen wird. Genauso wie ein professioneller Musiker sich das anhört und interessiert feststellt, was noch alles unter der Oberfläche ist. 

Bei all der Kunst, die mich anspricht, ist es ähnlich. Es gibt einen hohen Unterhaltungswert an der Oberfläche, aber darunter passiert ganz viel. Das macht die Beschäftigung mit einem Kunstwerk so spannend. 

Vor allem beim Komponieren finde ich es wichtig, dass einen „Fluss“ gibt. Das die nächste Idee immer aus der vorherigen hervorgeht. An erster Stelle sollte immer die Emotion stehen, die man bei der Musik empfindet.

Ich finde das schließt auch ganz schön den Kreis zum Anfang unseres Gesprächs. Als wir darüber gesprochen haben, dass ein Teil deines Übens immer auch dieses freie Spielen ist. 

Genau. Das sind auch die beiden Seiten, die wir im Laufe dieses Gespräch bereits angesprochen haben. Um so frei und kreativ loszuspielen und Ideen zu kreieren, muss man sich die ganze Zeit auch selbst mit Ideen füttern und hart arbeiten. So entstehen viel schneller Querverbindungen und Assoziationen. Das ist ein faszinierender Prozess finde ich. 

Es ist super spannend dir zuzuhören. Wir könnten locker so noch eine Stunde füllen, aber ich möchte ganz allmählich den Hafen unseres Gesprächs ansteuern.

Wir müssen beide ja auch noch üben gehen (lacht).

„Das, was man auch live spielt, sollte beim Üben immer an erster Stelle stehen.“

(Christian Pabst)

Was lernst du gerade, was du noch nicht so gut kannst?

In der Tat. Aber vorher wollte ich noch Sport machen. Und das ist eine wunderbare Überleitung zur nächsten Frage: Wie erholst du dich ? Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche? Oder ist das möglicherweise sogar etwas, was dich dann stresst?

Mir fällt es sehr schwer mich zu erholen, weil ich mich immer auch ein wenig schuldig fühle, wenn ich nichts mache.

Wenn ich beispielsweise nach einer langen Tour nach Hause komme, fällt es mir sehr schwer länger als fünf Minuten ruhig zu sitzen. Einfach, weil ich mir dann denke, ich kann doch jetzt nicht hier sitzen und nichts machen (muss selbst lachen).

Aber inzwischen hilft mir meine Familie schon sehr, bewusst freie Tage festzulegen und alle Ablenkungen (Handy, Computer etc.) abzuschalten. 

Und weil du gerade Sport erwähnt hast: Physische Betätigung ist in den letzten Jahren für mich auch viel wichtiger geworden. Ich war sonst immer eher ein Sportmuffel, aber ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, um den Kopf auch wieder freizubekommen.

Es gibt jedenfalls wenige Tage im Jahr, an denen ich komplett nichts mache. Meistens schleuse ich dann doch noch die ein oder andere Email rein. Aber das ist auf jeden Fall etwas, an dem ich gerne arbeiten möchte.

Das greift gerade etwas meiner nächsten Frage vor: Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (darf auch gerne nicht-musikalisch sein)

Musikalisch kann ich das sogar konkret beantworten. Ich habe kürzlich ein neues Projekt mit einem italienischen Saxophonisten begonnen, der ganz tolle, moderne Musik schreibt. Allerdings ist fast jedes Stück entweder in 11/8 oder 13/8. Trotz allem muss ich wirklich sagen, dass die Musik immer fließt und kein „Hoplerstein“ ist. 

In diesen Odd-Metern aber weiter fit zu werden, das ist etwas, an dem ich gerne weiter arbeiten möchte. Inzwischen habe ich 5er und 7er ganz gut unter Kontrolle. Aber auch in solchen ungewöhnlicheren Zählzeiten und Unterverteilungen möchte ich fit werden.

Ich arbeite daran, Musik mehr als einen Puls wahrzunehmen, anstatt sich an bestimmten Taktarten festklammern zu müssen.

„Ich möchte Musik machen, bei der ich das Gefühl habe, dass jemand, der von Musik nichts versteht sie trotzdem genießen kann und in diesen musikalischen Sog gezogen. Genauso wie ein professioneller Musiker sich das anhört und interessiert feststellt, was noch alles unter der Oberfläche ist.“

(Christian Pabst)

Hast du dazu eine bestimmte Technik?

Natürlich viel Odd-Meter spielen. Aber vor allem Phrasen spielen, die über den Taktstrich hinaus gehen. 

Besonders bei Odd-Metern, indem man versucht Phrasen in 4 über einen 5/4 Takt zu spielen. Oder eine Dreier-Verschiebung über einen 5/4 Takt. Das ergibt am Ende die Freiheit. Man hört im Hintergrund läuft ein 5/4 Takt, aber man spielt bewusst darüber hinweg.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Nimm das alles nicht so ernst.

Besonders am Anfang als Erstsemester. Man nimmt unglaublich ernst was Dozent*innen, Kommiliton*innen oder das Publikum sagt. Da würde ich meinem jüngeren Selbst sagen, nimm das alles nicht so ernst und konzentriere dich auf die Musik, die du gern machen möchtest. 

Weil davon bin ich auch wirklich überzeugt: Wenn man die Musik macht, die einem wirklich gefällt, wird auf jeden Fall etwas Gutes dabei herauskommen. Nicht nur musikalisch, sondern auch beruflich.

„Weil davon bin ich auch wirklich überzeugt: Wenn man die Musik macht, die einem wirklich gefällt, wird auf jeden Fall etwas Gutes dabei herauskommen. Nicht nur musikalisch, sondern auch beruflich.“

(Christian Pabst)

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10 Tipps zum Üben https://what-is-practice.de/10-tipps-zum-ueben/ https://what-is-practice.de/10-tipps-zum-ueben/#respond Sun, 05 Dec 2021 21:28:47 +0000 http://what-is-practice.de/?p=4033 10 Tipps zum Üben Ein Leitfaden zur bestmöglichen Verbesserung im Übe-Zimmer (für alle Instrumente) Read in English. Ein Gastbeitrag von Alex Knutrud. Seit längerer Zeit bitten mich meine Student*innen, meine Lehrphilosophie in kleine Aufzählungspunkte und individuelle Ideen zu zusammenzufassen, die sie dann direkt mit in den Übungsraum nehmen können. Ich bin mir sehr sicher, dass… Weiterlesen »10 Tipps zum Üben

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10 Tipps zum Üben

Ein Leitfaden zur bestmöglichen Verbesserung im Übe-Zimmer (für alle Instrumente)

Ein Gastbeitrag von Alex Knutrud.

Alex Knutrud (Tromboneguide)

Seit längerer Zeit bitten mich meine Student*innen, meine Lehrphilosophie in kleine Aufzählungspunkte und individuelle Ideen zu zusammenzufassen, die sie dann direkt mit in den Übungsraum nehmen können. Ich bin mir sehr sicher, dass Unterrichtsanweisungen einer Lehrer*in motivierend sein können. Allerdings wenn Schüler*innen diese nicht im eigenen Alltag praktisch anwenden, sind sie nicht besonders wertvoll.

Jeder sagt, man sei sein eigener, bester Lehrer. Auch ich glaube das. Aber als seine eigene Lehrer*in besteht die Aufgabe darin, sich ständig zu hinterfragen und zu analysieren, wie man sich selbst am besten unterrichten könnte.

Das ist das Schöne an diesen 10 Punkten. Sie sind die komprimierte Essenz, die ich versuche, jedem meiner Schüler*innen ständig zu vermitteln.

Nicht jeder Punkt kommt bei jedem gleich gut an. Aber das sind die 10 Punkte, die mir am meisten geholfen haben. Ich habe sie im Laufe der Jahre geändert, aber in der Analyse meiner derzeitigen Praxis war dies das Hilfreichste.

(Photo von Toby Oft)

Tipp #1 – Der Unterschied zwischen Motivation, Inspiration & Disziplin

Motivation ist weniger wichtig, als wir denken. Sie vergeht bei jedem von uns von Zeit zu Zeit. Versuche besser inspiriert (bspw. durch andere, durch Musik o.ä.) zu bleiben und strebe nach Verbesserung. Nutze die Macht (Disziplin) der Gewohnheit als eine ernstzunehmende Energiequelle, während du jeden Tag dir kleine Erfolge erarbeitest.

Tipp #2 – Der Wert einer fixen Planungszeit

Wähle eine bestimmte Uhrzeit während der Woche, die nur deiner Planung dienen soll. Meine ist jeden Sonntag Abend – für etwa dreißig Minuten. Genieße einen heißen Tee, und viel Ruhe, während du deine Woche planst. Schreibe die Dinge nieder und sei dabei genau. Stell dir vor, dies sei eine Mischung aus Tagebuch und Checkliste. Wenn du dies jede Woche tust, wird deine Zeit in der Übe-Kabine fokussierter sein.

Tipp #3 – Die 4er-Regel

Jedes Mal, wenn du etwas übst, und sei es nur eine einzelne Note, spiele sie vier Mal.

Das erste Mal, um zu sehen, wo du stehst. Das zweite Mal um zu experimentieren / Dinge zum besseren zu ändern. Die anderen beide Male um das gerade Erlernte zu verfestigen. Diese Vorgehensweise wird dir helfen dich schnell zu verbessern.

Tipp #4 – Das richtige Werkzeug

Werkzeuge sind wichtig, wenn man sie richtig einsetzt. Ein Hammer nützt wenig, wenn man eine Schraube in der Hand hält. Übertragen auf die Übe-Kabine heißt das:

Ein Metronom oder ein Stimmgerät nützen wenig, solange du sie nicht aktiv zum Üben nutzt. Auch andere Hilfsmittel können von Vorteil sein. Aber auch hier gilt: Nutze sie in Maßen und mit Bedacht.

Tipp #5 – Die 67-Tage-Regel

Man sagt, es brauche 67 Tage um eine neue Gewohnheit zu formen. Davor kämpft dein Körper noch mit der Umstellung.

Egal wie bewusst und gewissenhaft du vorgehst, dein Körper braucht Zeit, um sich an Veränderungen zu gewöhnen. Wissenschaftler gehen von circa 67 Tagen aus.1,2 Sei am Anfang geduldig mit dir selbst und schau mal, welche äußeren Reize (Personen, Dinge etc.) dir bei deiner neuen Gewohnheit helfen können.

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Wie übt eigentlich Barbara Barth? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-barbara-barth/#respond Tue, 16 Nov 2021 14:17:00 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3965 Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie. Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer… Weiterlesen »Wie übt eigentlich Barbara Barth?

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Barbara Barth und ich kennen uns noch von der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Was ich allerdings lange nicht wusste, sie studierte vor ihrem Gesangsstudium an der Folkwang Universität der Künste in Essen auch bereits erfolgreich den Bachelor-Studiengang Psychologie.

Heute verbindet sie ihre beiden Leidenschaften und arbeitet einen Tag pro Woche als Psychologin in einer Praxis und bietet ein spezielles Resilienztraining für Musiker*innen an.

Was der Begriff genau meint, was man sich von ihrem Training erhoffen darf und warum aktuell das Thema mentale Gesundheit in der Musikbranche so präsent ist, darüber haben wir im Podcast gesprochen. 

Barbara Barth
Barbara Barth
(Foto-Copyright: pgwiazda Photographie)

Dieses Interview ist besonders, denn es steht auch noch ganz im Zeichen einer neuen Rubrik, die es seit Oktober hier auf dem Blog gibt. Nämlich dem Format „In der Sprechstunde“. 

Darin beantworten Expert*innen Eure Fragen zu einem halbjährlich, wechselnden Thema. Den Anfang machte der große Themenkomplex „Mentale Gesundheit“. An dieser Stelle nochmal ein herzliches  Dankeschön an die Psychologin Nathalie Mong, die als Expertin die ersten Fragen beantwortete.

Wenn ihr euch nun noch fragt, was mentale Gesundheit mit Eurem Übe-Alltag zu tun hat, dann seid auf das Gespräch gespannt.

Mehr Informationen zu Barbara Barth findet Ihr unter: www.barbarabarth.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Barbara Barth lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

Ein Ziel haben und verfolgen. Also vorher zu wissen was möchte ich eigentlich lernen und wie komme ich dahin. Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben. Das habe ich im Studium ganz viel gebraucht und ist auch das, was ich heute den Studierenden vermittle. 

Deshalb bedeutet Üben für mich erst einmal klar haben was, wie, wann und auch wie lange. Es braucht für mich immer auch einen guten Rahmen.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Ich höre nach wie vor, quasi eine Art Dauerbrenner seit ich angefangen habe Jazz zu singen, die Sängerin Tierney Sutton. Ich mochte sie von Anfang an und habe sie mit der Zeit immer mehr schätzen gelernt, da ich mich immer mehr reinhören konnte was sie und ihre Band da eigentlich macht.

Würdest du sagen, dass sie dann auch die Musikerin ist, die dich für dein Spiel am meisten geprägt hat?

Nein, am meisten nicht. Aber sicherlich stark – vor allem was das Komponieren und Arrangieren betrifft. Ich merke das auch, wenn ich Studierenden jetzt Beispiele geben möchte, dann lande ich oft bei Arrangements ihrer Band. 

Man kann dann schön zeigen: das war der Standard, das hat die Band daraus gemacht und warum klingt der auf einmal so anders.

Wen ich auf jeden Fall ganz speziell nennen kann sind Maria Pia De Vito, Theo Bleckmann, Sidsel Endresen oder ganz traditionell Fay Claassen und Al Jarreau.

Aktuell bist du Teil von zwei Trios, einem Duo mit dem Pianisten Manuel Krass, deinem Quintett, dem JassLabb de Cologne und singst im Blue Art Orchestra. Daneben hast du einen Lehrauftrag in Saarbrücken und an der Hochschule Osnabrück und bist Teil des PENG Kollektivs. Wie kann man sich Deinen typischen Übe-Alltag vorstellen ?

Die Zeit, in der ich am meisten geübt habe in meinem Leben ist wirklich das Studium und die Zeit davor gewesen. Da hatte man jeden Tag Zeit und es ist ja auch sozusagen deine „Aufgabe“. Wenn man dann mit beiden Beinen im Berufsleben steht – und du hast ja gerade schon ein paar Projekte aufgezählt – ist schon viel, viel Zeit ausgefüllt. Das heißt, man muss sich dann schon hier und da die Zeit „abzwacken“. 

Natürlich ist das auch immer sehr davon abhängig, was gerade ansteht. In der vergangenen Woche habe ich beim Fuchsthone Orchester mitgesungen, wofür ich ein riesen Programm lernen musste. Da alle Stück neu für mich waren, habe ich mir natürlich in der Vorbereitung sehr viel mehr Zeit zum Üben genommen.

„Üben bedeutet für mich daher auch immer Struktur haben.“

(Barbara Barth)

Ich übe also meistens auf Konzerte hin. Wenn ich dann mal mehr Zeit habe, merke ich, dass auch wieder Raum da ist um Dinge zu üben, die mich interessieren. Dann transkribiere ich gerne ein Solo oder nehme ein transkribiertes Solo wieder aus dem Regal.

An meiner Stimmtechnik arbeite ich dagegen aber weiter regelmäßig. Einmal im Monat bin ich hierfür bei meiner Technik-Lehrerin. Die Stunde nehme ich dann meistens auf und versuche sie dann im Anschluss nochmals nachzuvollziehen.

Ich kann dir also gar keinen genauen Übe-Alltag sagen, der dann immer auf eine bestimmte Art und Weise ist. Ich kann nur sagen, dass zum Üben auch immer Pausen dazu gehören. Und Üben ist auch alles, was du bewusst aufnimmst und reflektierst. Gerade bei Stimmtechnik geht es auch viel darum physiologische Prozesse zu verstehen, oder zu empfinden was passiert, wenn ich dies oder jenes denke. Wie reagiert mein Körper ? Wie reagiert meine Stimme? Dies ist dann auch viel mentales Üben.

Übst du dann auch bewusst mental, wenn du beispielsweise unterwegs bist ?

Nein, wenn ich jetzt konkrete Stücke übe, dann übe ich diese schon immer am Instrument. Aber zur Frage „Wie funktioniert eigentlich mein Instrument und wie bringe ich es zum Klingen?“ – hier passiert viel mehr vor dem eigentlichen Singen. Beispielsweise mit der Einstellung zum Instrument, wie fühlen sich meine Muskeln an – bin ich frei oder macht etwas die Stimme eng? Diese Fragen haben auf jeden Fall sehr viel mit dem Kopf zu tun. 

Meine Technik-Lehrerin sagt beispielsweise, sie übe nur noch denkend. Sie hat vor einer Weile aufgehört zu singen beim Üben. Sie denkt nur noch die Töne und die Vokale und hat eine ganz starke Empfindung, was dabei an den Stimmlippen und im Kehlkopf passiert. Sie trainiert quasi nur noch Ruhe zu bewahren. Sie ist klassische Sängerin und daher ist es hier auch nochmal etwas anderes.

Aber ich kann ja auch eine Stunde am Tag meine Tonleitern auf und ab singen und dabei nichts geübt haben. Oder ich denke ein paar Mal das Richtige und programmiere auf diese Weise meinen Körper und habe dann viel mehr erreicht im Vergleich.

Spannenderweise habe ich gerade vor zwei Wochen das Buch von Renate Klöppel „Mentales Training als Musiker“ entdeckt und mich in dem Zusammenhang erstmals mit mentalem Üben auf meinem Instrument beschäftigt. Es ist super spannend sich in dieses Mindset zu bringen und sich vorzustellen „Wie fühlen sich meine Muskeln an, wenn ich spiele“. Also in jedem Fall ein super interessantes Thema, welches aber vielleicht zu ausufernd für diesen Rahmen nun wird.

Aber weil du nun gerade zur Konzertvorbereitung gefragt hast. Das eine sind die Töne lernen. Die Stücke lernen. Habe ich eine Stelle, an der ich improvisiere? Dann übe ich diese Stelle.
Aber das andere ist sich darauf einzustellen, was habe ich zum Beispiel für Befürchtungen, Zweifel und Ängste – und was macht das dann wieder mit meiner Stimme und meiner Musikalität. Das ist mindestens genauso wichtig, wie die richtigen Töne zu üben.

„Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.“

(Barbara Barth)

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Puh, das ist eine sehr allumfassende Frage (lacht). Ich habe mir dann immer Übungen gebaut. Für mich stand immer im Vordergrund, dass ich improvisieren lernen möchte. Es fließt ja letzten Endes so viel zusammen bei dem was und wie man etwas übt und was man dabei lernt. 

Wenn ich jetzt improvisieren übe, dann lerne ich etwas über Harmonielehre, ich muss mich am Klavier begleiten – ich übe also Klavier-Spielen – ich lerne Gehörbildung und lerne Intervalle und Skalen hören. Man übt ja zumeist ganz vieles miteinander und schaut dann auf dem Weg, wo einen das Ganze hinbringt.
Wichtig ist dabei auch, dass man in der Lage sein sollte sein Ziel von Zeit zu Zeit anzupassen. Man kann jetzt nicht sagen „ich möchte in zwei Jahren dies und jenes erreichen“ und merkt dann auf dem Weg, dass sich möglicherweise das Interesse verändert hat. Große Ziele sind daher auf jeden Fall wichtig. Aber noch wichtiger, bezogen auf das Üben und vor allem zum Durchhalten, sind die kleinen Ziele. Das man zum Beispiel sagt, dass man ein eigenes Stück schreiben möchte, ein bestimmtes Stück gerne mal lernen will oder auch mehr Chromatik in der Improvisation nutzen möchte.

Hast du das dann damals auch in einer Art Übetagebuch festgehalten?

Ja, ich habe mir immer die Übungen ganz konkret aufgeschrieben, um Anhaltspunkte zu haben und auch dann Schritt für Schritt voran zu kommen. Man sieht dann „jetzt kann ich das schon und kann dann einen Schritt weiter gehen“.

Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig sich eine Struktur zu geben.

Zum Beispiel, wenn ich nun mit einer bestimmten Skala über ein Stück improvisieren lernen möchte, dann reicht es unter Umständen nicht, sich nur den Akkord hinzulegen und dann zu singen und zu schauen, was passiert. Besser ist wirklich konkret die Töne zu üben und mir eine Struktur zu schaffen, wie ich das machen kann. 

Ich glaube, dann muss man auch akzeptieren, dass Üben nicht unbedingt bedeutet sich kreativ am Instrument ausleben zu können. Sondern vielleicht erst einmal etwas herunter zu brechen und einmal das Gefühl zu haben, kurzzeitig auch schlechter zu werden. Das kennt man ja sicher: Wenn man sich mit etwas intensiv beschäftigt, fallen einem plötzlich die ganzen Dinge auf, die man noch nicht kann. Oder man ist so fokussiert darauf es richtig machen zu wollen, dass man das Gefühl hat, sich zu verschlechtern. Aber ich glaube, dass gehört fest zum Üben dazu. Man sollte das Vertrauen haben, dass wenn ich mich mit etwas bewusst beschäftige, dies einen Effekt haben wird – auch, wenn dieser noch etwas Zeit braucht.

Ich glaube Üben – oder besser werden – ist etwas, dass nicht einfach so passiert, sondern, dass ich mir wirklich erarbeiten muss.

Barbara Barth
Barbara Barth (Copyright © Juliane Guder)

Das hat ja auch ganz viel mit Wahrnehmung zu tun. Wie nehme ich mich selbst wahr beim Üben? Habe ich überhaupt eine gute Selbstwahrnehmung?

Genau, mache ich mir das eigentlich bewusst, was ich da singe. So ist es zumindest für den Prozess „Ich kann etwas noch nicht und möchte es üben“. Natürlich gibt es auch ganz viel, dass sich entwickelt, wenn man mit anderen Musiker*innen zusammen spielt, wenn man Musik hört oder auf Konzerte geht.

Aber wenn man eine bestimmte Sache übt, dann bin ich der Meinung, dass dies auf jeden Fall bewusst und strukturiert passieren sollte.

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Du hattest eben ja bereits angesprochen, dass du einen Tag in der Woche noch als Psychologin arbeitest. Würdest du sagen, dass dieses Studium dir als Musikerin geholfen hat eine besser Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung zu entwickeln?

Es ist natürlich eine total persönliche und individuelle Sache, wie jemand in ein Studium geht und damit letztlich zurechtkommt. Und warum es bei mir so war, hat natürlich bestimmt auch mit dem Psychologie-Studium zu tun. Mir hat es auch geholfen, bereits vorher mal einen Studiengang gemacht zu haben. Daher war ich auch jemand, die immer recht strukturiert gewesen ist.

Das andere, was du vielleicht meinst, ob ich dadurch nun reflektierter war, oder schon besser mit mentalen Dingen umgehen konnte, weiß ich gar nicht. Ich glaube, das hängt auch immer stark an der persönlichen „Ausstattung“ und wie sich jemand damit auseinander setzten möchte. 
Ich fand es für mich total bereichernd dieses Studium gemacht zu haben. Man lernt in einem Psychologie-Studium ja immer auch die Dinge von verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Und dann realisiert man, dass immer viele Faktoren zusammen eine Rolle spielen und wir alle verschieden sind. Das war in jedem Fall grundsätzlich sehr bereichernd. 

Inzwischen verbindest du nun diese beiden Fachgebiete in einem speziellen Resilienztraining für Musiker*innen. Kannst du ganz kurz erklären was der Begriff meint und uns einen kurzen Einblick in das Seminar geben?

Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.

Gut umgehen bedeutet nicht, dass man keinen Stress hat oder nie Rückschläge erlebt. Sondern eher, dass man – über Rückgriff auf seine eigenen Ressourcen – mit Krisen und ganz alltäglichem Stress so umgehen kann, dass man gesund bleibt und dazulernt oder möglicherweise sogar gestärkt daraus hervorgeht.

„Resilienz ist, wenn man so möchte, das seelische Immunsystems unseres Körpers. Quasi die Abwehrkräfte der Psyche. Das bedeutet, wenn man resilient ist, kann gut mit Rückschlägen und Alltagsstress umgehen.“

(Barbara Barth)

Natürlich ist dies für alle Menschen wichtig. Warum es aber gerade für Musik-Studierende (oder Studierende allgemein) wichtig ist? 
Das Studium ist eine ganz besondere Lebensphase. Zum ersten Mal kommt man aus dem Elternhaus heraus, hat gerade Abitur gemacht und fängt allmählich an auf eigenen Beinen zu stehen. Alleine daher macht man bereits ganz viele Veränderungen mit und muss sich erstmal neu finden.

Dann kommt man in einen Pool von anderen Mitmusiker*innen und merkt plötzlich, dass man sich anfängt zu vergleichen. Man bekommt sehr viele Aufgaben von den unterschiedlichen Dozierenden mit und möchte diese natürlich auch gut erfüllen. Möglicherweise möchte man genauso gut sein, wie jemand bestimmtes und beginnt sich dann zu fragen, wieso man die Aufgabe noch nicht kann. Oder man etwa für ein Projekt nicht gefragt wird. Damit lernen so umzugehen, dass man psychisch gesund und motiviert bleibt ist in jedem Fall eine Herausforderung. Aber gleichzeitig auch total wichtig, weil es sonst sein kann, dass man seinen Beruf nicht weiter ausüben kann.

Geht es in dem Kurs dann auch darum, konkrete Übungen zu vermitteln oder hauptsächlich erst einmal ein Bewusstsein hierfür zu schaffen?

Beides. Ein Bewusstsein zu schaffen ist ja bereits eine Übung. Zum Beispiel geht es schon damit los, ein Bewusstsein zu schaffen, welche Ressourcen und Strategien (also Resilienzfaktoren) wir bereits alle haben. Wenn man sich hier im Kurs umhört, gibt es immer eine große Sammlung an Dingen, die die Studierenden machen, wenn es ihnen nicht gut geht. An Wegen, wie sie sich motivieren und wie sie mit Rückschlägen umgehen. Eigentlich alle haben hier bereits Erfahrungen und somit auch Fähigkeiten „im Gepäck“, über die sie sich gar nicht bewusst sind. Vor allem, weil sie oftmals denken, dass diese Strategien ja selbstverständlich seien. 

Andere, konkrete Übungen, die im Kurs vermittelt werden, sind Entspannungs- oder Atemtechniken. Meistens wirkt sich Stress oder Leistungsdruck ja auch körperlich aus. Darüber hinaus sind generell Pausen machen, Sport, gesunde Ernährung wichtig.

Auf der mentalen Ebene schauen wir uns dann an, welche Glaubenssätze und Annahmen (über mich und andere) stecken hinter meinem Verhalten. Dieses Zusammenspiel von Gedanken, Gefühlen und Verhalten – also, dass meine Gedanken Gefühle auslösen können. Dies wiederum beeinflusst, wie ich mich in bestimmten Situationen dann verhalte werde und bestätigt unter Umständen wieder meine Gedanken.

Würdest du sagen, dass man als Musiker*in hier mehr gefährdet ist, da man sich ja quasi immer am Vergleichen ist? Sowohl mit seinen Mitstudierenden, als auch mit seinen Idolen.

Ich glaube, es ist immer auch eine Persönlichkeits- und Kontextfrage. Auch in anderen Berufen gibt es diese Vergleiche.

Allerdings scheint unter Musiker*innen immer noch mehr dieses „Einzelkämpfertum“ zu existieren – komischerweise. Eigentlich sollte man sich viel mehr zusammentun. Zwar spielt man mal in einer Band zusammen, aber ansonsten bleibt jeder meistens für sich. In anderen Berufen gibt es sicher mehr ein „Nebeneinander“ – wohingegen in der Musik weiter gilt: entweder du oder ich. Entweder werde ich gefragt, oder jemand anderes. Selbst wenn man das gar nicht möchte und wir alle Kolleg*innen sind. 

Dazukommt, dass man in andern Berufen abends nach Hause kommt und dort eine ganz andere, private Person ist. Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.

„Ich glaube viele wissen gar nicht so recht wie sie üben sollen und singen/spielen dann „einfach so rum“. Sie wundern sich dann, dass es nicht besser wird und verlieren schnell die Motivation. Daher ist es so unglaublich wichtig, sich eine Struktur zu geben.“

(Barbara Barth)

Was in diesem Zusammenhang jedoch ganz schön festzustellen ist, dass spätestens seit Corona hier ein größeres Bewusstsein geschaffen wurde. Inzwischen gibt es ja auch den Mental-Health in Music (MiM) Verband und auch unter Musiker*innen stelle ich eine andere Wahrnehmung bei diesem Thema fest.

Ich glaube auch, dass nur wir alle zusammen das verändern können indem wir offen damit umgehen und aufhören uns gegenseitig etwas vorzumachen. Es nützt ja niemandem, wenn man versucht ständig eine „Hackordnung“ einzuführen.

Du hattest eben selbst Sport für dich als einen Resilieztipp angeführt. Was hilft dir nach einem anstrengenden Probe- oder Gigtag um abschalten und „runterkommen“ zu können?

Für mich ist immer super wichtig, dass ich genügend Schlaf habe und ausreichend Pausen mache. Einfach, dass ich mir den Tag nicht so voll packe. Wenn ich beispielsweise weiß, dass ich abends spät nach Hause komme, schaue ich, dass ich den nächsten Vormittag frei habe. Mir ist wichtig, dass ich gut für mich sorge. Dazu zählt natürlich auch gutes Essen irgendwohin mitzunehmen, wenn ich länger unterwegs bin. Überhaupt mir vorher zu überlegen, wann ich essen kann.

Für mich ist das Regenerative eher die Entspannung. Das heißt also auch in die Sauna gehen, oder in Ruhe auf der Couch zu liegen, oder etwas zu kochen.

„Ich glaube wir als Musiker*innen kommen nie nach Hause. Wir sind immer mit unserer Musik und unserem Instrument verbunden. Das lässt sich nur schwerlich trennen. Als Musiker*in erlebt man eine musikalische Niederlage auch immer als eine persönliche.“

(Barbara Barth)

Also Freiräume schaffen, das wäre dein Tipp?

Ja, auch für Freunde. 

Wenn ich merke, dass ich nicht gut drauf bin und beim Üben feststelle, dass es nicht besser wird, dann weiß ich, dass ich besser aufhören sollte. Vielleicht höre ich dann sogar für die nächsten drei Tage auf. Und schaue dann nochmal, wenn ich in einer besseren Stimmung bin und netter mit mir umgehe, was dann herauskommt.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Vor kurzem neu entdeckt kann ich nicht sagen, aber was ich immer super gerne mache ist transkribieren und Transkriptionen singen. Dabei möchte ich diese so verinnerlichen, dass ich sie nicht einfach nur einmal zur Aufnahme mitsingen kann, sondern Ton für Ton wirklich so „reingehen“, dass ich verstehe was der/ die Komponist*in hier gemacht hat. Natürlich auch Licks herausnehmen. Es macht richtig Spaß, wenn man merkt, dass die Dinge dann in sein eigenes Improvisieren übergehen.

Was mich inzwischen schon seit sechs Jahren beschäftigt (daher auch nicht unbedingt mehr neu), ist die Funktionale Stimmtechnik. Sie hat mir so viel über mein Instrument, die Stimme, erst einmal beigebracht. Ich kann hier ganz in mir ruhend und mit ganz viel Aufmerksamkeit drei Mal „A“ singen und habe dabei so viel gelernt, wie ich mein Instrument benutzen sollte. Das ist für mich immer noch „neu“ und faszinierend.

Was ich vor allem während Corona schätzen gelernt habe, ist die Fülle an Übe-Material bei Youtube oder tolle Apps, wie von deinem letzten Interview Gast Steffen Weber. Dass es hier so viel gutes Material gibt, mit dem es Spaß macht zu üben. Vor allem, wenn man durch ausbleibende Konzerte nicht so viel Routine hat. 

Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir, guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ?

Ich versuche schon zu schauen, dass es insgesamt ausgeglichen ist. Das heißt ich achte schon darauf, dass ich frei habe und vor allem Freiräume für mich habe, um meine Sachen zu machen. Also um mich mit meinen Projekten zu beschäftigen, um in Ruhe üben zu können, um meine Technik-Übungen machen zu können. Das ist bei mir zum Beispiel immer der Freitag. Mittwochs habe ich ähnliches Zeitfenster für mich. Aber, dass muss ich mir dann auch bewusst in den Kalender schreiben.

Bei Terminen, beispielsweise zur Organisation des PENG-Festivals, versuche ich dann dafür konsequent zu sein und zu sagen „Sonntag geht nicht“.

Early Bird oder lieber spät am Abend üben ?

Das kommt total auf die Tagesform an. Wenn ich viele andere Sachen erst einmal anfange, fällt es mir schwer nochmal ins Üben zu kommen.

Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein. Anschließend kann man dann den anderen Kram machen.

„Ein ziemlich guter Tipp, den ich selbst mal bekomme habe, ist: Das Erste am Tag sollte etwas Kreatives sein.“

(Barbara Barth)

Allerdings geht es mir manchmal so, wenn die Sonne schon untergegangen ist, dass ich dann nochmal Lust bekomme von 20h bis 22h Üben zu gehen. Und dann läuft es voll. Manchmal ist es einfach unberechenbar. Ich glaube was für mich gut ist ist, aufmerksam zu sein, für das, was gerade in mir passiert und was mir gut tut. Besonders rechtzeitig zu merken, wann ich aufhören sollte. Das ist auch unabhängig von der Tageszeit. 


Ich hab hierauf schon wieder keine pauschale Antwort, wie du merkst (lacht).

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? (auch gerne nicht-musikalisch)

Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann. Dann zu sagen: „Ok, es ist trotzdem gut.“ Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.

Ich glaube das Wichtigste ist zu lernen zufrieden zu sein, auch wenn man ganz viele Dinge noch nicht kann. Davon sich nicht grundsätzlich demotivieren zu lassen – sondern mit den Dingen, die man bereits gelernt hat zu sagen: „Damit kann ich doch jetzt schon mal gut weitermachen.“

Das schließt ja nun auch den Kreis zur Selbstwahrnehmung und dem vorhin angesprochenen Resilienztraining.

Ja. Für mich hat sich die Frage „was ist üben?“ wirklich dahingehend verändert. Im Studium habe ich es immer durchgezogen. Jeden Tag. Das ist auch total gut gewesen, weil ich dadurch auch eine gute Basis mitnehmen konnte. 

Aber ich merke inzwischen immer mehr, dass es total wichtig ist, mit mir gut umzugehen und auch Abstand vom Üben nehmen zu können. 

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ?

Eigentlich habe ich immer davon profitiert im Studium, dass ich so strukturiert geübt habe. Aber was ich gebraucht hätte, wäre ein Person gewesen, die sich eher den mentalen Themen mit mir gewidmet hätte und mich da besser aufgefangen hätte.

„Ich glaube, ich muss ganz viel üben nicht so sehr mit mir zu hadern. Und dranzubleiben und weiterzumachen, auch wenn ich die Dinge einfach nicht perfekt kann.  Vor allem nicht die ganzen Dinge, die ich gut kann, plötzlich auch nicht mehr gut genug zu finden. Das ist für mich mitunter das Wichtigste.“

(Barbara Barth)
Bildnachweis:

Titelbild von pgwiazda Photographie

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Wie übt eigentlich Steffen Weber? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-steffen-weber/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-steffen-weber/#comments Sat, 10 Jul 2021 13:15:35 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3700 Steffen Weber ist seit Jahren fester Bestandteil der HR-Bigband. Daneben war er lange als Dozent tätig und entwickelte eine eigene Übe-App.

Der Beitrag Wie übt eigentlich Steffen Weber? erschien zuerst auf what is practice.

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Seit inzwischen fast zehn Jahren sitzt Steffen Weber in der Saxophon-Section der HR-Bigband. Davor war er bereits einige Jahre Mitglied der SWR Bigband. Der gebürtige Mosbacher studierte von 1995 bis 1999 Saxophon an der Musikhochschule Mannheim, wo er später auch selbst als Dozent tätig war.

Neben der Bigband spielt Steffen seit seiner Studienzeit in der mehrfach preisgekrönten Band L14, 16 – die Adresse einer Bar in Mannheim, in der die sich die Band gründete.

Neben seiner musikalischen Arbeit lernte Steffen auch noch das Programmieren (siehe Interview) und entwickelte seine eigene Übe-App: iPracticePro. Wie diese genau funktioniert erklärt er im Podcast. Auf Youtube gibt es aber auch ein sehr umfangreiches Promo-Video, welches die App vorstellt.

Steffen Weber spielt Saxofon
Steffen Weber

Mehr Informationen zu Steffen Weber gibt es unter: http://www.steffenlaroseweber.de

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Steffen Weber lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören.

Das Interview

Übersicht

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich…. 

Spaß haben. Und vor allem meinem Ziel ein Stück näher zu kommen. Nämlich das rauszuholen, was rauszuholen möglich ist. Bei mir persönlich natürlich. Und irgendwann zu merken, dass es einen Schritt weiter gegangen ist. Das merkt man ja immer erst eine Weile später.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ? 

Das ist bei mir ehrlichgesagt gar kein Einzelner, sondern viele verschiedene. Ich höre mir momentan ziemlich viel alte Musik an. Vor allem alten Swing. Lester Young zum Beispiel. Aber auch Ben Webster oder Coleman Hawkins. Im Prinzip oft die Musik, die ich gerade für einen anstehenden Gig benötige. Aber es ist jetzt keine konkrete Platte an sich.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ? 

Tatsächlich gab es hier verschiedene Platten mit immer anderen Spielweisen. Ich stand zum Beispiel eine Zeit lang wahnsinnig auf Dexter Gordon. Ich bin ja Saxophonist, deshalb sind Saxophonisten meistens auch meine Favorits gewesen. Eine Zeit lang stand ich so unglaublich auf die CD „Daddy plays the Horn“ von Dexter Gordon. 

Dann gings mit Sonny Rollins und John Coltrane los. Später war dann auch mal eine Platte von Michael Brecker total angesagt bei mir. 

Es gab aber auch mal Leute, die man nicht so gut kennt wie Ralph Moore zum Beispiel (unter anderem mit Ray Brown, Benny Green oder Roy Hargrove gespielt). Ihn kennt man spannenderweise auch aus der Tonight Show mit Jay Lenno – ist aber eigentlich ein völliger Swing-Spieler. Er spielt einfach auf seine eigene Art völlig super, fand ich damals – und finde ich natürlich heute immer noch. 

Es war Mark Turner natürlich, Ben Wendel. Es war immer eine Zeit lang ein bestimmter Mensch gewesen, den ich ausgecheckt hab. Mir gefallen eigentlich ziemlich viele wenn ich ehrlich bin (lacht dabei).

„Dafür habe ich nun viel mehr Erfahrung was ich üben und vor allem wie ich es üben muss. Das ist natürlich auch etwas, das man übt beim Üben.“

(Steffen Weber)

Dein Arbeits-Alltag in der HR-Bigband

Als Saxophonist in der HR-Big Band sind deine Wochen sicher immer sehr gut durchorganisiert. Kannst du uns erzählen, wie dein typischer Arbeitsalltag aussieht und wie du darin dein persönliches Üben versuchst unterbringen? 

Da ich ja in Weinheim wohne und die Band in Frankfurt probt, muss ich dort erst einmal mit dem Zug hin. Dann proben wir in der Regel bis circa 14:30 Uhr bevor es dann wieder zurück nach Hause geht. Dort ist dann zunächst Hausaufgaben machen mit meinen beiden Kindern angesagt. Nach dem Abendessen übe ich dann meistens noch.

Das heißt dann aber auch früh aufstehen und spät ins Bett gehen?

Im Prinzip ja und meistens ende ich dann später noch ein bisschen vor dem Fernseher. Während der Dienstzeit hat man ja schon mehr als vier Stunden gespielt, das heißt nachmittags finden bei uns keine Ansatzübungen mehr statt. Man übt dann Dinge, die einen musikalisch weiter bringen – also improvisatorisch. Für mich heißt das dann, dass ich mich abends nicht mehr in meine Übebox zum Töne-Aushalten hinstelle, sondern Sachen übe, die Spaß machen und weswegen ich eigentlich auch Musik mache. Töne-Aushalten machen Saxophonisten sowieso nicht ganz so viel wie andere Bläser. (lacht)

Was hilft Dir, nach einem anstrengenden Tag, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen? 

Damit habe ich eigentlich überhaupt kein Problem. Ich brauche mich in der Regel nicht „runterbringen“. Oder was meinst du genau damit?

Ja, genau. Mir hilft es beispielsweise oft nach einem anstrengenden Probetag noch Sport zu machen.

Das mache ich auch und kommt dann zwischendrin noch dazu – allerdings nicht jeden Tag. Aber Sport machen ist selbstverständlich super. Allerdings ist es nicht etwas, das ich brauche um abschalten zu können. Ich habe nicht das Gefühl, dass hierfür eine andere Tätigkeit brauche – kommt vielleicht noch. (lacht)

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Hast Du einen bewusst gewählten freien Tag in der Woche ? Wie leicht fällt es Dir guten Gewissens diesen Tag auch wirklich frei zu halten ? 

Bewusst gewählt ist er nicht, aber es ergibt sich oft so am Wochenende – da ich ja Familie und zwei Kinder habe. Wenn die dann auch frei haben und es zum Beispiel zu Oma und Opa geht, passiert es schon einmal, dass an diesem Tag ganz frei ist. Oder ich spiele abends noch ein wenig. Allerdings ist es kein bestimmter Tag, sondern es passiert dann einfach. 

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück ? Und warum ?

Meine Einheiten sind meistens circa 45 Minuten. Allerdings auch nicht mit der Stechuhr. Es passiert auch mal, dass es nur eine halbe Stunde ist oder sogar eine Stunde. Und es ist natürlich nicht so, dass ich die ganze Zeit über voll konzentriert bin. Das geht auch gar nicht. Zwischendrin gibt es dann immer wieder Sachen, die im Autopilot funktionieren.

Es ist ja auch so eine Mär, dass man länger als zehn Minuten wirklich super konzentriert sein kann. Das geht einfach nicht, glaube ich. Da gibt’s immer wieder zwischendrin ein paar kurze Zeitspannen, die mal unkonzentriert sind. So funktioniert wahrscheinlich unser Gehirn, da kenne ich mich nicht aus – aber ich selbst habe es noch nie geschafft, mich länger als zehn Minuten wirklich so super zu konzentrieren. Deswegen ist’s auch gut, dass man in Stücken zwischendurch Pause hat.

Bei mir ist es beim Üben tatsächlich so, dass ich dann Sachen mache, die mein geistiges Dasein fördern und benötigen und die sich mit Übungen abwechseln, die im Autopilot laufen. Insgesamt komme ich meist so auf circa 45 Minuten, mache dann eine kleine Pause und dann das Gleiche nochmal. Oft ist dann der Tag auch schon rum. Mehr als zwei Stunden üben ist bei mir, im Normalfall, nach dem Dienst nicht mehr drin.

Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Ich habe das eigentlich immer schon so gehalten, dass ich mir Ziele gesetzt hab. Wenngleich diese zwischendrin auch mal variieren konnten. Ich hatte immer drei Kategorien von Zielen. Das eine waren kurzfristige Ziele, mittelfristige und langfristige Ziele.

Kurzfristige Ziele waren für mich dabei immer Auftritte, die demnächst anstanden. Wenn ich zum Beispiel irgendwo gespielt habe und musste mir dafür Noten anschauen oder Changes, über die ich noch nicht gescheit spielen konnte. Auch Stellen in Nebeninstrumente (Flöte & Klarinette) fallen hier hinein. Weil beim Konzert ist es ja immer so, du hast eine Chance und wenn die Stelle dann nicht geklappt hat, ist die Chance vorbei. Dann gibt’s zwar beim nächsten Konzert wieder eine Chance, aber für dieses Mal war’s dann halt nichts. Das habe ich versucht mit den kurzfristigen Zielen zu verhindern.

Aus den langfristigen Zielen ergeben sich die mittelfristigen Ziele. Die langfristigen Ziele sind für mich Dinge, wo man sagt „in einem halben Jahr, in einem Jahr oder sogar noch länger, werde ich das dann können“. Das wäre zum Beispiel bestimmte Stücke in allen Tonarten beherrschen. Das wäre jetzt nichts, das man in einem Monat wirklich „können kann“, glaube ich. Manche Sachen benötigen einfach etwas mehr Zeit. Wie zum Beispiel auch Intonation. Überhaupt Gehörbildung. Die kann man sich nicht kurzfristig erarbeiten. 

Die mittelfristigen Ziele sind dann die Dinge, die ich mache, um die langfristigen zu erreichen. Gesetzt den Fall ich möchte ein bestimmtes Stück in allen Tonarten üben und ich merke, da ist eine Verbindung drin, die ich nicht in allen Tonarten spielen kann – weil ich sie nicht höre oder nicht verstehe – dann muss ich eventuell erst diese kleine Verbindung in allen Tonarten üben. Das sind dann Übungen, die ich täglich mache – wobei die kurzfristigen Ziele natürlich ein bisschen Vorrang haben – und ich erreiche damit sukzessiv meine Langfristigen.

Der Hauptunterschied zu früher: Sobald man Familie hat, ist es mit dem Üben deutlich anders. Es muss gar nicht zwangsläufig weniger werden, aber es wird von der Strukturierung ganz anders. 

Ich bin früher, während des Studiums in Mannheim, oft auch schon ganz früh zur Hochschule gegangen und war dann dort im Prinzip den ganzen Tag. Natürlich hat man sich dann auch mal mit den Kollegen getroffen und einen Kaffee getrunken, oder etwas zu Mittag gegessen. Aber da man nicht so die Verpflichtungen hatte, bestimmte Dinge zu tun, war man viel freier. Man konnte den ganzen Tag in der Hochschule üben. Und natürlich ist es dann ein ganz anderes Üben, wenn man sagt „jetzt habe ich zwei Stunden Zeit – jetzt muss ich üben“. Wenn man diese Zeit dann vertrödelt, oder selbst nur eine Stunde davon Quatsch macht, bleibt nur noch eine Stunde übrig.

Bei mir war das während des Studiums eher ein „in den Tag hinein leben“ – das typische Studentenleben. Das hat natürlich etwas, wobei man unglaublich viel Zeit davon am Ende doch nicht geübt hat. Letztlich ist es aber, finde ich, auch wichtig, dass man das mal so gemacht hat. Das geht nun aber nicht mehr. 

Dafür habe ich nun viel mehr Erfahrung was ich üben und vor allem wie ich es üben muss. Das ist natürlich auch etwas, das man übt beim Üben. 

Man könnte dich also durchaus als jemanden bezeichnen, der immer schon recht strukturiert war und der im Laufe der Zeit– dann durch äußere Umstände wie Familie etc – sich nochmals mehr Gedanken über wie teile ich mein Üben ein, was übe ich und wenn ich Zeit habe wie übe ich gemacht hat ?

Ja, strukturiert war ich tatsächlich schon immer. Das was und wie man etwas übt war schon zu meiner Studienzeit total das Thema für mich. Viele Sachen beim Üben sind ja aus dem Trial-and-Error Prinzip entnommen. Man probiert etwas und merkt den Effekt erst viel später, bei der Improvisation beispielsweise. Ich weiß jetzt besser bei mir – ich sag immer bei mir dazu, weil jeder da auch anders ist – dass ich bestimmte Sachen machen muss, um etwas zu erreichen. Das wusste ich damals noch nicht so. Aber ich wusste, dass es bestimmte Übungen gibt, die einfach besser sind und die jetzt bei anderen nicht funktionieren. 

Das heißt: wenn ich zu einem Kollegen gehe und frage „Wie übst du das?“ ist das immer nur ein Tipp, wie man es machen kann. Aber das heißt nicht, dass das die Übung ist, die auch für mich gut funktioniert. Das ist das, was mich damals schon am meisten interessiert hat beim Üben: wie schaffe ich es, mich innerhalb von kurzer Zeit – ohne Abkürzungen zu nehmen – zu verbessern. Das weiß ich inzwischen besser als früher – das ist eigentlich der einzige Unterschied. Das und, dass ich weniger Zeit habe. 

„Was ich dabei herausgefunden habe ist, dass es letzten Endes sowieso kein Universalrezept gibt. Ich glaube der beste Lehrer ist man immer selbst.“

(Steffen Weber)

Eine Lektion in Durchhalte-Vermögen?

Du warst ja auch eine ganze Zeit lang Dozent in Mannheim und in Mainz. Würdest du sagen, dass sich durch die Arbeit mit den Studierenden und das Verbalisieren bestimmter Probleme dein Üben ebenfalls nochmals verändert hat?

Ja, mit Sicherheit. Ich finde immer, wenn man jemanden hört – egal ob auf CD oder live  und auch beim Unterrichten – dann lernt man daraus. Auch als Lehrer logischerweise. Es gibt dann immer Momente, in denen man gedacht hat „Diese Person spielt auf eine bestimmte Art und Weise und was sage ich ihr jetzt, damit sie besser wird?“. Was ich dabei herausgefunden habe ist, dass es letzten Endes sowieso kein Universalrezept gibt. Das ist immer der falsche Ansatz. Man sollte immer individuell auf die Leute eingehen und das ist auch die eigentlich große Herausforderung beim Unterrichten. Selbst der beste Lehrer kann einem jedoch nicht die besten Tipps geben. Ich glaube der beste Lehrer ist man immer selbst. 

Aber ich für mich konnte beim Unterrichten schon bereits einiges herausziehen. Jeder Schüler hat mir andere Perspektiven aufgezeigt: alle haben verschieden gespielt, unterschiedlich geübt und sich andere Gedanken gemacht. Selbst wenn es manchmal nur Kleinigkeiten waren, die mich selbst auf andere Ideen gebracht haben. Dadurch habe ich dann angefangen Dinge , die ich selbst gemacht habe, wieder zu hinterfragen. 

Ich weiß nicht, ob es Schüler gibt (im Jazz), die die Tipps ihrer Lehrer wirklich genauso 1:1 übernehmen. Das glaube ich nicht. Ich denke für die meisten sind die Tipps eben Tipps. Man nimmt das wahr, was der Lehrer sagt und adaptiert es für sich. Und das ist, denke ich, auch der richtige Weg. 

War das Unterrichten unter anderem auch ausschlaggebend für deine App gewesen?

Naja, irgendwie natürlich schon. Der Hauptgrund hingegen war jedoch ganz unmusikalisch. Mein großer Sohn hatte mir angefangen YouTube-Videos zu zeigen, in denen ein Programmierer zeigt, wie man den Apple-Taschenrechner programmiert. Ich hatte mich dann wahnsinnig gefreut, dass sich mein Sohn fürs Programmieren interessiert und wollte das unterstützen und habe mir ein Buch gekauft. Mit dem habe ich dann selbst sofort angefangen zu lernen, damit ich ihm helfen kann. Nach zwei Wochen ließ sein Interesse jedoch wieder nach. Ich wollte ihm aber dann zumindest zeigen, dass wenn man etwas beginnt man es auch zu Ende machen sollte. Daraufhin begann ich zu überlegen, was ich machen könnte – nur das Buch zu lesen machte auch keinen Sinn. 

Ich hatte überall Zettel mit Notizen zum Üben verteilt und wollte diese gebündelt in eine App packen. Angefangen bei Fingersätzen bis zu Übungen für Vierteltöne und False Fingering versuchte ich daraufhin ein Konzept zu entwickeln, wie ich diese Dinge in einer App unterbringen könnte. Die Liste wurde dann immer länger und es gab immer mehr Ideen, bis letztlich die App im Appstore war – das war jedoch nicht geplant. (lacht)

Übst Du Gehörbildung, Harmonielehre oder Rhythmik noch gesondert in Deiner Überoutine ? Oder falls nicht, wie schaffst Du es, bewusst diese Bereiche in Dein Üben einzubauen ?

Ich übe alle von diesen Sachen, die du gerade genannt hast immer noch. Ich glaube die übt man sein ganzes Leben. In der App gibt es dazu verschiedene Sektionen. Eine davon nennt sich Drones, in der es vor allem um Intonation geht. Hier kann man zu verschiedenen Sounds tunen. Das ist tatsächlich auch etwas, dass ich relativ viel gemacht habe: Intervalle hören und diese dann in Relation zu anderen setzen.

iPracticePro-App Screenshot
iPracticePro-App (Screenshot)

Das Saxophon ist ja ein Instrument, welches standardmäßig nur einen Ton gleichzeitig spielen kann und da ist es besonders wichtig zu wissen, welchen Ton man in Relation zum Akkord spielt, um gut zu stimmen. Auch zu Sounds, zu denen man im Jazz nicht so häufig spielt – wie ein Fagott zum Beispiel. 

Was ich früher ebenfalls viel gemacht habe ist zu Zwölftonreihen zu üben. Damals gab es logischerweise noch keine iPhones und auch noch nicht die App, also habe ich mir die zwölf Töne auf ein Blatt Papier aufgeschrieben. 

Dann habe ich mir dazu Übungen ausgedacht, wie z.B. Dur-Dreiklänge üben. Das wird sehr wahrscheinlich jeder, der das hier liest, können. Man kann die Übung jedoch so schwer machen, wie man möchte. 

Ich habe mir dann immer eine Übung ausgedacht, die ich gerade so konnte – sprich: ich habe immer noch Fehler gemacht. Wichtig ist, dass die Übung weder zu schwer noch zu leicht ist. Die Reihe habe ich dann jeden Tag gewechselt und immer eine andere Übung dazu genommen. Das habe ich im Prinzip ab circa dem dritten Jahr immer gemacht. Und das macht die App ebenfalls.

Wie gehst du mit Fehlern um?

Fehler sind ja dafür da, dass man sie macht, um sie dann früher oder später korrigieren zu können. Und daraus zu lernen. 

Das bedeutet: Wenn ich einen Fehler mache, ist mir das erstmal egal. Ich weiß natürlich wo etwas falsch gewesen ist und dann übe ich diese Sachen nochmal getrennt.

„Je höher man läuft, desto höher wird auch der Berg, weil man am Anfang ja gar nicht weiß, was man nicht kann.“

(Steffen Weber)

Was lernst (übst) Du gerade, was Du noch nicht kannst ? 

Ich lerne ehrlich gesagt gerade relativ viel: Ich lerne Programmieren. Das hat auch unglaublich viel mit Improvisieren zu tun, obwohl es auf den ersten Blick nicht so scheint. Ganz einfach aus dem Grund, weil man alles mit ganz verschiedenen Lösungswegen erreichen kann. Jedoch sind nicht alle gut. Wie beim Improvisieren gibt es dann eine gute Programmierung und eine nicht so gute.

Was ich nach wie vor übe ist einfach Saxophon-Spielen. Beispielsweise Sachen, die ich immer schon gemacht habe, auf neue Arten üben.

Welchen Tipp würdest Du Deinem jüngerem, Erstsemester-Musikstudenten-Ich gerne mitgeben, um den Du damals froh gewesen wärst ? 

Es gibt ein Sprichwort, das heißt: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Es gibt viele Lehrer und man hat viele Musiker, wie die „Weltmeister“ Coltrane, Brecker oder auch von anderen Instrumenten wie beispielsweise Clifford Brown. Wenn ein Saxophonist jemand wie ihn hört, denkt er sich „Boah, das schaffe ich doch nie“. Aber er hat’s ja auch geschafft – also man kann es ja schaffen. 

Man sieht den Mount Everest vor sich, der immer höher wird und niemals tiefer. Der Punkt ist jedoch einfach loszulaufen, weil man merkt, dass man sowieso niemals oben ankommt. Je höher man läuft, desto höher wird auch der Berg, weil man am Anfang ja gar nicht weiß, was man nicht kann. Das wusste Coltrane allerdings auch. Das wussten alle großen Musiker. Das ist jedoch gar nicht schlimm. Die Hauptaussage ist: Mach’s einfach! Geh einfach immer weiter und üb einfach immer weiter und erfreu dich daran, dass du immer besser wirst. 

Meine Erfahrung ist, gerade auch bei vielen Studenten, dass man wahnsinnigen Respekt vor dem Berg hat und er gleich von Beginn an so hoch zu sein scheint, dass viele erst gar nicht loslaufen. Sie trippeln nur, aber sie laufen nicht. Das ist dann manchmal so schade, weil die Angst so groß ist, dass man gar nicht erst richtig losgeht. 

Ich glaube diejenigen, die immer weiter gehen – vor allem über Jahre und Jahrzehnte, die haben am Ende auch Erfolg.

„Meine Erfahrung ist, gerade auch bei vielen Studenten, dass man wahnsinnigen Respekt vor dem Berg hat und er gleich von Beginn an so hoch zu sein scheint, dass viele erst gar nicht loslaufen. Sie trippeln nur, aber sie laufen nicht. Das ist dann manchmal so schade, weil die Angst so groß ist, dass man gar nicht erst richtig losgeht. „

(Steffen Weber)

Empfohlen

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Inhalt.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus meiner Bachelor-Arbeit zum Thema Üben & Jazz.

  1. Ein Musikinstrument wie eine Sprache lernen
  2. Die Theorie der Audiation – „Vorhören“
  3. Audiation und Jazz
  4. Zwei Arten des Lernens
  5. Die Idee der Audiation und andere Methoden

Kannst Du Dich noch daran erinnern, wie Du Deine Muttersprache gelernt hast?

Wahrscheinlich eher nicht. Das Erlernen unserer Muttersprache erfolgt im Kindesalter auf informelle und unstrukturierte Art und Weise. In der alltäglichen Kommunikation mit unseren Eltern und der Umwelt eignen wir uns zunächst das Zuhören und das Sprechen an. Erst später widmen wir uns dem Lesen und Schreiben. Niemand würde ernsthaft diese Reihenfolge ändern wollen und seinem Kind schon das Lesen beibringen, bevor es nicht gelernt hat zuzuhören.

Tatsächlich dreht der instrumentale Musikunterricht diese Reihenfolge jedoch in den allermeisten Fällen um. Wir lernen in den ersten Stunden Notensystem und Notenwerte kennen und spielen erste Übungen aus dem eigens für den Unterricht angeschafften Lehrbuch nach. Das stellt sich logischerweise die Frage: Ließe sich ein Instrument wie eine Sprache erlernen?

Ein Musikinstrument wie eine Sprache lernen

Wie übe ich Audiation?

„Audiation is to music, what thought is to speech.”[1]

Edwin Gordon

Edwin Gordons Music Learning Theory (MLT) ist der Versuch einer Modellentwicklung zur Frage „Wie erlernen Individuen Musik?“. Sie ist Teil des von ihm geprägten Begriffs der Audiation. Der ausgebildete klassische Kontrabassist und Musikpädagoge definiert in diesem Terminus das „Hören und Verstehen von Musik, die nicht oder möglicherweise nicht physikalisch erklingt“[2]. Der Schwerpunkt der Definition liegt dabei vor allem in der Fähigkeit Musik zu verstehen – also das Gehörte in einen größeren, musikalischen Gesamtzusammenhang einzuordnen.

Gordon geht, wie das Eingangszitat bereits andeutet, davon aus, dass ein Musikinstrument lediglich eine Erweiterung der Gedanken und des menschlichen Körpers ist („(…)an extension of the human mind and body.“[3]). Die Frage wäre also: Sollte es möglich sein, ein Instrument ebenso wie unsere Muttersprache zu erlernen?

Die Theorie der Audiation – „Vorhören“

Die Theorie der Audiation richtet ihr Konzept wieder mehr nach der ursprünglichen Art des Spracherwerbs aus. Zunächst hören die Lerner*innen bekannte Melodien und Volkslieder bevor sie, je nach Alter, aufgefordert werden diese nachzusingen, sich rhythmisch zu ihnen zu bewegen oder sie gar auf dem Instrument nachspielen sollen. Das Augenmerk liegt in dieser Phase mehr auf dem musikalischen Kontext (Tonalität und Metrum) denn dem musikalischen Inhalt (der Name der einzelnen Note, die dazugehörige Skala etc.). [4]

Erst im darauffolgenden Schritt werden die Noten herangezogen und nachgespielt. Allerdings mit dem Hauptfokus auf dem „Vorhören“ – also dem Hören der Melodie im Kopf, bevor sie tatsächlich erklingt. Gordon lehnt sich hier an das Dogma von Lowell Manson „sound before sign“[5] an. Oder um mit den Worten von Miles Davis zu sprechen: „I’ll play it first and tell you what it is later.“[6]


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Audiation und Jazz

Erst mit den Arbeiten des Musikers und Wissenschaftlers Christoph Azzara wird die Music Learning Theory um konkrete Handlungsanweisungen für den Jazz ergänzt.

Im Wesentlichen verfolgt Azzaras Ansatz drei Schritte:

  • Melodie nach Gehör lernen
  • Bass-Linie und Harmonie-Folge nach Gehör lernen
  • das Stück in anderen Tonarten und Metren üben.

Ziel ist es, sich das Material im wahrsten Sinne des Wortes zu eigen zu machen, um anschließend damit frei umzugehen (zu improvisieren). Ganz so wie wir es tagtäglich in der Kommunikation mit anderen Menschen tun.[7]

Zwei Arten des Lernens

Audiation differenziert dabei zwischen zwei Arten des Lernens: unterscheidendes Lernen („discrimination learning“) und schlussfolgerndes Lernen („inference learning“). Ersteres zielt dabei vor allen Dingen auf das Lernen durch Beobachten, besonders durch Imitation ab. Der Lerner*in soll hier ein Vokabular von Patterns und Rhythmen entwickeln.[8] Entscheidend für die Qualität der Beispiele ist es, dass sie dem Lerner*in bekannt sein müssen. Es eignen sich daher besonders einfache Melodien und Patterns, die dann in andere Metren und Tonalitäten audiiert[9] werden.

Diese erste Stufe des Lernens dient der MLT als Grundstein für das schlussfolgernde Lernen. Der stufenweise Aufbau ist sehr charakteristisch für Gordons Konzept. Während im unterscheidenden Lernen sowohl Weg als auch Inhalte des Lernens vermittelt werden, wird in der zweiten Stufe lediglich noch der Weg vermittelt. Der Lerner*in soll nun selbst die Inhalte aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen bilden. Ziel soll es sein, ihn zu „eigenständigen Denk- und Entscheidungsprozessen“[10] zu führen.[11]

Es wird deutlich, dass Gordon sich der lernpsychologischen Definition des Beobachtungslernen bewusst gewesen sein muss. Sein Konzept des Nachahmens zielt dabei explizit auf „echte“ Imitation ab. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und schließt unbedingt auch das Verstehen ein. Christoph Azzara folgert gar hieraus:

„It is important to distinguish between audiation and imitation. To audiate is to think for oneself; imitation is quickly forgotten. […] To audiate is to understand, and the greater one’s understanding, the greater is the potential to appreciate music. We learn to audiate so that we can audiate to learn.”[12]

Die Idee der Audiation & anderen Methoden

Audiation ist eben nicht nur das bloße Nachspielen von Licks und Transkriptionen. Es ist der bewusste Vorgang des Verstehens dessen, was man gerade spielt. Wenn man so möchte ein aktives Mitverfolgen und Reflektieren während des Spielens. Ähnlich wie wir früher aus unseren ersten Wörtern erste Sätze gebildet haben, folgen aus den einzelnen Patterns der Music Learning Theory irgendwann ganze Soli.

Der starke Fokus auf Gehörbildung ist sicherlich kein Alleinstellungsmerkmal der Audiation. Aber besonders im Bereich der Jazz-Improvisation scheint sie jedoch äußerst sinnvoll zu sein. Nicht nur namhafte Musiker wie der Trompeter Dave Douglas betonen ihre Wichtigkeit.[13]

Auch die Harmonielehre von Frank Sikora widmet dem Thema über einhundert Seiten – immerhin knapp ein Fünftel des gesamten Buchinhaltes. Was bei Sikora als Jazz-typischer Common Sense tradiert wird, versucht die Audiation durch wissenschaftliche Forschung zu bestätigen. Wenngleich also die MLT sich nicht originär an Jazz-Studenten richtet, so decken sich ihre Techniken doch erstaunlich genau mit den Konzepten der Hochschule. Die Übereinstimmung des folgenden Zitats aus Sikoras Harmonielehre über eine fast gehörlose Perkussionistin, mit der Idee der Audiation verblüfft daher wenig: „Als Musikerin kann ich den Ton, den ich kreiere, wirklich hören, weil ich ihn zuerst imaginiere.“[14]


[1] Gordon, Edwin (u.a.): Jump right in – the instrumental series. Teacher’s Guide Revised strings book 1 and 2, Chicago, o.J.,S. 12.

[2] Süberkrüb, Almuth: „Üben“ in der musikalischen Lerntheorie von Edwin E. Gordon, in: Mahlert, Handbuch Üben, S. 242 – 264, hier: S. 242.

[3] Gordon, Jump right in, S. 12.

[4] vgl.: Gordon, Jump right in, S.12f..

[5] vgl.: Süberkrüb, Almuth: Denken in Musik. Audiation – Edwin E. Gordons Music Learning Theory, in: MIP Journal 8 (2003), S. 6-13, hier: S. S. 7.

[6] LaMotte, Sandee: Jazz Improv and your Brain. The Key to Creativity <https://edition.cnn.com/2018/04/29/health/brain-on-jazz-improvisation-improv/index.html> (25.04.2020).

[7] vgl.: Azzara, Christoph: An aural Approach to Improvisation, in: Music Educators Journal 86 (1999), S. 21-25, hier: S. 22.

[8] vgl.: Azzara, Christoph: Audiation, Improvisation, and Music Learning Theory, in: The Quarterly 2 (1991), S. 106-109, hier: S. 107.

[9] Das Verb „audiieren“ wurde nach Rücksprache mit der Duden-Redaktion eingeführt um den Vorgang der Audiation zu beschreiben. In früheren wurde „to audiate“ oftmals mit „auditieren“ übersetzt, welches oftmals mit Scientology („Auditing“) assoziiert wird. (vgl.: Süberkrüb, Üben, S. 243.)

[10] Süberkrüb, Üben, S. 246.

[11] vgl.: Ebd., S. 245f..

[12] Azzara, Audiation, S. 106.

[13] vgl.: Schroeder, David: Four Approaches to Jazz Improvisation Instruction, in: Philosophy of Music Education Review 10 (2002), S. 36-40, hier: S. 38.

[14] vgl.: Sikora, Frank: Neue Jazz-Harmonielehre, 6. Auflage, Mainz 2003, S. 379.

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Wie übt eigentlich Max Frankl? https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-max-frankl/ https://what-is-practice.de/wie-uebt-eigentlich-max-frankl/#respond Tue, 16 Mar 2021 08:19:45 +0000 http://what-is-practice.de/?p=3392 Echo-Gewinner Max Frankl ist nicht nur ein hervorragender Gitarrist. Er ist auch ausgewiesener Experte, wenn es um das Üben im Flow geht.

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Meine erste (wenn auch unpersönliche) Begegnung mit Max, war im Rahmen meiner Bachelor-Arbeit. Zum ersten Mal hatte ich etwas von der Technik „Üben im Flow“ gehört – und der Begründer dieser speziellen musikalischen Technik, Andreas Burzik, empfahl mir den in Zürich lebenden Jazz-Gitarristen.

Nach wenigen Klicks landete ich auf seiner Max Frankl Academy, in der er eine eigene Lern-Community für Gitarristen aufgebaut hat. Beginnend bei Harmonielehre bis hin zum perfekten Solo-Aufbau kann man hier alles von ihm erfahren.

Eine absolute Empfehlung an dieser Stelle ist sein E-BOOK „Üben im Flow“, welches ich mir damals auch gekauft habe. Darin beschreibt er die konkrete Anwendung der Flow-Technik im musikalsichen Alltag. Super hilfreich ist auch der passende Audio-Guide dazu.

Max Frankl mit Gitarre

Zu Max‘ musikalischen Stationen zählen unter anderem das Bundesjazz-Orchester (BuJazzO), ein Studium am Conservatorium von Amsterdam, parallel dazu Unterricht bei Wolfgang Muthspiel, Aufnahme ins European Jazz Orchester (als erster deutscher Gitarrist) und ein ECHO-Preis für den besten Gitarristen national.

Wer mehr über Max Frankl erfahren möchte, dem sei an dieser Stelle sein Podcast und seine Webseite sehr empfohlen.

Zum Podcast Guitar Hang-Out

Lieber hören statt lesen?

Die Folge mit Max Frankl lässt sich auf allen bekannten Streaming Plattformen kostenlos anhören:

Das Interview

Vervollständige folgenden Satz: Üben heißt für Dich….

In der Situation, der Musik auf den Grund gehen, die ich wahnsinnig gerne mag und die ich seit mehr als 20 Jahren lieb gewonnen habe.

Eine Situation, die mir Freude macht, aber in die ich auch hineinwachsen musste. Das Spielen von Musik war für mich immer schon eine große Freude – aber das Üben musste ich mir erarbeiten.
Jetzt inzwischen ist es so, dass ich auch so viele andere Sachen mache, dass wenn ich dann üben kann, dann ist das für mich das Highlight des Tages.

Welche Musik (Album / Künstler) läuft bei dir gerade in Dauerschleife ?

Ich höre mir gerade das neue Album von Pat Metheny „From this Place“ an. Das gefällt mir wahnsinnig gut und ist so ein Album, welches bei mir gerade dauernd läuft.

Welche CD hat Dich musikalisch (auf Dein Spiel bezogen) am meisten geprägt ?

Das kann ich so gar nicht sagen. Ich erinnere mich daran, dass ich viele Alben von John Scofield hatte. Zum Beispiel das „Blue Matter“ Album ganz früh. Das hatte ich so circa mit 15 Jahren. Ich hatte einiges von Wolfgang Muthspiel, viel von Pat Metheny und Bill Frisel – das würde ich sagen sind die wichtigsten Einflüsse. Mit Sicherheit auch Kurt Rosenwinkel, der dann ein bisschen später dazukam.

Wie sieht Dein typischer Übe-Alltag aus ?

Mein typischer Übe-Alltag sieht so aus, dass wenn ich mich auf Studio-Aufnahmen oder Gigs vorbereite, ich sehr sehr fokussiert bin. Das heißt, das Üben ist dann die erste und wichtigste Sache am Tag. Davor gibt es gar nichts – da wird kein Handy angeschaltet, da kann mich niemand erreichen, keine Mails und keine Anrufe. Ich bin dann vollkommen fokussiert und arbeite immer 1,5h Stunden. Anschließend mache ich dann eine halbe Stunde Pause, das heißt ich gehe mal kurz raus oder hole mir einen Kaffee.

Die 1,5 Stunden sind sehr intensiv. Hier mache ich immer eine Art „Sprint“. Nach 20 Minuten gibt’s immer mal wieder kleine Pausen, in denen ich kurz aufstehe und mich kurz „schüttle“. Die Gitarre ist auch ein physisch anstrengendes Instrument und da muss man einfach schauen, dass man nicht in eine komische Übehaltung kommt und einem der Rücken wehtut.

Ein sehr typischer Übe-Alltag geht dann von morgens bis mittags, dann gibt es Mittagessen und anschließend mache ich andere Sachen.

Wie gehst du mit Fehlern um?

Für mich ist Fehler gar kein Begriff, den ich richtig fassen kann. Am ehesten ist ein Fehler für mich, dass ich bei einer Aufnahme im Tonstudio einen Ton nicht erwischt habe und es dieses typische „Plop-Geräusch“ macht, welches entsteht, wenn man einen Ton zwar anschlägt, aber nicht richtig gegriffen hat. Auf Studio-Aufnahmen höre ich mir an wie es klingt. Wenn es mich stört, schneide ich es raus, wenn nicht lasse ich es drin. Ansonsten ist es für mich beim Üben so, dass es in dem Sinne eigentlich keine Fehler gibt, sondern es sind einfach Erfahrungen, die ich mache und die ich beobachte.

Ich versuche beim Üben sowieso nie zu werten. Deswegen betrachte ich das auch nicht als Fehler, sondern Sachen, wo ich gesagt bekomme: „Da musst du noch mal ran. Hier muss ich nochmal üben.“

Viele kleine Übe-Einheiten oder lieber ein paar längere am Stück? Und warum?

Wie vorhin schon gesagt, übe ich in 1,5 Stunden Blöcken mit voller Konzentration und dann eine halbe Stunde Pause. Das kann ich zweimal am Tag machen und dann bin ich komplett fit auf dem Instrument und bin auch irgendwie glücklich nach dieser Zeit.

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Was hilft Dir, nach einem anstrengenden Tag, um am Besten auf andere Gedanken zu kommen?

Auf jeden Fall hilft mir Sport. Auch in die Natur zu gehen. Hier in Zürich gibt es einen wunderschönen See, an den man sich setzen kann. Kurzum: Bewegung, frische Luft und Espresso trinken (oder Grünen Tee, geht beides).

Wie schaffst du es / Wie hast du es geschafft Dein Üben langfristig zu strukturieren ?

Grundsätzlich ist es so, dass ich immer sehr klar weiß, warum ich übe. Sprich, es ist nicht so, dass ich mich hinsetzte und denke „jetzt müsste ich mal wieder üben“ und dann übe ich fünf Stunden, um die Gitarre dann wieder wegzulegen.

Wenn ich übe, habe ich immer also ein konkretes Ziel vor Augen. Zum Beispiel fit zu werden für eine Studio-Aufnahme. Dieses Ziel ist dann das wichtigste Ziel und gilt für circa zwei bis vier Wochen. Hieran orientiere ich mich dann – wie bei einem Stern am Himmel.
Das große Ziele unterteile ich dann in viele kleinere. Das kann dann zum Beispiel in der ersten Woche sein, den Notentext gut kennenzulernen, in der zweiten Woche bei den Soli sicherer zu werden und dann in der dritten Woche das Gesamte mal anzuschauen.
Die vierte Woche ist dann dafür da, um an den Punkt zu kommen, dass ich das Gefühl hab, am Tag der Studio-Aufnahme bin ich auf meinem Höhepunkt.

Und dafür braucht es übrigens auch Pausen – diese sind sehr wichtig. Sprich, wenn ich von Montag bis Freitag übe und ich weiß, ich hab am Sonntag eine Probe, in der wir das Programm spielen, übe ich am Samstag und Sonntag (bis auf ein kleines Warm-Up) nicht.

Wie hat sich das Üben im Laufe Deiner Musiker-Karriere verändert (vor allem durch die Anwendung der „Üben im Flow“-Technik?

Ich hab die Technik „Üben im Flow“ von Andreas Burzik auf einem Seminar kurz vor dem Abschluss meines Studiums kennengelernt. Mir war schon direkt nach dem ersten Tag bewusst, dass dies bei mir sehr viel verändern wird.

Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits verschiedenen Techniken sehr aufgeschlossen gegenüber und hatte das Buch „Effortless Mastery“ von Kenny Werner und „Der Mozart in uns“ („The Inner Game of Music“) gelesen. Diese „Üben im Flow“ Technik, die Andreas uns damals gezeigt hat, war für mich intuitiv richtig. In dieser Phase habe ich mich angefangen richtig auf so Projekte vorzubereiten. Damals waren wir gerade mit den European Jazz Orchestra auf Tour – hierauf habe ich mich dann im Flow vorbereitet.

Ich muss einfach sagen, dass ich immer noch auf diese Technik zurückgreife, wenn ich etwas üben will, weil ich weiß, dass es dafür sorgt, dass ich es gut kann, dass ich glücklich bin beim Üben und, dass ich vorankomme so schnell es geht. Wobei das Tempo von diesen drei Dingen noch das Unwichtigste ist. „Üben im Flow“ hat mir die Möglichkeit gegeben Ziele zu erreichen auf dem Instrument und den Weg dahin zu genießen. Ich habe irgendwann dann ja auch selbst ein Buch geschrieben („Üben und Spielen im Flow“), welches es in meiner Academy gibt. Hier hab ich versucht meine Tricks zu verraten und passend dazu auch einen Audio-Guide, also ein Hörbuch gemacht, wo ich erzähle, was ich dort mache.

„Ich muss einfach sagen, dass ich immer noch auf diese Technik zurückgreife, wenn ich etwas üben will, weil ich weiß, dass es dafür sorgt, dass ich es gut kann, dass ich glücklich bin beim Üben und, dass ich vorankomme so schnell es geht.“

(Max Frankl)

Hast Du eine bestimmte Routine, mit der Du an ein neues Stück herangehst ?

Nein, eigentlich nicht. Die Routine könnte im ersten Schritt sein, dass ich versuche möglichst tief in die Musik einzutauchen. Dass ich als zweites versuche den Notentext möglichst gut zu lernen, also alle Artikulationen erstmal wegzulassen und nur mal „durch die Töne“ zu gehen. Das ist eigentlich schon eine sehr „Flow-gelernte“ Herangehensweise, wo ich mich noch sehr gut erinnern kann, wie Andreas Burzik das damals im Workshop vorgemacht hat. Ich würde also sagen, meine Routine ist im Flow die Sachen zu üben.

Üben sollte ja nicht nur monotones Wiederholen, sondern im besten Fall auch Abwechslung und Kreativität sein. Was war die letzte (neueste) Idee, die Du bei deinem eigenen Üben in letzter Zeit ausprobiert hast ?

Die Sache, die ich in letzter Zeit ausprobiert habe, war wie viel Aufwärmprogramm ich brauche, um über einen gewissen Zeitraum fit zu werden auf dem Instrument. Ich erkläre das mal etwas besser:

Ich finde, dass wir übers Spielen sehr viel wissen – also sehr viel Theorie, Harmonielehre, Substitutionen, Akkorde und so weiter. Aber für mich ist das entscheidende Kriterium, kann ich das was ich im Kopf höre auch wirklich auf dem Instrument umsetzen. Und wenn ich übe, dann ist das eigentlich mein Ziel. Ich möchte so fit sein wie möglich, um das, was ich da höre, umsetzen zu können. Dafür, habe ich nun für mich definiert, reichen eigentlich 20 Minuten pro Tag.

Zwanzig bis dreißig Minuten mit den richtigen Übungen machen mich, wenn ich 10 bis 14 Tage übe, total fit auf meinem Instrument. Das ist eine Sache, die sehr spannend ist. Ich übe dann zwanzig Minuten dieses Programm und den Rest von der Zeit übe ich Stücke, lese (die Stücke) und improvisiere usw.

Das ist für mich eine gute Erkenntnis gewesen: herauszufinden wie viel es für mich braucht (von diesem strukturierten Übeprogramm), damit ich mich fit fühle für die Musik und wie lange es dann dauert, bis ich andere Sachen machen kann.

„Und wenn ich übe, dann ist das eigentlich mein Ziel. Ich möchte so fit sein wie möglich, um das, was ich da höre, umsetzen zu können.“

(Max Frankl)

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